Liebstes Frauchen!

Mit zwei europäischen Ländchen wäre ich glücklich fertig, aber das dritte macht mir mehr zu tun, als ich erwartet hatte. Denn Nebel hatte die „Prinzess Alice“ aufgehalten, so dass sie frühestens morgen Abend fahren wird. Es ist mir das sehr unangenhem, denn ich fühle mich hier verloren + verlassen. Allerdings ist Herr Melchens hier und er hat mich soeben, während ich dieses schreibe, gebeten mit ihm zu speisen; aber wenn meine Gedanken nicht in Ostasien sind, dann weilen sie etwas heimwehkrank in Bonn bei meinem süssen, reizenden Frauchen, das ich so furchtbar lieb habe, und den beiden herzigen Kleinen, die ich ihr verdanke.

                Die Fahrt hierher ist nicht erfreulich. Der Schlafwagen der „Internationalen“ war ein ganz elender Rappelkasten, in den die erwachsenen Menschen in ein Schlafabteil verstaut werden sollten, was aber glücklich noch abzuwenden gelang. Die Zollrevision war ohne Schwierigkeit. Der Portier versichert mir, dass alle die Stücke hier sind. Diesseits der Alpen war alles mit hohem Schnee bedeckt, höher als ich ihn in Bonn je erlebt habe; erst kurz vor Genua wich er. Hier scheint die Sonne und blank der Himmel, aber die Luft ist leider nicht klar. Mein Besuch des Rigi war ziemlich verfehlt: oben noch alles in Winterruhe, der Ausblick durch ein Dunstwolke vernebelt, nicht das „Genova superba“, wie bei meiner ersten Rückkehr aus Ostasien, als ich auf der Kuppel von Santa Maria da Ousigmond mir sagte, das ganze Jahr ausserhalb Europas nichts Vergleichbares gesehen zu haben.

                Morgen werde ich, wenn es sich machen lässt, eine kleine Fahrt in die Umgegend unternehmen und, wenn dieser Brief ankommt, wahrscheinlich ... in meiner Kabine mich installieren.

                Leider habe ich doch Eines vergessen. Ich wollte Dir von meinen Schriften über Ostasien drei heraussuchen, deren Lektüre Dich vielleicht interessiert. Es sind das:

Deutsche Schiffahrtsinteressen im Stillen Ozean,
Die Organisation des Fremdhandels in China,
Deutschlands Interessen in China

                Ich meine, Du müsstest sie ohne Mühe in dem untersten Fach links meines Schreibtisches, in dem alle meine Publikationen sich befinden, auffinden können. Die übrigen sind ja speziell und kommen jedenfalls nicht jetzt in Frage. Auch mit den 3 anderen quäle dich nicht; aber gerade das erste interessiert Dich wahrscheinlich jetzt wenigstens durchzublättern. (...)

                                                                                                                Dein Hermann



 

Den 25. Januar 1911

                Geliebte Frau!

Bei herrlichem Wetter kommt Neapel schon in Sicht, wo wir wahrscheinlich einem prächtigen Nachmittag entgegen gehen. Allmälich installiert man sich an Bord. Meine Kabine liegt sehr gut und – was besonders wichtig ist – mein Kabinenmitinsasse, der den poetischen Namen Ziegenbein hat, scheint ein sehr netter Mensch und angenehmer Nachbar zu sein. Er ist seit zehn Jahren Kaufmann in Bangkok, kennt die Siamesischen Verhältnisse sehr genau und hat mir schon manches Interessante erzählt. Auch bei Tisch ist eine gemütliche Ecke beisammen. Ich sitze zwischen Herrn Melchens und Frau Godefroy aus Hamburg; sonst gehören noch zu unserer Tafel Herr Godefroy und die Herren Hartmann, Klotte aus Bremen, der mit Herrn Melchens reist, und Ziegenbein.

                An Deck ist es weniger gemütlich. Der Dampfer ist bis auf den letzten Platz ausverkauft und eigentlich zu voll. Ein wirklich ruhiges Plätzchen ist schwer zu finden. Ich muss es mir jedoch schaffen. Sonst wird aus dem Arbeiten nichts.

                Diesem bisherigen Mangel an Gemütlichkeit kommt inzwischen auch in der Stimmung zum Ausdruck. Sie ist doch noch ganz vom Abschied beherrscht und meine Gedanken sind mehr in Bonn, als an der Küste Italiens und in Ostasien. Liebes Frauchen, ich hänge furchtbar an Dir und auch an den Kindern und meine herzlichsten Wünsche umschweben Dich stetig. Hoffentlich geht es Euch lieben Dreien gut. Küsse mir die Kinder und grüsse die lieben Eltern. Ich schreibe ihnen einmal später; zunächst suche ich mein Gewissen von Briefschulden zu befreien. Dreissig Briefe und Postkarten habe ich expediert.

                Ich schreibe heute in meiner R.Oy.C. Mütze, die ausser mir nur noch das Haupt von Herrn Melchens krönt. Aber ich habe bisher die Weste zu meinem Interimsanzug nicht finden können. Im Koffer  I, in dem sie sein müsste, scheint sie zu fehlen. In dem anderen Koffer habe ich noch nicht nachsehen können, das wird auch erst möglich sein nach dem Verlassen von Neapel. Wenn Du sie noch gefunden haben solltest, so schicke sie mir bitte noch nach und zwar nach Singapore, care of Behn, Meyer + Co. Wahrscheinlich findet sie sich ja im anderen Koffer.

                Jetzt Schluss für heute! Die Einfahrt in Neapel beginnt. Sie darf man nicht versäumen. In Neapel werde ich Herrn Generalkonsul Wern, den ich aus Chicago sehr gut kenne, besuchen und wahrscheinlich das Museum mir ansehen, in dem ich noch nicht war. (...)

                                                                                                                                Dein Hermann.



Dampfer „Princess Alice“

Neapel, den 28. Januar 1911.

                Heissgeliebtes Frauchen!

Ich komme soeben an Bord, 11 Uhr abends. Du wirst meinen, dass ich viel vom schönen Neapel, das mir bisher fast unbekannt ist, gesehen habe. Aber im Gegenteil! Ich fuhr vom Schiff zum Generalkonsulat, erfuhr dort zu meiner Enttäuschung, dass Generalkonsul Wern krank sei, auch nicht antelefoniert werden wollte, was mich nicht abhielt, es unter grosser Mühen doch zu tun und zwar mit dem Erfolg, dass ich sogleich von Frau Wern in reizender Weise eingeladen wurde, „so schnell wie möglich“ zu ihnen heraufzukommen. Und da bin ich dann von 1-10 Uhr bei ihnen gewesen. Mit dem Sohn bin ich einmal zu den Pronemi spori heraufgegengen, wo man ahnen konnte, wie schön die Aussicht dort bei dunstlosem Wetter sein müsse. Sonst haben wir die ganze Zeit gemütlich zusammen gesessen. Es war furchtbar nett, und wir Alle waren erstaunt, wie es eigentlich komme, dass wir so als vertraute Freunde mit einander umkehren. Denn ich bin in Chicago nur 8 Tage mit ihnen zusammen gewesen und das war im März 1907. Aber verwandte Seelen finden sich zu Wasser + zu Land. So bin ich auch heute wieder geschieden, wie von vertrautesten Freunden. Und ich betrachte es, als eine der Unbegreiflichkeiten unsere politischen Lebens, dass man diesen Mann aus seiner ausserordentlich segensreichen Tätigkeit in den Vereinigten Staaten heraus grüssen und hier an diesem schönen, doch vom Standpunkt unseren deutschen Interessen völlig toten Punkt gesetzt hat. Hoffentlich tritt da noch einmal eine Korrektur ein! Ich glaube, dass die Familie Wern eine Freundschaft fürs Leben ist!

                Hier diesen Nachmittag habe ich eigentlich zuerst die Abschiedsstimmung vergessen und Dir werden hoffentlich die Ohren geklungen, als wir mit erinnerungsreichem Asti Spumonti das Wohl von Dir und unseren vielbewunderten Zwillingen getrunken haben. Vielleicht kommst die erwachsene Tochter als Studentin der Medizin bald zu uns nach Bonn.

                Ich muss schliessen!  Die solide Bremer Verwaltung lässt das Licht ausdrehen. Schlafe recht, recht wohl, mein süsser Liebling! Mit unglaublicher Zärtlichkeit weilen meine Gedanken bei Dir!

                                                                                Dein Hermann.



An Bord der „Prinzess Alice“

den 31. Januar 1911

                Geliebte Frau!

                Gestern war ich nun schon eine Woche fort; etwa 1/15 der Trennung ist damit beendet. Europa liegt hinter uns und wir nähern uns der afrikanischen Küste. Bis jetzt haben wir noch europäisches Klima uns mitgenommen. Die fernen Berge Kreta’s, die gestern Nachmittag in Sicht kamen, waren hoch mit Neuschnee bedeckt und es war so kalt, dass man auch im Überzieher und unter dickem Plaid noch frohr.

Man freut sich so fort auf die Wärme und morgen im unerquicklichen Port Said, wo wir 300 t Kohlen einnehmen müssen, wird sie sich einstellen. Ich fürchte sie nicht, auch nicht wegen meines Armes, der aufgegangen ist, mir auch bisweilen unangenehm ist, aber doch das Befinden merkich nicht stört.

                Überhaupt fühle ich mich jetzt, nachdem mein Befinden am ersten Tag recht schlecht war, sehr wohl; ich schlafe gut und habe einen unheimlichen Appetit. Und in demselben Masse, in dem das Leben wieder feste Formen annimmt, wird’s auch gemütlicher. Vor Allem der Hauptgefahr bin ich einegermassen entgangen: zu viele Bekanntschaften. Ich habe mich möglichst zurückgehalten und mir dadurch die Möglichkeit gesichert, mich in Ruhe auch etwas meinen Arbeiten widmen zu können. Es gehört ja grosse Energie dazu, das durchzusetzen; denn das wird als etwas Ungeselliges und Ungehöriges betrachtet; aber mir ist es doch gelungen, diese Stachelschweinnatur durchzusetzen. Am schwierigsten war das gegnüber den Herren Melchens und Hartmann und eine kleine Enttäuschung scheint auch nicht ausgeblieben zu sein. Doch ist es sehr nett, wie sich beide Herren ins Unvermeidliche finden, und insbesondere Herr Melchens, obwohl er „matter of fact“ Mann ist, mit dem ich merkwürdig schwer in Unterhaltung komme, ist immer von fast rührender Güte; er ist ganz anders, als man ihn sich in weiten Kreisen, auch in Bremen, vorstellt, viel schlichter, einfacher, gutherziger. Er gefällt mir als Mensch sehr, wenn wir Beide auch nicht so sehr viel mit einander anzufangen wissen.

                Vor allem von der ziemlich grossen adeligen Gesellschaft habe ich mich bisher fern gehalten; nur dem Fürsten Putbus habe ich nicht ganz entgehen können. Mehr halte ich mich an „Ostasiaten und insbesondere an Konsul Müller, der über 30 Jahre in Bangkok war, Kammerherr des Königs von Siam ist und nur zur Verbannung? Des Anklangkorn(?) die Reise machte, ist ein wertvolle Bekanntschaft für mich geworden. Auch mit einem Herrn Tippelskirch, der als Vizekonsul nach Schanghai reiste, unterhalte ich mich sehr gut.

                So lässt es sich schon aushalten! Und doch fühle ich mich sehr unglücklich. Ich bin stärker heimwehkrank gewesen, als ich es ja erwartet habe. Du hast mir doch stets und überall, liebe Edith, furchtbar gefehlt. Ich hänge doch mit meinem ganzen Sein an Dir und es wird mir furchtbar schwer, ohne Dich zu leben; jedenfalls im Faulenzerleben ohne Dich ist mir gerade zu unmöglich. Die Arbeit erweist sich allein als lindernde Medizin. Auch ist es schon viel besser.

                Hoffentlich hast Du nicht auch unter der Trennung stark zu leiden gehabt! Die Kinderchen werden Dich getröstet haben! Freilich fehlen sie mir sehr wenig und immer bist nun Du das Ziel meiner sehnsuchtsvollen Gedanken! Wenn es Dir doch gut ginge! Wie hoff ich morgen einen Gruss von Dir zu erhalten, den letzten vor langer Pause! Du wirst schon übergesiedelt sein in die Coblenzerstrasse und Dich dort bei den lieben Eltern, die Du aufs herzlichste von mir grüssen musst, hoffentlich recht, recht  wohl fühlen! Geniesse noch einmal die Zeit im trauten Elternheim! Grüsse und Küsse mir auch unser liebes Pärchen, dessen siebenmonatlichen Geburtstag ich übermorgen mit sehr vielen guten Wünschen feiern werde. Möchte doch das neue Käthchen den Erwartungen voll entsprechen!

                Allmählich söhne ich mich auch mit der Kofferwirtschaft etwas aus. Das hast Du mir ja sehr erleichtert. Es ist reizend, wie schön ordentlich und wie niedlich Du Alles für mich verpackt hast. Herzlichen Dank noch nachträglich.

                Endlich noch eine Bitte! Sammle bitte die „Woche“ für mich. Gieb sie im Lesezirkel auf und abonniere auf sie statt dessen bei Röhrscheid. Auch bitte Rudolf, dass er die Berichte der Frankfurter Zeitung über die Kronprinzenreise für mich aufbewahrt; auch solche Artikel, wie die jetzt erscheinenden über den Kursstand unserer Anleihen interessieren mich sehr.

                In herzlicher Liebe umarmt Dich

                                                                                                Dein Hermann.



Dampfer „Prizess Alice“

Den 1. Februar 1911

                Liebste Edith!

Soeben erfahre ich, dass ich Dir noch über Suez einen Gruss zuschicken kann. So kann ich Dir doch noch kurz danken für Deinen lieben Brief, mit dem Du mich in Port Said so sehr erfreut hast. Es war doch der schönste Augenblick der bisherigen Reise, als ich in einem Haufen von Briefen Deine liebe Handschrift entdeckte!

                Hoffentlich ist Hermi mit der Erkältung schnell fertig geworden und bekommt dieÄnderung von Wohnung und Wärterin den beiden lieben Kleinen gut! Ich möchte doch einmal  ganz zu Euch herübergucken können und freue mich sehr, Eure Zimmer noch gesehen zu haben.

                Wir fahren noch immer durch den Kanal. Rechts und links nichts als Wüstensand, der unter dem goldenen Licht des Scheinwerfers, mit dem wir unsere Nachtfahrt uns ermöglichen, gespenstisch weiss wie Schnee, leuchtet. Und es ist so kalt, dass das garnicht so unwahrscheinlich erscheint, habe ich es doch ohne meinen Überzieher nicht aushalten können. Seit Jahren soll es nicht so kalt in Ägypten gewesen sein.

                Soeben war gewaltiges Halloh, man könnte fast sagen: ein Freudengeheul. Denn wir hatten festgelegt und es passierte uns ein anderer Ostasiendampfer des Norddeutschen Lloyd, die Goeben. Es war ein imponierendes Schauspiel, das hellbeleuchtete grosse Schiff so nah an uns vorüberfahren zu sehen. Überhaupt hat mich die Grossartigkeit des ganzen Werkes doch gewaltig gepackt; es ist eine der kühnsten Taten des Menschengeschlechts, die (Lesseps) hier vollbracht hat und die ganze Grösse des Werkes kann man eigentlich nur ermessen, wenn man sich vergegenwärtigt, was für eine Hitze hier sonst herrscht.

                Leider hat sich mein Bekanntenkreis derart stark erweitert; auch in dem hohen Adel greift er hinein: Fürst Patbus + Frau Graf Schulenburg, Kommerzjunker v. Puttkammer. Mein Harg ist schwer, dass meine Ruhe hier sein könnte. Heute bin ich wenigstens zum Arbeiten überhaupt nicht gekommen. Aber ich kann doch sagen, dass ich mit dem Malaischen Staaten + Siam mich so vertraut gemacht habe, dass ich ziemlich klare Bilder mir machen kann. Aber das ist nur ein ganz kleiner Teil des übergewaltigen Ganzen von Ostasien. Mitunter werde ich ganz kleinmütig + ängstlich, wenn ich bedenke, was ich Alles wissen müsste!

                Noch eine kleine Bitte! Schreibe bitte Frau Generalkonsul Wern, Neapel, Via Tasso 246 (wenn Du es feststellen kannst), wieviel der monatliche Aufenthalt in Bonn wohl für eine Studentin der Medizin annährend kostet, Die Tochter wird wahrscheinlich Medizin studieren. Füge bitte eine kleine freundliche Wendung, dass sie Dir in unserem Hause sehr willkommen sein würde, hinzu.

Liebste, lebwohl für heute und eine Reihe von Tagen. Es küsst Dich in unendlicher Liebe

                                                                                                Dein Hermann.



An Bord der „Prizess Alice“

Den 4. Februar 1911

                Geliebte Frau!

Dein Telegramm, das mich in Suez richtig erreicht hat, hat mich natürlich zunächst in grosse Aufregung versetzt und auch Du wirst in nicht geringer Aufregung sein. Es wäre ja wirklich bedauerlich, wenn der Kronprinz gar nicht zu dem ernsteren Teil seiner Reise käme. Ich würde das für ihn und für das Deutsche Reich lebhaft bedauern, umso mehr, als ich mir seinen so radikalen Entschluss, von  Kalkutta zurückzureisen, nur erklären kann, wenn die zweimonatliche Festreise durch Indien ihm nicht gut bekommen ist.

                Auch für mich wäre diese Wendung ja äusserst ärgerlich! Die Reise mit der störenden Unterbrechung meines Berufslebens und der kostspieligen Vorbereitungen wäre ganz zwecklos! Ich käme in eine unangenehme und schiefe Lage. Du kannst Dir denken, dass ich anfänglich innerlich gehörig geschimpft habe. Aber bald habe ich mich doch beruhigt.

                Einmal hat jede Bemühung mit den Hofkreisen merkwürdige Überraschungen mit sich gebracht. Darauf war ich auch dieses Mal gefasst und das mildert die Enttäuschung.

                Dann sage ich mir aber auch, dass vielleicht das letzte Wort in der Sache doch noch nicht gesprochen ist. Allerdings ist’s ja sicher dass Ihr in Bonn einen definitiven Entschluss annehmen müsst und es ist ja sehr wohl möglich, dass der Kaiser ein Machtwort gesprochen hat. Aber richtiger wäre es schon, man liesse auch dem Kronprinzen die Möglichkeit, seinen Willen geltend zu machen. Dann könnte die Nachricht aus Indien stammen und damit gewönne sie ein ganz anderes Gesicht. Dass eine Veränderung des Reiseplanes erwogen wird, kann ja nicht bezweifelt werden. Von diesen Erwägungen können die Berichterstatter etwas erfahren haben und, um sich nicht zuvorkommen zu lassen, haben sie – der eine oder andere – in einer bestimmten Form telegraphiert, die durch die Verhältnisse nicht gerechtfertigt ist. Auch werden so weittragende Entschliessungen niemals mit einem Mal und stets durch das Zusammenwirken Vieler getroffen; wenn der gewöhnliche Sterbliche meint, dass Alles fertig ist, dann handelt es sich oft erst um die Anfangsstadien der „Erwägung“. So komme ich zu dem Ergebnis, dass ich noch nicht mit einer Tatsache rechnen dard und wahrscheinlich wird dieser Zustand der Ungewissheit von einiger Dauer sein. Denn in Aden bekommen wir zwar einige Reuter-Telegramme, aber dass ich selbst eine offizielle Mitteilung erhalte, erscheint mir wenig wahrscheinlich. Soll die Rückreise angetreten werden, so gibt es in der Umgebung des Kronprinzen eine solche Aufregung und so viel zu tun, dass man sicher nicht daran denkt, mir nach Aden eine Nachricht zukommen zu lassen. Von dort kann ich auch selbst nicht telegraphieren, da wir nur wenige Stunden in dunkler Nacht dort sein werden. So werde ich mich bis Colombo gedulden müssen, wenn nicht Geheimrat Zimmermann telegraphiert;  Andere werden sich die Finger nicht verbrennen wollen.

                Bis Colombo muss ich aber auch unter allen Umständen mitfahren; denn im elenden Aden zu bleiben, ist ganz unmöglich. Ich bin aber entschlossen, auch weiter zu fahren. Auch hier heisst es:  to make the best of it. Und so beabsichtige ich, wenn der Kronprinz von Kalkutta zurückkehrt, ruhig bis Singapore zu fahren, mir die wirtschaftliche Entwicklung auf der Halbinsel von Malakka, die mich schon lange sehr interessiert, etwas genauer anzusehen, als es sonst möglich wäre. Allerdings werde ich dann wahrscheinlich Singapore zum Ausgangspunkt nehmen und zwar habe ich die stille Hoffnung, dass mir Behn, Meyer + Co. durch ihr Automobil ein etwas ergiebigeres Reisen noch ermöglichen werden. Jedenfalls ist dieser Aufenthalt ganz ohne Gefahren. Die von mir beabsichtigte Reise ist ungefährlich ein Gegenstück zu der Erholungsreise, die die Herren Hartmann + Melchers oder der alte Fürst Putbass nebst Gattin durch Ceylon machen; der Unterschied ist nur: das von mir bereiste Gebiet ist noch nicht in Mode und mein Reisezweck ist ein anderer. Sorgen brauchst Du Dir meinetwegen nicht zu machen, wenn ich dort in diesem schönen, gesunden, interessanten Lande mich etwas umsehe.

                Von Singapore werde ich dann weiter wohl die zweitägige Fahrt nach dem gepriesenen Java machen. Das wird ebenso Vergnügen wie Belehrung zum Zweck haben. An der nicht so sehr gesunden Küste würde ich natürlich mich nicht aufhalten, sondern sogleich ins höhergelegene Innere reisen, das ja auch schon ein international berühmtes Gebiet für Erholungs und Vergnügungsreisen geworden ist. Auch das eine Ferienzeit, die wohl Anlass zu Neid, aber nicht zu Sorgen bieten könnte. Ich verspreche Dir, mich Gefahren nicht auszusetzen.

