Bad Oberdorf bei Hindelang Mein liebes
Töchterlein! Dir zuerst schicke ich den einen langen Brief unseres
lieben Fritzs ein, damit Du Dich auch recht bald über ihn freuen kannst. Mir
hat er eine unbeschreibliche Freude bereitet! Zunächst die Nachrichten über
seine Gesundheit! Sie könnten kaum besser sein. Dann die Tatsache, dass er sich
schon auf der Heimreise befindet. Man kann schon anfangen, das Wiedersehen zu
berechnen! Vielleicht schon Mitte Februar! Dann wird wahrscheinlich auch
Hermann zu uns zurückkommen. In diesem Gedanken bin ich so froh auch meiner
lieben Tochter wegen. Ihr habt unter der Abwesenheit der beiden grossen Brüder
am meisten zu leiden gehabt. Dann ist die Struktur unseres Hauses wieder in
Ordnung. Die Beiden haben uns allen doch sehr gefehlt. Wie sie selbst,
besonders auch unser Fritz, nicht ohne Anwandlungen von Heimwehgeblieben sind,
so hat es auch bei jedem von uns Daheimgebliebenen wohl nicht an ähnlichen Stimmungen
gefehlt. Bei Dir, liebes Lieselchen, glaube ich es mehrfach bemerkt zu haben.
Ich setze auf die Komplettierung unserer Familie grosse Hoffnungen. Das traute
Zusammensein von Geschwistern ist heute wichtiger denn je. Wie viel schwerer
wäre mein Leben gewesen, wenn ich nicht einen Bruder zur Seite gehabt hätte und
das Leben meiner Schwestern kann ich ohne brüder mir garnicht vorstellen. Meine
liebe Frau hat ähnlich eine schöne Jugendzeit gehabt, aber das Fehlen eines
Bruders war doch ein Nachteil, der durch nichts ausgeglichen werden kann. Das
ist mir eigentlich erst dieses Mal in Bonn so ganz klar geworden. Freue Dich,
liebes Töchterchen, Deiner Brüder. So schön Deine innige Freundschaft mir
Deiner Schwester ist, nicht minder schön ist die Liebe zwischen Schwestern und
Brüdern! Ich glaube, Du kannst stolz sein auf Deine Brüder! Das ist ein
unbeschreibliches Glück! Wenn Du
Dir dies vergegenwärtigst, verstehst Du vielleicht besser meinen letzten Brief.
Ich verehre und liebe meine Schwägerin Gisela; sie steht aber in ungewöhnlicher
Ausschliesslichkeit unter weiblichen Einflüssen, Stimmungen und Gedankengängen.
Das steigert vielleicht ihre persönliche Anziehungskraft, aber es bringt
natürlich auch Schwierigkeiten – grosse Schwierigkeiten – mit sich. Das kannst
Du selbst nicht erkennen. Darum gehört es zu den unangenehmen Pflichten des
Vaters, den Versuch zu machen, Dir dafür das Auge zu öffnen. Ich vertraue, dass
Du das verstehen wirst! Ich
schreibe Die dies etwas ungemütlich auf einer Bank, um das herrliche Wetter
möglichst umfassend zu geniessen. Wir haben es hier sehr schön getroffen und
beginnen schon uns zu erholen. Schicke
Fritzens Brief bald weiter an Hermann In
Herzlicher Liebe, Dein Papa. |
Berlin-Steglitz
Liebe
Liesel! Mit
Deinem langen ersten Brief hast Du mir eine besonders grosse Freude bereitet.
Du hast eine schöne Fähigkeit, Dich begeistern zu können; sieh zu, dass Du sie
Dir für Dein Leben bewahrst. Du versteht es aber auch sehr hübsch, Deine
Eindrücke und Empfindungen in Worte zu kleiden. Wir haben an Deinen vielen
grossen und kleinen Freuden mitteilbar teilnehmen können. – Jetzt wird das
Wetter, fürchte ich, auch in den Bergen schlecht geworden sein. Hoffentlich
gelingt es Dir auch dann noch, das viele Schöne herauszufinden. Nur eintönige
Gleichmässigkeit kann man auf die Dauer nicht recht vertragen. Eine
Karte von Vreni füge ich bei. Antworte ihr recht bald. Ich habe die Absicht, in
der nächsten Woche mit Herrn Dr. Ulrich, wenn er noch hier sein sollte, zu
sprechen. Du brauchst Dich also nicht zu sorgen. Grüsse
Tante Emmy und auch Asmus herzlichst. Mit
vielen guten Wünschen und Grüssen In
Liebe, Dein Papa |
Kampen, den 28. August 1930 Liebe
Liesel! Ich
wollte gerade dem Hermann für seinen lieben Brief danken und ihm noch einen
Willkommensgruss zur Rückkehr in die Heimat nach langer Abwesenheit senden, da
erhalte ich Deinen lieben zweiten Brief, durch den Du mich so sehr erfreut
hast, dass Du jetzt zunächst ein Vorrecht auf eine Antwort hast. Es ist mir
eine grosse Freude, dass Dir die Stunden jetzt so gut gefallen und vor Allem
auch dass Du jetzt so viel Zeit hast. Das zeigt, dass Du jetzt gute Lehrer hast
und in der Tat lassen sich bessere ja kaum finden. Unser
Aufwnthalt hier geht jetzt seinem Ende entgegen. Am Dienstag früh werden wir
fahren. Dann sind wir gerade vier Wochen hier. Wir wollen über Helgoland
zurückreisen, dort einen Tag bleiben und dann noch bei Onkel Fritz ein oder
zwei Tage Aufenthalt nehmen. Zum Sonntag wollen wir wieder zu Hause sein.
