Liebstes Frauchen! Mit zwei europäischen Ländchen wäre ich glücklich fertig, aber das dritte macht mir mehr zu tun, als ich erwartet hatte. Denn Nebel hatte die „Prinzess Alice“ aufgehalten, so dass sie frühestens morgen Abend fahren wird. Es ist mir das sehr unangenhem, denn ich fühle mich hier verloren + verlassen. Allerdings ist Herr Melchens hier und er hat mich soeben, während ich dieses schreibe, gebeten mit ihm zu speisen; aber wenn meine Gedanken nicht in Ostasien sind, dann weilen sie etwas heimwehkrank in Bonn bei meinem süssen, reizenden Frauchen, das ich so furchtbar lieb habe, und den beiden herzigen Kleinen, die ich ihr verdanke. Die Fahrt hierher ist nicht erfreulich. Der Schlafwagen der „Internationalen“ war ein ganz elender Rappelkasten, in den die erwachsenen Menschen in ein Schlafabteil verstaut werden sollten, was aber glücklich noch abzuwenden gelang. Die Zollrevision war ohne Schwierigkeit. Der Portier versichert mir, dass alle die Stücke hier sind. Diesseits der Alpen war alles mit hohem Schnee bedeckt, höher als ich ihn in Bonn je erlebt habe; erst kurz vor Genua wich er. Hier scheint die Sonne und blank der Himmel, aber die Luft ist leider nicht klar. Mein Besuch des Rigi war ziemlich verfehlt: oben noch alles in Winterruhe, der Ausblick durch ein Dunstwolke vernebelt, nicht das „Genova superba“, wie bei meiner ersten Rückkehr aus Ostasien, als ich auf der Kuppel von Santa Maria da Ousigmond mir sagte, das ganze Jahr ausserhalb Europas nichts Vergleichbares gesehen zu haben. Morgen werde ich, wenn es sich machen lässt, eine kleine Fahrt in die Umgegend unternehmen und, wenn dieser Brief ankommt, wahrscheinlich ... in meiner Kabine mich installieren. Leider habe ich doch Eines vergessen. Ich wollte Dir von meinen Schriften über Ostasien drei heraussuchen, deren Lektüre Dich vielleicht interessiert. Es sind das: Deutsche Schiffahrtsinteressen im Stillen Ozean, Ich meine, Du müsstest sie ohne Mühe in dem untersten Fach links meines Schreibtisches, in dem alle meine Publikationen sich befinden, auffinden können. Die übrigen sind ja speziell und kommen jedenfalls nicht jetzt in Frage. Auch mit den 3 anderen quäle dich nicht; aber gerade das erste interessiert Dich wahrscheinlich jetzt wenigstens durchzublättern. (...) Dein
Hermann |
Den 25. Januar 1911 Geliebte Frau! Bei herrlichem Wetter kommt Neapel schon in Sicht, wo wir wahrscheinlich einem prächtigen Nachmittag entgegen gehen. Allmälich installiert man sich an Bord. Meine Kabine liegt sehr gut und – was besonders wichtig ist – mein Kabinenmitinsasse, der den poetischen Namen Ziegenbein hat, scheint ein sehr netter Mensch und angenehmer Nachbar zu sein. Er ist seit zehn Jahren Kaufmann in Bangkok, kennt die Siamesischen Verhältnisse sehr genau und hat mir schon manches Interessante erzählt. Auch bei Tisch ist eine gemütliche Ecke beisammen. Ich sitze zwischen Herrn Melchens und Frau Godefroy aus Hamburg; sonst gehören noch zu unserer Tafel Herr Godefroy und die Herren Hartmann, Klotte aus Bremen, der mit Herrn Melchens reist, und Ziegenbein. An Deck ist es weniger
gemütlich. Der Dampfer ist bis auf den letzten Platz ausverkauft und eigentlich
zu voll. Ein wirklich ruhiges Plätzchen ist schwer zu finden. Ich muss es mir
jedoch schaffen. Sonst wird aus dem Arbeiten nichts. Diesem bisherigen Mangel an
Gemütlichkeit kommt inzwischen auch in der Stimmung zum Ausdruck. Sie ist doch
noch ganz vom Abschied beherrscht und meine Gedanken sind mehr in Bonn, als an
der Küste Italiens und in Ostasien. Liebes Frauchen, ich hänge furchtbar an Dir
und auch an den Kindern und meine herzlichsten Wünsche umschweben Dich stetig.
Hoffentlich geht es Euch lieben Dreien gut. Küsse mir die Kinder und grüsse die
lieben Eltern. Ich schreibe ihnen einmal später; zunächst suche ich mein
Gewissen von Briefschulden zu befreien. Dreissig Briefe und Postkarten habe ich
expediert. Ich schreibe heute in meiner
R.Oy.C. Mütze, die ausser mir nur noch das Haupt von Herrn Melchens krönt. Aber
ich habe bisher die Weste zu meinem Interimsanzug nicht finden können. Im Koffer I, in dem sie sein müsste, scheint sie zu
fehlen. In dem anderen Koffer habe ich noch nicht nachsehen können, das wird
auch erst möglich sein nach dem Verlassen von Neapel. Wenn Du sie noch gefunden
haben solltest, so schicke sie mir bitte noch nach und zwar nach Singapore,
care of Behn, Meyer + Co. Wahrscheinlich findet sie sich ja im anderen Koffer. Jetzt Schluss für heute! Die
Einfahrt in Neapel beginnt. Sie darf man nicht versäumen. In Neapel werde ich
Herrn Generalkonsul Wern, den ich aus Chicago sehr gut kenne, besuchen und
wahrscheinlich das Museum mir ansehen, in dem ich noch nicht war. (...)
Dein Hermann. |
Dampfer „Princess Alice“ Neapel, den 28. Januar 1911. Heissgeliebtes Frauchen! Ich komme soeben
an Bord, 11 Uhr abends. Du wirst meinen, dass ich viel vom schönen Neapel, das
mir bisher fast unbekannt ist, gesehen habe. Aber im Gegenteil! Ich fuhr vom
Schiff zum Generalkonsulat, erfuhr dort zu meiner Enttäuschung, dass
Generalkonsul Wern krank sei, auch nicht antelefoniert werden wollte, was mich
nicht abhielt, es unter grosser Mühen doch zu tun und zwar mit dem Erfolg, dass
ich sogleich von Frau Wern in reizender Weise eingeladen wurde, „so schnell wie
möglich“ zu ihnen heraufzukommen. Und da bin ich dann von 1-10 Uhr bei ihnen
gewesen. Mit dem Sohn bin ich einmal zu den Pronemi spori heraufgegengen, wo
man ahnen konnte, wie schön die Aussicht dort bei dunstlosem Wetter sein müsse.
Sonst haben wir die ganze Zeit gemütlich zusammen gesessen. Es war furchtbar
nett, und wir Alle waren erstaunt, wie es eigentlich komme, dass wir so als
vertraute Freunde mit einander umkehren. Denn ich bin in Chicago nur 8 Tage mit
ihnen zusammen gewesen und das war im März 1907. Aber verwandte Seelen finden
sich zu Wasser + zu Land. So bin ich auch heute wieder geschieden, wie von
vertrautesten Freunden. Und ich betrachte es, als eine der Unbegreiflichkeiten
unsere politischen Lebens, dass man diesen Mann aus seiner ausserordentlich
segensreichen Tätigkeit in den Vereinigten Staaten heraus grüssen und hier an
diesem schönen, doch vom Standpunkt unseren deutschen Interessen völlig toten
Punkt gesetzt hat. Hoffentlich tritt da noch einmal eine Korrektur ein! Ich
glaube, dass die Familie Wern eine Freundschaft fürs Leben ist! Hier diesen Nachmittag habe ich
eigentlich zuerst die Abschiedsstimmung vergessen und Dir werden hoffentlich
die Ohren geklungen, als wir mit erinnerungsreichem Asti Spumonti das Wohl von
Dir und unseren vielbewunderten Zwillingen getrunken haben. Vielleicht kommst
die erwachsene Tochter als Studentin der Medizin bald zu uns nach Bonn. Ich muss schliessen! Die solide Bremer Verwaltung lässt das Licht
ausdrehen. Schlafe recht, recht wohl, mein süsser Liebling! Mit unglaublicher
Zärtlichkeit weilen meine Gedanken bei Dir! Dein
Hermann. |
An Bord der „Prinzess Alice“ den 31. Januar 1911 Geliebte Frau! Gestern war ich nun schon eine
Woche fort; etwa 1/15 der Trennung ist damit beendet. Europa liegt hinter uns
und wir nähern uns der afrikanischen Küste. Bis jetzt haben wir noch
europäisches Klima uns mitgenommen. Die fernen Berge Kreta’s, die gestern
Nachmittag in Sicht kamen, waren hoch mit Neuschnee bedeckt und es war so kalt,
dass man auch im Überzieher und unter dickem Plaid noch frohr. Man freut sich
so fort auf die Wärme und morgen im unerquicklichen Port Said, wo wir 300 t
Kohlen einnehmen müssen, wird sie sich einstellen. Ich fürchte sie nicht, auch
nicht wegen meines Armes, der aufgegangen ist, mir auch bisweilen unangenehm
ist, aber doch das Befinden merkich nicht stört. Überhaupt fühle ich mich jetzt,
nachdem mein Befinden am ersten Tag recht schlecht war, sehr wohl; ich schlafe
gut und habe einen unheimlichen Appetit. Und in demselben Masse, in dem das
Leben wieder feste Formen annimmt, wird’s auch gemütlicher. Vor Allem der
Hauptgefahr bin ich einegermassen entgangen: zu viele Bekanntschaften. Ich habe
mich möglichst zurückgehalten und mir dadurch die Möglichkeit gesichert, mich
in Ruhe auch etwas meinen Arbeiten widmen zu können. Es gehört ja grosse
Energie dazu, das durchzusetzen; denn das wird als etwas Ungeselliges und
Ungehöriges betrachtet; aber mir ist es doch gelungen, diese
Stachelschweinnatur durchzusetzen. Am schwierigsten war das gegnüber den Herren
Melchens und Hartmann und eine kleine Enttäuschung scheint auch nicht
ausgeblieben zu sein. Doch ist es sehr nett, wie sich beide Herren ins
Unvermeidliche finden, und insbesondere Herr Melchens, obwohl er „matter of
fact“ Mann ist, mit dem ich merkwürdig schwer in Unterhaltung komme, ist immer
von fast rührender Güte; er ist ganz anders, als man ihn sich in weiten
Kreisen, auch in Bremen, vorstellt, viel schlichter, einfacher, gutherziger. Er
gefällt mir als Mensch sehr, wenn wir Beide auch nicht so sehr viel mit
einander anzufangen wissen. Vor allem von der ziemlich
grossen adeligen Gesellschaft habe ich mich bisher fern gehalten; nur dem
Fürsten Putbus habe ich nicht ganz entgehen können. Mehr halte ich mich an
„Ostasiaten und insbesondere an Konsul Müller, der über 30 Jahre in Bangkok
war, Kammerherr des Königs von Siam ist und nur zur Verbannung? Des Anklangkorn(?)