                So gedenke ich, etwa 5 Wochen  in angenehmster Weise mich herumzutreiben, ehe ich von Singapore mit dem Lloyddampfer die Rückreise wieder antrete. Das ist natürlich ein nicht ganz billiges Vergnügen. Aber so nutzt man doch die bisherigen Aufwendungen einigermassen für sich aus und ich glaube, dass ich mit Leichtigkeit durch ein paar Artikel die am Lande entstehenden Kosten wieder aufbringe.  Und auch im Übrigen glaube ich doch auf meine Kosten zu kommen und zwar denke ich an vollen Ersatz der Reisekosten und einen Ersatz der Hälfte der Ausrüstungskosten. Nach meinem Vertrage hat auch Herr v. Holem dafür aufzukommen, da der Hinderungsgrund ja nicht durch mein Verschulden entstanden ist; aber ich rechne in diesem Fall doch auch auf den Kronprinzen, für den die Vergütung der Reise doch auch eine grosse Verbilligung bedeutet.

                Was endlich die Post anlangt, so wird sie mich in dem Fall, dass aus der Reise mit dem Kronprinzen nichts wird, am am besten erreichen unter der Adresse: Behn, Meyer + Co., Singapore.

                So viel über das mehr Geschäftliche meiner Reise. Es ist dieses Mal doch das Weitwichtigste. Aber das Persönliche habe ich dabei nicht vergessen.  Mit den herzlichsten Wünschen sind heute am Tage unseres anderthaljährigen Ehejubiläums meine Gedanken bei Dir! Liebstes Frauchen, wie gern wüsste ich, wie es Dir geht! Hoffentlich hast Du Dich etwas erholt und brauchst unter Übelkeit und Schmerzen nicht viel zu leiden! Lass Dich vom Mütterchen recht, recht pflegen! Bedenke immer, dass Du dadurch ihr und mir die grösste Freude bereiten kannst. Vergiss nicht Stärkungsmittel regelmässig zu nehmen und schone und amusiere Dich aufs Beste!

                Mit vielen Wünschen habe ich vorgestern auch unserer Kleinen gedacht. Hoffentlich ist Hermis Erkältung nicht schlimmer geworden und nehmen Beide weiter gut zu! Lange muss ich mich ja noch wegen Nachrichten gedulden; aber auch für Dich beginnt jetzt eine lange Pause, sind wir doch fast acht Tage bis Colombo unterwegs. Doch weisst Du ja, dass ich aufs Beste aufgehoben bin. Ich habe noch nie solchen Appetit gehabt und es bekommt mir Vorzüglich. Auch der Arm hat seine Schuldigkeit getan und ist im Austrocknen. Natürlich ist’s inzwischen heiss geworden und ganz weiss im Tropenanzug schreibe ich Dir dies. Aber wir haben immer noch erfrischenden Luftzug und in den Morgenstunden – ich stehe um 6 Uhr auf und stecke schon 6 ½ Uhr in meine köstliche Badewanne mit Seewasser – ist es auf Deck ganz wundervoll. Man kann es nicht leicht besser haben, als ich es habe! Auch bin ich nicht mehr so heimwehkrank, wie in der ersten Woche. Die Fürstin Putbuss sagte mir eben, ich hätte mich schon ausserordentlich erholt und ich wüsste wirklich kaum, was man Besseres zur Ausspannung und Erholung tun könnte. Ich wollte, Du könntest nur diese Freuden mit mir teilen, und mein grösster Wunsch ist, noch einmal mit Dir zum dritten Mal diese Reise machen zu können. Eine innere Stimme sagt mir mit grosser Bestimmtheit, dass es einst dazu kommen wird. Das wäre herrlich!

                Herrn Klapp habe ich es ja zu danken, dass ich diesen Zeilen auch eine kleine Beilage hinzufügen kann. Das Bildchen ist am Fusse des  Lessops-Denkmals aufgenommen worden und giebt besonders gut im Vordergrund Herrn Melchens und durchaus charakteristisch den wunderlich dreinschauenden bartlosen Herrn Hartmann sowie Herrn Dr. Nolte, vielleicht heute der erster Rechtsanwalt in Hamburg, wieder. Der vierte im Marineanzug soll am wenigsten gelungen sein.

                Wenn es nicht zur Reise mit dem Kronprinzen kommt, schicke diesen Brief bitte an Fritz!

                Und nun schicke ich Dir einen besonders herzlichen Abschiedsgruss, der dieses Mal für 14 Tage vorhalten muss. Küsse mir auch unser süsses Pärchen und grüsse  vielmals die Eltern und Geschwister. Es umarmt Dich in innigster Liebe

                                                                                                Dein Hermann  



 

An Bord der „Prinzess Alice“,

den 10. Februar 1911

                                Herzliebes Frauchen!

                Durch das Adener Telegramm von Riderlen-Wächten, das durch ein englisches Reuter Telegramm, das berichtet, bei allen beteiligten Regierungen sei der Besuch des Kronprinzen bereits abgesagt, bestätigt wurde, ist es also gewiss geworden, dass ich mich zwecklos auf einer Reise befinde. Dass das doch eine recht grosse Enttäuschung für mich ist, wirst Du begreifen. Ich hatte geglaubt, mich mit der Sache schon abgefunden zu haben, aber das ist doch nur etwas unvollkommen der Fall gewesen.

Ich fühle mich ein wenig wie ein steuerloses Schiff auf weitem Ozean und nicht nur für den Augenblick sind die Ziele mir abhanden gekommen, sondern meine Lebensziele muss ich geradezu einer gewissen Revision unterziehen. Denn die Änderung greift ja weit über die unmittelbare Reise hinaus und ich komme mir ein wenig blamiert vor. Du weisst, dass solche innere Umkrämpelungen mir nicht ganz leicht sind und ihre Zeit erfordern. Auch dieses Mal  hat es ein paar Tage gebraucht; und anfangs war nicht nur die Freude am Studium ostasiatischer Probleme, sondern auch jede Reiselust geschwunden und Heimweh gewann wieder ganze Gewalt über mich. Ich wollte daher anfangs als bald in Colombo kehrt machen. Aber jetzt, wo ich mit der geistigen Verdauung fertig bin, sage ich mir doch, dass es töricht und unmännlich wäre, wenn ich auf ein Mal das Gewehr in den Graben werfen wollte. An dem Dir von Aden mitgeteilten Programm will ich festhalten, also die Malaiischen Staaten und Java besuchen, und ich gebe mich der Hoffnung hin, dass auch im ehemännlichen Gemüt die alte Abenteuerlust und das Forschungsstreben wieder aufleben werden, wenn ich erst an Ort und Stelle bin. Sind’s doch nur wenige Wochen und an ihrem Ende winkt die wunderschöne Freude des Wiedersehens.  Liebes Frauchen, es wird allerdings unendlich schwer, jetzt aus freiem Entschluss auf Dich und unsere lieben beiden Kleinen zu verzichten. Es macht mir wenig Freude, mit anderen Menschen zusammen zu sein und hat es mir schon nie gelegen, an grossen Vergnügungsveranstaltungen mit freiem Herzen teilzunehmen, so jetzt besonders.  Die grossen Aufgaben, die in der Zukunft lagen, betäubten in weigehendem Masse diese Empfindungen. Jetzt sind sie ohne Gegengewicht und immer umkreisen meine Gedanken das eigene Heim. Es hat aber auch sein Gutes! Was mir früher das Schönste auf Erden erschien, ist heute weit übertroffen. Diese Umwertung der Werte hätte mir durch nichts so wirksam vor die Seele geführt werden können, wie es heute der Fall ist. Und ich glaube, das trägt dazu bei, die Zufriedenheit zu steigern. Das Glück im eigenen Reisen und das danke ich Dir ja im schönsten und reichstem Masse, mindert das Streben, dem Glücke ausserhalb des eigenen engsten Kreises nachzujagen. Ich werde mir dieses Glück, das ich habe, nicht so leicht wieder entreissen lassen.

                Doch wollen wir auch beide versuchen, auf die unerwartete Wendung unseren Satz anzuwenden:  to make the best of it. Den bewilligten Urlaub will ich nicht wieder aufgeben, obwohl  ich jedenfalls zu Beginn des Semesters zurück sein werde. So hoffe ich, dass wir noch an einem stillen Ort schöne Sommerwochen mit einander werden verleben können. Auch will ich die Winter-Vorlesung „Ostasiatische Wirtschaftsprobleme“ nicht wieder fallen lassen. Alle die ostasiatischen Werke, die ich mir angeschafft habe, dürfen doch nicht ganz umsonst bleiben. Also das wäre doch ein Nutzen fürs Leben, den diese Reise mir brächte: die verlorenen Fäden aus einer wichtigen Lebensperiode würde ich wieder aufnehmen.

                So darfst Du nicht wähnen, dass ich ununterbrochen Trübsal blase, Zumal wenn diese nachrichtenlose Zeit erst vorüber ist, wird Freudigkeit wieder voll einziehen in meine Seele. Also sorge Dich nicht meinetwegen. Bisweilen fürchte ich, dass Du Dich über die eingetretene Wendung mehr aufregst, als ich. Hoffentlich ist das nicht der Fall und schadest Du Dir nicht durch Sorgen und Aufregungen. Auch freue ich mich, wenn man nicht mehr beständig auf diese Kronprinzenreise angeredet wird. Überhaupt finde ich es ja angenehmer, ohne Zugehörigkeit zu einem ganz bestimmten Kreis zu reisen. Man kann dann die Reise ganz anders nach eigenem Wunsch gestalten und für sich ausbeuten.

                Ach, wenn wir doch einmal zusammen eine solche Reise machen könnten! Ich sehe hier immer mit unbeschreiblichen Neid ein paar sehr nette junge Ehepaare an. Wie geniessen sie die Reise!

                Wir sind nun vom Wetter in ganz ungewöhnlicher Weise begünstigt. Nur eizelne Virtuosen auf diesem Gebiet sind seekrank geworden; nach meinem Geschmack könnte die See ein wenig bewegter sein. Wichtiger sind Wind und Wetter. Wir haben bisher ununterbrochen eine köstliche Brise gehabtl Sie macht auch grösste Hitze erträglich; ja, sie sorgt so für Kühlung, dass nur ganz wenige Tropenanzüge bisher auf der Bildfläche erschienen sind. Auch ich habe erst einen angehabt und auch erst im „Dinnerjacket“ in Benutzung genommen, wie ja viele meiner kostbaren Schätze jetzt gar nicht zur Geltung kommen.

                In Colombo landen alle meine Tischgenossen: die Herren Melchens, Hartmann + Klotte, sowie Herr und Frau Godefroy. Eine nette Gesellschaft, wenn auch unsere Interessen sich wenig berühren. Herr Hartmann hat uns Beide auf seine wunderschöne Besitzung bei London eingeladen und hätte ich sehr grosse Lust, dieser Einladung einmal zu entsprechen.

                Ob wir in Colombo Genaueres über die Kronprinzenreise erfahren? Die Änderung greift ein in das Leben Vieler, auch an Bord. Es müssen sehr gewichtige Gründe sein, die zu ihr geführt haben.

                Für heute lebewohl, geliebte, süsse Frau! Küsse unsere Kinder, grüsse die Eltern und Geschwister und sei aufs Innigste umarmt von Deinem

                                                                                Hermann.

Meine Adresse bleibet: Behn, Meyer + Co

Singapore.

Telegramm Adresse: Schumacher Nordloyd Singapore

 



 

An Bord der „Prinzess Alice“,

den 15.II.1911.

                                Geliebte Frau!

                Gestern war ich nun schon drei Wochen fort von Dir und da haben unsere Gedanken sich besonders häufig begegnet. Heute ist schon die Küste Sumatras in Sicht gekommen; morgen sind wir in Penang und Samstag früh werde ich am Ziel meiner Fahrt, in Singapore, anlegen; dann ist die schlimme, die nachrichtslose Zeit so ziemlich vorüber und die freudige Erwartung von Briefen wird noch gewaltig wachsen. Allerdings wird auch dann noch Geduld nötig sein, weil einmal die Nachrichten alt sind und ich andernseits nicht immer sogleich zu erreichen bin. Wird die Ungeduld zu gross, so werde ich doch wohl noch telegraphieren.

                Seit Colombo hat unsere Reise einen ganz anderen Charakter bekommen. Dort haben wir eine Ladung von je 4 Fürsten und Grafen, einer entsprechenden Anzahl von Baronen und zahlreichen bürgerlichen Globetrotter ausgeschifft und das bedeutet eine ausserodentliche Verbesserung. Es ist viel menschlicher, ruhiger und gemütlicher geworden. Ganz besonders auch für mich durch die Sprengung des Melchensschen Kreises, der doch viel  konventionelles in mein Leben hineingezwungen hat; ich habe dort doch zu selten ein Gespräch führen können, das meinen Interessen entspricht; es war doch hier im kleinen Kreis, wie in der ganzen Schiffsgesellschaft mehr ein Ausklingen europäischen Gesellschaftslebens, als ein ostasiatischer Anfang. Jetzt dominiert der ernsthafte Reisende; der Sport Anteil ist vorüber; von Aristokratie ist nichts mehr übrig; ich Proletarier sitze sogar auf dem Ehrenplatz neben dem Kapitän, neben einer stark agressiven österreichischen Schriftstellerin, Frl. Schalck, die für die „Neue Frei e Presse“ die Reise unternimmt und, ausser indischen Reiseskizzen, eine Reihe Romane bereits auf dem Gewissen hat und gegenüber einen unendlich sprachgewandten italienischem Major, der als Militär-Attache für Japan und China nach Tokio geht und der rechte Mann für diese schwierige und wichtige Aufgabe zu sein scheint.

                Freilich is es auch sonstwie vielfach anders geworden. Sogleich nach Ceylon fing es an ganz stattlich zu schaukeln. Nicht nur eine Menge Damen, sondern auch manche Herren wurden seekrank; Weite Lücken klafften beim Essen durch, wenn ich auch niemals gefabelt habe, so muss ich doch gestehen, dass ich mich den ersten Tag recht ungemütlich gefühlt habe. Vor Allem aber: es ist gehörig warm geworden. In Colombo begriff ich nicht recht, dass man allgemein über Hitze so klagte; drei Tage vor unserer Ankunft soll sogar der heisseste Tag gewesen sein, den der Thermometer dort seit 16 Jahren verzeichnet hat. Aber unser Dampfer hat von dieser Hitze ein gehöriges Quantum mitgenommen. Das ganze Schiff steckt voll davon und sie kann augenscheinlich nicht mehr heraus. Denn auch auf Deck haben wir heute den ganzen Tag im Schatten 30o Celsius gehabt und dabei fast ununterbrochen Gewitterschwüle. Es ist ja nicht immer angenehm, aber ich sehe doch wieder, dass ich die Hitze sehr gut vertragen kann, besser, als fast alle Mitreisenden. Nur in der Kabine ist’s scheusslich und man entschliesst sich nicht leicht, sich zur Nachtruhe in sie zurückzuziehen. Trotzdem ist mein Schlaf nicht schlecht, und was des nachts versäumt wird, wird im Laufe des Tages nachgeholt. In der letzten Nacht hörte ich Dich zum zweiten Mal mit lauter erkenntlicher Stimme so deutlich meinen Namen rufen, dass ich aufsprang und einige Minuten nötig hatte, mir meine schwimmende Einsamkeit zu vergegenwärtigen. Es muss bei Euch ungefähr die Zeit des Zubettgehens gewesen sein und werden Deine Gedanken wohl zu mir herübergeflogen sein, hoffentlich ohne Bekümmernis und Sorge. Sonst habe ich leider nie von meinen Lieben daheim geträumt. Aber am Tage bin ich mit den herzlichsten Wünschen sehr viel bei Dir und von Zeit zu Zeit ergreift mich eine Sehnsucht, als wollte das Herz mir springen. Liebes Edithlein, ich bin doch in der Ehe ein ganz anderer Mensch geworden. Von der alten Abenteurerlust, die früher auf Reisen mich besuchte, ist höllisch wenig übrig geblieben. Ich habe weit höheres Verlangen! So lange Reisen sind doch eigentlich nur für Junggesellen und unglückliche Eheleute! Vielleicht hat auch das der Kronprinz empfunden. Das wäre noch die erfreulichste Erklärung, obwohl gerade in seiner Stellung Pflichten vorkommen, die alles persönliche Empfinden zurückdrängen sollten.

                Seit Colombo wird viel mehr von der Kronprinzreise gesprochen, als das früher hier der Fall war. Nach den in Ceylon eingetroffenen Nachrichten scheint er das Reisen nicht zu vertragen; acht Tage hat er das Zimmer hüten müssen; sogar der Besuch des schönen Dardjilings, das allgemein als Erholungsort gilt, ist aufgegeben worden. Das ist ja schon bedenklich, aber  trauriger ist es, dass in Colombo allgemein erzählt wird, er habe für nichts Interesse gezeigt. Das begreife ich gar nicht und scheint mir mit seinem Wesen gar nicht in Einklang zu stehen. Ich möchte fast annehmen, dass die schreckliche Art des ganzen Reise-Arrangements schuld daran ist. Der eigenartige Reiz dieser merkwürdigen Welt offenbart sich nur dem, der Ruhe hat zu stillem Sinnen. Jetzt gewinnt man leider, leider den Eindruck, dass die ganze Reise des Kronprinzen persönlich und dem deutschen Namen mehr geschadet, als genützt hat. Die Deutschen sind tief enttäuscht – viel mehr, als man daheim wahrscheinlich ahnen wird – und fürchten, dass auch sie den betreffenden Regierungen wegen der weit vorgeschrittenen Vorbereitungen Enttäuschungen nicht ausbleiben können, die für sie im Laufe der Zeit sich fühlbar machen müssen. Und die Engländer, wenn sie auch natürlich als Gentlemen grösste Höflichkeit gegenüber ihrem Gast beobachten, möchten doch – das zeigen die Gespräche mit ihnen immer wieder – diese Reise zu einem Beweis  stempeln, dass der Deutsche zu einer Betätigung  in anderen Klimaten nicht geeignet oder doch sehr viel weniger geeignet, als der Engländer, ist. Ich fürchte, solcher Eindruck wird bleiben, wenn man auch sicherlich auf Stimmungen und Redereien hin im Osten nicht allzu viel geben darf. Aber sicherlich werden auf den Kronprinzen Einflüsse sich geltend machen, doch noch die Reise fortzusetzen und mit der Nachricht, dass sein Unwohlsein ganz überwunden sei, ist auch alsbald die verbreitet worden, dass das  gesehen wurde. Ich glaube es nicht, hat man doch augenscheinlich von Berlin uns mit seiner Eile, die hier umständlich ist, alle Brücken hinter sich abgebrochen. Ich nehme daher nur mit einer kurzen privaten Reise, deren Plan ich in Singapore nach sorgfältiger Erkundigung aufstellen will. Ich werde nur Gebiete aufsuchen, die gesundheitlich unbedenklich sind und mich in ihnen nur mit Eisenbahnen und anschliessenden Automobilverbindungen fortbewegen. In etwa acht Tagen denke ich mit den Malaiischen Staaten (Perak, Selangor, Negri Sumbilan + Panang) fertig zu werden. In 14 Tagen werde ich dann wahrscheinlich zu einer zweiwöchentlichen Spritztour nach Java aufbrechen, das mich bisher noch nicht sehr lockt, aber von allen Passagieren, die es kennen, in den höchsten Tönen gepriesen wird. Das wird eine reine Erholungsreise sein, zumal da ich vor Allem in den höher gelegenen Gebieten der Insel reisen werde. Die Adresse bleibt einsweilen: Behn, Meyer + Co, Singapore. Genaueres kann ich erst vom Lande berichten. Eventuell telegraphiere ich meine Adresse, was zugleich bedeuten wird, dass ich am  Aufgabeort in bester Gesundheit mich befinde.

                Ach, wüsste ich das doch auch von Dir und unseren Kleinen! Während ich hier zwecklos umhergondele, mich erhole und mäste und so viel wie möglich amusiere, schaffst Du still am Glück unseres Hauses. Ich kann nur still den Schutz und Segen des Himmels für Dich erflehen und in Gedanken Dich küssen voll innigstem Dank und voll endloser Liebe.

                Küsse mir auch unsere Älteste und ihren kleinen Bruder! So oft ich ihr Bild mir auch vergegenwärtige, das süsse, herzhafte Lachen Dittis und die grossen staunenden Augen des lieben Hermi, so bin ich doch manchmal erschrocken, dass meine Sehnsucht sich eigentlich nicht mit auf sie bezieht; und da tröste ich mich, dass Du mir einmal gesagt hast, dass es auch Dir ähnlich gehe. Das andere Gefühl  ist eben das weit  merkwürdigere und mächtigere. Liebste, was bin ich froh und glücklich, Dich zu besitzen! Dieses klare Bewustsein noch weiter verschärft zu haben, wird der Hauptgewinn dieser zweiten wunderlichen Ostasienfahrt sein!

                Ich schreibe heute nur Dir einen Brief und begnüge mich sonst mit Karten. Du wirst es verstehen, dass die Aufgabe meiner Reise die Schreiblust stark dämpfte; denn ein gewisses Gefühl der Blamage kann ich noch nicht ganz verwinden. Grüsse mir deshalb recht herzlich die lieben Eltern und Geschwister und die Freunde in Bonn, die meiner Gedenken.

                In unaussprechlicher Liebe

                                                                Dein Hermann.

 



Singapore, den 19. Februar 1911.

                                Meine liebe gute Frau!

                So wäre ich denn glücklich am Ziel angelangt und heute hätte auch die Einschiffung auf der „Guisman“ stattfinden sollen. Wie lange habe ich mit Spannung diesem Tage entgegengesehen! Wie eifrig habe ich mich äusserlich und innerlich auf ihn vorbereitet! Statt dessen sitze ich hier einsam, inmitten der Unruhe eines grossen Hotels  und suche mir künstlich neue Reiseziele zu schaffen. Natürlich muss man noch einmal innerlich diesen eigentümlichen Umwandlungsprozess durch machen, ich hoffe aber heute endgültig mit ihm fertig zu werden.