Darauf freue ich mich riesig. Dann endlich wird die Familie einmal wieder
vollständig zusammen sein. Das ist lange nicht der fall gewesen und wer weiss,
wann es in der Zukunft wieder sein wird. Besonders freue ich mich, Hermann, den
Weltenbummler, und Dich wiederzusehen! Und dann wollen wir die Zeit mit dem
Fritz noch geniessen! Hoffentlich geht es Euch allen gut, besonders der lieben
Mutti! Grüsse sie und küsse sie herzlich von mir und auch die beiden langen
Brüder, mit denen zusammen zu sein, Du jetzt gewiss stolz sein wirst. In
Liebe Dein Papa. |
Berlin-Steglitz,
1. Juli 1931 Schillerstr. 8 Mein
liebes, liebes Töchterchen! Nach
Deinem fröhlichen Brief, den wir heute von Dir aus Lampeter erhalten haben,
nehme ich an, dass Du heute Abend etwas zerrissene Gefühle in Deinem Herzen
haben wirst; ich bin aber überzeugt, dass der Wechsel für Dich günstig sein
wird. Du bist jetzt reif für eine gute englische Familie; Du kannst dort Vieles
lernen, das in Lampeter unmöglich ist, und vielleicht gelingt es Dir sogar eine
Freundschaft zu schliessen, die für Dein weiteres Leben eine grosse Bedeutung
gewinnen kann. So hast
Du Grunf Deinen Geburtstag besonders froh zu feiern. Geniesse den allerdings
sehr anstrengenden Aufenthalt in London und überanstrenge Dich nicht! Nichts
ist für ein unternehmungslustiges Mädchen schwerer zu lernen! Meine
Wünsche verstehe ich aber aufs ganze Jahr! Bleibe gesund und frisch und froh,
und nimm liebes Töchterchen, das Vertrauen mit Vertrauen belohnt. Ich danke Dir
für viele freuden, die Du mir bereitet hast; tue es eifrig auch weiter! Es
grüsst und küsst Dich, liebes Geburtstagskind, in
herzlicher Liebe Dein
Papa. |
Berlin-Steglitz Schillerstr. 8
d.11.VII.31 Liebe
Liesel! Der
liebe lange Brief, den Du auf der Bahnfahrt geschrieben hast, hat mich so
erfreut, dass ich darüber die Aufregung vergessen habe, die wir durchgemacht
haben, als wir nicht wussten, wo Du warst. Erst durch mehrere Telefongespräche
mit London haben wir feststellen können, dass Du in Lampeter geblieben bist.
Ich freue mich, dass meine Gedanken Dich jetzt bei Gordons aufsuchen können,
denn ich hoffe, dass Du dort doch ganz anders, als in Lampeder Gelegenheit zum
Sprechen haben wirst und vielleicht gelingt es Dir dort, Beziehungen zu
englischen Familien zu knüpfen, die von einiger Dauer sind. Ich habe immer
wieder im Leben erfahren, wie ausserordentlich wertvoll solche Beziehungen sein
können, und hoffe ich sehr, dass Du mit dem Wechsel Dich bald ausgesöhnt und
dass Dir in Sussex noch eine neue schöne und reiche Zeit bevorsteht. Wir sind
sehr ungeduldig, die erste Nachricht von dort zu erhalten. Natürlich
musst Du auch noch ein paar Tage in London verbringen, um Dir die dortigen
wichtigsten Kunstschätze anzusehen. Das wirst Du auch tun können, wenn Du
allein bist, obwohl mir der Gedanke, dass Du Dich ganz allein in dieser
Riesenstadt herumtreibst, nicht so ganz angenehm ist. Sehr viel netter wäre es
natürlich, wenn Du mit einer freundin zusammen sein könntest, und dass Du in
der Hilde Kaufmann eine so treffliche neue Freundin gefunden hast, freut mich
ganz besonders. Es wäre ja wirklich sehr hübsch, wenn Ihr beide noch in London
zusammen sein könntest. Das könnte sich dann auch auf eine Woche ausdehnen.
Sollte sie aber doch nicht nach London kommen, so kannst Du Dich vielleicht mit
der Hilde Schmitt oder der Hagemann irgendwie verabreden. Wichtiger aber als
London scheint es mir jetzt für Dich zu sein, dass Du den Aufenthalt bei
Gordons möglichst ausnutzt. Aus sen Briefen haben wir einen besonders netten
Eindruck gewonnen und die anfänglichen Bedenken sind geschwunden, seitdem Du
Dich in der englischen Sprache so sehr vervollkommnet hast. Wegen
der Rückfahrt können wir Dir Bestimmtes noch nicht sagen, da Hagemanns verreist
sind. Wenn aber ihre Tochter und Magdy mit der „Bremen“ (Touristenklasse)
zurückfahren, dann wollen wir dafür sorgen, dass Du Dich anschliessen kannst. Dass
Dein Aufenthalt in Lampeter sich noch so sehr schön gestaltet hat, hat mich
ausserordentlich gefreut. Nach Deinen ersten Mitteilungen konnte man das kaum erwarten.
Ganz besonders freue ich mich auch, dass Du das orgelspielen gelernt hast und
soviel Vergnügen daran gefunden hast. Das wird Dir nicht verloren gehen, auch
wenn Du infolge der Abreise nicht soweit gekommen bist, wie Du gewünscht hast.