die Reise machte, ist ein wertvolle Bekanntschaft für mich geworden. Auch mit
einem Herrn Tippelskirch, der als Vizekonsul nach Schanghai reiste, unterhalte
ich mich sehr gut. So lässt es sich schon
aushalten! Und doch fühle ich mich sehr unglücklich. Ich bin stärker
heimwehkrank gewesen, als ich es ja erwartet habe. Du hast mir doch stets und
überall, liebe Edith, furchtbar gefehlt. Ich hänge doch mit meinem ganzen Sein an
Dir und es wird mir furchtbar schwer, ohne Dich zu leben; jedenfalls im
Faulenzerleben ohne Dich ist mir gerade zu unmöglich. Die Arbeit erweist sich
allein als lindernde Medizin. Auch ist es schon viel besser. Hoffentlich hast Du nicht auch
unter der Trennung stark zu leiden gehabt! Die Kinderchen werden Dich getröstet
haben! Freilich fehlen sie mir sehr wenig und immer bist nun Du das Ziel meiner
sehnsuchtsvollen Gedanken! Wenn es Dir doch gut ginge! Wie hoff ich morgen
einen Gruss von Dir zu erhalten, den letzten vor langer Pause! Du wirst schon
übergesiedelt sein in die Coblenzerstrasse und Dich dort bei den lieben Eltern,
die Du aufs herzlichste von mir grüssen musst, hoffentlich recht, recht wohl fühlen! Geniesse noch einmal die Zeit im
trauten Elternheim! Grüsse und Küsse mir auch unser liebes Pärchen, dessen
siebenmonatlichen Geburtstag ich übermorgen mit sehr vielen guten Wünschen feiern
werde. Möchte doch das neue Käthchen den Erwartungen voll entsprechen! Allmählich söhne ich mich auch
mit der Kofferwirtschaft etwas aus. Das hast Du mir ja sehr erleichtert. Es ist
reizend, wie schön ordentlich und wie niedlich Du Alles für mich verpackt hast.
Herzlichen Dank noch nachträglich. Endlich noch eine Bitte! Sammle
bitte die „Woche“ für mich. Gieb sie im Lesezirkel auf und abonniere auf sie
statt dessen bei Röhrscheid. Auch bitte Rudolf, dass er die Berichte der
Frankfurter Zeitung über die Kronprinzenreise für mich aufbewahrt; auch solche
Artikel, wie die jetzt erscheinenden über den Kursstand unserer Anleihen
interessieren mich sehr. In herzlicher Liebe umarmt Dich Dein
Hermann. |
Dampfer „Prizess Alice“ Den 1. Februar 1911 Liebste Edith! Soeben erfahre
ich, dass ich Dir noch über Suez einen Gruss zuschicken kann. So kann ich Dir
doch noch kurz danken für Deinen lieben Brief, mit dem Du mich in Port Said so
sehr erfreut hast. Es war doch der schönste Augenblick der bisherigen Reise,
als ich in einem Haufen von Briefen Deine liebe Handschrift entdeckte! Hoffentlich ist Hermi mit der
Erkältung schnell fertig geworden und bekommt dieÄnderung von Wohnung und
Wärterin den beiden lieben Kleinen gut! Ich möchte doch einmal ganz zu Euch herübergucken können und freue
mich sehr, Eure Zimmer noch gesehen zu haben. Wir fahren noch immer durch den
Kanal. Rechts und links nichts als Wüstensand, der unter dem goldenen Licht des
Scheinwerfers, mit dem wir unsere Nachtfahrt uns ermöglichen, gespenstisch
weiss wie Schnee, leuchtet. Und es ist so kalt, dass das garnicht so
unwahrscheinlich erscheint, habe ich es doch ohne meinen Überzieher nicht
aushalten können. Seit Jahren soll es nicht so kalt in Ägypten gewesen sein. Soeben war gewaltiges Halloh,
man könnte fast sagen: ein Freudengeheul. Denn wir hatten festgelegt und es
passierte uns ein anderer Ostasiendampfer des Norddeutschen Lloyd, die Goeben.
Es war ein imponierendes Schauspiel, das hellbeleuchtete grosse Schiff so nah
an uns vorüberfahren zu sehen. Überhaupt hat mich die Grossartigkeit des ganzen
Werkes doch gewaltig gepackt; es ist eine der kühnsten Taten des
Menschengeschlechts, die (Lesseps) hier vollbracht hat und die ganze Grösse des
Werkes kann man eigentlich nur ermessen, wenn man sich vergegenwärtigt, was für
eine Hitze hier sonst herrscht. Leider hat sich mein
Bekanntenkreis derart stark erweitert; auch in dem hohen Adel greift er hinein:
Fürst Patbus + Frau Graf Schulenburg, Kommerzjunker v. Puttkammer. Mein Harg
ist schwer, dass meine Ruhe hier sein könnte. Heute bin ich wenigstens zum
Arbeiten überhaupt nicht gekommen. Aber ich kann doch sagen, dass ich mit dem
Malaischen Staaten + Siam mich so vertraut gemacht habe, dass ich ziemlich
klare Bilder mir machen kann. Aber das ist nur ein ganz kleiner Teil des
übergewaltigen Ganzen von Ostasien. Mitunter werde ich ganz kleinmütig + ängstlich,
wenn ich bedenke, was ich Alles wissen müsste! Noch eine kleine Bitte! Schreibe
bitte Frau Generalkonsul Wern, Neapel, Via Tasso 246 (wenn Du es feststellen
kannst), wieviel der monatliche Aufenthalt in Bonn wohl für eine Studentin der
Medizin annährend kostet, Die Tochter wird wahrscheinlich Medizin studieren.
Füge bitte eine kleine freundliche Wendung, dass sie Dir in unserem Hause sehr
willkommen sein würde, hinzu. Liebste,
lebwohl für heute und eine Reihe von Tagen. Es küsst Dich in unendlicher Liebe Dein
Hermann. |
An Bord der „Prizess Alice“ Den 4. Februar 1911 Geliebte Frau! Dein
Telegramm, das mich in Suez richtig erreicht hat, hat mich natürlich zunächst
in grosse Aufregung versetzt und auch Du wirst in nicht geringer Aufregung
sein. Es wäre ja wirklich bedauerlich, wenn der Kronprinz gar nicht zu dem
ernsteren Teil seiner Reise käme. Ich würde das für ihn und für das Deutsche
Reich lebhaft bedauern, umso mehr, als ich mir seinen so radikalen Entschluss,
von Kalkutta zurückzureisen, nur
erklären kann, wenn die zweimonatliche Festreise durch Indien ihm nicht gut
bekommen ist. Auch für mich wäre diese Wendung
ja äusserst ärgerlich! Die Reise mit der störenden Unterbrechung meines
Berufslebens und der kostspieligen Vorbereitungen wäre ganz zwecklos! Ich käme
in eine unangenehme und schiefe Lage. Du kannst Dir denken, dass ich anfänglich
innerlich gehörig geschimpft habe. Aber bald habe ich mich doch beruhigt. Einmal hat jede Bemühung mit den
Hofkreisen merkwürdige Überraschungen mit sich gebracht. Darauf war ich auch
dieses Mal gefasst und das mildert die Enttäuschung. Dann sage ich mir aber auch,
dass vielleicht das letzte Wort in der Sache doch noch nicht gesprochen ist.