                Gestern früh nach der Landung bin ich sogleich mit einer Rickscha ins Hotel de l’Europe gefahren. Hier habe ich ein recht nettes Zimmer bekommen. Schon dieser Raum ist eigenartig. Allerdings sind alle Möbel  europäisch; nur das Bett trägt Tropencharakter. Es ist ebebso breit wie lang und sieht mit seinem Mosquitonetz aus wie ein grosser Käfig. In ihm liegt eine ganz dünne Matratze, auf dem verloren ein kleines Kopfkissen auf der Seite sich herumtreibt, eine Decke ist nicht vorhanden oder vielleicht auf ein kleines Tischlein, das wohl nur in aussergewöhnlichen Fällen  benutzt wurden oder den Leib bedecken soll, zusammengeschrumpft; statt dessen aber liegt eine grosse Rolle auf dem Bett, ein Abkühlungsmittel, das während des Schlafes zwischen die Beine gesteck wird, eine Erfindung der kolonialen Holländer. Vor dem Zimmer befindet sich eine grosse Veranda, auf der neben verschiedenen bequemen Rohrstühlen auch der Waschtisch sich befindet. Das Eigenartigste ist aber, dass an der einen Ecke des Zimmers eine Treppe in den unteren Stockwerk hinabführt; dort hat jeder Hotelgast sein eigenes Bad etc.; freilich steht hier nur ein grosser Wasserkrug, aus dem man mit einem verrosteten Blechgefäss jederzeit Wasser über seinen kühlungsbedürftigen Körper schöpfen kann, was  im ausgiebigsten Masse geschehen kann, da der halbe Raum hier unten zementiert ist.

                Hier kann man es auch zur Zeit der Mittagshitze ganz gut aushalten.

Die Stadt hat auf mich wieder einen starken Eindruck gemacht. Wie in New York alle Völker zusammen strömen und sich mischen, so hier alle Völker Asiens. Chinesen, Malagen, Inder, Japaner strömen hier zusammen und zwar in allen ihren Stammesabstufungen; die statistische Aufnahme der Bevölkerung macht nicht weniger als 30 Unterscheidungen, die fast alle im Aussehen und Hautfarbe, sowie in der Tracht und Frisur zum Ausduck kommen. Und jede Schattierungsnuance ist im komplizierten Organismus dieses Gummiwesens(?) ein ganz bestimmter Platz zugewiesen! Ja, während die Hamburg-Amerika-Linie die grösste Mühe gehabt hat, die Auswanderer verschiedener Nationalität davon zurückzuhalten, über einander herzufallen, leben hier im Schutze Englands alle Völkerschaften, so sehr sie sich auch gegenseitig auszuboten trachten, in Ruhe und Frieden mit einander.  Es ist fürwahr eine gewaltige Leistung, die den Engländern kein Volk nachmacht. Allerdings verstehen sie auch ihre Interessen wahrzunehmen. Haben sie doch nicht nur die Malayenstaaten Perat, Selangor, Negri Sunbilan, Pahang + Jahore heute sich völlig einverleibt, sondern 1909 auch Siam gezwungen, vier weitere Staaten ihnen abzutreten. Wenn wir ähnliches versucht hätten, würden wir Krieg bekommen haben; die Engländer haben es so still gemacht, dass kaum mehr als ein Dutzend Deutsche daheim genauere Kenntnis davon haben dürften. Und in diesem sich bildenden grossen neuen Kolonialgebiet von „British Malaya“ wird heute schon die Hälfte alles Zinns gefördert und sind so viel Gummi-Plantagen angelegt worden, dass ihre Produktion wahrscheinlich in fünf Jahren der ganzen heutigen Weltproduktion gleichkommen wird. Schon das lohnt sich, etwas genauer kennen zu lernen, aber am meisten interessiert mich hier doch die Entwicklung des Chinesentums, das  unter allen Völkern einschliesslich der Europäer nicht nur der Zahl, sondern auch dem Reichtum noch weit voranstehen. Hier sieht man, was das Volk unter guter Verwaltung in geregelten Verhältnissen zu leisten vermag. Gewissermassen ein Blick in die Zukunft dieses 400-Millionen-Reichs!

                Vom Hotel fuhr ich sogleich nach Behn, Meyer + Co, sowie zum Generalkonsulat, um mich zu überzeugen, dass Briefe oder Telegramme für mich nicht vorhanden waren. Dann trieb ich mich in der Stadt noch etwas umher und verbrachte die heissen Stunden im „Raffles Museum“, wo Frechheit und Bauart es mir ermöglichten, unmittelbar in die Bibliothek einzudringen, so dass ich über Alles, was ich wünschte, auf einfachte Weise mich unterrichten konnte. Viel  Mühe ist mir dadurch erspart worden.

                Erst später konnte ich den Generalkonsul Kiliani sprechen. Er war über mich genau orientiert und  von einer nicht zu übertreffenden Liebenswürdigkeit. Er will Alles tun, meine Reise noch recht ergiebig und erfolgreich zu gestalten und allem Anschein nach handelt es sich nicht nur um Worte. Es sieht vielmehr aus, als ob sich ungewöhnliche Reisechancen mir bieten würden. Zum Abend wurde ich sogleich auf seine wunderschönen Besitzungen, etwa eine halbe Stunde Wagenfahrt von der Stadt, eingeladen. Dort war zu stimmungsvollen, üppigen Mahl eine kleine Gesellschaft beisammen, die sich ausser dem Gastgeber und seiner liebenswürdigen Frau aus Kern Dr.ing. Prinzhorn, dem wegen Gummi-Verdienste der Professortitel verliehen ist, einem ehemaligen Coreaner  Kaufmann und altem Hausfreund, namens Kolt(?) und einem langjährigen hiesigen Kaufmann Salomon zusammensetzte. Am meisten hat mich der Generalkonsul selbst interessiert; er ist im Grunde eine Gelehrtennatur und für ihn ist charakteristisch, dass er mit Bendixen in eifriger Korrespondenz über das Geldwesen steht. Über die Kronprinzenreise klagte er sehr. Die Sache sei in einer geradezu unbegreiflichen Weise behandelt worden. In den wichtigen Fragen sei eine Antwort überhaupt ausgeblieben. Der hiesige Grand-Governor sei nicht mit Unrecht verstimmt. Übrigens gewinnt man hier den Eindruck – das ist insbesondere auch Kilianis Ansicht – dass auch politische Gründe mitgewirkt haben. Ihr werdet wahrscheinlich besser, als wir hier draussen, darüber unterrichtet sein, wie die Mongoleifrage sich zugespitzt hat. Du erinnerst Dich vielleicht, dass sie mich nicht besonders interessiert hat. In der Mongolei, wie in allen Aussengebieten Chinas betreiben Russland, wie China eine systematische Kolonisation, Russland mit politischen, China erfolgreicher mit wirtschaftlichen Mitteln. Dass dort ein neuer Zusammenstoss sich vorbereitet, ist schon länger klar gewesen. Dass so schnell eine Krisis eintritt, hat wohl kaum jemand erwartet. Doch scheint Russland den Augenblick, wo China noch nicht durch Reformen erstarkt ist und auch die Pest gerade im Norden gelähmt ist, ausnutzen zu wollen. Entscheidend dürfte Japans Haltung wohl werden.

                Ich bin begierig auf weitere Nachrichten von Deutschland. Noch nie habe ich der Post mit solcher Spannung entgegengesehen, bringt sie mir doch Grüsse von meinem lieben, lieben Frauchen, nach so langer Pause! Das wird ein Festtag werden, wenn die Nachrichten auch alt sind. Und wie froh werde ich erst sein, wenn ich mich hier wieder einschiffe zur Rückkehr. Morgen werde ich nun mit Herrn Generalkonsul Kiliani und dem Chef von Behn, Meyer + Co meinen Reiseplan aufsetzen. Ich bin darauf ziemlich begierig.

                Für heute lass mich schliessen. Die Hitze macht das Schreiben doch ermüdend, wenn ich es auch am Lande sehr viel besser finde, als die letzten Tage auf See. Hoffentlich geht es allen Euch Lieben daheim recht gut! Ich denke Deiner sehr viel in herzlicher Liebe. Möchtest Du Dich doch kräftigen, wenig Beschwerden haben, Dich recht pflegen lassen, mit Clark nicht überanstrengen und um mich Dich nicht sorgen! Und hoffentlich haben auch unsere beiden Kleinen Lieben im Gewicht heute wieder eine recht gute Zunahme aufzuweisen, so dass Du nur mit Freude und Zufriedenheit ihrer zu gedenken hast.

                Grüsse mir Eltern + Geschwister vielmals und lass Dich im Geiste aufs herzliebste küssen und umarmen von

                                                                                Deinem Hermann.

 



Singapore, den 24. Februar 1911.

                                Mein liebes, süsses Frauchen!

                Feute war der weitaus schönste Tag der bisherigen Reise, der Taf, den ich so lange sehnlichst herbeigewünscht habe. Endlich wieder Nachricht von Dir ubd gleich zwei liebe Briefe. Sie haben mich unendlich beglückt! Ein ganz anderer Mensch bin ich durch sie geworden.

                Und wenn auch die Nachrichten von unserem süssen Pärchen, nach dem ich mich doch oft jetzt sehne, do noch besser klingen könnten, so kann ich im Ganzen doch zufrieden sein und ich freue mich von ganzem Herzen, sind auch die Nachrichten schon mehr als drei Wochen alt. Man ist doch wieder in Verbindung mit einander!

                Soeben komme ich von der „Gneisenau“. Sie ist heute Morgen eingetroffen und der Lommandant hat mich sogleich eingeladen. Als einziger Gast war ich soeben da. Es war riesig nett! Ganz famose Menschen! Ein prachtvolles Schiff, auf dem ich im „Kartenhaus“ eine geradezu ideale Unterkunft bekommen hätte. Es hat mir doch sehr leid getan, dass der Besuch nur so kurz ist. Übrigens nimmt man an Bord an, dass sie Reise im nächsten Jahr nachgeholt werden wird; der Kronprinz hat den Wunsch mit aller Bestimmtheit ausgesprochen. Aber was man sonst von der Reise zu hören bekommt, ist nicht sehr erfreulich! Überall gewisse Enttäuschung und der Eindruck, dass die Leitung der Reise geradezu kopflos gewesen ist. Ich darf mich jedenfalls noch weniger als Andere beklagen. Es scheint freilich auch Manches vorgefallen zu sein, das die Rückrufung mit veranlasst hat. Ich habe leider den Eindruck, dass die Sache wieder einmal echt deutsch ist und bei Engländern in dieser Art unmöglich gewesen wäre.

                Inzwischen bin ich schon alter Singaporer geworden. Ich glaube sogar, der Wahrheit gemäss sagen zu müssen, dass Wenige über die hiesigen Verhältnisse so unterrichtet sind, wie ich es heute schon bin. Ich habe die Zeit gründlich ausgenutzt und ich scheine dafür ein besonderes Geschick zu besitzen, denn es ist geradezu komisch, wie ich als Auskunftsperon benutzt werde. Der Generalkonsul hat immer einen Bleistift in der Hand und schreibt unermüdlich Seite über Seite. Gestern hat er mir einen grossen Bericht gegeben; ich habe ihn so zerpflücken müssen, dass er selbst sagte, er stehe da wie ein entlaubter Stamm. Ich habe selten Jemanden so abkanzeln müssen.

                Zugleich habe ich „tout Singapore“ kennen gelernt und alle Tage bin ich zwei Mal eingeladen gewesen. Einige sehr nette Leute habe ich kennen gelernt und der weitaus netteste von Allen, der Leiter der hiesigen nicht nur deutschen, sondern überhaupt grössten Firma, Behn, Meyer + Co, will mit mir die Reise durch die Malayischen Staaten machen, was mich ausserordentlich erfreut und hoffentlich den letzten kleinen Rest von Sorgen bei Dir beseitigt. Besseres für diese Reise könnte ich mir nicht denken und wünschen!

                Morgen früh allerdings geht es zunächst nach Java. Es war nicht leicht, von hier fortzukommen. Alle Dampfer sind besetzt. Darum fahre ich auch nach Sorabaja und reise von dort quer durch die ganze Insel nach Batavia. Das ist, wie ich Dir schon schrieb, eine Vergnügungs- und Erholungsreise; und seitdem ich wieder von Dir einen Brief habe, freue ich mich darauf. Es ist doch viel Schönes und Interessantes, das ich zu sehen bekommen werde, wenn ich auch im Allgemeinen den Eindruck habe, dass eine Reise in Europa doch unvergleichlich viel inhaltsreicher und angenehmer ist, ganz zu geschwiegen von der Kostenfrage. Ich hoffe noch viel mit Dir zu reisen und freue mich darauf im Innersten meines Herzens ganz unbändig, aber ich möchte Dich doch nicht hierher in die Tropen bringen. Es schneidet mir oft ins Herz, wenn ich sehe, wie gerade Frauen hier leiden. Man muss schon ganz bestimmte grosse Zwecke verfolgen, um die Schattenseiten des hiesigen Reisens ertragen zu können. Solche Zwecke habe ich mir jetzt glücklich geschaffen und wenn ich noch in den Letzten Tagen manchmal an einem toten Punkt angelangt bin und dann heimwehkrank herumgebrütet habe, im Allgemeinen schwimme ich doch wieder in meinem Element und ich freue mich des Enquestem Talents, mit dem der Himmel mich ausgestattet hat, augenscheinlich vor sehr vielen Mitmenschen; jedenfalls weiss ich heute schon über Vieles Bescheid, von dem Leute, die viele Jahre hier sind, wenig ahnen und es amusiert mich köstlich, wenn immer wieder nicht ich vom Generalkonsul, sondern dieser von mir sich informiert über Verhältnisse; allerdings würde ich bei einem Studenten diese Ausbeutung für unerlaubt halten. Es ist gut, liebes Edithlein, dass Dein Mann zum Grössenwahn und Übertreibung sehr wenig veranlagt ist, (ich glaube es wenigstens; oder bist Du anderer Ansicht?), an Anlass dazu würde es hier nicht fehlen.

                Mein nächster Brief kommt aus Java. Die Aufgabe der Kronprinzenreise hat jedenfalls das Gute, dass ich einen wichtigen Teil der Welt ordentlich kennen lerne, sie es bei der Kronprizenfahrt gar nicht möglich gewesen wäre. Ich glaube, dass es mir auch gelingen wird, die Kosten dieser merkwürdigen Reise wieder einzubringen. Und jedenfalls bringt sie den wundervollen Gewinn: ein noch stärkeres Bewusstsein meines hohen, meines nicht zu überbietenden Glücks! Denn Alles ist für mich nichts im Vergleich mit Dir! Gute Nacht, gelibte, süsse Frau! Dein Hermann.



An Bord des Niederländischen

Dampfers „De Eerens“, den

27. Februar 1911.

                Mein geliebtes Frauchen!

                Jetzt bin ich eigentlich erst flügge geworden und der Gedanke kommt mir höchst unwahrscheinlich und abenteuerlich vor, dass ich hier zwischen Borneo, Sumatra + Java einher fahre und dass ich morgen Abend landen werde in – Surabaja. Wer mir das vor Jahresfrist prophezeit hätte, den hätte ich für verrückt gehalten, aber es ist wirklich so!

                Vom letzten Abend in Singapore habe ich Dir noch ziemlich spät geschrieben. Der Abend auf der „Gruisman“ hat mir doch viel Freude gemacht.  Unsere Seeleute haben mir wieder einmal sehr gut gefallen. Man kam sich für eine Reise nettere Leute nicht aussuchen; auch von dem verschiedentlich getadelten Adelsstolz des Kommandanten von Usslar habe ich nichts bemerkt. Er hat mir sehr zugeredet, jetzt die weite Reise noch mit ihm zu machen und ist überzeugt, dass der Kronprinz das jetzt Versäumte noch nachholen werde; er habe selbst seinem Wunsch in dieser Richtung aufs Bestimmteste ausgesprochen. Freilich ist nicht Alles so ganz einwandfrei, was sie und auch Engländer, die ich getroffen habe, von der Reise erzählen. Der Kronprinz scheint sich doch sehr jugendlich benommen zu haben. Feste, fast peinliche Verabredungen sollen oft von ihm nicht gehalten sein.  Wie mir Leute, die selbst davon betroffen worden sich erzählen, ist z. B. In Dardjiling das Haupthotel für ihn und sein Gefolge fast völlig geräumt worden; im letzten Augenblick ist dann die bsage erfolgt. Dann konnten alle Gäste zurückziehen und sich überzeugen, was Alles für den Kronprinzen hergerichtet worden war. Und der Grund solcher Änderung war nicht etwa Unwohlsein, sondern Sport und Flirt. Das soll auch in die Zeitungen gedrungen sein und nach Ansicht der Seeoffiziere zur schnellen Rückkehr Manches beigetragen haben. Die ganze Reise hätte schliesslich einen gewissen direktionslosen Eindruck gemacht. Exc. von  Truntler sei völlig zusammengebrochen; er habe infolge der Aufregungen Gesichtsrose bekommen; und das übrige Gefolge wäre dadurch doch sehr behindert gewesen, dass er fast gar kein Englisch gekonnt habe. So sei die Reise vom Anfang bis zum Ende eine Reihe von Unbegreiflichkeiten gewesen; wie so oft hätten eine Menge trefflichster Leute sich mit den Vorbereitungen beschäftigt, aber den habe die Tat, die schliesslich herausgekommen wäre, nicht entsprochen. Ich habe insbesondere vom Kommandanten selbst sehr ernste Urteile gehört, die leider zu dem Eindruck, den ich von Anfang an gewonnen habe, völlig passen.

                Als unbegreiflich bezeichnete man mir auf der „Gneisenau“ auch, dass der Kronprinz sich geweigert habe, Java zu besuchen; er hätte Herrn Dr. Wichmann zur Hilfe herangezogen. Auch dadurch sei eine Weiterreise natürlich ausserordentlich erschwert worden.

                So sollen allerhand kleine „Vorfälle“ – Flirt scheint dabei eine grosse Rolle gespielt zu haben und Manches erinnert an die Bonner Zeit – bei der Rückkehr stark mitgewirkt haben und vermeiden lasse sich das nur durch radikale Änderung in der Begleitung und in den Arrangements. Vernünftig würde es sich nur machen lassen, wenn Alles in der Hand eines mit den Verhältnissen wirklich vertrauten Mannes vereinigt würde. Der Eindruck gründlichster Zerfahrenheit scheint nicht nur der meine, sondern leider der allgemeine gewesen zu sein. Auch bei den Engländern, die stets seine Jugend betonen und liebenswürdig hinzufügen: sport is for British people an excuse for everything.

                Damit gedenke ich meine Kronprinzenberichte abzuschliessen und ich wende mich hinfort meiner Vergnügungsfahrt zu. Sie ist nicht besonders angenehm angefangen.

                Der „De Eereus“, der über Surabaja nach Bandjarmasin und anderen Borneohäfen fährt, ist ein sehr unruhiger Geselle. Er hat alsbald angefangen zu rollen, wie man das auf Dampfern des Norddeutschen Lloyd überhaupt gar nicht mehr für möglich hält. Mit solcher Gründlichkeit ist er dabei vorgegangen, dass es ein Entweder-Oder überhaupt nicht mehr gab: Jeder musste daran glauben, auch ich sehr gründlich. Das wurde allerdings durch die Art des Essens ausserordentlich erleichtert und gefördert. Wenn es in der Hölle Mahlzeiten giebt, dann müssen sie so zusammengesetzt sein und so serviert werden. Das Meiste hält man auf den ersten Blick, voll Mitleid für die Tierwel, für Viehfutter und die Malagen, die es mit grösster Langsamkeit und Gleichgiltigkeit, in dreckigem Zeug, mit blossen Füssen, pockennarbig, so unappetitlich, wie irgend möglich, servieren, erscheinen wie eben eingefangene affenartige, allerdings harmlose Wilde. Nein, diesen Versuchungen widerstand ein Jeder der elf Passagiere der ersten Klasse!

                Aber damit habe ich die Leiden und Freuden des ersten Reisetages noch nicht erschöpft. Ausser den Kabinenpassagieren sind Asiaten aller Schattierungen an Bord und sie strömen, um die Wette mit der Ladung, einen so eigentümlichen und intensiven Gestank aus, dass Europa hier einfach die Waffen strecken muss, die Überlegenheit dieser fremden Welt demütig anerkennend. Dazu endlich die Hitze, die einen Aufenthalt in der Kabine fast unmöglich macht! Als in der Nacht um 3 Uhr eine Welle in meinem Bette mir einen freundlichen Besuch abstattete, habe ich denn auch den Wink verstanden und habe mir auf Deck einen freien Lageplatz bereitet. Alles das machte den Anfang dieser Abenteuerfahrt nicht angenehm; im Gegenteil, er gehört so ziemlich zum Scheusslichsten, das man erleben kann. Ich war wirklich von Herzen froh, dass ich Dich nicht bei mir habe. Ja, ich glaube überhaupt, dass wir uns doch nähere Reiseziele stecken werden. Europa bietet doch unvergleichlich viel mehr, zumal da das Reisen hier seit meiner ersten Ostasienfahrt ganz unvergleichlich viel  teurer geworden ist. Die reisenden reichen Amerikaner haben die früheren Anspruchslosigkeit auch aus diesen Gegenden vertrieben.