Ich glaube, es wird sich irgendwie eine Gelegenheit finden lassen, das
Angefangene Fortzusetzen. Ich könnte mir das z.B. in Verbindung mit einem
Aufenthalt in Hamburg oder Bremen denken. Vor
allem aber geniesse jetzt das viele Interessante und Ungewöhnliche, das Dir
geboten wird. Das scheinst Du ja auch bisher schon gut verstanden zu haben. Ich
hoffe und zweifle nicht daran, dass es Dir auch in der neuen Umgebung gelingt
und wünsche, dass dieser 3. Akt Deines englischen Aufenthalts zum schönsten von
allen wird. Schreibe uns aber von Zeit zu Zeit einmal eine Postkarte. Wir sind
schon mit kurzen Nachrichten sehr zufrieden. In
herzlicher Liebe Dein
Papa. (In Edith
Schumachers Handschrift) Auch von mir noch einen herzlichen Gruss,
mein liebes Kind! Allem, was Papa schreibt, kann ich nur zustimmen. Wir freuen
uns sehr, dass es so bleibt. Am schönsten aber, war doch die Offenheit und das
Vertrauen, mit dem Du schreibst! Es ist immer schwerer etwas zu sagen als zu
schreiben. Deshalb ist’s ganz gut, man hat einmal Gelegenheit dazu! Hast Du
wohl Ernstl mal geschrieben? Er freut sich sicher sehr darüber. Der eine
Engländer, den wir zur Finanzierung Deiner Reise hier haben, ist gestern
gekommen, der andere kommt morgen. Dieser scheint ein reizender Kerl zu sein!
Von Edith hatten wir einen glücklichen Brief aus Hamburg; die Arbeit bei Kuöhl
scheint ihr viel Freude zu machen. Fritz hat selbst leider noch nicht
geschrieben. Die Arbeit als Stift auf der Bank wird ihm wohl etwas hart
ankommen. T. Site kommt erst heute nach Hamburg zurück. Sie war nach der
Hochzeit von Larrens noch in Dreden, wo sie sich sehr gut erholt hat. Hier haben wir nach einer Regenwoche
heute wieder herrliches Wetter. Ich will versuchen, Papa zu bewegen, dass er
einmal mit uns hinauskommt. Viel, viel Liebes, mein Kind, von Deiner Mutter Adresse von
Ernst: Norddorf auf Amrum.
Kinderheim Dr Voltenius. |
Kissingen, den
25.Aug. 1931 Pension Schrumpf Mein
liebes jüngstes Töchterchen! Soweit
ich sehen kann, bist Du jetzt in der Schillerstr.8 die stelvertretende
Hausfrau! Das ist Allerhand für 17 Jahre! Ich gratuliere Dir herzlichst und
hoffe und wünsche, dass Du in dieser Würde recht viel Freude und Befriedigung
finden wirst. Allerdings wird viel Geduld und viel Freundlichkeit dazu gehören.
Die hast Du aber, glaube ich, in England gut bei Dir ausgebildet! Kommst
Du denn ohne Mühe mit in der Schule? Wenn das der Fall ist, brauchst Du Dir
weiter keine Sorgen zu machen! Besonders nicht ums Abiturium! So viele haben es
gemacht, warum soll es nicht auch Dir gelingen! Lass Dich also nicht unnötig
bange machen! Hier
haben wir recht übles Regenwetter, viel schlimmer, als in Hamburg. Trotzdem
war, glaube ich, die Wahl gut. Onkel Fritz, der sehr angegriffen war, hat sich,
wie mir scheint, schon in 1 ½ Tagen erholt. Ich hoffe sehr, dass Mama auch bald
hierher kommt. Sie hat seinerzeit die vielen Schönheiten von Kissingen nicht
kennen gelernt; sie wird sie jetzt noch geniessen und wir Brüder wollen sie
sehr verziehen! Grüsse
die lieben beiden Brüder. Für hermann hat die Hinausschiebung seiner Tour
sicher Vorteile. Denn die Strassen sind bei dieser Nässe nicht einladend; und
ich vertraue auf schönes Herbswetter. Für
Ernstel lege ich ein paar schöne Marken bei. Wenn er artig ist – was ich sicher
erwarte – bekommt er noch mehr. Ich habe wundervolle in Hamburg bekommen! Grüsse
vielmals auch Mr. Sollingham + Mr. Ashton. Ich hoffe, dass es gut mit ihnen
geht! Sage
Hermann, er solle mir möglichst bald meine Briefe und besonders auch meine
Bücher schicken. Ich
denke meines lieben Kleeblatts in Berlin in herzlicher Liebe! Dein Papa Grüsse auch den Mädchen! Für eine Postkarte wäre ich sehr dankbar! Keine langen
Briefe! |
Berlin-Steglitz,
den 13.Mai 1933 Mein
liebes, liebes Töchterchen! Mit
grösster Teilnahme habe ich soeben Deinen lieben langen Leidensbrief gelesen +
die väterliche Liebe hat dadurch keine Minderung, sondern noch eine Steigerung
erfahren, was unser Telegramm Dir melden sollte. Mindestens 90% der Schuld
liegt auf der anderen Seite und aus dem kleinen Rest, der Dir zufällt, wirst Du
nicht gerade erfreuliche, aber nützliche Lehren für Dein Leben ziehen. Besorgt
macht mich nur Deine Gesundheit. Tue Alles, sie zu haben, und spare nicht!