Allerdings ist’s ja sicher dass Ihr in Bonn einen definitiven Entschluss
annehmen müsst und es ist ja sehr wohl möglich, dass der Kaiser ein Machtwort
gesprochen hat. Aber richtiger wäre es schon, man liesse auch dem Kronprinzen
die Möglichkeit, seinen Willen geltend zu machen. Dann könnte die Nachricht aus
Indien stammen und damit gewönne sie ein ganz anderes Gesicht. Dass eine
Veränderung des Reiseplanes erwogen wird, kann ja nicht bezweifelt werden. Von
diesen Erwägungen können die Berichterstatter etwas erfahren haben und, um sich
nicht zuvorkommen zu lassen, haben sie – der eine oder andere – in einer
bestimmten Form telegraphiert, die durch die Verhältnisse nicht gerechtfertigt
ist. Auch werden so weittragende Entschliessungen niemals mit einem Mal und
stets durch das Zusammenwirken Vieler getroffen; wenn der gewöhnliche
Sterbliche meint, dass Alles fertig ist, dann handelt es sich oft erst um die
Anfangsstadien der „Erwägung“. So komme ich zu dem Ergebnis, dass ich noch
nicht mit einer Tatsache rechnen dard und wahrscheinlich wird dieser Zustand
der Ungewissheit von einiger Dauer sein. Denn in Aden bekommen wir zwar einige
Reuter-Telegramme, aber dass ich selbst eine offizielle Mitteilung erhalte,
erscheint mir wenig wahrscheinlich. Soll die Rückreise angetreten werden, so
gibt es in der Umgebung des Kronprinzen eine solche Aufregung und so viel zu
tun, dass man sicher nicht daran denkt, mir nach Aden eine Nachricht zukommen
zu lassen. Von dort kann ich auch selbst nicht telegraphieren, da wir nur
wenige Stunden in dunkler Nacht dort sein werden. So werde ich mich bis Colombo
gedulden müssen, wenn nicht Geheimrat Zimmermann telegraphiert; Andere werden sich die Finger nicht
verbrennen wollen. Bis Colombo muss ich aber auch
unter allen Umständen mitfahren; denn im elenden Aden zu bleiben, ist ganz
unmöglich. Ich bin aber entschlossen, auch weiter zu fahren. Auch hier heisst
es: to make the best of it. Und so
beabsichtige ich, wenn der Kronprinz von Kalkutta zurückkehrt, ruhig bis
Singapore zu fahren, mir die wirtschaftliche Entwicklung auf der Halbinsel von
Malakka, die mich schon lange sehr interessiert, etwas genauer anzusehen, als
es sonst möglich wäre. Allerdings werde ich dann wahrscheinlich Singapore zum
Ausgangspunkt nehmen und zwar habe ich die stille Hoffnung, dass mir Behn,
Meyer + Co. durch ihr Automobil ein etwas ergiebigeres Reisen noch ermöglichen
werden. Jedenfalls ist dieser Aufenthalt ganz ohne Gefahren. Die von mir
beabsichtigte Reise ist ungefährlich ein Gegenstück zu der Erholungsreise, die
die Herren Hartmann + Melchers oder der alte Fürst Putbass nebst Gattin durch
Ceylon machen; der Unterschied ist nur: das von mir bereiste Gebiet ist noch
nicht in Mode und mein Reisezweck ist ein anderer. Sorgen brauchst Du Dir
meinetwegen nicht zu machen, wenn ich dort in diesem schönen, gesunden,
interessanten Lande mich etwas umsehe. Von Singapore werde ich dann
weiter wohl die zweitägige Fahrt nach dem gepriesenen Java machen. Das wird
ebenso Vergnügen wie Belehrung zum Zweck haben. An der nicht so sehr gesunden
Küste würde ich natürlich mich nicht aufhalten, sondern sogleich ins
höhergelegene Innere reisen, das ja auch schon ein international berühmtes
Gebiet für Erholungs und Vergnügungsreisen geworden ist. Auch das eine
Ferienzeit, die wohl Anlass zu Neid, aber nicht zu Sorgen bieten könnte. Ich
verspreche Dir, mich Gefahren nicht auszusetzen. So gedenke ich, etwa 5
Wochen in angenehmster Weise mich
herumzutreiben, ehe ich von Singapore mit dem Lloyddampfer die Rückreise wieder
antrete. Das ist natürlich ein nicht ganz billiges Vergnügen. Aber so nutzt man
doch die bisherigen Aufwendungen einigermassen für sich aus und ich glaube,
dass ich mit Leichtigkeit durch ein paar Artikel die am Lande entstehenden
Kosten wieder aufbringe. Und auch im
Übrigen glaube ich doch auf meine Kosten zu kommen und zwar denke ich an vollen
Ersatz der Reisekosten und einen Ersatz der Hälfte der Ausrüstungskosten. Nach
meinem Vertrage hat auch Herr v. Holem dafür aufzukommen, da der
Hinderungsgrund ja nicht durch mein Verschulden entstanden ist; aber ich rechne
in diesem Fall doch auch auf den Kronprinzen, für den die Vergütung der Reise
doch auch eine grosse Verbilligung bedeutet. Was endlich die Post anlangt, so
wird sie mich in dem Fall, dass aus der Reise mit dem Kronprinzen nichts wird,
am am besten erreichen unter der Adresse: Behn, Meyer + Co., Singapore. So viel über das mehr
Geschäftliche meiner Reise. Es ist dieses Mal doch das Weitwichtigste. Aber das
Persönliche habe ich dabei nicht vergessen.
Mit den herzlichsten Wünschen sind heute am Tage unseres anderthaljährigen
Ehejubiläums meine Gedanken bei Dir! Liebstes Frauchen, wie gern wüsste ich,
wie es Dir geht! Hoffentlich hast Du Dich etwas erholt und brauchst unter
Übelkeit und Schmerzen nicht viel zu leiden! Lass Dich vom Mütterchen recht,
recht pflegen! Bedenke immer, dass Du dadurch ihr und mir die grösste Freude
bereiten kannst. Vergiss nicht Stärkungsmittel regelmässig zu nehmen und schone
und amusiere Dich aufs Beste! Mit vielen Wünschen habe ich
vorgestern auch unserer Kleinen gedacht. Hoffentlich ist Hermis Erkältung nicht
schlimmer geworden und nehmen Beide weiter gut zu! Lange muss ich mich ja noch
wegen Nachrichten gedulden; aber auch für Dich beginnt jetzt eine lange Pause,
sind wir doch fast acht Tage bis Colombo unterwegs. Doch weisst Du ja, dass ich
aufs Beste aufgehoben bin. Ich habe noch nie solchen Appetit gehabt und es
bekommt mir Vorzüglich. Auch der Arm hat seine Schuldigkeit getan und ist im
Austrocknen. Natürlich ist’s inzwischen heiss geworden und ganz weiss im
Tropenanzug schreibe ich Dir dies. Aber wir haben immer noch erfrischenden
Luftzug und in den Morgenstunden – ich stehe um 6 Uhr auf und stecke schon 6 ½
Uhr in meine köstliche Badewanne mit Seewasser – ist es auf Deck ganz
wundervoll. Man kann es nicht leicht besser haben, als ich es habe! Auch bin
ich nicht mehr so heimwehkrank, wie in der ersten Woche. Die Fürstin Putbuss
sagte mir eben, ich hätte mich schon ausserordentlich erholt und ich wüsste wirklich
kaum, was man Besseres zur Ausspannung und Erholung tun könnte. Ich wollte, Du
könntest nur diese Freuden mit mir teilen, und mein grösster Wunsch ist, noch
einmal mit Dir zum dritten Mal diese Reise machen zu können. Eine innere Stimme
sagt mir mit grosser Bestimmtheit, dass es einst dazu kommen wird. Das wäre
herrlich! Herrn Klapp habe ich es ja zu
danken, dass ich diesen Zeilen auch eine kleine Beilage hinzufügen kann. Das
Bildchen ist am Fusse des
Lessops-Denkmals aufgenommen worden und giebt besonders gut im
Vordergrund Herrn Melchens und durchaus charakteristisch den wunderlich
dreinschauenden bartlosen Herrn Hartmann sowie Herrn Dr. Nolte, vielleicht
heute der erster Rechtsanwalt in Hamburg, wieder. Der vierte im Marineanzug
soll am wenigsten gelungen sein. Wenn es nicht zur Reise mit dem
Kronprinzen kommt, schicke diesen Brief bitte an Fritz! Und nun schicke ich Dir einen
besonders herzlichen Abschiedsgruss, der dieses Mal für 14 Tage vorhalten muss.
Küsse mir auch unser süsses Pärchen und grüsse
vielmals die Eltern und Geschwister. Es umarmt Dich in innigster Liebe Dein
Hermann |
An Bord der „Prinzess Alice“, den 10. Februar 1911 Herzliebes
Frauchen! Durch das Adener Telegramm von
Riderlen-Wächten, das durch ein englisches Reuter Telegramm, das berichtet, bei
allen beteiligten Regierungen sei der Besuch des Kronprinzen bereits abgesagt,
bestätigt wurde, ist es also gewiss geworden, dass ich mich zwecklos auf einer
Reise befinde. Dass das doch eine recht grosse Enttäuschung für mich ist, wirst
Du begreifen. Ich hatte geglaubt, mich mit der Sache schon abgefunden zu haben,
aber das ist doch nur etwas unvollkommen der Fall gewesen. Ich fühle mich
ein wenig wie ein steuerloses Schiff auf weitem Ozean und nicht nur für den
Augenblick sind die Ziele mir abhanden gekommen, sondern meine Lebensziele muss
ich geradezu einer gewissen Revision unterziehen. Denn die Änderung greift ja
weit über die unmittelbare Reise hinaus und ich komme mir ein wenig blamiert
vor. Du weisst, dass solche innere Umkrämpelungen mir nicht ganz leicht sind
und ihre Zeit erfordern. Auch dieses Mal hat es ein paar Tage gebraucht; und anfangs
war nicht nur die Freude am Studium ostasiatischer Probleme, sondern auch jede
Reiselust geschwunden und Heimweh gewann wieder ganze Gewalt über mich. Ich
wollte daher anfangs als bald in Colombo kehrt machen. Aber jetzt, wo ich mit
der geistigen Verdauung fertig bin, sage ich mir doch, dass es töricht und
unmännlich wäre, wenn ich auf ein Mal das Gewehr in den Graben werfen wollte.