                Aber der Mensch gewöhnt sich an Alles. Das Schaukeln hat abgenommen; das Essen hat sich, seither es nicht mehr für Seekranke vergeblich bereitet wird, entschieden verbessert; im Gestank erblickt man mehr und mehr eine berechtigte Eigentümlichkeit dieser Gegend; die teuflisch – dunkle Bedienung, die in jeder Bewegung für die grosse Überlegenheit des Chinesentums Zeugnis ablegt, fängt an zu amusieren; und an die Hitze, wenn sie auch eher zu-, als abnimmt, gewöhnt man sich. Eine ganz zufriedene Stimmung ist auf unserem Kahn eingezogen,  zumal da das Schlafen auf Deck nicht nur gut gelingt, sondern auch seine besonderen Reize hat. Es hat sich ausserdem aber herausgestellt, dass sehr nette Menschen an Bord sind. Vor Allem 50% der Mitpassagiere sind ganz ungewöhnlich sympathisch. Sie werden gebildet von einer Familie Huxley aus Manchester: der Vater, der sich gerade aus seinem grossen Mühlengeschäft herausgezogen hat, seiner Frau und drei Kindern, von denen die älteste hübsche Tochter Medizin, auch in Strassburg studiert, die nicht minder zierliche Schwester dem Studium unserer Sprache mit Eifer sich gewidmet  und der besonders stattliche Sohn als Ingenieur auch in Deutschland verschiedentlich gearbeitet hat. Ganz ungewöhnlich gebildete Leute, die doch vom drückenden Ballast der Bildung völlig frei sich gehalten haben. Sie habe auf ihrer Reise schon manche Widerwärtigkeit erfahren und haben am ersten Tag sehr arg leiden müssen; sie nehmen das aber Alles in geradezu bewunderungswürdiger Weise als unvermeidliche Begleiterscheinungen ihrer Reise hin. Ich würde froh sein, wenn ich mit ihnen auf Java wieder zusammenträfe.

                Morgen früh legen wir in Bawean an und am Abend treffen wir in Surobaja, dem heutigen grössten Hafen von Niederländisch-Indien ein. Dort werde ich sogleich mit dem einen Helfferich meinen weiteren Reiseplan aufstellen. Herr Generalkonsul Kiliani sagte ja, Java gehöre noch zu den wenigen „Sensationen“, die das heutige Leben biete. Ich bin daher sehr gespannt und hoffe nur, dass die jetzt herschende Regenzeit, von der bisher allerdings noch kein Tropfen zu bemerken ist, den Genuss nicht zu sehr beeinträchtigt. Leider bringt die Reise es mit sich, dass ich wieder 8-10 Tage auf Nachrichten von Dir verzichten muss. Erst in Batavia finde ich Briefe. In 14 Tagen werde ich in Singapore wieder eintreffen, allerdings um in kürzester Frist nach Medan in Sumatra weiterzufahren, wo man mir eine schöne, kostenlose Automobilfahrt in sehr verlockenden Aussicht gestellt hat. Dann zum Schluss aller dieser Vergnügungen die Studienfahrt durch Malayische Halbinsel, von der ich weitens am meisten erwarte; sie mache ich hoffentlich, wie ich schon schrieb, in Begleitung des trefflichen Chefs von Behn, Meyer + Co, Herrn Dieter; für sie habe ich ausserdem Einladungen von dem Manager der Straits Trading Co, der grössten Zinngesellschaft der Welt, der mit seiner liebenswürdigen Frau in Isroh ganz reizend wohnen soll (namens Tarlock) und eines Herrn Roland, der Leiter einer der grössten Kautschuk-Plantagen ist. So bin ich fast immer in bester Hut. Am 10. April werde ich dann die Rückfahrt antreten mit der „Lützow“ und ich hoffe, mit dem Wonnemonat wieder bei Dir einzuziehen. Wie freue ich mich darauf unbändig schon heute! Dann wollen wir nachträglich noch den glücklichen Tag unserer zweijährigen Zusammengehörigkeit, zu dem ich Dir heute leider schon verfrühte Glückwünsche sende, recht fröhlich feiern! Ja, Du hast recht, wir haben es sehr gut! Das spüre ich jetzt ganz besonders, wo ich in so manche fremde Menschenschicksale einen Einblick gewinne! Und dieses Glück wollen wir zusammen recht auskosten. Möchte der Himmel es gnädig uns erhalten. Es gedenkt Deiner und der Kinder jauchzenden Herzens. Viele herzliche Grüsse!

                                                                Dein Hermann.

 

 



Tosari, den 2. März 1911

                Geliebte Frau!

                Noch mehr als sonst sind heute meine Gedanken bei Dir und unseren lieben Kleinen! Das stolze Alter von ¾ Jahren erreichen sie heute und damit sollten sie eigentlich aus der gefährlichsten Lebenszeit, die ja bei uns glücklicherweise auch sehr frei von Sorgen gewesen ist, hinaus sein. Möchtest Du Dich doch recht dieses Tages erfreuen können! Möchte die Erkältung völlig überwunden sein, auch das Zahnen nicht schlimmer sich gestaltet und beide Lieben weiter von Woche zu Woche schöne Fortschritte im Gewicht gemacht haben und weiter machen. Wie schrecklich gern möchte ich einmal in ihre Bettchen gucken können, Hand in Hand mit Dir, Du liebes süsses Frauchen, nach dem ich mich doch schrecklich oft ganz furchtbar sehne. Mit ununterbrochenen herzlichen Wünschen bin ich bei meinen lieben kleinen Familie, die den Inbegriff alles eigentlichen Glückes für mich bildet.

                Ich schreibe dieses 6000 Fuss über dem Meeresspiegel, in dem Örtlein Tosari, in dem ein hier in der ganzen Gegend berühmtes Sanatorium sich befindet und Viele von den Folgen langer Tropenaufenthaltes sich zu erholen suchen, am Fusse des vielleicht brühmtesten der vielen Vulkane Javas, des Bromo, dessen Krater und Aussicht stets viele Besucher hierherlockt. Vor Allem aber sitze ich in den Wolken, nach einer Durchnässung, wie sie gründlicher nicht gedacht werden kann, mich der Kühle erfreuend nach der greulich schwülen Hitze von Sorabaja.

                Dieser wichtige Hafenort, der sicherlich weiter noch seiner bedeutenden Entwicklung entgegengeht, hat mir wenig gefallen. Er kann den Vergleich mit Singapore nicht aushalten.Vor Allem haben die Europäer es lange nicht so gut verstanden, den Bedingungen von Ort und Klima sich anzupassen und sie für sich auszunutzen. Sie haben die Stadt in wichtigen Teilen ganz europäisch gebaut, was in diesem Klima geradezu Unsinn ist. Ausserdem fällt Einem ein Unterschied sogleich auf. Auch hier sind ungefähr so viele Nationalitäten vertreten, wie in Singapore; ja, es sind sogar im Wesentlichen die selben, wenn auch natürlich die Javaner der Zahl nach stark im Vodergrund stehen. Während aber in Singapore die Grenzlinien überall deutlich erkennbar bleiben und jeder Nation ihr ganz bestimmter Platz angewiesen ist, geht hier Alles durcheinander. Unmerkliche Übergänge zwischen fast allen Nationalitäten sind vorhanden; nur durch Stammbaumforschungen kann man in vielen Fällen feststellen, wen man im Einzelfall eigentlich vor sich hat. Das grösste Mischlingsland der Welt ist dieses Java; und schon heute bin ich fest überzeugt, dass ihm daraus im Innern noch einst eine grosse Gefahr erwachsen wird und nicht, wie man hier fürchtet, von Aussen, von Deutschland oder England. Die hiesige Regierung durch Mischlinge, die natürlich immer mehr und mehr nachdunkeln, da auch im europäischen Holländer heute das Rassegefühl erwacht ist, interessiert mich sehr und hoffe ich, dass es mir gelingt, etwas Genaueres darüber zu erfahren.

                Ich habe mich etwas in Singapore (Sorabaja) umgesehen und insbesondere die „Godowas“, die grossen Lagerhäuser, in denen die vielen Früchte dieses reichen Landes zusammenströmen, durchwandert. Zum Mittag hatte Herr Theodor Helfferich mich zu einem üppigen Mahl im Hauptrestaurant Susabayas eingeladen, an dem noch zwei sehr nette Deutsche, ein Overbeck aus Bremen und ein Lebelle aus Wien, teilnahmen. Am Abend holte Herr Rademacher, unser hiesiger Kaufmännischer Konsul, mich mit einem reizenden Gefährt ab und fuhr mich in den sehr hübsch unter hohen Bäumen am Ufer des Flusses gelegenen sehr netten Klub. Dort wartete meiner eine Überraschung. Der erste Mann, dem ich dort begegnete, war ein alter Bekannter aus meiner ersten Referendarszeit in Berlin. Er hatte sein Studium aus irgeneinem Grunde – es dauerte etwas sehr lange – damals aufgegeben und war Offizier geworden, stürzte dann aber so unglücklich, dass er seinen Abschied nemen musste und Kaufmann wurde. Dass er sich hierher irgendwie gewandt hatte, hatte ich noch gehört, aber dann hatte ich über ein Jahrzehnt nichts von ihm mehr erfahren. Wir Alle dachten seiner mit tiefem Bedauern.

                In Surabija treffe ich ihn! Er ist gerade am Tag vor mir dort angekommen und zwar von Borneo. Dort leitet er die grössten Kautschuk-Plantagen, die überhaupt existieren soll, und er ist heute nicht nur mit Borneo besser vertraut, als irgendein Anderer, sondern ich habe eigentlich überhaupt noch keinen hier getroffen, der die asiatisch-australische Welt in diesem südwestlichen Winkel so kennt, wie er.  Er ist ein ganz famoser Kerl geworden! Wie ihn, hätten wir Viele nötig! Mochte ich ihn früher nicht so sehr gern leiden, so hat er mir dieses Mal ganz ungewöhnlich gefallen und gründlich imponiert. Er lud mich, mit zwei Borneo-Leuten, sogleich zu einem raffiniert stimmungsvollen kleinen Klub-Dinner im Freien ein und Surabaja schlief schon fast, als er mich in mein entlegenes Hotel zurückbrachte.

        Mit ihm – Böhmer heisst er übrigens – hätte ich zu gern Borneo bereist, wie er als einziger Automobilbesitzer dieses gewaltigen Landes es schon oft getan hat. Besseres wüsste ich mir hier nicht zu wünschen. Da bekäme ich wirklich etwas Neues zu sehen und zu hören und triebe mich nicht umher als blosser Globetrotter. Böhmer täte es selbst ausserordentlich gern und hat mir viel davon vorgeschwärmt. Aber wahrscheinlich muss er morgen in wichtigen Sachen nach Singapore und von dort nach Pontianak. Er erwartet heute noch ein entscheidendes Telegramm aus London. Fährt er nicht nach Singapore, so fahre ich wahrscheinlich sorglich mit ihm nach Bjandermasin und werde dann acht Tage lang als sein Gast wie so ein kleiner Fürst von Borneo leben. Dann würde die Reiselust wirklich bei mir wieder erwachen; aber leider, leider sind die Aussichten recht schlecht.

        Hier sitze ich als richtiger Globetrotter. Hier heraufzukommen, war nicht einfach. Zunächst mit Wagen zur Eisenbahn, die in nicht ganz drei Stunden mich durch eine unglaublich bebaute Gegend – meist Reis und Zuckerrohr – nach Pasuruan brachte. Auch hier bin ich nicht allein gereist; im Zug traf ich die 5 Häupter der Familie Huxley, mit denen ich dann weiter gereist bin und auch morgen die Besteigung des Bromo zusammen machen werde. Von Pasuruan geht es in 3 Stunden – die kleinen unscheinbaren javanischen Ponies laufen fabelhaft – nach Poespo. Wo das Bergland anfängt, müssen Wagen und Pferde gewechselt werden. In Poespo, das schon fast 2500 Fuss hoch liegt, gab es trefflichen Lunch und dann ging es zu Pferde – Mrs. Huxley wurde in einen Tragstuhl von 8 Kulis getragen – weiter. Durch Natur und Menschen war schon die bisherige Reise interessant gewesen, aber dem eigenartigen Charakter erhielt sie doch erst jetzt. Am meisten tragen dazu bei die Tropenwagen, die in dieser Gegend jetzt Nachmittags mit unheimlicher Regelmässigkeit wiederholen. Mit ihnen sollte mein prachtvoller Kronprinzliche Regenmantel eingeweiht werden. Als aber das erste Schauer niederzuprasseln begann, da war mein Kuli, der ihn trug, verschwunden. Er hatte auf abgekürzten Wegen, als er das Unwetter kommen sah, ein schützendes Obdach aufgesucht und dadurch zu seiner grossen Befriedigung erreicht, dass ich zwar bis auf die Knochen auf meinem fremdenfeindlichen Ponie durchweicht war, er selbst aber trocken! Echt malayisch! Der Sinn für die Unannehmlichkeiten des Lebens ist bei diesen Völkern unvergleichlich viel stärker entwickelt, als der Sinn für Pflichten. Die Durchnässung hat sich noch wiederholt und ist dann auch unseren dunklen Brüdern zuteil geworden, obwohl sie sich gewaltige Bananenblätter besorgten und diese als Schirme ebenso trefflich wie possierlich zu verwenden wussten. Leider war das Regenschauer gerade auf seinem Höhepunkt, als wir an einer ganzen Herde grosser schwarzer Affen vorüberkamen; statt mit einander lustig zu spielen, sassen sie still und verärgert auf den Bäumen. Sonst ist diese unendlich üppige Natur an Tieren erstaunlich arm.

        Die Reise herauf war jedenfalls eigenartig + anders als Europa. Ihr Ziel ist nun die Besteigung des Bromo, die diese Nacht um 4 Uhr beginnen soll. Darüber morgen. Jetzt muss ich ins Bett und der Brief in den Kasten!

        Mit den innigsten Grüssen und Küssen

                                        Dein Hermann.



Tosari, den 3. März 1911

                        Mein liebes, liebes Frauchen!

        Den heutigen Tag werde ich nicht vergessen! Der erste der nun schon fünfwöchigen Reise, den ich nicht missen möchte!

        Um 3 ½ Uhr wurden wir geweckt und kurz nach 4 Uhr brach unsere Karawane bei wundervoll klarem Nachthimmel auf: Mrs Huxley in einer Sänfte mit 8 Kulis, die übrige Familie und ich stolz zu Ross, d.h. auf stämmigen kleinen javanischen Ponies. Hinaus ging es in die dunkle Nacht auf unerkennbaren, steil ansteigenden Pfaden, vorbei zunächst an zahllosen, still daliegenden Behausungen, eines javanischen Stammes, der durch Zweierlei sich auszeichnet; er ist nicht zum Islam übergetreten, sondern hat sich in die Berge zurückgezogen und seine Religion, in der Brahma eine Rolle spielt, die aber im Grunde ein reines Heidentum mit göttlicher Verehrung des rauchenden Vulkans Bromo ist, sich bewahrt; da aber zugleich in den Bergen die Hitze nicht so gross ist, hat man sich des Wassers, dessen erfrischende Wirkung hier entbehrt werden kann, entwöhnt; durch Schmutz und Heidentum zeichnen sich daher diese harmlos-dummen Turgeresen, die auch im Klima weniger Entschuldigung für ihre Faulheit finden, vor ihren Landsleuten in Java aus.

        Schon dieser nächtliche Ritt hinaus in die halb Tropen- und halb Gebirgsnatur war sehr stimmungsvoll und im wolkenlosen Himmel war das beste Vorzeichen für den weiteren Verlauf.  Bald kündigte der Morgen sich an und mit einem Male war es glänzender Tag. Wohl hatten wir einen schönen Durchblick in die Ebene bis hinaus ins Meer, aber vom Sonnenaufgang selbst haben wir nichts bemerkt. Wir langten etwas zu spät auf dem Moengol-Pass (9000 Fuss hoch) an. Aber solche besonderen Reize waren hier wirklich nicht nötig. Selten habe ich etwas so Überraschendes gesehen, wie hier der Blick sich darbot. Die Postkarte, die ich Dir soeben geschickt habe, zeigt das nur sehr wenig, so gut sie auch im Grunde ist. Denn tief unter uns ragte ein gewaltiges Meer in wundervoller schneeweissenr Farbe. Es sah aus wie ein gewaltiges künstliches Reservoir, das ganz gleichmässig fast bis zum Rande mit den saubersten Wolken, über die der Himmel verfügt, gefüllt ist und aus diesem merkwürdigen Wolkensee ragen kahle, mächtig gefurchte Berge auf, die eine so typische Vulkangestaltung zeigen, dass man fast annehmen möchte, sie seien zu pädagogischen Demonstrationszwecken in allzu grossen Masstab geschaffen worden; einer von ihnen und zwar unser Bromo rauchte auch sehr gemütlich sein Pfeifchen; der Rauch, der ihm ganz kräftig entstieg, sah aus, als ob er in der tropischen Sonne aufs Sorgfältigste gebleicht wäre; der fernste und grösste der Vulkane, zugleich der höchste Berg der Insel hat aber leider vor wenigen tagen seine Tätigkeit eingestellt; er pflegt sonst etwa alle 20 Minuten noch einen besonderen, auch an der Bodenerschütterung bemerkbaren Beweis seiner Vulkan-Eigenschaft zu erbringen.

        Dieser Kessel, in der die Wolken so wunderbar sich zu fangen scheinen, war einst ein grosser gewaltiger Vulkan, wie noch deutlich zu erkennen ist.(Der Federhalter setzt der Füllung so grosse Schwierigkeiten entgegen, dass ich mit Bleistift fortfahre) Vor Menschengedenken hat er seine Tätigkeit eingestellt und ist zusammengefallen. Doch war noch nicht alles Leben verschwunden und so bildeten sich innerhalb des deutlich erhaltenen, an vielen Stellen wie im gewaltigen künstlicher Damm aussehenden Kraterrandes nach einander vier neue Vulkane, alle nach Begriffen der heutigen kleineren Menschheit von stattlicher Grösse; von ihnen ist der Bromo, das Ziel unseres Rittes, der bewundernswerteste in mancher Hinsicht. Diese ganze merkwürdige Welt, die einen Einblick in die Zeiten der Erdbildung gestattet, wie ich nur am Grand Canyon of the Colorado vergleichbar gefunden habe, stieg nun in ergreifender Starrheit vor dem erstaunten, noch an Tropenfülle gewohnten Augen unter dem glänzenden Blau des südlichen Himmels aus dem weisswogenden Wolkenmeer auf. An merkwürdig wirksamen Gegensätzen ein ungewöhnlich reiches Bild! Das war wirklich eine „Sensation“ zu nennen.

        Als unter den heissen Strahlen der höher steigenden Sonne die Wolken verschwunden war, stiegen wir auf steilem Pfad, der ein Reiten unmöglich machte, herunter zu den sog. Sandmeer, dem mit Sand ausgefüllten Riesenkrater, in dem noch soeben die Wolken gelagert hatten. Quer durch dieses Sandmeer, in deren südlichen Teil noch Herden wilder Ponies vorhanden sein sollen, ging unser  Ritt dann, um den Batog in seiner typischen Vulkangestalt herum, zum Fuss des Bromo, ja sogar halbwegs ihn hinauf bis zum Anfang einer grossen, etwa 250 Stufen langen Treppe, an der in stattlicher Inschrift zu lesen ist, dass sie in diesem Jahr zur Feier der ersten Anwesenheit des Herzogs von Mecklenburg gebaut worden ist. Nach Ersteigung dieser Treppe bot ein neues ungewöhnliches Schauspiel sich dar. Wir standen unmittelbar am Rande des Bromokraters. Schon vom Mengalpass aus hatten wir hier Wolken emporsteigen sehen. Jetzt sahen wir sie unter uns auf dem etwa 200 m tiefen Boden des gewaltigen Kratertrichters, prachtvoll geballt, aus der Erde emporsteigen, ein leise kochendes Geräusch und seinem gelinden Schwefelgeruch hervorbringend. Am Kraterrand führt ein schmaler Pfad entlang, der für Schwindelfreie ganz ohne Gefahren ist. Aber er bietet nichts Neues; wir haben uns deshalb darauf beschränkt, eine kurze Strecke auf ihm zurückzulegen und umso eifriger habe ich mich bemüht, die Eigenartigkeit des Bildes in mich aufzunehmen und festzuhalten.

        Nach etwas heissem, ermüdentem Rückritt kamen wir in Tosar wieder an. Sitzen und Gehen war eine Zeit lang recht schwer; aber man hatte den ganzen Nachmittag Zeit, in der erfrischenden Sommerluft dieser Berge sich zu erholen.

        Inzwischen ist es ein anderer Tag geworden. In der Frühe sind wir nach Poespo heruntergewandert, 8 km weit, + dann hierher nach Sarabaya mit Wagen + Eisenbahn in die Tropenhitze zurückgefahren. Heute Abend bin ich bei Konsul  Rademacher eingeladen; morgen früh um 5 Uhr geht es weiter nach  Djakjakarta.  In inniger Liebe Dein Hermann.

 



Borobudur, den 6. III. 1911.

                        Geliebte Edith!

        Es ist mir heute schon sehr schwer ums Herz und wäre ich entsetzlich gern bei Dir! Ich gehöre an Deine Seite und wünsche mir persönlich vor Allem, dass ich keinen Geburtstag mehr ohne Dich und unsere Kinder zu verbringen brauche. Gerade heute empfinde ich es wieder als einen sehr schwer zu vertragenden Zustand, so gar nicht zu wissen, wie es Dir und unseren Kleinen und unseren vielen sonstigen Lieben geht, und würde ich sicher telegrafisch heute anfragen, wenn ich hier nicht ganz ausserhalb des Weltverkehrs in Mittel-Java sässe.