Natürlich musst Du Frau Dr. Engel, der ich herzlich für die Einladung danke,
bezahlen, etwa dasselbe wie auf dem Hasliberg, schon weil beim Essen Rücksicht
auf Dich genommen werden muss. Dem famosen Pastor habe ich telegrafiert:
„Erbitte sofortige Abuchung“. Liegt sie vor, so bekommt er noch ein Schreiben
von mir, das er nicht hinter den Spiegel stecken wird. Schreibe Du ihm unter
keinen Umständen! Alles muss jetzt durch meine Hand gehen! Mama wird
Dir morgen über unsere weiteren Pläne schreiben. Heute nur diesen kurzen Gruss,
der hoffentlich noch am Sonntag ankommt. Grüsse
aufs herzlichste Deine Freundin und empfiehl mich ihrer Mutter. Es schliesst
Dich in die Arme und küsst Dich in sehr grosser Liebe und Herzlichkeit Dein
Papa. |
Berlin-Steglitz,
den 23.V.1933 Liebe
Liesel! Dieser
Brief soll Dir Glück wünschen zu Deinem Einzug in Hundert Eichen. Eine
hässliche Erfahrung liegt hinter Dir, die auch uns viele Kosten und
Unannehmlichkeiten bereitet hat. Ihre Abwicklung habe ich jetzt in die Hand
eines Rechtsanwalts (Helmut Seydel) gelegt. Ich rechne damit, dass Du nicht
selbst mit Dr. Burkhardt irgendwie korrespondierst. Das muss alles durch eine
Hand gehen. Zugleich
hoffe ich, dass Du aus dieser Sache gelernt hast, zumal da Du ja keineswegs
schuldlos warst, wenn auch grössere Schuld auf der andren Seite gelegen hat.
Wir wissen auch über die neue Anstalt viel besser Bescheid, als über Hasliberg.
Von Vielen wissen wir, dass sie dort eine besonders glückliche und gedeihliche
Zeit ihres Lebens gehabt haben, an die sie mit Dankbarkeit zurückdenken. Ich
hoffe auch Du machst es Dir klar, dass es eine besondere Bevorzugung ist, dass
Du solche berühmte und bewährte Anstalt aufsuchen kannst. Wie viele wünschen
sich das und wie Wenigen kann es gewährt werden! Sich
einem grossen Ganzen eingliedern ist eine Kunst, ohne die man im Leben nicht
auskommen kann. Sie zu lernen scheint mir für Mädchen schwieriger zu sein als
für Jungens. Sie kommen so viel schwieriger über den Zustand der Unreife
hinweg, den man bei ihnen Backfischzeit nennt, jene Zeit übertriebener
Freundschaftsschwärmereien. Mit einem Menschen, mit dem man in allem
sympathisiert, zu verkehren, braucht man nicht zu lernen. Das Leben aber verlangt
es, dass man auch mit denen, mit denen man keineswegs in allem sympathisiert,
nicht nur verkehren kann, sondern auch aus dem Verkehr mit ihnen Gutes für sich
herauszuholen vermag. Edles Menschentum besteht zum sehr grossen Teil darin,
für die guten Seiten in seinen Mirmenschen einen verständnisvollen Blick und
feinfühliges Interesse zu besitzen. Daraus erwächst innerer Reichtum. Die
Beschränkung auf wenige Menschen, zu denen man sich besonders hingezogen fühlt,
führt leicht zur Enttäuschung und fast immer zu verarmender Isolierung. Auch
äusserlich muss man heute – wie die Amerikaner sagen – „a good mixer“ werden.
Man muss sich eingliedern können in ein grösseres Ganzes; das heisst: nicht nur
äusserlich sich beugen, sondern in freudiger Erfassung des Ganzen sich
einfügen. Das hat zur ersten Voraussetzung, dass man im Inneren nicht andern
Plänen nachjagt, Wenn das geschieht, kann es nie gelingen. Ich kenne Menschen,
die wegen Zukunftsplänen nie der Gegenwart froh werden! Erst wenn man in der
Gegenwart sich voll bewährt hat, hat man ein inneres Recht zu weiteren Plänen.