An dem Dir von Aden mitgeteilten Programm will ich festhalten, also die
Malaiischen Staaten und Java besuchen, und ich gebe mich der Hoffnung hin, dass
auch im ehemännlichen Gemüt die alte Abenteuerlust und das Forschungsstreben
wieder aufleben werden, wenn ich erst an Ort und Stelle bin. Sind’s doch nur
wenige Wochen und an ihrem Ende winkt die wunderschöne Freude des
Wiedersehens. Liebes Frauchen, es wird
allerdings unendlich schwer, jetzt aus freiem Entschluss auf Dich und unsere
lieben beiden Kleinen zu verzichten. Es macht mir wenig Freude, mit anderen
Menschen zusammen zu sein und hat es mir schon nie gelegen, an grossen
Vergnügungsveranstaltungen mit freiem Herzen teilzunehmen, so jetzt
besonders. Die grossen Aufgaben, die in
der Zukunft lagen, betäubten in weigehendem Masse diese Empfindungen. Jetzt
sind sie ohne Gegengewicht und immer umkreisen meine Gedanken das eigene Heim.
Es hat aber auch sein Gutes! Was mir früher das Schönste auf Erden erschien,
ist heute weit übertroffen. Diese Umwertung der Werte hätte mir durch nichts so
wirksam vor die Seele geführt werden können, wie es heute der Fall ist. Und ich
glaube, das trägt dazu bei, die Zufriedenheit zu steigern. Das Glück im eigenen
Reisen und das danke ich Dir ja im schönsten und reichstem Masse, mindert das
Streben, dem Glücke ausserhalb des eigenen engsten Kreises nachzujagen. Ich
werde mir dieses Glück, das ich habe, nicht so leicht wieder entreissen lassen. Doch wollen wir auch beide
versuchen, auf die unerwartete Wendung unseren Satz anzuwenden: to make the best of it. Den bewilligten Urlaub
will ich nicht wieder aufgeben, obwohl ich
jedenfalls zu Beginn des Semesters zurück sein werde. So hoffe ich, dass wir
noch an einem stillen Ort schöne Sommerwochen mit einander werden verleben
können. Auch will ich die Winter-Vorlesung „Ostasiatische Wirtschaftsprobleme“
nicht wieder fallen lassen. Alle die ostasiatischen Werke, die ich mir
angeschafft habe, dürfen doch nicht ganz umsonst bleiben. Also das wäre doch
ein Nutzen fürs Leben, den diese Reise mir brächte: die verlorenen Fäden aus
einer wichtigen Lebensperiode würde ich wieder aufnehmen. So darfst Du nicht wähnen, dass
ich ununterbrochen Trübsal blase, Zumal wenn diese nachrichtenlose Zeit erst
vorüber ist, wird Freudigkeit wieder voll einziehen in meine Seele. Also sorge
Dich nicht meinetwegen. Bisweilen fürchte ich, dass Du Dich über die
eingetretene Wendung mehr aufregst, als ich. Hoffentlich ist das nicht der Fall
und schadest Du Dir nicht durch Sorgen und Aufregungen. Auch freue ich mich,
wenn man nicht mehr beständig auf diese Kronprinzenreise angeredet wird.
Überhaupt finde ich es ja angenehmer, ohne Zugehörigkeit zu einem ganz
bestimmten Kreis zu reisen. Man kann dann die Reise ganz anders nach eigenem
Wunsch gestalten und für sich ausbeuten. Ach, wenn wir doch einmal
zusammen eine solche Reise machen könnten! Ich sehe hier immer mit
unbeschreiblichen Neid ein paar sehr nette junge Ehepaare an. Wie geniessen sie
die Reise! Wir sind nun vom Wetter in ganz
ungewöhnlicher Weise begünstigt. Nur eizelne Virtuosen auf diesem Gebiet sind
seekrank geworden; nach meinem Geschmack könnte die See ein wenig bewegter
sein. Wichtiger sind Wind und Wetter. Wir haben bisher ununterbrochen eine
köstliche Brise gehabtl Sie macht auch grösste Hitze erträglich; ja, sie sorgt
so für Kühlung, dass nur ganz wenige Tropenanzüge bisher auf der Bildfläche
erschienen sind. Auch ich habe erst einen angehabt und auch erst im
„Dinnerjacket“ in Benutzung genommen, wie ja viele meiner kostbaren Schätze
jetzt gar nicht zur Geltung kommen. In Colombo landen alle meine
Tischgenossen: die Herren Melchens, Hartmann + Klotte, sowie Herr und Frau
Godefroy. Eine nette Gesellschaft, wenn auch unsere Interessen sich wenig
berühren. Herr Hartmann hat uns Beide auf seine wunderschöne Besitzung bei
London eingeladen und hätte ich sehr grosse Lust, dieser Einladung einmal zu
entsprechen. Ob wir in Colombo Genaueres über
die Kronprinzenreise erfahren? Die Änderung greift ein in das Leben Vieler,
auch an Bord. Es müssen sehr gewichtige Gründe sein, die zu ihr geführt haben. Für heute lebewohl, geliebte,
süsse Frau! Küsse unsere Kinder, grüsse die Eltern und Geschwister und sei aufs
Innigste umarmt von Deinem Hermann. Meine Adresse
bleibet: Behn, Meyer + Co Singapore. Telegramm
Adresse: Schumacher Nordloyd Singapore
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An Bord der „Prinzess Alice“, den 15.II.1911. Geliebte Frau! Gestern war ich nun schon drei
Wochen fort von Dir und da haben unsere Gedanken sich besonders häufig
begegnet. Heute ist schon die Küste Sumatras in Sicht gekommen; morgen sind wir
in Penang und Samstag früh werde ich am Ziel meiner Fahrt, in Singapore,
anlegen; dann ist die schlimme, die nachrichtslose Zeit so ziemlich vorüber und
die freudige Erwartung von Briefen wird noch gewaltig wachsen. Allerdings wird
auch dann noch Geduld nötig sein, weil einmal die Nachrichten alt sind und ich
andernseits nicht immer sogleich zu erreichen bin. Wird die Ungeduld zu gross,
so werde ich doch wohl noch telegraphieren. Seit Colombo hat unsere Reise
einen ganz anderen Charakter bekommen. Dort haben wir eine Ladung von je 4 Fürsten
und Grafen, einer entsprechenden Anzahl von Baronen und zahlreichen
bürgerlichen Globetrotter ausgeschifft und das bedeutet eine ausserodentliche
Verbesserung. Es ist viel menschlicher, ruhiger und gemütlicher geworden. Ganz
besonders auch für mich durch die Sprengung des Melchensschen Kreises, der doch
viel konventionelles in mein Leben
hineingezwungen hat; ich habe dort doch zu selten ein Gespräch führen können,
das meinen Interessen entspricht; es war doch hier im kleinen Kreis, wie in der
ganzen Schiffsgesellschaft mehr ein Ausklingen europäischen
Gesellschaftslebens, als ein ostasiatischer Anfang. Jetzt dominiert der ernsthafte
Reisende; der Sport Anteil ist vorüber; von Aristokratie ist nichts mehr übrig;
ich Proletarier sitze sogar auf dem Ehrenplatz neben dem Kapitän, neben einer
stark agressiven österreichischen Schriftstellerin, Frl. Schalck, die für die
„Neue Frei e Presse“ die Reise unternimmt und, ausser indischen Reiseskizzen,
eine Reihe Romane bereits auf dem Gewissen hat und gegenüber einen unendlich
sprachgewandten italienischem Major, der als Militär-Attache für Japan und
China nach Tokio geht und der rechte Mann für diese schwierige und wichtige
Aufgabe zu sein scheint. Freilich is es auch sonstwie
vielfach anders geworden. Sogleich nach Ceylon fing es an ganz stattlich zu
schaukeln. Nicht nur eine Menge Damen, sondern auch manche Herren wurden
seekrank; Weite Lücken klafften beim Essen durch, wenn ich auch niemals
gefabelt habe, so muss ich doch gestehen, dass ich mich den ersten Tag recht
ungemütlich gefühlt habe. Vor Allem aber: es ist gehörig warm geworden. In
Colombo begriff ich nicht recht, dass man allgemein über Hitze so klagte; drei
Tage vor unserer Ankunft soll sogar der heisseste Tag gewesen sein, den der
Thermometer dort seit 16 Jahren verzeichnet hat. Aber unser Dampfer hat von
dieser Hitze ein gehöriges Quantum mitgenommen. Das ganze Schiff steckt voll
davon und sie kann augenscheinlich nicht mehr heraus. Denn auch auf Deck haben
wir heute den ganzen Tag im Schatten 30o Celsius gehabt und dabei
fast ununterbrochen Gewitterschwüle. Es ist ja nicht immer angenehm, aber ich
sehe doch wieder, dass ich die Hitze sehr gut vertragen kann, besser, als fast
alle Mitreisenden. Nur in der Kabine ist’s scheusslich und man entschliesst sich
nicht leicht, sich zur Nachtruhe in sie zurückzuziehen. Trotzdem ist mein Schlaf
nicht schlecht, und was des nachts versäumt wird, wird im Laufe des Tages
nachgeholt. In der letzten Nacht hörte ich Dich zum zweiten Mal mit lauter
erkenntlicher Stimme so deutlich meinen Namen rufen, dass ich aufsprang und
einige Minuten nötig hatte, mir meine schwimmende Einsamkeit zu
vergegenwärtigen. Es muss bei Euch ungefähr die Zeit des Zubettgehens gewesen
sein und werden Deine Gedanken wohl zu mir herübergeflogen sein, hoffentlich
ohne Bekümmernis und Sorge. Sonst habe ich leider nie von meinen Lieben daheim
geträumt. Aber am Tage bin ich mit den herzlichsten Wünschen sehr viel bei Dir
und von Zeit zu Zeit ergreift mich eine Sehnsucht, als wollte das Herz mir
springen. Liebes Edithlein, ich bin doch in der Ehe ein ganz anderer Mensch
geworden. Von der alten Abenteurerlust, die früher auf Reisen mich besuchte,
ist höllisch wenig übrig geblieben. Ich habe weit höheres Verlangen! So lange
Reisen sind doch eigentlich nur für Junggesellen und unglückliche Eheleute!