        Allerdings wenn man nun einmal seinen Geburtstag fern in der Fremde feiern muss, so lassen sich nicht leicht stimmungsvollere Orte finden. Mitten in der schönsten Tropenlandschaft, die ich bisher gesehen habe! Sorgfältig bestellte Reisfelder in allen Stadien ihrer Entwicklung, vom Pflügen der berieselten Felder bis zum Schneiden der Ernte, wechseln ab mit besonders prächtigen kleinen Kokoshainen und dieses Bild tropischer Fruchtbarkeit wird eingefasst von einem Rahmen besonders schöner Berge. Auf der innen Seite eine zusammenhängende Kette, die Konturen aufreist, die in ihren Keckheit an die Dolomiten erinnern, und auf der anderen Seite ragen aus der Ebene drei, angeblich sogar vier Vulkane gewltig eindrucksvoll empor, die freilich meist in Wolken gehüllt sind, aber bisweilen doch ihre Häupter in erstaunlicher Höhe erscheinen lassen; dem einen von ihnen entsteigt beständig eine äusserst wirkungsvolle Rauchwolke; bei dem anderen soll es auch der Fall sein, doch habe ich es selbst nicht gesehen.

        In dieser Landschaft nun liegt ein Tempel, der als der grösste Budda-Tempel der Welt gilt: ein merkwürdiger grauer Haufen von Steinen, der eine Fläche fast so gross wie eine Pyramide von Gizeh, bedeckt und eine Unsumme von Arbeit darstell, wie die grössten Dome der Christenheit. Während dies aber himmelwärts streben und dadurch ihren wunderbar erhebenden Eindruck erzielen, überwiegen hier die horizontalen Linien vollständig. Das erklärt sich zum Teil wohl aus der Erdbebenhäufigkeit der Gegend, die auch an diesem Bau in deutlichen Spuren erkenntlich ist; zum Teil ist wohl auch das Steinmaterial daran schuld; dem der ganze gewaltige Bau besteht aus Steinen, die selten über die Grösse von Pflastersteinen hinausgehen, und nur die Budda-Statuen sind aus grösseren Blöcken gemacht. Aber vor Allem ist das Volk, das diese Bauten errichtet hat, in der Archtiektur noch nicht weit vorgeschritten; einen Bogen herzustellen, hat es noch nicht gelernt. Überhaupt ist ein architektonischer Geist in der Massigkeit dieses Bauwerks nicht zu spüren.

        Der Tempel  erhebt sich von einem mächtigen Fundament aus 4 Gallerien und 3Terrassen, die durch ungefüge, rohe Treppen mit Stufen von unbequemster Höhe mit einander verbunden sind. Das Ganze krönt eine riesige zwiebelförmige Dagoba, die eine der 80000 Teilen der Leiche Buddas birgt und dadurch zum Wallfahrtsort aller Buddisten geworden ist. Aber dem Klima und der Bevölkerung entsprechend  hat diese Hauptdagoba geprangt kaninchenartige; auf den 3 Terrassen stehen nicht weniger als 72 bei einander, grosser durchbrochenen Glocken gleich, von denen eine jede eine Budda-Figur umschliesst; und auf den darunter liegenden vier Gallerien wiederholt sich dieses Motif hundert-, ja ich möchte fasst meinen tausendfach. Echt orientalische Wiederholungsucht charakterisiert das Ganze. Nicht weniger als 432 Buddafiguren ausser den 72 Dagobas sind an diesem Bau vereinigt und der einzige Unterschied besteht eigentlich im Gesichtsausdruck und in der Fingerhaltung, die bald dem lehrenden, bald den meditierenden, bald den der Welt entsagenden Budda darstellen sollen.

        Alle Gallerien sind nur nach Vollendung des Baus mit Reliefs ausgeschmückt worden. Über 2000 solche oft sehr figurenreiche Darstellungen sind vorhanden, deren Inhalt meist dem Leben Buddas in seinen vielen Erscheinungsformen entnommen, zun Teil bisher unbekannt geblieben ist. Aber, wie bei allen solchen Sachen, ist der Inhalt ja ziemlich gleichgiltig; jeder Inhalt kann künstlerisch gestaltet werden; und auf der untersten Gallerie ist das auch in oft überraschender Weise gelungen. Hier hat ein wirklicher Künstler unmittelbar aus dem Leben geschöpft und eine grosse Kraft der charakterischtisch mit einem wirklichen Reliefstil verbunden. Wie hier verschiedene Volkstypen, Bogenschützen, Musikanten, Tänzer, auch Tiere des Wassers wie des Landes, sowie Häuser und Schiffe wiedergegeben sind, ist umso überraschender, wenn man bedenkt, dass nach der  verbreiteten Ansicht diese  ganze gewaltige Anlage aus dem 8. Oder 9. Jahrhundert, als unsere Vorfahren noch Barbaren waren, stammen soll. Freilich weiss man, da Inschriften fehlen, augenscheinlich sehr wenig über diesen Bau und seine Erbauer und selbst dieses Wenige seinen Besuchern zugänglich zu machen, ist so gut wie nichts geschehen; dass eine grössere deutsche Monographie darüber exitiert, ist sogar hier gänzlich unbekannt und mir nur durch einen Zufall in Surabaja bekannt geworden.

        Ist das Ganze auch architektonisch ohne künstlerische Wirkung (in dieser Beziehung ist der kleine Mendat. Tempel, den ich auf dem Hinweg besucht habe, durch seine Einheitlichkeit und grosszügige Profilierung viel wirksamer), so bietet es in Einzelheiten Vieles, das nicht nur interessant, sondern auch künstlerisch ist. Für mich ist jedoch das Bemerkenswerte, dass von der grossen Energie und Schaffenskraft, die in diesem ungeheuren, weit hergeholten Steinhaufen verkörpert ist, nichts in der heutigen Bewohnerschaft dieser Insel sich erhalten hat. Es ist mir sehr zweifelhaft, ob das unter englischer, statt holländischer, Regierung im selben Masse geschehen wäre. Ich habe bisher den Eindruck, dass die englische Kolonialverwaltung unvergleichlich viel höher steht, als die hiesige, -

        Von Surabaja bin ich sofort nach Borobudur heraufgefahren, da ich in Dohja, trotz telegrafischer Bestellung, kein Unterkommen mehr gefunden habe. Eine Stunde vor Sonnenuntergang kam ich an und es war ein schöner Sonnenuntergang für diesen letzten Abend eines inhaltreichen Jahres. Auf einem Steintrümmer vor dem Tempel sitzend, im Vordergrund besonders schlanke, hohe Kokospalmen, die ihre Kronen wirkungsvoll vom Himmel abhoben, habe ich ihn mir angesehen und mit der Sonne sind die Gedanken westwärts und immer weiter westwärts gewandert und ein grosses, tiefes Heimweh hat mich beschlichen, je mehr ich mir den Dir zu dankenden Reichtum dieses scheidenden Lebensjahres vergegenwärtigte. Mit Pfeifen habe ich mühsam das wogende Herz ein wenig beschwichtigt.

        Im Rasthaus waren ausser mir nur zwei  recht schwatzhafte Amerikanerinnen, die Alles, was in ihren Kräften stand, dazu taten, die Stimmung des Ortes und des Tages zu verderben. Auch der Leiter dieser kleinen Wirtschaft, ein früherer deutscher Unteroffizier, der im französischen Krieg das eiserne Kreuz bekommen hat, war zufällig verreist. Nur mit Einheimischen waren wir Drei deshalb hier zusammen. Trotzdem liessen wir ruhig unsere Türen der Hitze wegen offen, so dass man fast im freien inmitten der Tropennatur schlief; und wenn ich auch, mehr zur Beruhigung als zum Schutz, zum ersten Mal meine Pistole neben mir hingelegt habe, in vollster Ruhe konnte man in dieser Europäer-Einsamkeit schlafen. Dass diese trägen, sanften Javaner früher schlimme, ungewöhnliche Gesellen gewesen sind, kann man sich heute nicht vorstellen. Heute sind die unzuverlässigen Mischlinge jedenfalls schlimmer (die Europeaner, wie sie höflich hier genannt werden, die Sinjos, wie sie eigentlich heissen), als die „Inlanders“.

        Am anderen Morgen wachte ich schon länger, als der „Jong“ um 5 Uhr zum Sonnenaufgang weckte und das Frühaufstehen, das mir hier ganz natürlich erscheint, lohnt sich; denn wenn es auch nicht klar war und gerade die Vulkane etwas weniger zurückhaltend hätten sein können, so gaben doch tiefliegende Wolken und Morgennebel der Landschaft einen eigentümlichen Reiz. Ein merkwürdiger Anfang eines neuen Lebensjahres, diesen Sonnenaufgang von der Dagodbanischen Höhe des Borobudur-Tempels! Aber schon war es mir ums Herz! Ich bin zum Vergnügungsreisenden nicht geschaffen und am wenigsten zum einsamen. Es macht mir fast Gewissensbisse, wenn ich Schönes mir ansehe. Ich muss auch beim Reisen arbeiten, zumal  jetzt. Denn sonst kommt es mir als unerhört vor, dass ich hier, fern von meinen Lieben, mich umhertreibe, unerhört und unbegreiflich! Und nur Überlegung hält mich hier fest. Am liebsten reiste ich sogleich zurück!

        Um 8 Uhr kam die Familie Huxley mit einem grossen Automobil und mit ihr bin ich dann um 10 Uhr in genussreicher, kühler Fahrt nach Djokja zurückgefahren. Du siehst, dass ich mich während des briefschreibens stark verändert habe, und ich beendige diesen Brief sogar am 7. März. Morgen fahre ich mit Herrn Professor Prinzkorn (früherer Leiter der grossen Continental Kautschuck Gesellschaft in Hannover) und Herrn Konsul Holdt, der früher ein grosses Importgeschäft in Westindien gehabt hat, weiter nach Garut und in wenigen Tagen hoffe ich in Batavia endlich wieder Nachrichten – und hoffentlich recht, recht gute ! – zu erhalten. Mir geht es weiter sehr gut und ich stehe nach wie vor unter bester Obhut.

        Es grüsst die lieben Eltern und Geschwister und gedenke Deiner in unaussprechlicher Liebe und unseres süssen Pärchens, nach dem ich mich jetzt auch sehne, Dein Hermann.



Weltefreden, den 11. März 1911.

                        Mein lieber, guter Schatz!

                        Mein innigst geliebtes Frauchen!

        Sehnsucht nach Narichten hat mich aus den Bergen in die heisse Ebene hinuntergetrieben. Ich wollte nicht wieder einen Sonntag ohne Nachrichten von Dir sein und glücklich befinde ich mich denn auch jetzt im langentbehrten Besitz zweier Briefe von Dir. Aber sie datieren vom 5. Und 8. Februar, sind also über einen Monat alt. So froh mich auch der Anblick Deiner lieben Schrift gemacht hat, so sehr ich mich freue über die guten Nachrichten von Euch lieben Dreien und Dir danke für die ausfühlichen Mitteilungen, so hat doch Heimweh mich wieder so  stark gepackt, dass ich Mühe habe mich zu beherrschen. Es will mir wieder einmal ganz unsinnig erscheinen, dass ich hier so fern von Allem, was mein Glück ausmacht sitze; ich glaube auch aus Deinen Zeilen die Erwartung meiner alsbaldigen Rückkehr herauslesen zu können; hoffentlich hat mein Entschluss, weiter zu reisen, Dich nicht zu sehr enttäuscht und hoffentlich trägt er noch recht nützliche Früchte, von denen bisher nur wenige sehr langsam gereift sind.

        Gestern war ich schon in froher Wiedersehensstimmung. Gerade noch ein Monat bis zur Rückkehr. Wieviel Du nochmit Briefen mich in Singapore, Colombo, Aden erreichen kannst, wirst Du wohl am besten mit der Bonner Agentur besprechen. Heute ist das Heimweh auch dadurch gestärkt worden, dass ich so schwer von Java wieder fort kam. Alle Dampfer auch von hier sind bereits besetzt, ebenso wie alle Europa- + Amerika- Dampfer. Der  Menschheit ist hier zu viel geworden! So muss ich bis heute in 8 Tagen hier noch aushalten und so viel länger auf weitere, in Singapore wartenden Briefe mich gedulden. Ich gebe mich immer der Hoffnung hin, dort auch von Papa einen Brief und Ratschlag vorzufinden. Ich überlege immer von neum, ob ich sogleich nach meiner Rückkehr in den ersten Maitagen noch meine Sommer-Vorlesungen beginne oder den einmal bewilligten Urlaub zu ostasistischen Studien, die ich ja doch einmal von neuem aufgenommen habe, benutzen soll. Noch in Bonn könnte ja die endgültige Entscheidung erfolgen; aber sehr lieb wäre es mir, noch unterwegs kurz von Dir zu erfahren, wie Du über diesen Punkt denkst.

        Ich bin im Schreiben schon wieder ruhiger geworden und Fühle, dass Du – jetzt werden etwa die Kinder gebadet – an mich denkst! Ich bin unendlich glücklich in unserer Liebe und Alles, was ein Menschenherz an Schönem, Lieben und Guten wünschen kann, das sende ich Dir und unserem süssen Pärchen hinüber über den Ozean! –

        Inzwischen ist es Sonntag früh geworden und ich komme gerade von einer mehr als zweistündigen Unterredung mit unserem Generalkonsul Anton, mit dem ich gestern Abend schon lange gesprochen habe, zurück. Das ist eigentlich das kurioseste Opfer der Kronpinzenreise! Er will nämlich den Abschied nehmen, was mir auch nicht nur in seinem, sondern auch im deutschen Interesse zu liegen scheint. Nur des Kronprinzen wegen hat er diese Absicht noch hinausgeschoben und ist vor wenigen Wochen noch einmal hierherausgekommen. Sein Amt interessiert ihn nicht mehr im mindesten. Er wohnt hier auch ganz provisorisch, im selben Hotel, in das mich die allgemeine Überfüllung dieser Insel verschlagen hat. Er wartet nur auf ein erlösendes Wort aus Berlin, das es ihm gestattet, die Rückreise wieder anzutreten. Er ist ganz aufgebracht über die Kronprinzenreise, da er selbst fast gar keine Nachrichten über sie erhalten hat; die deutsche Regierung hat vielmehr unmittelbar die holländische von der Aufgabe der Reise verständigt. Auch er ist gekränkt. Für mich ist das nicht ohne Wert! Ich hatte selbst vom Kronprinzen eine persönliche Mitteilung erwartet. Sie scheint mir eigentlich „natürlich“ zu sein. Aber schon Herr Generalkonsul Kiliani in Singapore meinte, dass hier Alles, was „natürlich“ erscheine, am unwahrscheinlichsten sei; und wenn man so sieht, dass es überall das Gleiche ist, dass es im System liegt und Unterschiede in der Person überhaupt nicht gemacht werden, dann verliert Alles jeden persönlichen Stachel. Auch war und bin ich ja nicht leicht zu erreichen. Ich ärgere mich deshalb in dieser ganzen Sache wirklich nicht. Deine deswegen durchblickende Besorgnis ist unbegründet. Ich nehme das Ganze als eine merkwürdige Tatsache hin, weiter nichts; ich bin eben doch ein erfreulicher Dickhäuter schon geworden!

Unser Generalkonsul hier ist nicht ein Mann nach meinem Herzen. Er ist ein durch und durch gelangweilter und gleichgültiger Mann, ohne Streben und ohne Ideale. Dabei nicht dumm. Manches scheint er mir richtiger zu beurteilen, als Generalkonsul Kiliani, der sich leicht etwas vergallopiert und stark unter dem Einfluss unserer Marine steht. Aber dieses erfolgreiche Streben nach einem Minimum von Arbeit und Betätigung ist meiner Natur von Grund aus zuwider; und wenn wir viele Vertreter dieser Art hätten, stände es schlimm um uns. Hier im Zentrum des holländischen Kolonialreiches ist es vielleicht politisch gar nicht so übel: dieser unser Vertreter wird nie den Eindruck ehrgeiziger Ambitionen hervorgerufen haben und von diesem Gesichtspunkt aus erscheint es mir sehr zweifelhaft, ob es richtig sein würde, einen sympathischen Feuerkopf, wie Kiliani, seinem lebhaften Wunsch entsprechend zum Nachfolger hier in Batavia zu machen.

                Untätige Gleichgültigkeit darf man hier aber kaum als Individuelles betrachten. Überall zeigt sie sich and zwar ganz anders, als in englischen Kolonien, wie Singapore + Ceylon. Mir scheint das ja mit der Mischlingswirtschaft in Verbindung zu stehen. Die lange Ignorierung alles Rassegefühls und enge Verbindung mit als  gleichberechtigt geltenden Mischlingen wirkt deprimierend auf das Leben der Europäer. Es verliert auch äusserlich Halt und Würde! Während der Engländer Sport treibt und eine angenehme Geselligkeit in seiner freien Zeit pflegt, verwendet hier Jeder seine Mussestunden, halbschlafend sich im äussersten Neglige herumzutreiben.  Deshalb ist es auch so unendlich schwer, an einen Anderen heranzukommen. Die Besuchszeit ist abends 7 ½ - 8 ½; damit man aber angezogen ist, muss man sich schriftlich vorher anmelden; und dann würde es unhöflich sein, den Besuch so karg zu bemessen, dass noch ein zweiter am selben Tage möglich wäre. Man will eben für sich allein herumsumpfen! So verliert ein Fremder nutzlos unglaublch viel Zeit und mein heutiger Sonntag ist in seiner Faulheit und Inhaltslosigkeit arg javanisch. Ich hatte auf Herrn Zimmermann, Chef der hiesigen grossen Firma Maintz + Co (Frankfurter Juden, die Pariser geworden sind) gerechnet, doch ist er für einen Tag verreist. Ich sitze daher ziemlich auf dem „Proppen“.

                Doch siehst Du, dass ich nicht ausschliesslich dem Vergnügen nachgehe. Das war in Gesellschaft der Familie Huxley zu sehr der Fall und darum habe ich mich getrennt. Allein falle ich allen möglichen Leuten mit meinen Fragen ins Haus; und insbesondere vom „Secretarius“ der Verwaltung in Djokjakarta habe ich viel Interessantes über das dort bestehende Sultanat erfahren. Nur bei solcher Art der Reiserei, die nicht ganz frei von Philiströsem ist, empfinde ich ein Gefühl der Befriedigung und ich habe aus meinen langen Unterredung mit Herrn Generalkonsul Anton doch soeben gesehen, dass ich mit den javanischen Verhältnissen ganz leidlich vertraut geworden bin.

                Zum tagebuchartigen Berichten bin ich heute nicht gekommen; doch will ich es in abgekürzter Form bald nachzuholen suchen. Heute begnüge Dich mit diesem Gruss, mein süsses Lieb! Meine Gedanken sind mit Wünschen und Sorgen besonders viel bei Dir. Ich ängstige mich ein wenig wegen der fieberhaften Halsentzündung der lieben Eltern. Möchte sie Dich und die süssen Kleinen doch verschont und auch die Eltern nicht sehr mitgenommen haben! Bis morgen in acht Tagen muss ich wieder auf Nachrichten mich gedulden. Hoffentlich finde ich dann in Singapore recht gute!

                Es umarmt und küsst Dich in zärtlichster Liebe

                                Dein Hermann.



Welsfreden, den 13. März 1911.

                                Geliebtes Frauchen!

                Ich habe hier heute, ordentlich aufatmend, zwei  wirklich tüchtige Männer kennen gelernt. Das eine ist der Hauptvertreter der grossen Kgl. Niederländischen Dampfschiffahrts-gesellschaft, die mit ihren mehr als 60 Dampfern den Verkehr in dieser Inselwelt – nicht nur den 5 grossen Sundainseln, sondern auch die kleinen! – beherrscht, und einen Herrn Zimmermann aus Königsberg, der hiesige Chef der gestern schon erwähnten Firma Maintz + Co, der zugleich Vertreter der A.E.G sowie der Deutsch-Australischen Dampfschiffahrsgesellschaft ist. Auf Herrn Z., der mich abholen will, warte ich, während ich im Schweisse meines Angesichts – Du kannst Dir schwer vorstellen, wie wörtlich das zu nehmen ist! – diesen Brief schreibe. Durch beide Herren bin ich auch etwas weiter gekommen. Gott sei Dank! Denn diese verlotterte und verschlafene holländisch-javanischen Mischlingwirtschaft ist in ihrer phlegmatischen Umständlichkeit und Langsamkeit geradezu unerträglich! Möchte unser Volk vor solchen Kolonialen Einflüssen bewahrt bleiben! Ich freue mich heute, dass wir in der Zeit vor dem Suezkanal, wo der Verkehr mit dem Heimatland noch so schwer war und europäische Frauen hier nicht existierten, noch keine grossen Kolonien besessen haben und bewundere immer mehr das kraftvolle, stolze Herrenvolk der Engländer! Wenn doch nationaler Chauvinismus uns nicht hinderte, diesen gewaltigen Gegensatz in seiner ganzen riesigen Tragweite zu erkennen. Ich war geradezu erschrocken, als unser Generalkonsul  heute morgen in rührender Naivität sagte: merkwürdig, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Dass die Holländer es vermeiden, darüber nachzudenken und zu reden, verstehe ich. Verschiedene Zeichen sprechen aber deutlich dafür, dass im Mutterland die ganze Schwere der Lage erkannt sind; der Secretarius des Roads von Niederländisch-Indien hat mir in einem vertraulichen Gespräch auch sehr interessante Mitteilungen in dieser Hinsicht gemacht. Aber dass unsere lieben Landskeute das Vorhandensein dieses Problems nicht einmal bemerken, ist mir geradezu unbegreiflich. Vielleicht kann ein grosses Volk die Nachgiebigkeit sich leisten, alle Mischlinge jeglichen Grades als Europäer anzunehmen; für Holland bringt das die Gefahr mit sich, dass die 5 Millionen Weissen von 30 Millionen Braunen langsam untergebuttert werden. Vieles, das mir im europäischen Holland immer unverständlich war, ist mir hier verständlich geworden. Die zwei  Jahrhunderte Kolonialwirtschaft sind nicht spurlos an diesem Germanenvölkchen vorübergegangen! Wie hat das Rassenselbstgefühl dagegen den Engländer in kräftigen Mannhaftigkeit aufrecht erhalten!