Diesen gesunden und realistischen Lebenssinn glaube ich zu meiner Freude und
Beruhigung bei meinen Söhnen vorzufinden. Von Dir, liebe Liesel, habe ich den
Eindruck, dass Du ihn Dir noch in der Schule des Lebens erringen musst. Darum
möchte ich Dir noch einen Rat geben. Gewiss soll man im Leben die Gemeinschaft
mit Unrecht meiden; das heisst aber nicht, dass man selbst berufen ist, es
auszurotten. Selbst die Aeusserung von Empörung muss man manchmal unterdrücken;
ebenso wie Wahrheitsliebe keineswegs die Verpflichtung auferlegt, stets alles,
was wahr ist, zu sagen. Das
bezieht sich natürlich nur auf die Menschen, mit denen das Leben Dich nun
zusammenführt, nicht auf die Menschen, mit denen das Leben Dich von Natur
verbunden hat: Eltern und Geschwistern musst Du alles offen darlegen; sie
müssen alles nicht nur überhaupt, sondern alsbald erfahren, was dem
eigentlichen Zweck des Aufenthalts zuwider läuft. Da ist es für mich ein sehr
beruhigender Gedanke, dass Dich hinfort nicht nur der liebe Hermann leicht
aufsuchen kann, sondern auch ein Besuch von hier im Bereich der Möglichkeit
liegt. Vergiss insbesondere nicht, dass auch Eltern nicht nur dazu da sind, zu
bezahlen und Unannehmlichkeiten auszugleichen. Dass Du das im Grunde Deines
Herzens nicht meinst, weiss ich natürlich; es muss aber Deine Handlungen noch
stärker durchdringen und zwar viel weniger in unserm als Deinem eigenen
Interesse. Die grosse Erneuerung, die wir durchmachen, berührt auch diese
Beziehungen, sogar in besonderem Masse. Hitler hätte kaum so viele Menschen für
sich gewonnen, wenn er nicht zu seinen Eltern, die ganz einfache Menschen sind,
ein Verhältnis ganz im alten trauten Sinn gehabt hätte und auch heute noch hat. Auf diese Tatsache gründen sich viele
Hoffnungen, die gerade auf seine Persönlichkeit sich stützen. Die „Wiederherstellung
der Familie“ ist nicht das schlechteste Ziel, das seine Bewegung sich gesteckt
hat. In
herzlicher Liebe Dein
Papa. |
Berlin-Steglitz,
den 27.Mai 1933 Mein
liebes, liebes Töchterchen! Habe
vielen Dank für Deinen lieben Brief. Ich habe Dir weniger Vorwürfe machen, als
mein Anschauung einmal darlegen wollen, aus der allerdings einige Sorgen
hervorwachsen. Insbesondere bin ich keineswegs gegen Deine „Schwärmereien“. Ich
halte nur ihren Bildungswert nicht für sehr gross, und wir möchten jetzt ja
gerade Deine Bildung noch etwas vervollständigen. Wir scheinen ja auch darin
übereinzustimmen, dass es in erster Linie Selbstdisziplin ist, die Du noch ein
wenig lernen musst und sicherlich auch lernen wirst. Ich sehe es als ein sehr
gutes Vorzeichen an, dass Du Dich als „Glied einer Gemeinschaft“ so glücklich
dort fühlst, und hoffe, dass sich dieses Gefühl noch weiter entwickelt.
Vielleicht gehört ein gewisses Einspännertum zum Familiencharakter sowohl bei
Schumachers als auch der Zitelmanns; aber gerade in der kommenden Zeit wird ein
Gemeinschaftssinn notwendiger sein, als es wohl je zuvor der Fall war. Gerade
bei Dir zweifle ich nicht im Mindesten daran, dass es Dir gelingen wird, ihn zu
einer Kraft innerer Bereicherung Deines Lebens zu entwickeln; Du bist mit
manchen Vorzugsgaben dafür ausgestattet. So freue
ich mich von Herzen über Deinen Brief und hoffe, dass er der Anfang einer dichten
Freundschaft zwischen uns beiden wird; allerdings werde ich sie wegen meines
Alters und meiner Beschäftigung leider nicht ganz so pflegen können, wie es
eine Freundschaft erfordert und wie ich es wünschte. Besonders
froh bin ich, dass Du dort alsbald zum Konkurrenten von Max Reinhardt Dich
entwickeln sollst. Mit den
herzlichsten Grüssen und Wünschen In
grosser Liebe Dein
Papa. |
Berlin-Steglitz,
den 8. August 1933 Mein
liebes Lieselchen! Die
Nordhauser Familien-Konferenz, die wir Dir zu danken hatten, löste sich nur
langsam auf und Du bliebst allein zurück, doch ohne Deinen Quälgeist. Wenn ich
zurück blicke, überwiegt eigentlich die Freude, mein liebes, liebes Töchterlein
wiedergesehen zu haben; und ich bin stolz darauf, dass Du Dich in schwieriger
Lage so mutig und verständig benommen hast. Darauf baue ich die Hoffnung, dass
Du auch mit den Unannehmlichkeiten und Plagen der Rücksiedelung und
Rekonvaleszenz gut fertig wirst. Einige Geduld wird dazu gehören! Du hast
aber, glaube ich, etwas von dem „heroischen Typ“, der heute so hoch im Kurs
steht. Erhalte ihn Dir und pflege ihn tüchtig! Ich hoffe ja so von Herzen, dass
jetzt eine glückliche Zeit stetiger Entwicklung (ohne „Minderwerigkeits
Komplexe“!) für Dich anbricht und freue mich ganz besonders, dass ich nächstens
mit meinem lieben Bruder wahrscheinlich in Deine Nähe komme, sodass ich Dich
und den guten Hermann wiedersehen kann. Hoffentlich bist Du bis dahin wieder
ganz wohl und gekräftigt. Du wirst noch vorsichtig sein müssen. Der Körper nach
solcher Operation ist ein Tyrann; er lässt sich durch den Willen nicht bezwingen! Es wird
Dich auch freuen, dass Ernst eine fröhliche Karte von Fritz aus Seattle (am
Pazifischen Ozean), vom 25. Juli erhalten hat. Sie ist eine grosse Beruhigung.