Vielleicht hat auch das der Kronprinz empfunden. Das wäre noch die
erfreulichste Erklärung, obwohl gerade in seiner Stellung Pflichten vorkommen,
die alles persönliche Empfinden zurückdrängen sollten. Seit Colombo wird viel mehr von
der Kronprinzreise gesprochen, als das früher hier der Fall war. Nach den in
Ceylon eingetroffenen Nachrichten scheint er das Reisen nicht zu vertragen;
acht Tage hat er das Zimmer hüten müssen; sogar der Besuch des schönen Dardjilings,
das allgemein als Erholungsort gilt, ist aufgegeben worden. Das ist ja schon
bedenklich, aber trauriger ist es, dass
in Colombo allgemein erzählt wird, er habe für nichts Interesse gezeigt. Das
begreife ich gar nicht und scheint mir mit seinem Wesen gar nicht in Einklang
zu stehen. Ich möchte fast annehmen, dass die schreckliche Art des ganzen
Reise-Arrangements schuld daran ist. Der eigenartige Reiz dieser merkwürdigen
Welt offenbart sich nur dem, der Ruhe hat zu stillem Sinnen. Jetzt gewinnt man
leider, leider den Eindruck, dass die ganze Reise des Kronprinzen persönlich
und dem deutschen Namen mehr geschadet, als genützt hat. Die Deutschen sind
tief enttäuscht – viel mehr, als man daheim wahrscheinlich ahnen wird – und
fürchten, dass auch sie den betreffenden Regierungen wegen der weit
vorgeschrittenen Vorbereitungen Enttäuschungen nicht ausbleiben können, die für
sie im Laufe der Zeit sich fühlbar machen müssen. Und die Engländer, wenn sie
auch natürlich als Gentlemen grösste Höflichkeit gegenüber ihrem Gast
beobachten, möchten doch – das zeigen die Gespräche mit ihnen immer wieder –
diese Reise zu einem Beweis stempeln,
dass der Deutsche zu einer Betätigung in
anderen Klimaten nicht geeignet oder doch sehr viel weniger geeignet, als der
Engländer, ist. Ich fürchte, solcher Eindruck wird bleiben, wenn man auch
sicherlich auf Stimmungen und Redereien hin im Osten nicht allzu viel geben
darf. Aber sicherlich werden auf den Kronprinzen Einflüsse sich geltend machen,
doch noch die Reise fortzusetzen und mit der Nachricht, dass sein Unwohlsein
ganz überwunden sei, ist auch alsbald die verbreitet worden, dass das gesehen wurde. Ich glaube es nicht, hat man
doch augenscheinlich von Berlin uns mit seiner Eile, die hier umständlich ist,
alle Brücken hinter sich abgebrochen. Ich nehme daher nur mit einer kurzen
privaten Reise, deren Plan ich in Singapore nach sorgfältiger Erkundigung
aufstellen will. Ich werde nur Gebiete aufsuchen, die gesundheitlich
unbedenklich sind und mich in ihnen nur mit Eisenbahnen und anschliessenden
Automobilverbindungen fortbewegen. In etwa acht Tagen denke ich mit den
Malaiischen Staaten (Perak, Selangor, Negri Sumbilan + Panang) fertig zu
werden. In 14 Tagen werde ich dann wahrscheinlich zu einer zweiwöchentlichen
Spritztour nach Java aufbrechen, das mich bisher noch nicht sehr lockt, aber
von allen Passagieren, die es kennen, in den höchsten Tönen gepriesen wird. Das
wird eine reine Erholungsreise sein, zumal da ich vor Allem in den höher
gelegenen Gebieten der Insel reisen werde. Die Adresse bleibt einsweilen: Behn,
Meyer + Co, Singapore. Genaueres kann ich erst vom Lande berichten. Eventuell
telegraphiere ich meine Adresse, was zugleich bedeuten wird, dass ich am Aufgabeort in bester Gesundheit mich befinde. Ach, wüsste ich das doch auch
von Dir und unseren Kleinen! Während ich hier zwecklos umhergondele, mich
erhole und mäste und so viel wie möglich amusiere, schaffst Du still am Glück
unseres Hauses. Ich kann nur still den Schutz und Segen des Himmels für Dich
erflehen und in Gedanken Dich küssen voll innigstem Dank und voll endloser
Liebe. Küsse mir auch unsere Älteste
und ihren kleinen Bruder! So oft ich ihr Bild mir auch vergegenwärtige, das
süsse, herzhafte Lachen Dittis und die grossen staunenden Augen des lieben
Hermi, so bin ich doch manchmal erschrocken, dass meine Sehnsucht sich
eigentlich nicht mit auf sie bezieht; und da tröste ich mich, dass Du mir
einmal gesagt hast, dass es auch Dir ähnlich gehe. Das andere Gefühl ist eben das weit merkwürdigere und mächtigere. Liebste, was
bin ich froh und glücklich, Dich zu besitzen! Dieses klare Bewustsein noch
weiter verschärft zu haben, wird der Hauptgewinn dieser zweiten wunderlichen
Ostasienfahrt sein! Ich schreibe heute nur Dir einen
Brief und begnüge mich sonst mit Karten. Du wirst es verstehen, dass die
Aufgabe meiner Reise die Schreiblust stark dämpfte; denn ein gewisses Gefühl
der Blamage kann ich noch nicht ganz verwinden. Grüsse mir deshalb recht
herzlich die lieben Eltern und Geschwister und die Freunde in Bonn, die meiner
Gedenken. In unaussprechlicher Liebe Dein
Hermann.
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Singapore, den 19. Februar 1911. Meine liebe gute
Frau! So wäre ich denn glücklich am
Ziel angelangt und heute hätte auch die Einschiffung auf der „Guisman“
stattfinden sollen. Wie lange habe ich mit Spannung diesem Tage entgegengesehen!
Wie eifrig habe ich mich äusserlich und innerlich auf ihn vorbereitet! Statt
dessen sitze ich hier einsam, inmitten der Unruhe eines grossen Hotels und suche mir künstlich neue Reiseziele zu
schaffen. Natürlich muss man noch einmal innerlich diesen eigentümlichen
Umwandlungsprozess durch machen, ich hoffe aber heute endgültig mit ihm fertig
zu werden. Gestern früh nach der Landung
bin ich sogleich mit einer Rickscha ins Hotel de l’Europe gefahren. Hier habe
ich ein recht nettes Zimmer bekommen. Schon dieser Raum ist eigenartig.
Allerdings sind alle Möbel europäisch;
nur das Bett trägt Tropencharakter. Es ist ebebso breit wie lang und sieht mit
seinem Mosquitonetz aus wie ein grosser Käfig. In ihm liegt eine ganz dünne
Matratze, auf dem verloren ein kleines Kopfkissen auf der Seite sich
herumtreibt, eine Decke ist nicht vorhanden oder vielleicht auf ein kleines
Tischlein, das wohl nur in aussergewöhnlichen Fällen benutzt wurden oder den Leib bedecken soll,
zusammengeschrumpft; statt dessen aber liegt eine grosse Rolle auf dem Bett,
ein Abkühlungsmittel, das während des Schlafes zwischen die Beine gesteck wird,
eine Erfindung der kolonialen Holländer. Vor dem Zimmer befindet sich eine
grosse Veranda, auf der neben verschiedenen bequemen Rohrstühlen auch der
Waschtisch sich befindet. Das Eigenartigste ist aber, dass an der einen Ecke
des Zimmers eine Treppe in den unteren Stockwerk hinabführt; dort hat jeder
Hotelgast sein eigenes Bad etc.; freilich steht hier nur ein grosser
Wasserkrug, aus dem man mit einem verrosteten Blechgefäss jederzeit Wasser über
seinen kühlungsbedürftigen Körper schöpfen kann, was im ausgiebigsten Masse geschehen kann, da der
halbe Raum hier unten zementiert ist. Hier kann man es auch zur Zeit
der Mittagshitze ganz gut aushalten. Die Stadt hat
auf mich wieder einen starken Eindruck gemacht. Wie in New York alle Völker
zusammen strömen und sich mischen, so hier alle Völker Asiens. Chinesen,
Malagen, Inder, Japaner strömen hier zusammen und zwar in allen ihren
Stammesabstufungen; die statistische Aufnahme der Bevölkerung macht nicht
weniger als 30 Unterscheidungen, die fast alle im Aussehen und Hautfarbe, sowie
in der Tracht und Frisur zum Ausduck kommen. Und jede Schattierungsnuance ist
im komplizierten Organismus dieses Gummiwesens(?) ein ganz bestimmter Platz
zugewiesen! Ja, während die Hamburg-Amerika-Linie die grösste Mühe gehabt hat,
die Auswanderer verschiedener Nationalität davon zurückzuhalten, über einander
herzufallen, leben hier im Schutze Englands alle Völkerschaften, so sehr sie
sich auch gegenseitig auszuboten trachten, in Ruhe und Frieden mit
einander. Es ist fürwahr eine gewaltige
Leistung, die den Engländern kein Volk nachmacht. Allerdings verstehen sie auch
ihre Interessen wahrzunehmen. Haben sie doch nicht nur die Malayenstaaten
Perat, Selangor, Negri Sunbilan, Pahang + Jahore heute sich völlig einverleibt,
sondern 1909 auch Siam gezwungen, vier weitere Staaten ihnen abzutreten. Wenn
wir ähnliches versucht hätten, würden wir Krieg bekommen haben; die Engländer
haben es so still gemacht, dass kaum mehr als ein Dutzend Deutsche daheim
genauere Kenntnis davon haben dürften. Und in diesem sich bildenden grossen
neuen Kolonialgebiet von „British Malaya“ wird heute schon die Hälfte alles
Zinns gefördert und sind so viel Gummi-Plantagen angelegt worden, dass ihre
Produktion wahrscheinlich in fünf Jahren der ganzen heutigen Weltproduktion
gleichkommen wird. Schon das lohnt sich, etwas genauer kennen zu lernen, aber
am meisten interessiert mich hier doch die Entwicklung des Chinesentums,
das unter allen Völkern einschliesslich
der Europäer nicht nur der Zahl, sondern auch dem Reichtum noch weit
voranstehen. Hier sieht man, was das Volk unter guter Verwaltung in geregelten
Verhältnissen zu leisten vermag. Gewissermassen ein Blick in die Zukunft dieses
400-Millionen-Reichs! Vom Hotel fuhr ich sogleich nach
Behn, Meyer + Co, sowie zum Generalkonsulat, um mich zu überzeugen, dass Briefe
oder Telegramme für mich nicht vorhanden waren. Dann trieb ich mich in der
Stadt noch etwas umher und verbrachte die heissen Stunden im „Raffles Museum“,
wo Frechheit und Bauart es mir ermöglichten, unmittelbar in die Bibliothek
einzudringen, so dass ich über Alles, was ich wünschte, auf einfachte Weise
mich unterrichten konnte. Viel Mühe ist
mir dadurch erspart worden. Erst später konnte ich den
Generalkonsul Kiliani sprechen. Er war über mich genau orientiert und von einer nicht zu übertreffenden
Liebenswürdigkeit. Er will Alles tun, meine Reise noch recht ergiebig und
erfolgreich zu gestalten und allem Anschein nach handelt es sich nicht nur um
Worte. Es sieht vielmehr aus, als ob sich ungewöhnliche Reisechancen mir bieten
würden. Zum Abend wurde ich sogleich auf seine wunderschönen Besitzungen, etwa
eine halbe Stunde Wagenfahrt von der Stadt, eingeladen. Dort war zu
stimmungsvollen, üppigen Mahl eine kleine Gesellschaft beisammen, die sich
ausser dem Gastgeber und seiner liebenswürdigen Frau aus Kern Dr.ing.