Die beiden letzten Tage waren nicht angenehm, aber sie haben mir doch Erkenntnisse vermittelt, die mir für unser deutsches Volk sehr wichtig zu sein scheinen und die ich bisher noch nirgends ausgesprochen gefunden habe. Hier kann ich natürlich im Einzelnen nicht ausführen, um was es sich handelt.

Liebes Edithlein, Dieser Erguss wird Dich wohl etwas erstaunen und kaum interessieren. Ich will daher versuchen, den unterbrochenen Reisebericht weiter zu führen. Mit dem Borobudur und der Automobilrückfahrt von dort nach Djakja hatte ich aufgehört.

Dort befand ich mich in dem „Fürstenladen“. In Djohja und Solo sitzen nämlich noch zwei Sultane, die formell einer gewissen Souveränität sich erfreuen. Früher sind das sehr kriegerische Herrscher gewesen. Sie haben die Bevölkerung fürchterlich bedrückt, ihr aber auch wohl diese Folgsamkeit und doch Botmässigkeit beigebracht. Allerdings ernten heute die Europäer die Saat, die sie gestreut haben. Es ist sehr merkwürdig, mit welcher unterwürfigen Ehrfurcht man oft aufgenommen wird. Nicht nur werden die grossen Hüte auf mehr als 20 Schritt Entfernung schon abgenommen; vielfach – zumal die Frauen – kniet man auch nieder; und wer es ganz fein macht, der wendet Einem möglichst wirkungvoll die Rückseite zu. Es gilt als unschicklich, den weissen Herrn anzusehen.

Solche Auffassungen und Sitten bringen nur orientalische Herrscher einem Volke bei. Von dieser Herrschaft gewinnt man auch noch einen kleinen Eindruck in Djohja durch Besuch des „alten Water-Kastells“. Es ist das einer alten Schlossanlage mit zahlreichen Teichen, die ein begabter holländischer Architekt im 18. Jahrhundert angelegt hat. Sie ist jetzt unbewohnt, verfallen und überwuchert. Mancher malerische Winkel ist in ihr vorhanden, der in seiner Märchenhaftigkeit auf viel  entfernte Zeiten zurückzudeuten scheint. Das Ganze, das europäischen Wohnbegriffen zwar spottet, entspricht aber doch noch ein wenig den Vorstellungen von einem javanischem Sultan. Ganz anders heute die Wirklichkeit! Hohe weisse Mauern, vielfach durch Palmzäune festgesetzt, umschiessen heute das Reich des Sultan, das „Kraton“ genannt wird und annährend 15.000 Seelen umschliesst. Nur mit Erlaubnis des höchsten holändischen Beamten, des Residenten in Djohja, darf man dieses Reich betreten. Schönes umschliesst es nicht. Aber es bietet das Bild einer Lotterwirtschaft, wie sie wohl nicht lange auf diesem Erdball mehr anzutreffen ist. Der 70 jährige Sultan, der auf Bildern in seiner Generalsuniform gar nicht schlecht aussieht, hat etwa 80 Kinder. Die Hälfte von ihnen sind Prinzen, zu denen Onkel und Vettern in unübersehbarer Menge hinzukommen. Der „Secretarius“ des Residenten hat mir versichert, dass weit über die Hälfte der 15.000 Insassen des Kraton zur Verwandschaft gehört, hat nur eine schwere Pflicht: man darf unter keinen Umständen arbeiten und diese Pflicht wird unendlich ernst genommen. Die Meisten schlafen dauernd; die höchsten Prinzen aber ergötzen sich mit Hahnenkämpfen; überall sieht man diese Kampfhähne und ein jeder von ihnen hat seinen besonderen „Groom“. Eine verrückte Wirtschaft und kein gutes Zeichen für die holländische Verwaltung! Was hat England nicht aus den Radjas gemacht! Wie hat es verstanden, sie in den Dienst seiner Kulturaufgaben zu stellen. Hier nicht der geringste Versuch, die Bildung zu heben und einen selbständigen nützlichen Pflichtenkreis anzuweisen, -

Am Nachmittag war ich mit Herrn Professor Pringhorn + Konsul Kohlt im Trümmerfeld der acht Tempel von Brambonun. Nicht so schön, wie der Borobudur, aber immerhin recht interessant. Ich freue mich, dass ich das noch mitgenommen habe.

Am anderen Morgen fuhren wir zu Dritt nach Garot, dem hoch und schön gelegenen Erholungsort der Westhälfte Javas, der auch von anderen Teilen Südost-Asiens viel aufgesucht wird. Nach heisser Fahrt kamen wir mit zwei Stunden Verspätung an. Am Nächsten Morgen ein genussreicher Rundgang durch blumenreichen Ort und am Nachmittag eine sehr schöne Ausfahrt. Ihr erstes Ziel war ein merkwüdig wild und urwüchsig aussehender See Leles; auf ihm trieben sich, irgendwelche noch so kleine Lebewesen fischend, Eingeborene umher, zum Teil in primitivsten Einbäumen, zum Teil bis zum Hals im Wasser watend. In der Mitte eine kleine Urwaldsinsel, der man jegliches Tropengetier gern zumutete. Auf eigenartigem Gefährt haben wir dieses Sumpfgewässer befahren; es bestand daraus, dass ein aus Palmen und Bambus hergestelltes Floss auf 3 Einbäume gelegt wurde; mit Staken und Rudern bewegten wir uns leider so langsam fort, dass ein aufziehendes Regenwetter es leider unmöglich machte, programmgemäss auch noch die heissen Quellen von Tjipanes uns anzusehen. Diese nachmittägliche Regnerei erschwert das Reisen doch vielfach.

Am anderen Morgen brach ich mit den beiden Hannoveraner Herren noch im Dunkel um 5 Uhr auf. Alle Drei hoch zu Ross. Ich an der Spitze, da ich als bester Reiter als bald wieder erkannt war. Ein Weg, der selten gemacht ist. Der deutsche Wirt des Hotels  meiner Reitgenossen hatte ihn gerade gemacht und sehr empfohlen. Und mit Recht! Der Ritt ging durch ein an schönen Ausblicken reiches Waldgebiet mit herrlichen Blumen. Das Ziel bildete ein Kratergebiet mit zahllosen Schwefelquellen, das ganz interessant ist, aber mir doch eigentlich nicht besuchenswert erscheint. Trotzdem war der Ausflug sehr gelungen; auch habe ich ihn nicht mit solchen Reitschmerzen zu bezahlen gehabt, wie wie meine beiden Gefährten.

Am Nachmittag verliess ich sie und fuhr nach Bandoeng, wo der Expresszug abends halt macht, da die Eisenbahn hier nachts wunderlicher Weise nicht fährt.  Am anderen Morgen um 6 Uhr weiter nach Batavia, wo ich Deine beiden Briefe erhielt, mir Geld holte und als dann nach Weltefreden fuhr.

So hätte ich in meiner Beschreibung wieder Anschluss gewonnen! Eine heisse Arbeit. Gute Nacht, süsses Lieb! Ich freue mich, wenn ich erst wieder von Mund zu Mund mit Dir verkehren kann! In grosser Liebe

                                                Dein Hermann.

 

 

 



Buitenzorg, den 16. März 1911.

                Mein süsses Lieb!

Heute ist der glückselige Tag, an dem ich Dich vor zwei Jahren zum ersten Mal ans Herz drücken und mein nennen durfte! Wie gedenke  ich seiner mit Dankbarkeit und wie umfliegen Dich und unsere Kindlein meine Gedanken mit den Herzlichsten Wünschen und Grüssen!

Ich bin hier in Buitenzorg, aber leider nicht so ganz sorgenfreien Sinnes, wie der Ortsname andeutet; ich sehne mich mit wachsender Ungeduld nach Nachrichten und freue mich ununterbrochen auf Montag, wo ich sie hoffentlich, recht, recht befriedigend in Singapore finde.

Aber ich bin aufge...(?) hier in Buitenzorg. In Batavia-Weltefreden habe ich mich nicht wohl gefühlt. Die Stadt ist heiss, staubig + reizlos; auch nachts kühlt es nicht ab und die Moskitos sind eine unverschämte Plage. Ärger aber ist die Langstieligkeit der Bevölkerung. Sie hat mich halb wild gemacht und zeigt zum mindesten, dass man für Reisende nicht anerkennt, dass Zeit Geld ist. Trotzden habe ich schliesslich doch erreicht, was ich wollte.

Der Abend mit Herrn Zimmermann war sehr nett. Es war noch ein alter schweigsamer Pflanzer, namens Krieger (aus Hamburg) dabei und anfangs der Direktor nebst Gemahlin. Ich habe viel Interessantes erfahren. Herr Z., der zugleich grosser Musikfreund und eifriger Sammler chinesischen Porzelans ist, ist ganz mit Java verwachsen und sieht auf das Land mit Dankbarkeit und Anhänglichkeit, denn als schwer lungenkranker, schmächtiger Mann ist er einst hierher gekommen und hier erstarkt zu einem kräftigen Mann von ungewöhnlicher Leistungsfähigkeit; schade, dass ein solcher Mann, der durchaus als Deutscher fühlt und geradezu als vorbildlicher Deutscher bezeichnet werden kann, für eine in Paris domizierte Firma schafft und wirkt. Gerade jetzt organisiert er wieder, wie er mir vertraulich mitteilte, mit belgischem Kapital ein grosses Plantagen-Unternehmen. Leider steht unser deutsches Kapital – mit einer Ausnahme – verständnis- und teilnahlos den hiesigen Verhältnissen gegenüber. In anderen Teilen der Welt steht es besser mit uns, als hier in Java. Viel Kraft und Arbeit ist hier nutzlos von uns vergeudet worden! Wir scheinen auch niemals einen Generalkonsul gehabt zu haben, der seiner hiesigen Aufgabe gewachsen war.

Am anderen Vormittag habe ich auch zwei tüchtige holländische Beamte kennen gelernt. Sie sind gerade in leitende Stellungen gekommen und zeigen, dass mit der jüngeren Generation doch auch moderner Geist und grössere Tatkraft in diese Kolonialverwaltung kommen. Der Eine ist Herr Homan v.d. Heyde, der gerade Directeur des Departments der öffentlichen Arbeiten oder, wie man hier sagt, des B(urgerlyke) O(enbase) W(erkin) geworden ist, und der Andere ein Herr Koo de la Fuille, der Inspecteur der agrarischen zaken genannt wird. Beide waren nicht nur sehr Liebenswürdig, sondern haben mir durch ausführliche Auskünfte mannigfach genützt.

Einigermassen gesättigt fuhr ich in der heissen Mittagsstunde um 2 Uhr hierher, wo die Luft doch merken lässt, dass man c 260m über dem Meere sich befindet. Die fast zwei Stunden lange Faht wurde dadurch verkürzt, dass ich mit einem Herrn Dr. Schoepfer reiste, der einst vom Oesterr. Handelsministerium hierhergeschickt worden ist und enige recht gute Berichte über Java verfasst hat. Er ist ein hochgebildeter und begabter Mensch und es ist eigentlich traurig, was aus ihm geworden ist, wenn er auch selbst augenscheinlich ganz zufrieden ist. Ein typischer Fall! Er ist einer Halfcast zum Opfer gefallen, die vielleicht einst ganz hübsch war und auch nicht ohne Bildung ist. Aber sie ist nicht nur in kürzester Frist nach allen Seiten aus Rand und Band gegangen, sondern auch von so grosser Unliebenswürdigkeit, dass ich am Abend, als ich bei ihnen war, am liebsten sie verprügelt hätte. Die drei kleinen Kinder sind jetzt ganz niedlich und possierlich in ihrer Eigenart, aber sie eröffnen doch nur traurige Blicke in die Zukunft. So ist dieser sicher sehr entwicklungsfähige Mann hier hängen geblieben und ist auch jeder Wunsch in ihm erstorben, nach Europa zurückzukommen. Was er jetzt eigentlich treibt, ist mir dunkel  geblieben; er scheint mir das Hotelwesen und den Fremdenverkehr hier entwickeln und verbessern zu wollen und hat sich damit allerdings ein Feld gewählt, auf dem sehr viel noch getan werden kann. Seine Bekanntschaft war mir recht wertvoll.

Der nächste Tag war so recht nach meinem Herzen! Gleich nach dem Frühstück kam ein stolzes Siemens-Schuckertsches Automobil vorgefahren. In ihm sass der grösste russische Theekäufer. Nicht weniger als 27.000.000 Pfund Thee werden von seiner Firma alljährlich angesetzt. Das war für mich darum besonders interessant, weil die grossen Veränderungen, die gerade auf dem Welttheemarkt vor sich gehen, in Russland einen Hauptausgangspunkt haben. Russland ist nämlich im vorigen Jahr plötzlich in Indien erschienen und hat dort 10.000.000 lbs aufgekauft, weil die Aufnahmefähigkeit der russischen Bevölkerung so gewachsen ist, dass die chinesische Theeernte nicht ausreichten. Auch eine Geschmacksänderung in Bezug auf die Farbe des Thees hat mitgewirkt. Durch diesen unerwarteten russischen Vorstoss entstand ein Ausfall auf dem Londoner Markt, der umso fühlbarar wurde, als der grosse „Rubber Boom“ viele Pflanzer in Ceylon veranlasst hatte, auf bisherigen Theepflanzungen Kautschuck zu ziehen.

                Diese russische Theenachfrage erscheint nun gerade  jetzt in Java zum ersten Mal.  Ihrem Vertreter, Herrn Pracke, und mir hatte das Straits + Sunder Syndicate ihr vortreffliches Automobil zur Verfügung gestellt. Es war ein köstlicher Morgen und die schnelle Fahrt durch die wundervolle Natur dieser fruchtbaren Insel ganz ungewöhnlich genussreich! So zu reisen ist in diesem heissen Klima unzweifelhaft das einzig Wahre!

Der reichlich 1 ½ Stündigen Automobilfahrt schloss sich dann noch auf schmalen bergigen Wegen eine fast einstündige Wagenfahrt an. Dann waren wir in schöner freier Lage auf halber Berghöhe in Passir Datar. Und es macht den Eindruck, als wären wir bei Bekannten! An der Spitze der grossen Thee-Plantage steht nämlich ein ganz famoser Deutscher, Bartels mit Namen, ein Mann, den man sogleich lieb gewinnt, und von dem man sogleich den Eindruck bekommt: der rechte Mann am rechten Platz. Er ist unzweifelhaft ein besonders erfolgreicher Pflanzer, was auch darin sich zeigt, dass er als „Administrateur“ oder „Adviseur“ auch auf einer ganzen Reihe anderer Plantagen tätig ist. Sein ganzes Leben hat ihn aber auch bestimmt für diese Stellung. Mit Schule und Vater ist er dadurch in Konflikt gekommen, dass er von früher Kindheit an auf Vögel  Jagd machte. Seine Vogelliebhaberei hat ihn auf merkwürdigen Umwegen hierher gebracht. Sie hat ihn, wie Wenige, mit dem Lande vertraut gemacht. Und heute besitzt er eine Sammlung von 8.000 javanischen Vögeln, die grösste und beste Sammlung dieser Art, die ihm mit allen Ornithologen der Welt bekannt gemacht hat. Auch mit unserem Königs steht er in Verbindung und einer seiner drei  fixen Söhne heisst Ernst aus Verehrung für Hankel. Tieftraurig ist er, dass Hankel, als er Java bereiste, nicht bei ihm gewesen ist, und er gehört zu den Vielen, die gewaltig schimpfen auf den Herzog von Mecklenburg; er hatte in wochenlanger Arbeit seine Sammlung für ihn hergerichtet und da sagt er im letzten Augenblick ab. Am vögelreichsten Ort der holländischen Küste hat sich Herr Bartels eingekauft; dort will er, wenn er sich zur Ruhe setzt, die Vogelkunde Javas verfassen, illustriert von seinem Bruder, der als Maler im Schwarzwald sitzt und die Vogelliebe teilt.

Die Liebe zur Natur beseelt auch Herrn Bartels als Pflanzer. Seine Pflanzungen und Theefabrik haben wir eingehend besichtigt. Herr Kracke hat sich als virtuoser „Tea taster“ gezeigt und mit Interesse habe ich den Verhandlungen zwischen dem Produzenten und dem Konsumenten beigewohnt. Das war die richtige Verbindung des Angenehmen mit dem Nützlichen.

Am gemütlichen Mittagessen nahm auch die nette, doch etwas abgemühte und abgemagerte  holländische Frau teil und die Bilder meiner Zwillinge nebst Zubehör wurden eifrig und verständnisvoll  bewundert.

Leider wurde unsere Rückfahrt durch ein furchtbares Tropenwetter so verzögert, dass wir tief in die Nacht hineinkamen. Auf die schöne Aussicht mussten wir verzichten. Trotzdem ein prachtvoller Tag. Den ich nicht vergessen werde.

Ganz anders hat sich der heutige Jubiläumstag gestaltet! Er ist sehr ruhig, zu ruhig verlaufen! Am Morgen war ich mit dem Haupt-Kautschuck Mann Javas, einem Herrn Dr. Tromp de Haas, zusammen und dann habe ich mehrere Stunden in der guten hiesigen Bibliothek erfolgreich gearbeitet. Meine Versuche aber, die Grüsse Koerniches hier anzubringen, sind erfolglos geblieben. Keiner der verschiedenen Herren habe ich habhaft werden können. Da ausserdem am Nachmittag alsbald ein furchtbares Unwetter wieder einsetzte, so blieb nichts Anderes übrig, als der Landessitte entsprechend zu faulenzen. Man hat dafür hier einen wundervollen Ausdruck: Klimaat schieten! Ich kann’s auch schon!

Wegen des schlechten Wetters habe ich vom berühmten Botanischen Garten bisher weniger gesehen, als ich wünschte. Nur gleich nach Ankunft in Buitenzorg bin ich in ihm 1 ½ Stunden herumgestrolcht, im Schweisse meines Angesichts. Gewiss habe ich auch viel Schönes in ihm gefunden, aber einen überwältigenden Eindruck, wie seinerzeit der Botanische Garten von Peraderia in Ceylon, hat er nicht bei mir hervorgerufen. Künstlerisch so wirksame Gruppen hat er nicht aufzuweisen. Vielleicht dass Gelehrtengeist ihn umso meht beherrscht!

Heute Abend hoffe ich noch Mancherlei über ihn zu erfahren. Dann auf meinen etwas erfolglosen Irrfahrten heute bin ich durch Zufall mit dem Sohn des berühmten de Vries bekannt geworden, der als Chemiker hier  irgendwie tätig ist. Wir wollen den Abend zusammen sein.

Morgen wird noch eine Plantage Dramaga, wo besonders auch Kautschuck gewonnen wird, besucht werden; Leiter: ein Holländer, namens van Motmann. Am späten Nachmittag zurück zum ungemütlichen Westefreden und tags darauf Abschied von Java und Antritt der Rückfahrt nach Singapore, der erste Schritt der Heimkehr!

Schnell werden die anderen jetzt folgen und dann haben wir uns wieder. Hoffentlich Alle gesund, frisch und froh! Wie himmlisch erscheint mir dieser Augenblick des Wiedersehens! Ich hoffe von meiner Reise, ausser manchem für meinen Beruf Nützlichem, auch noch den grossen Vorteil mit zu bringen, dass ich für mein häusliches Glück noch grösseres Verständnis habe, als bisher. Grössere, wahrere, heissere Liebe, als sie mich Dir gegenüber dankbar erfüllt, lässt sich, glaube ich, nicht empfinden. Ihrer wollen wir uns recht erfreuen nach der Heimkehr.

Küsse meine Kinder, grüsse die Eltern und Geschwister und lass Dich im Geiste innigst ans Herz drücken!

                                                Dein Hermann.



An Bord des „van Noord“

Am 20. März 1911.

                                Herzliebes Frauchen!

Ich bin in ganz glückseliger Stimmung! Soeben habe ich in Singapore eine ganze Reihe sehr lieber Briefe bekommen mit guten Nachrichten und den reizenden Bildern unserer beiden Kleinen! Sie habe aus mir einen ganz anderen Menschen gemacht und die - - Reiselust wieder ordentlich belebt! Es sind Deine beiden Briefe vom 18. Und 22. Februar, ganz besonders liebe Briefe! Es ist reizend, wie Du über mein Fortbleiben schreibst und mir Mut und Lust machst zum Weiterreisen! Das hat eine sehr grosse Wirkung auf mich ausgeübt, da ich selbst die Richtigkeit meines Entschlusses manchmal anzweifle und mein Reisen überflüssig und verschwenderisch finde. Das sind Stimmungen, die ich jetzt wirksam zu bekämpfen vermag mit Deinen Briefen; alle bisherigen Nachrichten waren voll von der Erwartung meiner alsbaldigen Rückkehr. Auch die Eltern haben mir zu meinem Geburtstag ganz reizend geschrieben. Sie haben mir eine ausserordentlich grosse Freude bereitet! Danke ihnen einstweilen in meinem Namen!

Die Hauptfreude aber sind die Bilder! Ja, ich scheine ein ganz besonderes Gesicht gemacht zu haben, als ich sie entdeckte; ich bin wenigstens schon zwei Mal daraufhin angeredet worden! Ich finde es ganz erstaunlich, wie sich in dem einen Monat unser Pärchen verändert hat! Wie sitzen die unternehmungsdurstig in ihren Stühlen! Und man sieht ihnen an, dass sie es verstehen werden, etwaige trübe Gedanken bei ihrem Mütterchen zu verscheuchen! Möchte ihnen das niemals schwer fallen! Möchten sie so fidel bleiben, wie sie auf den Bildern erscheinen! Auch was die Eltern, insbesondere die liebe Mama über sie schreiben, hat mich sehr glücklich gemacht! Auch in der Ferne giebt es doch grosse Freuden, Freuden, die gerade in ihrer Vereinzelung besonders eindrucksvoll sind! Hab Du, herzliebe Edith, habt Ihr Alle in der Coblenzerstrasse hezlichsten Dank!