Der schlimmste Teil der Fahrt ist jetzt beendet. Die Bemerkung: „die Autos sind
meistens Coupe“ gibt vielleicht die Erklärung für Vieles. Grüsse
die liebe Mutti, wenn sie noch bei Dir ist. Empfiehl mich Herrn Dr. Goldmann
und den Pflegerinnen, sowie den Damen Deines Heims. Gute Übersiedlung und
stetige Erholung! Es küsst
Dich in grosser Liebe Dein
Papa. |
Berlin-Steglitz,
den 22. Dez. 1934 Liebe Töchter! Wie ich
in meinem ersten Semester Weihnachten in Freiburg gefeiert habe, so tut Ihr es
dort in diesem Jahr. Mich hat ein solches Fest, fern von der Heimat, damals und
später in München und Wien, immer etwas wehmütig gestimmt; vielleicht wird das
etwas auch bei Euch der Fall sein. Aber Ihr seid zu Zweien und werdet es
hoffentlich fertig bringen, stimmungsvoll zu feiern! Unser
Weihnachten wird ein ungewöhnlich männliches Gepräge tragen. Die drei Brüder
werden zusammen sein. Darüber freue ich mich sehr. Denn Geschwisterliebe ist,
wie ich es das selber erlebt habe, eine hohe nachhaltige Wohltat im Leben, wie
sie durch nichts ersetzt werden kann. In ihr wurzelt der stärkste Halt für den
schwachen Eeinzelnen. Möchten meine Kinder sie ähnlich segensvoll erleben, wie
es mir im langen Leben hindurch beschert war! Leider
liegen Fritz und Ernst wieder mit Erkältungen zu Bett und Mama sollte es
eigentlich auch tun; aber es scheint nicht schlimm zu sein, sodass man hoffen
kann, dass die Feier am Montag eine Beeinträchtigung nicht erfahren wird.
Hoffentlich kommt dann auch Winterwetter und ermöglicht es, die Feier durch
Schlittschuhlauf für die „Ertüchtigung“ ordentlich auszunutzen. Das ist Mutter
von grösster Wichtigkeit. Ein junger Freund, der das Assessor Examen besonders
gut bestanden hatte, hat nämlich eine verlockende Privat..lung nicht erhalten,
weil er „abgekämpft“ aussehe. Darum
freue ich mich auch, dass Du, Liesel, so schöne Gelegenheit zum Skilaufen hast.
Nutze sie voll aus! Sie kommt so leicht nicht wieder oder doch nur für gute
Läufer! Ob Du acht Tage früher mit dem Studium fertig wirst, ist völlig
gleichgültig; erringst Du Dir eine gewisse gleichmässige Frische, so wird das
leicht nachgeholt. Auch ein Referat kann leicht für ein höheres Ziel aufgegeben
werden; viele Professoren stehen, wie ich, auf dem Standpunkt, dass, zumal in
jüngerem Semester, mehr als ein Referat im Semester nicht förderlich,
sondern schädlich ist. Die „Okonomie“ des Arbeitens zu lernen, ist weitaus das
Wichtigste im Studium! Das fällt Studentinnen immer sehr viel schwieriger als
Studenten! Für die Anforderungen des Lebens hat zu meiner immer neuen
Überraschung der Mann das Grössere Vertändnis als die studierende Frau. Schade
dass Du, liebe Edith, nicht in ähnlicher Weise aus Deiner anstrengenden Arbeit
ausspannen kannst. Auf Deiner Schulter liegen aber schon ernste Pflichten. Mögest
Ihr stimmungsvoll mit einander feiern! Meine Gedanken werden bei Euch sein; mit
vielen guten Wünschen für eine schöne Zukunft! In Liebe Euer Papa |
Berlin-Steglitz,
den 19. Janner 1935 Liebe
Liesel! Ich
danke Dir herzlich für Deinen ebenso hübschen wie ausführlichen Brief. Hoffentlich
hat sich Edith körperlich und seelisch auf dem Feldberg recht erholt!
Hoffentlich geht es aber euch mit Deinem Knie besser! Hast Du denn einen guten
Arzt und befolgst Du gewissenhaft seine Weisungen? Das Knie ist unendlich viel
wichtiger als das Referat! Es kann sich bei ihm um eine Sache für’s Leben
handeln! Also nichts versäumen und nichts riskieren! Äusserste Vorsicht! Sehr
habe ich mich über die Einladung von Schmitts gefreut, die Du hoffentlich nicht
schon länger unbeantwortet liegen gelassen hast. Natürlich musst Du hingehen
und sogleich in freundlichstem und erfreutesten Sinn antworten. Es gilt nicht
um eine Jugendfreundschaft, für die nur so selten voller Ersatz sich findet,
für das Leben als wertvolle Beziehuingen zu erhalten, sondern auch Hemmnisse
fortzuräumen, die einen Familienverkehr gestört haben, der vielleicht wichtiger
ist, als der ganze übrige. Das Ansehen der Persönlichkeit des Vaters ist im
letzten halben Jahr unzweifelhaft gestiegen. Man spricht viel, dass er als
unser Botschafternach Washington gehen wird. (wovon man natürlich nicht reden
darf!) Jedenfalls wird er in der Zukunft noch eine wichtige Rolle spielen. Die
freundschaftlichen Empfindungen, an denen es sicherlich nicht fehlt, dürfen
daher von unserer Seite nicht vernachlässigt werden; auch muss man es auf jede
Weise zu vermeiden suchen, dass man mit dem Ruf von Unverträglichkeit ins Leben
hinaustritt. Von den
übrigen Plänen und Vorschlägen schreibt Dir Mama. Teile