Prinzhorn, dem wegen Gummi-Verdienste der Professortitel verliehen ist, einem
ehemaligen Coreaner Kaufmann und altem
Hausfreund, namens Kolt(?) und einem langjährigen hiesigen Kaufmann Salomon
zusammensetzte. Am meisten hat mich der Generalkonsul selbst interessiert; er
ist im Grunde eine Gelehrtennatur und für ihn ist charakteristisch, dass er mit
Bendixen in eifriger Korrespondenz über das Geldwesen steht. Über die
Kronprinzenreise klagte er sehr. Die Sache sei in einer geradezu
unbegreiflichen Weise behandelt worden. In den wichtigen Fragen sei eine
Antwort überhaupt ausgeblieben. Der hiesige Grand-Governor sei nicht mit Unrecht
verstimmt. Übrigens gewinnt man hier den Eindruck – das ist insbesondere auch
Kilianis Ansicht – dass auch politische Gründe mitgewirkt haben. Ihr werdet
wahrscheinlich besser, als wir hier draussen, darüber unterrichtet sein, wie
die Mongoleifrage sich zugespitzt hat. Du erinnerst Dich vielleicht, dass sie
mich nicht besonders interessiert hat. In der Mongolei, wie in allen
Aussengebieten Chinas betreiben Russland, wie China eine systematische
Kolonisation, Russland mit politischen, China erfolgreicher mit
wirtschaftlichen Mitteln. Dass dort ein neuer Zusammenstoss sich vorbereitet,
ist schon länger klar gewesen. Dass so schnell eine Krisis eintritt, hat wohl
kaum jemand erwartet. Doch scheint Russland den Augenblick, wo China noch nicht
durch Reformen erstarkt ist und auch die Pest gerade im Norden gelähmt ist,
ausnutzen zu wollen. Entscheidend dürfte Japans Haltung wohl werden. Ich bin begierig auf weitere
Nachrichten von Deutschland. Noch nie habe ich der Post mit solcher Spannung
entgegengesehen, bringt sie mir doch Grüsse von meinem lieben, lieben Frauchen,
nach so langer Pause! Das wird ein Festtag werden, wenn die Nachrichten auch
alt sind. Und wie froh werde ich erst sein, wenn ich mich hier wieder
einschiffe zur Rückkehr. Morgen werde ich nun mit Herrn Generalkonsul Kiliani
und dem Chef von Behn, Meyer + Co meinen Reiseplan aufsetzen. Ich bin darauf
ziemlich begierig. Für heute lass mich schliessen.
Die Hitze macht das Schreiben doch ermüdend, wenn ich es auch am Lande sehr
viel besser finde, als die letzten Tage auf See. Hoffentlich geht es allen Euch
Lieben daheim recht gut! Ich denke Deiner sehr viel in herzlicher Liebe.
Möchtest Du Dich doch kräftigen, wenig Beschwerden haben, Dich recht pflegen
lassen, mit Clark nicht überanstrengen und um mich Dich nicht sorgen! Und
hoffentlich haben auch unsere beiden Kleinen Lieben im Gewicht heute wieder
eine recht gute Zunahme aufzuweisen, so dass Du nur mit Freude und
Zufriedenheit ihrer zu gedenken hast. Grüsse mir Eltern + Geschwister
vielmals und lass Dich im Geiste aufs herzliebste küssen und umarmen von Deinem
Hermann.
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Singapore, den 24. Februar 1911. Mein liebes,
süsses Frauchen! Feute war der weitaus schönste
Tag der bisherigen Reise, der Taf, den ich so lange sehnlichst herbeigewünscht
habe. Endlich wieder Nachricht von Dir ubd gleich zwei liebe Briefe. Sie haben
mich unendlich beglückt! Ein ganz anderer Mensch bin ich durch sie geworden. Und wenn auch die Nachrichten
von unserem süssen Pärchen, nach dem ich mich doch oft jetzt sehne, do noch
besser klingen könnten, so kann ich im Ganzen doch zufrieden sein und ich freue
mich von ganzem Herzen, sind auch die Nachrichten schon mehr als drei Wochen
alt. Man ist doch wieder in Verbindung mit einander! Soeben komme ich von der
„Gneisenau“. Sie ist heute Morgen eingetroffen und der Lommandant hat mich
sogleich eingeladen. Als einziger Gast war ich soeben da. Es war riesig nett! Ganz
famose Menschen! Ein prachtvolles Schiff, auf dem ich im „Kartenhaus“ eine
geradezu ideale Unterkunft bekommen hätte. Es hat mir doch sehr leid getan,
dass der Besuch nur so kurz ist. Übrigens nimmt man an Bord an, dass sie Reise
im nächsten Jahr nachgeholt werden wird; der Kronprinz hat den Wunsch mit aller
Bestimmtheit ausgesprochen. Aber was man sonst von der Reise zu hören bekommt,
ist nicht sehr erfreulich! Überall gewisse Enttäuschung und der Eindruck, dass
die Leitung der Reise geradezu kopflos gewesen ist. Ich darf mich jedenfalls
noch weniger als Andere beklagen. Es scheint freilich auch Manches vorgefallen
zu sein, das die Rückrufung mit veranlasst hat. Ich habe leider den Eindruck,
dass die Sache wieder einmal echt deutsch ist und bei Engländern in dieser Art
unmöglich gewesen wäre. Inzwischen bin ich schon alter
Singaporer geworden. Ich glaube sogar, der Wahrheit gemäss sagen zu müssen,
dass Wenige über die hiesigen Verhältnisse so unterrichtet sind, wie ich es
heute schon bin. Ich habe die Zeit gründlich ausgenutzt und ich scheine dafür
ein besonderes Geschick zu besitzen, denn es ist geradezu komisch, wie ich als
Auskunftsperon benutzt werde. Der Generalkonsul hat immer einen Bleistift in
der Hand und schreibt unermüdlich Seite über Seite. Gestern hat er mir einen
grossen Bericht gegeben; ich habe ihn so zerpflücken müssen, dass er selbst
sagte, er stehe da wie ein entlaubter Stamm. Ich habe selten Jemanden so
abkanzeln müssen. Zugleich habe ich „tout
Singapore“ kennen gelernt und alle Tage bin ich zwei Mal eingeladen gewesen.