Und so bin ich in dieser dankbaren und glückseligen Stimmung? Auf der Fahrt nach Sumatra! Das ist mir selbst fast unerwartet gekommen! Heute Morgen um 8 ½ kam ich von Java in Singapore nach sehr angenehmer Reise an. Mein erster Gang war nach Briefen vergeblich! Noch Alles verschlossen! Ebenso erging’s mir im Generalkonsulat. Doch gelang es mir wider Erwarten doch, bis 9 ½ Uhr Alles zu besorgen; nur konnte ich Billet und Geld für Sumatra mir nicht mehr besorgen. Trotzdem lief ich zum Hotel, bestellte mein Zimmer wieder auf, packte meinen Koffer wieder zusammen und fuhr zurück zum Dampfer „von Noord“, mit dem ich soeben angekommen war. Kurz vor seiner Abfahrt um 10 Uhr traf ich bei ihm ein. Jetzt schreib ich auf seinem menschenleeren Deck.

Dieser schnelle Entschluss bedeutet für mich eine grosse Zeitersparnis. Denn der nächste Sumatra-Dampfer fährt erst am Sonnabend und heute ist Montag.  Auch bin ich auf diesem Dampfer besonders nett aufgenommen. Der Generalvertreter dieser grössten holländischen Dampfergesellschaft, Herr Lambach in Batavia, hat mich dem Kapitän besonders empfohlen und mir durch ihn sogar ein grosses wertvolles Werk, dessen Anschaffungswert 50-100 M ist, als Geschenk überreichen lassen. Diese ungewöhnliche Gunst wurzelt in zwei langen Gesprächen über die Entwicklung von Java als Reisland und vor Allem wohl darin, dass er mir sehr gute Unterkunft versprochen, mich aber doch schliesslich wegen Überfüllung in der II.Kabine unterbringen musste. Dafür bin ich aber bei jeder Gelegenheit auf der Brücke – soeben habe ich noch unseren Dampfer aus dem Singapore Hafen herausgesteuert, unter Assistenz von zwei Lootsen – und von der Kabine mache ich nur zum  An- und Ausziehen Gebrauch. Ich habe nämlich beide Nächte auf Deck geschlafen, allerdings die erste mit einigen Hindernissen. Denn um 2 Uhr nachts gab es eine „Sumatranche“, d.i. ein Tropenwetter, wie es besonders an der Küste Sumatras vorkommt; und ich muss sagen: es hat mir imponiert. Manches Tropenschauer habe ich in den letzten Wochen staunend erlebt, aber dieses übertrief weit doch alle! Obwohl ich einen sehr geschützten Platz hatte, wurde ich doch in einer Minute völlig durchnässt und den unglaublichen Wassermassen, die plötzlich über das Schiff in allen seinen Teilen losbrachen, stand ich so komisch hilflos gegenüber, dass ich in lautes Lachen ausbrach. Das verging mir aber doch, als die Maschine des Schiffes plötzlich anhielt. Einen Augenblick dachte ich, unser Kasten könne dem Ansturm nicht standhalten; einem schwächeren Schiff wäre es auch wohl schlecht bekommen. Ich möchte diese Erfahrung nicht missen, bin auch von Deck nicht gewichen und werde auch wohl die nächste Nacht auf ihm bleiben, obwohl mir jetzt zwei Kabinen erster Klasse zur Verfügung gestellt sind. Morgen Nachmittag kommen wir in Deli-Medan an. Ich bin begierig, was dann wird. Erst an Ort und Stelle kann man ein Programm aufstellen.

Der letzte Tag in Java war noch sehr befriedigend. Es galt dem Besuch der Plantage Dramaja, die zu den mit Souveränitätsrechten ausgestatteten „partikulieren Landesijen“ gehört, 3700 Baus (a 71 ar) gross ist und mehrere Tausen Menschen umfasst. Sie ist schon fast 100 Jahre in der selben Familie und ein deutliches aristokratisches Gepräge zeichnet sie aus. Die ganze Entwicklung Javas spiegelt sich in der Geschichte dieser Pflanzung und Vieles habe ich in einer mehrstündigen Unterredung mit dem sehr liebenswürdigen Besitzer, Herrn van Hofmann, gelernt. Er ist jetzt über die neueste Phase der Entwicklung noch etwas in Aufregung, denn er hat sich ganz dem Kautschuck in die Arme geworfen. Hunderttausend Bäume besitzt er, die jetzt 4 Jahre alt und damit reif zum Zapfen sind. Dazu die Eingeborenen heranzubilden, ist allerdings eine schwierige Sache und die Frucht von viel Arbeit und Mühe kann dabei  verloren gehen. Zum ersten Mal habe ich hier Kautschuckgewinnung kennen gelernt, allerdings noch ziemlich primitiv, da die meisten bestellten Maschinen noch nicht geliefert waren.

Am Nachmittag trat ich mit der Fahrt von Buitenzorg nach Welteverden gewissermassen die Rückreise an und zum Abschied war ich am Abend noch von dem Herrn Prinzhorn und Hofelt eingeladen. Auch war ich noch mit Herrn Zimmermann zusammen und traf verschiedene Herren im Klub. Am anderen Morgen überraschte mich Herr Generalkonsul Anton liebenswürdigerweise mit einem Abschiedsbesuch und dann ging es fort nach dem wegen seiner Sümpfe verrufenen Hafen Batavia, Tandjong Priok, und zwar direkt auf den Dampfer, der alsbald in See ging.

Damit glaube ich in meiner Berichterstattung wieder den Anschluss erreicht zu haben. Etwas habe ich bereits das Gefühl, hier im Südosten meinen Anker zu lichten. Wahrscheinlich werde ich heute in 3 Wochen den Europa- Dampfer besteigen. Die Hauptzeit der Trennung ist jedenfalls vorüber und ich glaube doch, dass die Reise nicht ohne Gewinn ist. Eine grosse Welt, die ich doch bisher nur in sehr nebeligen Unwissen kannte, habe ich mir dauernd erschlossen, das Bild der Menschheit und der Erde weiter abgerundet. Wieweit das allerdings in direkte Einnahmen sich umsetzen lässt, kann ich heute noch nicht sagen. Ich hoffe aber, dass auch das der Fall und tröste mich heute damit dass Ihr Lieben alle mit meiner Vagabundage durchaus einverstanden seid. Das ist mir eine sehr angenehme Gewissheit!

Ich habe das Gefühl, als hätte ich heute daheim einen kleinen Einblick tun können und die Freude ist so gross, dass sie durch Überlegung, dass die Nachrichten schon fast einen Monat alt sind, kaum gemindert werden kann. Hoffentlich entsprechen Gegenwart und Zukunft der Vergangenheit, von der die Briefe mir so viel Erfreuliches berichten. Hoffentlich geht es insbesondere Dir, mein Liebes, gutes Frauchen, recht gut!

Übrigens wird wahrscheinlich, gegen meine Weisung, ein Brief von Dir sich nach Batavia verirrt haben. Denn die Frist vom 8 – 18 Februar erscheint mir zu lang und einen Geburtstagsglückwunsch habe ich von Dir bisher nicht erhalten. Doch empfinde  ich diese Lücke sehr wenig, da die neueren Nachrichten so sehr erfreulich lauten.

An Sering und von Raben habe ich geschrieben. Wyzorzinski habe ich bisher ohne Nachricht gelassen, da ich selbst noch immer unentschieden bin wegen meiner Sommer-Vorlesungen. Es kommt mir aber mehr und mehr vor, als sei es richtig den „Mut der Sünde“ zu haben und den einmal bewilligten Urlaub zu ostasiatischen Studien zu verwenden. Wenn wir zusammen in einen stillen Schlupfwinkel uns verkriechen könnten, täte ich das sicher.

Lebwohl  für heute, liebe Edith! Du hast mich mit Deinen Briefen und Bildern heute sehr beglückt! Hab vielen, vielen Dank und sei aufs Innigste geküsst und umarmt von Deinem Hermann.



Medan, den 24. März 1911.

                Geliebte Frau!

Ich erfahre soeben, dass heute die Post geht, und da sollst Du doch nicht ohne Gruss bleiben. Es lohnt sich ja kaum noch, denn dem Brief wird der Schreiber ja bald folgen. Ich bin wenigstens schon ganz in Rückkehrstimmung und zähle jeden Tag bis zur Abfahrt, die nur noch etwas mehr als zwei Wochen fern ist.

Diese Stimmung wird dadurch gefördert, dass ich mit dem Aufenthalt hier in Sumatra nicht ganz zufrieden bin. Gewiss ist der Besuch nicht uninteressant, zumal  da Sumatra und Java so grundverschieden von einander sind. Während die grossen Schönheiten Java’s durch die landwirschaftlichen Kulturen, insbesondere den Reisbau noch gesteigert worden sind, kann man sich keine Kultur denken und giebt es auf der ganzen Welt nirgends eine, die das Land so verödet und verwüstet, wie der Tabakbau Sumatras; denn acht bis zehn Jahre bleibt jedes Feld nach der Tabakernte brach liegen und da der Tabak nur etwa 100 Tage auf dem Felde steht, so gewinnt man beim Reisen durchs Land den Eindruck einer unendlichen eintönigen Wüstenei; mit Dank begrüsst man jeden Sumpf, der dem Anbau unmöglich macht und noch etwas vom einstigem Urwald erhält. In Java ausserdem alle Tropenkulturen, die es überhaupt giebt, und hier bisher nur Tabak, dem in allermeister Zeit der Kautschuck auch hier zur Seite tritt. Noch grösser der Unterschied in der Bevölkerung! Java viel dichter bevölkert als Deutschland, und Sumatra furchtbar menschenarm, fast ganz angewiesen auf die Einfuhr aller Arbeitskräfte. Damit hängt es auch zusammen, dass Medan sehr vieleuropäischer ist, als irgeneine Stadt Javas. Das empfinde ich als grosse Wohltat. Die ganze Mischlingswirtschaft ist hier so gut wie nicht vorhanden; jedenfalls tritt sie nicht so anspruchsvoll in den Vordergrund. Ein stolzes, freilich auch eigenmächtiges Herrenvolk herrscht hier und diese Pflanzer Kuli’s sind die Hauptsehenswürdigkeit Ost-Sumatras, ja hier in der weiten Ebene, die eigentlich nur zugänglich ist, die einzige Seheswürdigkeit. Sie haben eigentlich nirgends in der Welt Ihresgleichen und sie ordentlich kennen zu lernen, ist deshalb mein Hauptbestreben und ich kann schon heute sagen, dass es mir gelungen ist.

Der erste Tag ist mit allgemeiner Orientierung dahingegangen, wobei manche Zeitvergeudung unvermeidlich ist. Er hat mich mit mancherlei  Leuten zusammengebracht, aber wenn man ihn nicht als Vortakt betrachtet, würde sein Inhalt zu dürftig erscheinen. Reisen in dieser Gegend erfordert viel Zeit und ist oft eine strenge Schulung in Geduld.

Am nächsten Morgen bin ich in aller Frühe aufgebrochen nach Lida Tanah. Dort befindet sich eine Plantage, namens Deli Moeda. Sie war früher eine Tabak-Pflanzung im Besitz eines Deutschen Runge (Braunschweig); er hat sie an ein Belgisches Syndikat verkauft, das sie unter dem Einfluss des „Rubber Boom“ in eine Kautschuck Plantage verwandelt hat oder vielmehr zu verwandel n begonnen hat. Über 100 solche Kautschuck Plantagen sind hier in wenigen Jahren entstanden, weitüberwiegend englisch; aber auch hier haben Belgier sich einmal wieder sehr rührig betätigt; 50 – 70 Millionen Francs haben sie in Kautschuck Plantagen hier im Südosten Asiens angelegt, während wir Deutsche hier in Sumatra noch nicht zwei Millionen aufzuweisen haben und auch die Holländer hinter Engländern und Belgiern weit zurückgeblieben sind.

Den Geschäftsführer der belgischen Kautschuck Pflanzer, einen Herrn von Lidth de Imde, habe ich auf der Fahrt von Singapore hierher kennen gelernt und ich entsprach seiner Einladung. Ich wurde dort sehr nett aufgenommen, fast ununterbrochen bewirtet und habe zugleich einen Einblick in eine hiesige Kautschuck Pantage in allen Einzelheiten, sowie in das Leben und Treiben eines Pflanzers gewonnen.

Am anderen Morgen stand ich wieder um 5 Uhr auf und fuhr mit Sonnenaufgang nach Pankalau Brandun, nach der entgegengesetzten Richtung der Insel. Dort hat die Konigklike Petroleum Matschappij ihre grossen Anlagen: Raffinerie, Paraffin- und Kerzenfabrik. Sie ist auch noch im Westen von Sumatra, in Palmbong, und neuerdings vor Allem in Borneo (BaBalitpapan) vertreten und stellt neuerdings einen sehr starken Konturssuten der Standard Oil Co. Das Ganze ist eine grosse Sache, insbesondere seit der komplizierten Neuorganisation von Mot. Auch giebt es in den ganzen Tropen wohl keinen Fabrikationsbetrieb von solchem Umfang. Wenn man die Beschaffenheit der Arbeitskräfte sich vergegenwärtigt. So ist es eine bedeutende Leistung. Aber die Anlage ist doch in vieler Hinsicht technisch nicht ganz auf der Höhe und das ist wohl ein Hauptgrund, weshalb mein Wissensdurst hier nicht überall befriedigt wurde. Der Besichtigung der ausgedehnten Anlagen – übrigens in dieser Tropenhitze nicht gerade ein Vergnügen! – schloss im Besuch des Hospitals sich an, das unter der Leitung eines sehr netten deutschen Arztes steht. Zum Mittagessen war ich beim Direktor oder vielmehr „Administrateur“, Herrn Jonkheer von Reigersberg – Verslugs in seiner grossen schönen Villa eingeladen. Er gehört zu den mächtigsten Männern dieses Landes und ist eine eindrucksvolle Persönlichkeit, mehr Staatsbeamter, als Kaufmann oder Fabrikdirektor. Hier ist einer der Punkte, wo die politische und wirtschaftliche Organisation dieser holländischen Kolonien sich berühren, im Hauptzentrum der sehr erfolgreichen Bestrebungen, durch eine eigenartige Verteurung, die Produktions- Handels- und Schiffahrtsunternehmungen organisiert, eine Monopolisierung zu Gunsten des holländischen Mutterlandes herbeizuführen. Die Bewegung ist hier schon so weit vorgeschritten, dass die Aussichten für uns Deutsche hier sehr schlecht geworden sind. Wir mit den Schweizern haben Ost-Sumatra geschaffen! Heute ist es für uns eine verlorene Position! Gerade Hollands Kleinheit hat dies „Vernestung“ erleichtert. Ihre Hauptfaktoren sind die Königl. Petroleum Mg, die Königl. Paketfahrt Mg, die Deli Matschappen und die Nederlandsche Handels Mg. Immer dieselben Personen oder  nahe Verwandte und Freunde! Die Leitung des Ganzen liegt dabei nicht hier, sondern im Mutterland, im grossen Gegensatz zu den englischen Kolonien.

Soeben komme ich von meinem dritten Besuch zurück. Er galt der Tabakplantage Bindjeiy im Sultanat Lankot. Auch sie war meist deutsch, aber ihr Begründer, Herr Engelbrecht, lebt wenigstens als Millionär in Hamburg. An die deutsche Herkunft erinnert heute noch, dass der Leiter ein echter Berliner ist, namens Krause; aber er darf keine Deutsche mehr anstellen und wird langsam von der holländischen Gesellschaft, die heute Besitzerin ist, herausgeärgert; in zwei Jahren wird auch seine Tätigkeit voraussichtlich beendet sein.

Ich hatte ihn am ersten Tag hier kennen gelernt und fuhr gestern Nachmittag zu ihm heraus und habe in seinem gemütlichen deutschen Heim – seine Frau stammt aus Schöneberg – einen netten Tag verlebt. Ich habe Herrn Krause auf seiner Inspektionstour durch einen Teil seiner eine deutsche Meile langen Plantage begleitet, Alles mit sachverständigem Blick angesehen und vor Allem am Abend in langer gemütlichen Unterhaltung viel gehört und erfahren. Ich halte Herrn Krause für einen ungewöhnlich tüchtigen Mann und gebe mich der Hoffnung hin, dass sein Wunsch, seine Erfahrungen noch einmal in unseren Kolonien und zwar ins besondere in Kamerun im deutschen Interesse nutzen zu können, in Erfüllung geht. Es ist geradezu ein Jammer, dass wir bisher nichts getan haben, das was Deutsche hier auf fremden Boden so erfolgreich geleistet haben, für unsere eigenen Kolonien nutzbar zu machen. Es erscheint mir natürlich, dass ich es gar nicht nicht begreife

So habe ich hier doch Mancherlei  gesehen + gelernt. Es Alles zu Papier zu bringen, ist natürlich unmöglich. Aber das Reisen hier ist doch eine mühsame und ermüdende Sache. Ich habe kaum Einen getroffen, der es nicht satt hat. Und so beherrscht auch mich ganz die Fama, dass es bald zu Ende ist!  Mit dem folgenden Lloyd Dampfer fahre ich!  In 14 Tagen bin ich bei Dir fällig! O, wenn ich Dich erst wieder ans Herz drücken kann! In grosser Liebe

                                                Dein Hermann

 



Kuala Kubu, den 6. April 1911.

                                Liebes Frauchen!

Lange habe ich Dir nicht schreiben können. Aber in Gedanken bin ich viel bei Dir gewesen, besonders am 2. April und als ich in Singapore liebe Briefe von Dir vorfand. Der letzte datiert von meinem Geburtstag. Es sind wieder reizende Briefe, die mich recht erfreut haben und für die ich Dir herzlichst danke. Doch Eines erfüllt mich etwas mit Sorge, dass Du jetzt ganz allein in der Coblenzerstrasse haust. Ich fürchte, Du wirst die Einsamkeit doch empfinden und nachts Dich ängstigen. Wie wünschte ich, dass Jemand zu Dir zöge! Du darfst Dich nicht aufregen und Deinen Schlaf nicht beeinträchtigen! Ich habe ja eine stille Hoffnung, dass es Mama in Oberhof nicht gefällt und dass sie bald zu Dir zurückkehrt.

Jetzt erst habe ich auch die ersten Nachrichten von Conny’s Erkrankung erhalten und ich freue mich, dass sie anscheinend mit dem Scharlach so gut fertig geworden ist.

Ich schreibe Dir heute aus einem Städchen, das wohl sehr wenigen in Deutschland auch nur dem Namen nach bekannt ist. Es heisst Kuala Kubu und soeben bin ich in ihm angelangt. Ich komme nämlich aus den Bergen, wie eine Postkarte Dir schon vermeldet haben wird. Diese Berge bilden die Grenze zwischen Selangor und Pahang. Aus ihnen stammt etwa die Hälfte alles Zinns, das auf der Erde in Gebrauch ist. Zeitweise wurden 5/6 der Weltproduktion hier gewonnen, heute noch etwa 55%. Auch Gold wird hier gefunden; ja Pahang galt zeitweise als grosses Goldland, allerdings sind die darauf gesagten Hoffnungen übertrieben gewesen. Im Hauptpass dieser Bergreihe hat die Regierung ein kleines „Resthouse“ gebaut, das von freundlichen Singhalesen bewirtschaftet wird. Das war gestern das Ziel der Wanderung. Es wird Gap genannt und ist bisher erstaunlich wenig von Deutschen besucht worden.  Drei grössere deutsche Gesellschaften sind dort gewesen: Herzog von Mecklenburg, Excellenz Stuebel und Generaldirektor Heincken. Ausserdem war im Buch, in das alle Fremden sich eintragen müssen und das als vollständig betrachtet werden darf, nur noch ein Deutscher verzeichnet, namens Gustav von Plessen. Ein Reisen in dieser Gegend ist doch noch etwas sehr Ungewöhnliches. Ich war mit einem anderen Deutschen dort. Es ist ein Herr Straus,  ein Kautschuckpflanzer aus Kamerun, seit Jahren Leiter der grossen deutschen Molina-Pflanzung, die ihn hierhergesandt hat, um die Kautschuck-Kultur hier zu studieren. Ich lernte ihn in Sumatra kennen, bin dann mit ihm nach Singapore gefahren und wir machen die Reise durch die Malayischen Staaten gemeinsam. Ein netter Mann und ein gründlicher Sachverständiger, von dem ich Mancherlei gelernt habe. Ja, ich glaube, ich könnte jetzt auch einen Kautschuck-Pflanzer sehr gut abgeben, einen sogar weit über dem Durchschnitt. Doch ehe ich hier vom Asiatischen Festland weiter berichte, will ich den Faden meiner Erzählung von Sumatra wenigstens kurz noch aufnehmen.

Ich hatte, glaube ich, schon vom Besuch auf der Plantage des Herrn Krause geschrieben. Ihm schlossen sich noch zwei Besuche an. Der eine auf der Tabakpflanzung von Saint Cyr, die schon am Abhang des Gebirges liegt und schon früher pflanzt und früher erntet. Hier sah ich die Trockenscheunen voll Tabak und auch ein wenig von der Behandlung der Blätter. Es war der Vollständigkeit wegen wichtig. Am interessantesten war wohl in Anachluss daran der Besuch eines Batokerdorfes, das in Bauart der Häuser, Lebensweise und  Schmuck seiner Bewohner viel Eigenartiges aufweist.