Edith mit, dass Prof. Ludwig Bern.... gestorben ist. Ich habe Montag bei der
Trauerfeier im Namen des Rektors in der Fakultät zu sprechen. Da ich ausserdem
in der nächsten Woche zwei Vorträge habe, muss ich Schluss machen. Grüsse
Wolfgang herzlich. Ich freue mich sehr über seinen Besuch und hoffe sehr, dass
er auch Edith gesehen hat. Soeben kommt die Nachricht, dass auch sie einen
Ski-Unfall gehabt hat. Hoffentlich wirklich nichts Schlimmes! Anliegende
Karte von Prof. Ritter zu Deiner Unterrichtung. Ich habe sie sogleich
ausführlich beantwortet. Mit den
herzlichsten Grüssen + Wünschen für Dich und Edith Dein Papa. |
Berlin-Steglitz,
den 15. Juni 1935. Liebe
Liesel! Soeben
erhalte ich von der Mama Deinen an sie gerichteten Pfingstbrief. Ich freue mich
mit meinen beiden hiesigen Söhnen, einmal wieder etwas von Dir zu hören. Auch
klingt Dein Brief ja sehr befriedigt. Bei geistiger Arbeit giebt es immer „Ups
and Downs“ und, wenn man es ordentlich macht, kommt man meist nicht so weit,
wie man sich vorgenommen hat. Es ist nicht leicht, sich mit dieser Eigenart
aller geistiger Aebwit abzufinden! Hoffentlich
„o..st“ Du nicht gar zu viel! Du hast keine Eile. Das kannst Du noch das ganze
Leben lang! Viel wichtiger ist es, sich die richtige Stellung im Leben zu
schaffen! Jetzt entscheidet es sich, wo
und wie man sich in der Gesellschaft einordnet. Das ist nachher nur schwer noch
zu ändern! Heute wohl noch schwieriger als in früheren Zeiten; denn das
hochstehende Bürgertum kämpft einen schweren Kampf um seine Existenz! In diesem
Kampf ist unsere Familie – zwei Jahrhunderte lang vielleicht die vornehmste der
Hansestadt Bremens – bevorzugt. Wir zählten vielleicht in meiner Jugend (weil
mein Vater mit 50 Jahren starb), aber nicht Mutter zu den „armen“ Familien.
Ganz wenige Professoren sind in Deutschland so gut gestellt, wie ich. Wir sind
nur eine kinderreiche Familie + daraus ergeben sich natürlich allerhand
Schwierigkeiten. Trotz ihrer bleibt es Hauptpflicht, Stand + Familien Tradition
zu wahren. Das ist heute wichtiger als je, oft übertrieben wichtig. Aber was
„Alle“ tun, hat bisher nie ein Schumacher für sich massgebend gehalten! Ich
vertraue, dass auch Du diese natürliche Vornehmheit in Dir spürst, die
schliesslich den Wert und die Stellung eines Menschen bestimmt. Ich kann
mir Sekretärinnen-Posten vorstellen, die mit der aristokratischen Familien
Tradition vereinbar sind. Ich kenne aber auch viele, mit denen eine
Erniedrigung verbunden ist. Ich glaube, dass die Dir angebotene in die erste
Kategorie gehört + bin daher mit der Annahme einverstanden. Sollte solche Stellung
aber irgendwie zweifelhaft werden, was ich in diesem Fall für ausgeschlossen
halte, musst Du natürlich Schluss machen können. „Taschengeld“ bekommst Du von uns sebstverständlich. Über die
schöne Exkursion freue ich mich sehr. Hoffentlich ist sie nicht zu anstrengend!
Du wirst sie ja auch immer abbrechen können. Die Gesundheit muss vorgehen! Ernst
ist soeben von Heidehaus froh, verbrannt + mit wenig Heuschnupfen heimgekehrt.
Fritz ist jeden Abend, meist im grossen Kreis, fort. Er hat es in dieser Hinsicht
sehr gut + es kommt mir oft merkwürdig vor, dass keine seiner Schwestern daran
teilnimmt. Derartiger Verkehr, wie er ohne Oxford + NewYork kaum denkbar ist,
lässt sich natürlich nicht beliebig neu schaffen. Also,
alles Gute zur Fahrt! Alles Gute für’s Leben! Beste Grüsse Dein
Papa. |
Berlin-Steglitz,
den 11. August 1935. Liebe
Liesel! Ich danke Dir für die freundlichen Grüsse, die Du mir im
letzten Brief an Mama hast zukommen lassen. Über senenruhigen und besonnenen
Ton habe ich mich – im Gegensatz zu einigen anderen Briefen – sehr gefreut;
auch bin ich sehr froh, dass Du Dich in Deinen Ansichten über Studium und Beruf
dem meinigen wieder Zu nähern scheinst. Dann wird sich leicht eine
Verständigung erreichen lassen. Die
Hauptsache ist zunächst, dass Du Dich recht erholst und kräftigst. Wenn Dir die
Arbeit, von deren Umfang ich nichts gehört hatte, zu anstrengend ist, dann gieb
sie vorzeitig, in der höflichsten und freundlichsten Formen, auf. Im August und
September kann man sich auch in unserem schönen Garten, sowie mit Segelboot +
Cafes in der hiesigen Umgebung erholen. Aber wenn Du in der schönen Gebirgswelt
die nötige innere und äussere Ruhe findest, hat sie ja sehr grosse Vorzüge,
zumal wenn Du zugleich auch ohne Mühe Gelegenheit hast, das Ohr an sie
französische Sprache zu gewöhnen, was für alle Fälle wertvoll ist. Ich
wollte Dir das nur schreiben, damit Du nicht über meine Wünsche, die auch Mama
teilt, im Unklaren bist. Über uns