Einige sehr nette Leute habe ich kennen gelernt und der weitaus netteste von
Allen, der Leiter der hiesigen nicht nur deutschen, sondern überhaupt grössten
Firma, Behn, Meyer + Co, will mit mir die Reise durch die Malayischen Staaten
machen, was mich ausserordentlich erfreut und hoffentlich den letzten kleinen
Rest von Sorgen bei Dir beseitigt. Besseres für diese Reise könnte ich mir
nicht denken und wünschen! Morgen früh allerdings geht es
zunächst nach Java. Es war nicht leicht, von hier fortzukommen. Alle Dampfer
sind besetzt. Darum fahre ich auch nach Sorabaja und reise von dort quer durch
die ganze Insel nach Batavia. Das ist, wie ich Dir schon schrieb, eine
Vergnügungs- und Erholungsreise; und seitdem ich wieder von Dir einen Brief
habe, freue ich mich darauf. Es ist doch viel Schönes und Interessantes, das
ich zu sehen bekommen werde, wenn ich auch im Allgemeinen den Eindruck habe,
dass eine Reise in Europa doch unvergleichlich viel inhaltsreicher und
angenehmer ist, ganz zu geschwiegen von der Kostenfrage. Ich hoffe noch viel
mit Dir zu reisen und freue mich darauf im Innersten meines Herzens ganz
unbändig, aber ich möchte Dich doch nicht hierher in die Tropen bringen. Es
schneidet mir oft ins Herz, wenn ich sehe, wie gerade Frauen hier leiden. Man
muss schon ganz bestimmte grosse Zwecke verfolgen, um die Schattenseiten des
hiesigen Reisens ertragen zu können. Solche Zwecke habe ich mir jetzt glücklich
geschaffen und wenn ich noch in den Letzten Tagen manchmal an einem toten Punkt
angelangt bin und dann heimwehkrank herumgebrütet habe, im Allgemeinen schwimme
ich doch wieder in meinem Element und ich freue mich des Enquestem Talents, mit
dem der Himmel mich ausgestattet hat, augenscheinlich vor sehr vielen
Mitmenschen; jedenfalls weiss ich heute schon über Vieles Bescheid, von dem
Leute, die viele Jahre hier sind, wenig ahnen und es amusiert mich köstlich,
wenn immer wieder nicht ich vom Generalkonsul, sondern dieser von mir sich
informiert über Verhältnisse; allerdings würde ich bei einem Studenten diese
Ausbeutung für unerlaubt halten. Es ist gut, liebes Edithlein, dass Dein Mann
zum Grössenwahn und Übertreibung sehr wenig veranlagt ist, (ich glaube es
wenigstens; oder bist Du anderer Ansicht?), an Anlass dazu würde es hier nicht
fehlen. Mein nächster Brief kommt aus
Java. Die Aufgabe der Kronprinzenreise hat jedenfalls das Gute, dass ich einen
wichtigen Teil der Welt ordentlich kennen lerne, sie es bei der Kronprizenfahrt
gar nicht möglich gewesen wäre. Ich glaube, dass es mir auch gelingen wird, die
Kosten dieser merkwürdigen Reise wieder einzubringen. Und jedenfalls bringt sie
den wundervollen Gewinn: ein noch stärkeres Bewusstsein meines hohen, meines
nicht zu überbietenden Glücks! Denn Alles ist für mich nichts im Vergleich mit
Dir! Gute Nacht, gelibte, süsse Frau! Dein
Hermann. |
An Bord des Niederländischen Dampfers „De Eerens“, den 27. Februar 1911. Mein geliebtes Frauchen! Jetzt bin ich eigentlich erst
flügge geworden und der Gedanke kommt mir höchst unwahrscheinlich und
abenteuerlich vor, dass ich hier zwischen Borneo, Sumatra + Java einher fahre
und dass ich morgen Abend landen werde in – Surabaja. Wer mir das vor
Jahresfrist prophezeit hätte, den hätte ich für verrückt gehalten, aber es ist
wirklich so! Vom letzten Abend in Singapore
habe ich Dir noch ziemlich spät geschrieben. Der Abend auf der „Gruisman“ hat
mir doch viel Freude gemacht. Unsere
Seeleute haben mir wieder einmal sehr gut gefallen. Man kam sich für eine Reise
nettere Leute nicht aussuchen; auch von dem verschiedentlich getadelten
Adelsstolz des Kommandanten von Usslar habe ich nichts bemerkt. Er hat mir sehr
zugeredet, jetzt die weite Reise noch mit ihm zu machen und ist überzeugt, dass
der Kronprinz das jetzt Versäumte noch nachholen werde; er habe selbst seinem
Wunsch in dieser Richtung aufs Bestimmteste ausgesprochen. Freilich ist nicht
Alles so ganz einwandfrei, was sie und auch Engländer, die ich getroffen habe,
von der Reise erzählen. Der Kronprinz scheint sich doch sehr jugendlich
benommen zu haben. Feste, fast peinliche Verabredungen sollen oft von ihm nicht
gehalten sein. Wie mir Leute, die selbst
davon betroffen worden sich erzählen, ist z. B. In Dardjiling das Haupthotel
für ihn und sein Gefolge fast völlig geräumt worden; im letzten Augenblick ist
dann die bsage erfolgt. Dann konnten alle Gäste zurückziehen und sich überzeugen,
was Alles für den Kronprinzen hergerichtet worden war. Und der Grund solcher
Änderung war nicht etwa Unwohlsein, sondern Sport und Flirt. Das soll auch in
die Zeitungen gedrungen sein und nach Ansicht der Seeoffiziere zur schnellen
Rückkehr Manches beigetragen haben. Die ganze Reise hätte schliesslich einen
gewissen direktionslosen Eindruck gemacht. Exc. von Truntler sei völlig zusammengebrochen; er
habe infolge der Aufregungen Gesichtsrose bekommen; und das übrige Gefolge wäre
dadurch doch sehr behindert gewesen, dass er fast gar kein Englisch gekonnt
habe. So sei die Reise vom Anfang bis zum Ende eine Reihe von Unbegreiflichkeiten
gewesen; wie so oft hätten eine Menge trefflichster Leute sich mit den
Vorbereitungen beschäftigt, aber den habe die Tat, die schliesslich
herausgekommen wäre, nicht entsprochen. Ich habe insbesondere vom Kommandanten
selbst sehr ernste Urteile gehört, die leider zu dem Eindruck, den ich von
Anfang an gewonnen habe, völlig passen. Als unbegreiflich bezeichnete man
mir auf der „Gneisenau“ auch, dass der Kronprinz sich geweigert habe, Java zu
besuchen; er hätte Herrn Dr. Wichmann zur Hilfe herangezogen. Auch dadurch sei
eine Weiterreise natürlich ausserordentlich erschwert worden. So sollen allerhand kleine
„Vorfälle“ – Flirt scheint dabei eine grosse Rolle gespielt zu haben und
Manches erinnert an die Bonner Zeit – bei der Rückkehr stark mitgewirkt haben
und vermeiden lasse sich das nur durch radikale Änderung in der Begleitung und
in den Arrangements. Vernünftig würde es sich nur machen lassen, wenn Alles in
der Hand eines mit den Verhältnissen wirklich vertrauten Mannes vereinigt
würde. Der Eindruck gründlichster Zerfahrenheit scheint nicht nur der meine,
sondern leider der allgemeine gewesen zu sein. Auch bei den Engländern, die
stets seine Jugend betonen und liebenswürdig hinzufügen: sport is for British
people an excuse for everything. Damit gedenke ich meine
Kronprinzenberichte abzuschliessen und ich wende mich hinfort meiner
Vergnügungsfahrt zu. Sie ist nicht besonders angenehm angefangen. Der „De Eereus“, der über
Surabaja nach Bandjarmasin und anderen Borneohäfen fährt, ist ein sehr
unruhiger Geselle. Er hat alsbald angefangen zu rollen, wie man das auf
Dampfern des Norddeutschen Lloyd überhaupt gar nicht mehr für möglich hält. Mit
solcher Gründlichkeit ist er dabei vorgegangen, dass es ein Entweder-Oder
überhaupt nicht mehr gab: Jeder musste daran glauben, auch ich sehr gründlich.
Das wurde allerdings durch die Art des Essens ausserordentlich erleichtert und
gefördert. Wenn es in der Hölle Mahlzeiten giebt, dann müssen sie so
zusammengesetzt sein und so serviert werden. Das Meiste hält man auf den ersten
Blick, voll Mitleid für die Tierwel, für Viehfutter und die Malagen, die es mit
grösster Langsamkeit und Gleichgiltigkeit, in dreckigem Zeug, mit blossen
Füssen, pockennarbig, so unappetitlich, wie irgend möglich, servieren,
erscheinen wie eben eingefangene affenartige, allerdings harmlose Wilde. Nein,
diesen Versuchungen widerstand ein Jeder der elf Passagiere der ersten Klasse! Aber damit habe ich die Leiden
und Freuden des ersten Reisetages noch nicht erschöpft. Ausser den
Kabinenpassagieren sind Asiaten aller Schattierungen an Bord und sie strömen,
um die Wette mit der Ladung, einen so eigentümlichen und intensiven Gestank
aus, dass Europa hier einfach die Waffen strecken muss, die Überlegenheit
dieser fremden Welt demütig anerkennend. Dazu endlich die Hitze, die einen
Aufenthalt in der Kabine fast unmöglich macht! Als in der Nacht um 3 Uhr eine
Welle in meinem Bette mir einen freundlichen Besuch abstattete, habe ich denn
auch den Wink verstanden und habe mir auf Deck einen freien Lageplatz bereitet.