Wertvoller war für mich ein Tag bei Dr. Schüffner. Er ist der Arzt der zweitgrössten Tabakgesellschaft, der Surunbok Matschappij und gilt als der beste Arzt hier draussen. Viele Kranke aus Singaore reisen nach Deli, um von ihm sich behandeln, insbesondere operieren zu lassen. Vor allem aber ist er Kenner der Tropenkrankheiten, wohl der beste, den wir Deutschen haben. Ihn kennen zu lernen, war mein lebhafter Wunsch. Er ist mir schliesslich auch noch erfüllt worden. Aber gerade mit Herrn Dr.Schüffner habe ich Pech gehabt. Er hatte eine ganze Familie bei sich zu Besuch und wurde durch sie – ein Direktor seiner Gesellschaft, der nach Europa zurückreiste – vollständig in Beschlag genommen. Nur ein Stündchen hatte ich ihn sprechen können. Sogleich nach Expedierung seines Besuchs holte er mich mit seienm Automobil  in sein hübsches, reizend gelegenes Heim ab. Er hatte sogar alle Vorbereitungen getroffen, mit mir noch eine mehrtägige Automobiltour ins Hochland zum gewaltigen Toba-Meer zu machen, dessen Ausdehnung daran etwas ermessen werden kann, dass in ihm eine Insel mit nicht weniger als 25.000 Einwohnern liegt. Aber meine Zeit reichte nicht mehr. Ich wollte weder meine Tour durch die Malayischen Staaten aufgeben noch meine Abreise verschieben. So schlug ich schweren Herzens aus. Immerhin hat Herr Dr. Schüffner mir Alles gezeigt, was er ins Leben gerufen hat, zu grossen Teil vorbildlich geworden ist und viel dazu beigetragen hat, die frühen furchtbar hohe Sterblichkeit unter den Kulis in Ost-Sumatra erheblich zu mindern; heute ist sie niedriger, als in den Malayischen Staaten. Viel  habe ich auch von ihm gelernt, wenn er auch selbst unwohl war und seine Frau sogar nur eine kurze Zeit sichtbar wurde; auf dem Abschiedsessen ihrer Freunde war fast die ganze Gesellschaft durch eine anscheinend verdorbene Speise, zum Teil nicht unerheblich, vergifted worden. Trotzdem war der Tag bei Schüffner der Höhepunkt meines Sumatra-Aufenthaltes. Ich hoffe, dass wir die Erfahrungen dieses trefflichen Mannes, der den Deutschen hier unendlich viel genützt hat, noch einmal für Deutschland nutzbar machen. Er gehörte an das Hamburger Tropeninstitut!

Sonst habe ich in Medan noch Mancherlei gearbeitet. Ich war im „Immigranten-Bureau“, durch das heute alle chinesischen Kulis nach Ost-Sumatra gelangen, mehr als 20 ganze Schiffsladungen jedes Jahr und habe dort sehr interessantes Material mir zusammengeschaut. Ich hab lange konferiert mit Herrn Stibbe, dem vielgeschmähten Arbeitsinspektor von Niederländisch-Indien, der gerade in Sumatra war und den ich durch einen glücklichen Zufall kenen lernte; ebenso mit Herrn Dr. Koenen, einen holländischen Arzt, der mit Dr. Schüffner aufs Engste stets zusammengearbeitet hat und der auf die Regelungen der Kuli-Einwanderung einen grossen Einfluss ausgeübt hat. Ich glaube, für meine Arbeit Alles erhalten zu haben, was überhaupt zu erhalten ist. So könnte ich eigentlich zufrieden sein. Trotzdem war ich unendlich froh, als ich vom Rumppius wieder von Sumatras Küste fortgebracht wurde. Vor Allem der Alkoholkonsum in Medan, dem man sich gar nicht entziehen kann, wenn man nicht in wunderlicher Isolierung bleiben will, hat mir wenig gefallen und ist mir auch nicht gut bekommen. Ausserdem ist Sumatra ausserordentrlich teuer. Die Pflanzer geben viel aus und sie beherrschen das Leben; die Ausgaben nehmen deshalb für jeden Reisenden eine ganz andere Höhe an, als in Java.

        In Singapore war ich drei Nächte und etwas über zwei Tage. Ich habe dort noch ziemlich viel gearbeitet und eine ganze Menge Menschen gesprochen. Am ersten Abend war ich zu einer grossen Gesellschaft beim vortrefflichen Herrn Dicken, dem zweiten Chef von Behn Meyer + Co, eingeladen; dort begrüsste mich als alter Bekannter in überaus liebenswürdiger Weise unser heutiger Gesandter in Siam, Freiherr v.d.Goltz; ich habe ihn seinerzeit in Peking kennen gelernt und erfuhr bei meinem Besuch am nächsten Tag, dass er ganz fürchterlich verbittert ist; er schimpfte wie ein Rohrspatz und hatte wohl seinerseits auf den gerade unbesetzten Botschafterposten in Peking  gerechnet. Am zweiten Abend war ich bei Herrn Salomon eingeladen, dem Senior der deutschen Kolonie in Singapore, einem grossen Wichtigtuer, aber sehr freundlichem Mann, bei dem ich meine Java-Reisegefährten Prinzhorn + Hohlt wiedertraf. Am dritten Abend hatte mich der Vertreter des Generalkonsuls, Herr Vicekonsul Sannier eingeladen, ein netter intelligenter Mann, bei dem ich einen merkwürdigen Deutschen, den ich auf der Fahrt von Deli nach Singapore kennen gelernt hatte, wieder traf, einen Herrn v.Bockum-Dolffs, von dem ich glaube, dass er es entweder ganz ungewöhnlich weit bringen oder völlig unter die Füsse kommen wird: in vieler Hinsicht ein psychologesches Rätsel. Dannier hat mit Dir getanzt.

Wie nun die Fahrt durch die Malaiischen Staaten sich gestaltet hat, die am nächsten Morgen begann, das will ich auf der „Lützow“ erzählen. In wenigen Tagen werde ich ja die Rückreise antreten, Da schlägt mein Herz! Ich freue mich unbeschreiblich aufs Wiedersehen! Hoffentlich geht’s Dir und den Kleinen recht gut! Mit herzlichen Küssen

                                                        Dein Hermann.



An Bord der „Lützow“,

den 12. April 1911.

 

                                Meine liebe, liebe Frau!

 

So sitze ich wirklich glücklich auf dem Dampfer und fahre Dir und den Kleinen wieder entgegen! Wie macht mich dieser Gedanke glücklich und wie oft habe ich diesen Augenblick herbeigesehnt, Ja, herbeigesehnt sogar nicht nur aus Heimweh. Denn das Umherreisen in diesen Gegenden unter tropischer Sonne ist doch keine eitel Freude! Wer hier wohnt, unter günstigen Einkommens-verfhältnissen, kann sich das Leben hier recht nett einrichten; das Schöne wird mit allen Mitteln ausgenutzt und in den Vordergrund gerückt und die Schattenseiten, die ja allerdings meist in allzu viel Sonne bestehen, werden wirksam gemildert; der Engländer ist in dieser Kunst unübertroffener Meister; er versteht es bewundernswert, sich den Verhältnissen anzupassen und doch überall die Gemütlichkeit seines Heims mitzubringen. Aber das sind doch im Grunde Oasen in der Wüste. Sie sind auch keineswegs das Interessante. Im Gegenteil, diese hochentwickelten Europäerquartiere sind überall ausserordentlich ähnlich. Wer etwas vom Lande sehen will, muss sie vielfach meiden, und ausserdem entsprechen die Hotels, die hier zum grossen Teil in den Händen von Armeniern – Sarkies sind hier eine ganze Hotel-Dynastie - + Chinesen sind, nur ganz ausnahmsweise in den Lebensverhältnissen, die die aussässigen Europäer sich geschaffen haben. So muss man immer von neuem sich mit Absonderlichkeiten und Unannehmlichkeiten abfinden; man kommt aus dem Akklimatisiern niemals heraus. Oft habe ich doch gedacht, wie gut, dass Du Dein Frauchen, nach dem ich so viel mich gesehnt habe, nicht bei Dir hast; es hätte leicht gehen können, wie einem Herrn Niemann, mit dem ich vorgestern zusammen war; er hat sich entschliessen müssen, seine Frau zurückzuschicken. Die Tropen, abgesehen von einigen hochgelegenen Teilen Javas, sind kein Reiseland und werden es meiner Ansicht nach auch niemals werden. Wohl  ist es reizvoll, durch sie hindurchzureisen flüchtig, wobei der mit allem Komfort und aller Reinlichkeit ausgestattete Lloyd-Dampfer dauernd der feste Rückhalt bleibt. Auch giebt es einzelne Kategorien von Menschen, die sich hier auf Reisen wohl fühlen. Das sind zu einem ziemlich grossen Teil Leute, die früher viele Jahre im heissen Klima sich aufgehalten haben und sich jetzt ungemütlich fühlen im europäischen, insbesondere norddeutschen Winter. Ihnen gesellt sich hinzu eine merkwürdige Gruppe von Einsiedlern, von Männern + auch Frauen, die den Anschluss verfehlt haben, ein inhaltsloses Leben daheim führen und dauernd kämpfen mit der Langeweile. Solche Menschen scheinen merkwürdigerweise in Deutschland jetzt besonders zahlreich zu sein, wenigstens was Männer anlangt. Der Lloyddampfer erfüllt für sie gewissermassen dieselbe Aufgabe, wie die vielen Boarding-Houses für so Viele in England. Je mehr wir wohlhabend und Rentnerland werden, umso mehr wächst die Zahl dieser internationalen Bummler.

Ob ich ohne Dich nicht auch ein solcher geworden wäre? Ob ich es nicht fast schon gewesen bin? Wenn ich solcher Reiseenthusiast früher gewesen bin, es will mir heute fast vorkommen, als hätte diese Flucht vor sich selbst auch eine Rolle dabei gespielt. Heute ist mein Lebensschifflein, das ich von allen Strömungen früher gern trüben liess, fest verankert und es muss schon etwas ganz Besonderes sein, das mich jetzt veranlassen kann, den Anker zu lichten.

Das heisst Alles wohl eigentlich nichts Anderes als dass Du mich in der kurzen Zeit meiner Ehe gewaltig verwöhnt hast. Den neuen Vergleichsmasssteb, den ich jetzt gewonnen habe, hält aber sehr wenig aus. Der Zug nach Hause überwiegt deshalb gewaltig. Seit dieser Nacht kann ich ganz mich ihm hingeben.

Aus diesen Ausführungen ersiehst Du schon, dass ich nicht mit schwärmerischem Enthusiasmus auf meine Reise zurückblicke. Ein Vergnügen war sie doch nur sehr zeitweise. Das erklärt sich schon daraus, dass das Befinden in dieser Gegend doch auch recht wechselnd ist. Bin ich auch nie krank gewesen, wie fast alle Herrn, mit denen ich gereist bin, so habe ich doch manchen Tag, insbesondere seit Java, mich nicht gut gefühlt und wenn ich nicht so viel Chinin geschluckt hätte, würde auch die Malaria mich nicht ganz unverschont gelassen haben. Gerade vor ihr kann man als Reisender oft schon sich schützen und für den, der bei Mücken aller Art so beliebt ist, wie ich, ist es oft sehr ungemütlich, wenn man von Malaria-Kranken umgeben ist und an den emporgesreckten Hinterbeinen deutlich erkennt, dass unter den Plagegeistern Anophales in grosser Anzahl vertreten sind. Es ist mir ein sehr angenehmer Gedanke, dass das jetzt vorüber ist und dass man hinfort wieder ohne Moskito-Netz schlafen kann.

Meine Reise sollte und durfte ja aber auch keine Vergnügungsreise sein, sondern war eine Studienreise; und da kommt es mehr darauf an, dass sie nützlich, als angenehm ist. Und nützlich, glaube ich, ist sie gewesen. Ich habe mir eine ganze Menge Kentnisse und Erfenntnisse verschafft, die ich daheim niemals hätte gewinnen können. Das Ziel, das ich mir gesteckt habe, glaube ich einigermassen erreicht zu haben und insofern sehe ich mit Befriedigung auf meine Reise zurück. Wenn mein Urlaub noch dauert, hoffe ich recht interessante und wertvolle Arbeiten liefern zu können. Ob es allerdings möglich sein wird, den Ertrag mit den grossen Aufwendungen völlig in Einklang zu bringen, ist mir zweifelhaft. Aber ein etwaiges Misverhältnis ist ja nicht meine Schuld. Wenn ich mir das auch sage, so bin ich doch manchmal, in Gedanken an Frau und Kinder, als Verschwender mir vorgekommen.

Mehr aber als der Vergangenheit wendet sich der Zukunft der Blick zu. Diese Rückfahrt ist doch weitaus das Schönste dieser ganzen Reise. Doch ehe ich diesen Genuss voll mich hingebe, will ich mich zwingen, noch meinen Reisebericht zu Ende zu führen.

Am Sonntag, den 2. April, dem zehnmonatlichen Geburtstag unserer Zwillinge, traf ich früh morgens mit Herrn Straus, dem Kautschuck-Pflanzer aus Kamerun, auf dem Bahnhof in Singapore zusammen. Wir nahmen uns Billet nach Perkentian Tinggi. Eine fast zehnstündige Fahrt war nötig, um dorthin zu gelangen. Sie geht, nachdem man den Sund, der die Insel Singapore vom Festland trennt, gekreuzt hat, durch das Sultanat Jahore, das formell noch selbständig ist, tatsächlich aber ganz unter englischem Einfluss steht. Die beginnende Entwicklung macht sich dadurch kenntlich, dass Meilen weit an beiden Seiten der Bahn der Urwald niedergeschlagen und die mannshohen Baumstümpfe nicht abgebrannt, aber doch angekohlt sind; zwischen diese Stümpfe und die habverbrannten abgehauenen Bäume pflanzt man den Kautschuck und überlässt dem Klima die weitere Urbarmachung; in drei Jahren ist bereits fast Alles verwittert. Jetzt bot sich ein Bild barbarischer Verwüstung, zugleich ausserodentlich einförmi g und öde; der Berliner würde sagen, „nichts als Gegend“, die nur vereinzelt durch in der Ferne auftauchende Berge etwas von dem Charakter seiner Landschaft erhält. Europäer fahren daher auch meist mit einem Küstendampfer nach Malatka und gehen erst dort auf die Eisenbahn über. Für Volkswirtschaftler ist auch eine langweilige Landschaft  nicht uninteressant. Die Fahrt zeigte mir nicht nur, wie wild und roh hier die Kultur beginnt, sondern auch wie gewaltig die Kautschuck-Kultur sich noch in den nächsten Jahren ausdehnen wird. Ich bin überzeugt, dass nicht nur so hohe Preise, wie im vorigen Jahr, sich wiederholen werden, sondern dass der Kautschuckpreis noch erheblich sinken wird, wahrscheinlich auf weniger als die Hälfte seines heutigen Standes von fast 7 s pro Pfund.

        In Perkentian Tinggi ist eine grosse Kautschuck-Plantage von einem Herrn Rowland. Von ihm war ich eingeladen und auch Herr Straus war bei ihm nachträglich noch angemeldet worden. Wir trafen das Haus jedoch leer. Herr Rowland und Frau waren in einem Sanatorium in den Bergen. Sie luden uns ein, dorthin zu ihen heraufzukommen. Da das aber einen mehr als zweistündigen Marsch erforderte und ein schweres Tropenwetter aufzog, verzichteten wir darauf und zogen als Herren in das seit Tagen abgeschlossene Wohnhaus ein, als ob wir seine neuen Herren wären. Ich habe das nachträglich sehr bedauert, denn oben im Sanatorium war ein Mr. Parr, der vielleicht als bester Sachverständiger der hiesigen Arbeiterfrage,  für die ich mich ganz besonders interessiere, bezeichnet werden kann, und eine spätere Verabredung, mit ihm auf der Eisenbahn zu reisen, scheiterte leider daran, dass er die Zeit verschlief. Auch wäre es sonst in den Bergen angenehmer gewesen, als hier auf der Plantage, wo, wie sich bald herausstellte, fast Alle an Malaria erkrankt waren und die Moskitos als greuliche Plage sich erwiesen; wir begriffen bald, weswegen unsere Gastgeber nicht anwesend waren.

        Die kurze Zeit bis Sonnenuntergang und den anderen Vormittag benutzten wir, um unter Leitung eines Assistenten, die Pflanzug genau zu besichtigen, was sehr interessant war. Gegen Mittag kam Herr Rowland, ein ungewöhnlich energischer und kluger, wenn auch nicht in jeder Hinsicht sympatischer Mann. Mit ihm machten wir alsbald eine Automobilfahrt in die Umgebung, die mit einem Besuch des Britischen Residenten in Serumban, Mr. Wilkinson, endete, der wohl als der beste Kenner der Malagen heute bezeichnet werden kann und mit dem ich eine sehr interessante, lange Unterredung hatte. Auch als Representant des englischen Kolonialverwaltungs-systems hat er mich lebhaft interessiert.

        Am anderen Morgen ging es per Eisenbahn nach Kuala Lumpur, der schönklingenden Hauptstadt der Vereinigten Malayischen Staaten, deren klangvoller Name allerdings „Mündung des Schlammes“ bedeutet. Es ist eine stolze Stadt von vielleicht 30.000 Einwohnern, aus nichts in wenigen Jahren erwachsen. Sie rühmt sich, die schönsten öffentlichen Gebäude im ganzen Osten Asiens zu besitzen, und kaum mit Unrecht. Jedenfalls ist sie ein wuderbares Beispiel englischer Kolonialtätigkeit. Ohne Chinesen wäre ja die wirtschaftliche Entwicklung unmöglich gewesen; aber diese erstaunliche selbverständige Ordnung ist doch eine Schöpfung der Engländer und zwar eine Schöpfung, die ihnen Niemand nachmacht. Ich habe hier vor Allem versucht, mir Informationsmaterialien zu verschaffen. Darum bin ich in den verschiedensten Bureaux, in verschiedenen Vereinen, bei der Haupttageszeitung (deren ganzen letzten Jahrgang ich sogar im Schweisse meines Antlitzes durchgesehen habe) etc  gewesen. Leider war der Resident verreist; ich hatte daher einige Schwierigkeiten, bis zu den eigentlichen Quellen vorzudringen. Aber schliesslich ist es mir doch gelungen; ich glaube, alles Erreichbare erhalten zu haben: einen Haufen von Drucksachen, der Dich, wie ich fürchte, weniger erfreuen wird.

        Durch eine zufällige Bekanntschaft, die ich im Hotel machte, kam ich am Abend in den grossen Klub, der sich auch rühmt – und vielleicht mit Recht – der schönste Ostasiens zu sein. Ganz so anziehend, wie der eigentliche Lokalpatriotismus es malt, ist nun diese Hauptstadt der zukünftigen grossen englischen Kolonie „British Malaga“ in Wirklichkeit zwar nicht. Wir fuhren daher auch bereits am nächsten Morgen weiter nach Kuala Kubu, vonwo ein guter Motor-Omnibus nach Pahang hineinführt, den grössten und bisher am wenigsten entwickelten der vier „Fereatur Malay States“. Wir fuhren bis zur Höhe des Grenzgebirges, wo in Gap in schöner kühler Luft ein nettes kleines „Resthouse“: sich findet, das die Regierung ursprünglich für ihre Beamten errichtet hat. Die Fahrt durch unberührten Urwald war sehr genussreich und der Aufenthalt in diesem gesunden Höhe eine wahre Erholung. Ausserdem ist dieses Gebiet insofern interessant, als in ihm die Haupthoffnungen wurzeln die sinkende Zinnproduktion der Welt zu haben.

        (Fortsetzung folgt)

 

 



Dampfer „Lützow“

Den 28. April 1911.

                        Mein liebstes Frauchen!

        Jetzt nähern wir uns in Geschwindsschritt Europa und ich kann mir noch gar nicht vorstellen, dass ich in wenigen Tagen Dich endlich wieder in meine Arme werde schliessen können. Wie habe ich mich unablässig auf diesen Augenblick gefreut und jetzt kann ich mir gar nicht denken, dass es wahr ist. Es ist zu schön als dass ich es ganz erfassen könnte!

        Wenn ich Dich doch recht wohl anträfe! Deine lieben Briefe – in Aden und Port Said habe ich ein volles halbes Dutzend erhalten! – zeigen mir doch, dass Du Dich manchmal recht schlecht gefühlt hast, schlechter augenscheinlich als vor Jahresfrist. Vor Allem tut es mir von Herzen leid, dass Kopfweh Dich wieder so arg geplagt hat. Möchte es doch gelingen, das zu verscheuchen. Hoffentlich erlaubst Du mir, Dich recht zu pflegen! Ich möchte so gern vom Versäumten ein wenig nachholen!

        Auch mir ist es auf dieser Rückreise nicht besonders gut gegangen und bedaure ich sehr, dass ich mich Dir nicht ganz so frisch und kräftig praesentieren kann, wie ich sonst während der ganzen Reise gewesen bin. Aber Viele an Bord sind nicht wohl gewesen; zeitweise war es fast wie ein Hospitalschiff.

        Ich fühlte mich ganz ähnlich, wie auf unserer Hochzeitsreise und musste mich mit Fieber zu Bett legen. Es soll Malaria gewesen sein. Jetzt aber ist Alles glücklich vorüber und ich erhole mich in der prachtvoll erfrischenden Seeluft vortrefflich. Zu Sorgen ist deshalb nicht der geringste Anlass vorhanden. Wir wollen uns vielmehr umso mehr freuen, wenn wir erst gesund wieder bei einander sind. Und so leicht werde ich Frau und Kinder nicht wieder verlassen! Was entbehrt man nicht alles, für das es irgendeinen Ersatz überhaupt nicht giebt! Aber einen bleibenden Gewinn wird die Reise mir bringen: viel bewusster werde ich das einzige Glück daheim geniessen! Ach, möchte es dauernd mir erhalten bleiben! Möchten die nächsten Wochen recht glücklich verlaufen! Möchten die Anstrengungen für Dich nicht zu viel werden, sondern eine rechte Kräftigung bei Dir sich einstellen! Dein Glück ist mein Glück! Was Liebe tun kann, Dich glücklich zu machen, ich will es tun. Denn ich liebe Dich unbeschreiblich, mein süsser, einziger Schatz! Wenn es möglich war, hat die Reise meine Liebe noch gesteigert. Auf recht frohes Wiedersehen! Ich telegrafiere die Ankunft von Basel  aus. Küsse die Kinder und sei selbst aufs Innigste umarmt von

                        Deinem Gatten.

 

 



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