wirst Du unterrichtet sein. Meine Emeritierung ist jetzt endlich perfekt
geworden, in dem mir Ritter für meine Tätigkeit seinen „besonderen Dank“
schriftlich ausgesprochen hat. Damit hat
meine amtliche Tätigkeit wenigstens in anständigen Formen ihr Ende
gefunden. Trotzdem sitze ich tief in Arbeit als je + bedaure täglich, dass die
Tage so kurz sind. Freude + Leid wechsel sich bei der Arbeit natürlich ab; aber
ich habe mir grosse Ziele gestellt, die mich ganz erfüllen. Ich bilde mir sogar
ein, dass es heute keinen Zweiten giebt, der sie mit Aussicht und Erfolg
verfolgen kann. Dazu muss ich aber haushalten mit meinen Kräften. Das ist nicht
immer ganz einfach! Hoffentlich
wird es wirklich etwas mit Deiner Erholung! Das ist heute Deine wichtigste
Pflicht! Mit
vielen guten Wünschen + Grüssen Dein
Papa. |
Berlin-Steglitz Arno Holz Str. 9 Liebe Liesel! Ich
freue mich, dass Du jetzt im Besitz des Geldes bist; eine weitere Erklärung ist
für uns nicht nötig; wir hoffen aber, dass Du aus der Sache die Lehre ziehst,
dass man auch solche Dinge unter den heutigen schwierigen Verhältnissen
sorgfältig vorbereiten muss. Das war die Absicht in meinen Ausführungen in
meinem Geburtstagsbrief, auf den Du leider nicht geantwortet hast. Wichtiger
aber sind die allgemeinen Dinge. Damit, dass Du aus Freiburg fortgehst, bin ich
nach allem was ich von dort erfahren habe, einverstanden. Auch wenn Du heute
Kunstgeschichte wieder aufgeben willst, so ist das im Grunde ja nur, wie Du
weisst, eine Anerkennung der Bedenken, die wir und auch mein Bruder von Anfang
an gehabt haben. Auch damit bin ich einverstanden. Diese
ganze Entwicklung ist natürlich recht wenig erfreulich; denn wenn Du auch in
den 2 ½ Jahren, die nach dem Verlassen Deiner Schule verstrichen sind,
vielleicht manche Anregungen, die von dauerndem Wert sind, erhalten hast, so
stehst Du doch heute wie damals wieder vor einem Anfang. Das ist natürlich,
zumal angsichts der allgemeinen Verhältnisse und meiner inzwischen
eingetretenen Emeritierung bedauerlich und ich mache mir manchmal Vorwürfe,
dass ich in zu starkem Masse trotz gewichtiger Bedenken Deinem Willen
nachgegeben habe. Hinfort wird es schon aus äusseren Gründen nötig sein,
sorgfältiger Ausgaben zu vermeiden, bei denen nicht ein Erfolg mit einiger
Sicherheit zu erwarten ist. Dass die Wahl aines Berufes für ein junges Mädchen
heute nicht leicht ist, empfinde ich nicht minder als Du. Gerade darum kann man
sich nicht allein auf sich verlassen und muss sich umsehen nach den
erfahrensten Beratern, die man finden kann. Je verständiger diese Auswahl, um
so aussichtsreicher das Ergebnis. Ich gewinne aber immer wieder den Eindruck,
dass Dein Streben garnicht in erster Linie auf eine möglichst günstige
Berufswahl, sondern auf möglichst baldige vollständige Selbständigkeit
gerichtet ist. Ich halte das nicht für richtig, aber vielleicht ist es nützlich,
da es mir nötig erscheint, dass Du aus den weltfremden und lebensfernen
Gedankengängen, in denen Du dich zum grossen Teil bewegt hast, auf die
wirkliche Erde zurückkehrst. Ich würde daher auch bereit sein, Dir eine
Büroausbildung zu ermöglichen, wenn einige Gewähr vorhanden ist, dass Du die
Ziele, die Du Dir selbst gesteckt hast, auch bis zum Abschluss verfolgst. Es
wird das manche Entsagung erfordern. Das Leben ist nun einmal so, dass mit
Wünschen an sich nichts getan ist, sondern dass die Kunst des Lebens darin
besteht, sich selbst in die bestehenden Verhältnisse der Gegenwart und Zukunft
einzugliedern. Ueberall kann man erst allmälich zu dem emporsteigen, was man
als Ziel sich wünscht. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, im
Verlagsgeschäft eine Stellung sich zu erringen. Die Güte dieser Stellung wird
in erster Linie davon abhängen, mit welcher Gründlichkeit man sich auf sie
vorbereitet hat. Volontärstellen sind meines Wissens im Verlage nicht üblich.
Trotzdem wird es möglich sein, wenn Du brauchbare Kenntnisse aufzuweisen hast,
Dir die eine oder andere Tür zu öffnen. Je besser die Vorbildung ist, umso
leichter wird das der Fall sein. Wir werden uns nach geeigneten Kursen noch
genau erkunden und Dir dann darüber berichten. Wenn Du dann auf diese Weise
ausgerüstet Dir eine Stellung verschaffst und weiter den Wunsch hegst, völlig
unabhängig vom Elternhause zu sein, wirst Du dann in der Lage sein, ihn Dir zu
erfüllen. Bis dahin ist eine Verständigung unvermeidlich. Dieser
Brief behandelt nur Fragen beruflichen und geschäftlichen Charakters. Ich
hoffe, dass sie nicht die wichtigsten in Deinem späteren Leben sein werden. Mit den
besten Grüssen + Wünschen Dein
Papa. |