Alles das machte den Anfang dieser Abenteuerfahrt nicht angenehm; im Gegenteil,
er gehört so ziemlich zum Scheusslichsten, das man erleben kann. Ich war
wirklich von Herzen froh, dass ich Dich nicht bei mir habe. Ja, ich glaube
überhaupt, dass wir uns doch nähere Reiseziele stecken werden. Europa bietet
doch unvergleichlich viel mehr, zumal da das Reisen hier seit meiner ersten
Ostasienfahrt ganz unvergleichlich viel teurer
geworden ist. Die reisenden reichen Amerikaner haben die früheren
Anspruchslosigkeit auch aus diesen Gegenden vertrieben. Aber der Mensch gewöhnt sich an
Alles. Das Schaukeln hat abgenommen; das Essen hat sich, seither es nicht mehr
für Seekranke vergeblich bereitet wird, entschieden verbessert; im Gestank erblickt
man mehr und mehr eine berechtigte Eigentümlichkeit dieser Gegend; die
teuflisch – dunkle Bedienung, die in jeder Bewegung für die grosse
Überlegenheit des Chinesentums Zeugnis ablegt, fängt an zu amusieren; und an
die Hitze, wenn sie auch eher zu-, als abnimmt, gewöhnt man sich. Eine ganz
zufriedene Stimmung ist auf unserem Kahn eingezogen, zumal da das Schlafen auf Deck nicht nur gut
gelingt, sondern auch seine besonderen Reize hat. Es hat sich ausserdem aber
herausgestellt, dass sehr nette Menschen an Bord sind. Vor Allem 50% der Mitpassagiere
sind ganz ungewöhnlich sympathisch. Sie werden gebildet von einer Familie Huxley
aus Manchester: der Vater, der sich gerade aus seinem grossen Mühlengeschäft
herausgezogen hat, seiner Frau und drei Kindern, von denen die älteste hübsche
Tochter Medizin, auch in Strassburg studiert, die nicht minder zierliche
Schwester dem Studium unserer Sprache mit Eifer sich gewidmet und der besonders stattliche Sohn als
Ingenieur auch in Deutschland verschiedentlich gearbeitet hat. Ganz
ungewöhnlich gebildete Leute, die doch vom drückenden Ballast der Bildung
völlig frei sich gehalten haben. Sie habe auf ihrer Reise schon manche
Widerwärtigkeit erfahren und haben am ersten Tag sehr arg leiden müssen; sie
nehmen das aber Alles in geradezu bewunderungswürdiger Weise als unvermeidliche
Begleiterscheinungen ihrer Reise hin. Ich würde froh sein, wenn ich mit ihnen
auf Java wieder zusammenträfe. Morgen früh legen wir in Bawean
an und am Abend treffen wir in Surobaja, dem heutigen grössten Hafen von
Niederländisch-Indien ein. Dort werde ich sogleich mit dem einen Helfferich
meinen weiteren Reiseplan aufstellen. Herr Generalkonsul Kiliani sagte ja, Java
gehöre noch zu den wenigen „Sensationen“, die das heutige Leben biete. Ich bin
daher sehr gespannt und hoffe nur, dass die jetzt herschende Regenzeit, von der
bisher allerdings noch kein Tropfen zu bemerken ist, den Genuss nicht zu sehr
beeinträchtigt. Leider bringt die Reise es mit sich, dass ich wieder 8-10 Tage
auf Nachrichten von Dir verzichten muss. Erst in Batavia finde ich Briefe. In
14 Tagen werde ich in Singapore wieder eintreffen, allerdings um in kürzester
Frist nach Medan in Sumatra weiterzufahren, wo man mir eine schöne, kostenlose
Automobilfahrt in sehr verlockenden Aussicht gestellt hat. Dann zum Schluss
aller dieser Vergnügungen die Studienfahrt durch Malayische Halbinsel, von der
ich weitens am meisten erwarte; sie mache ich hoffentlich, wie ich schon
schrieb, in Begleitung des trefflichen Chefs von Behn, Meyer + Co, Herrn
Dieter; für sie habe ich ausserdem Einladungen von dem Manager der Straits
Trading Co, der grössten Zinngesellschaft der Welt, der mit seiner
liebenswürdigen Frau in Isroh ganz reizend wohnen soll (namens Tarlock) und
eines Herrn Roland, der Leiter einer der grössten Kautschuk-Plantagen ist. So
bin ich fast immer in bester Hut. Am 10. April werde ich dann die Rückfahrt
antreten mit der „Lützow“ und ich hoffe, mit dem Wonnemonat wieder bei Dir
einzuziehen. Wie freue ich mich darauf unbändig schon heute! Dann wollen wir
nachträglich noch den glücklichen Tag unserer zweijährigen Zusammengehörigkeit,
zu dem ich Dir heute leider schon verfrühte Glückwünsche sende, recht fröhlich
feiern! Ja, Du hast recht, wir haben es sehr gut! Das spüre ich jetzt ganz
besonders, wo ich in so manche fremde Menschenschicksale einen Einblick
gewinne! Und dieses Glück wollen wir zusammen recht auskosten. Möchte der
Himmel es gnädig uns erhalten. Es gedenkt Deiner und der Kinder jauchzenden
Herzens. Viele herzliche Grüsse! Dein
Hermann.
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Tosari, den 2. März 1911 Geliebte Frau! Noch mehr als sonst sind heute
meine Gedanken bei Dir und unseren lieben Kleinen! Das stolze Alter von ¾
Jahren erreichen sie heute und damit sollten sie eigentlich aus der
gefährlichsten Lebenszeit, die ja bei uns glücklicherweise auch sehr frei von
Sorgen gewesen ist, hinaus sein. Möchtest Du Dich doch recht dieses Tages
erfreuen können! Möchte die Erkältung völlig überwunden sein, auch das Zahnen
nicht schlimmer sich gestaltet und beide Lieben weiter von Woche zu Woche
schöne Fortschritte im Gewicht gemacht haben und weiter machen. Wie schrecklich
gern möchte ich einmal in ihre Bettchen gucken können, Hand in Hand mit Dir, Du
liebes süsses Frauchen, nach dem ich mich doch schrecklich oft ganz furchtbar
sehne. Mit ununterbrochenen herzlichen Wünschen bin ich bei meinen lieben
kleinen Familie, die den Inbegriff alles eigentlichen Glückes für mich bildet. Ich schreibe dieses 6000 Fuss
über dem Meeresspiegel, in dem Örtlein Tosari, in dem ein hier in der ganzen
Gegend berühmtes Sanatorium sich befindet und Viele von den Folgen langer
Tropenaufenthaltes sich zu erholen suchen, am Fusse des vielleicht brühmtesten
der vielen Vulkane Javas, des Bromo, dessen Krater und Aussicht stets viele
Besucher hierherlockt. Vor Allem aber sitze ich in den Wolken, nach einer
Durchnässung, wie sie gründlicher nicht gedacht werden kann, mich der Kühle
erfreuend nach der greulich schwülen Hitze von Sorabaja. Dieser wichtige Hafenort, der
sicherlich weiter noch seiner bedeutenden Entwicklung entgegengeht, hat mir wenig
gefallen. Er kann den Vergleich mit Singapore nicht aushalten.Vor Allem haben
die Europäer es lange nicht so gut verstanden, den Bedingungen von Ort und
Klima sich anzupassen und sie für sich auszunutzen. Sie haben die Stadt in
wichtigen Teilen ganz europäisch gebaut, was in diesem Klima geradezu Unsinn
ist. Ausserdem fällt Einem ein Unterschied sogleich auf. Auch hier sind
ungefähr so viele Nationalitäten vertreten, wie in Singapore; ja, es sind sogar
im Wesentlichen die selben, wenn auch natürlich die Javaner der Zahl nach stark
im Vodergrund stehen. Während aber in Singapore die Grenzlinien überall
deutlich erkennbar bleiben und jeder Nation ihr ganz bestimmter Platz
angewiesen ist, geht hier Alles durcheinander. Unmerkliche Übergänge zwischen
fast allen Nationalitäten sind vorhanden; nur durch Stammbaumforschungen kann
man in vielen Fällen feststellen, wen man im Einzelfall eigentlich vor sich
hat. Das grösste Mischlingsland der Welt ist dieses Java; und schon heute bin
ich fest überzeugt, dass ihm daraus im Innern noch einst eine grosse Gefahr
erwachsen wird und nicht, wie man hier fürchtet, von Aussen, von Deutschland
oder England. Die hiesige Regierung durch Mischlinge, die natürlich immer mehr
und mehr nachdunkeln, da auch im europäischen Holländer heute das Rassegefühl
erwacht ist, interessiert mich sehr und hoffe ich, dass es mir gelingt, etwas
Genaueres darüber zu erfahren. Ich habe mich etwas in Singapore
(Sorabaja) umgesehen und insbesondere die „Godowas“, die grossen Lagerhäuser,
in denen die vielen Früchte dieses reichen Landes zusammenströmen,
durchwandert. Zum Mittag hatte Herr Theodor Helfferich mich zu einem üppigen
Mahl im Hauptrestaurant Susabayas eingeladen, an dem noch zwei sehr nette
Deutsche, ein Overbeck aus Bremen und ein Lebelle aus Wien, teilnahmen. Am
Abend holte Herr Rademacher, unser hiesiger Kaufmännischer Konsul, mich mit
einem reizenden Gefährt ab und fuhr mich in den sehr hübsch unter hohen Bäumen
am Ufer des Flusses gelegenen sehr netten Klub. Dort wartete meiner eine Überraschung.
Der erste Mann, dem ich dort begegnete, war ein alter Bekannter aus meiner
ersten Referendarszeit in Berlin. Er hatte sein Studium aus irgeneinem Grunde –
es dauerte etwas sehr lange – damals aufgegeben und war Offizier geworden,
stürzte dann aber so unglücklich, dass er seinen Abschied nemen musste und
Kaufmann wurde. Dass er sich hierher irgendwie gewandt hatte, hatte ich noch
gehört, aber dann hatte ich über ein Jahrzehnt nichts von ihm mehr erfahren.
Wir Alle dachten seiner mit tiefem Bedauern. In Surabija treffe ich ihn! Er
ist gerade am Tag vor mir dort angekommen und zwar von Borneo. Dort leitet er
die grössten Kautschuk-Plantagen, die überhaupt existieren soll, und er ist
heute nicht nur mit Borneo besser vertraut, als irgendein Anderer, sondern ich
habe eigentlich überhaupt noch keinen hier getroffen, der die
asiatisch-australische Welt in diesem südwestlichen Winkel so kennt, wie
er. Er ist ein ganz famoser Kerl
geworden! Wie ihn, hätten wir Viele nötig! Mochte ich ihn früher nicht so sehr
gern leiden, so hat er mir dieses Mal ganz ungewöhnlich gefallen und gründlich
imponiert. Er lud mich, mit zwei Borneo-Leuten, sogleich zu einem raffiniert
stimmungsvollen kleinen Klub-Dinner im Freien ein und Surabaja schlief schon
fast, als er mich in mein entlegenes Hotel zurückbrachte. Mit ihm – Böhmer heisst er übrigens –
hätte ich zu gern Borneo bereist, wie er als einziger Automobilbesitzer dieses
gewaltigen Landes es schon oft getan hat. Besseres wüsste ich mir hier nicht zu
wünschen. Da bekäme ich wirklich etwas Neues zu sehen und zu hören und triebe
mich nicht umher als blosser Globetrotter. Böhmer täte es selbst
ausserordentlich gern und hat mir viel davon vorgeschwärmt. Aber wahrscheinlich
muss er morgen in wichtigen Sachen nach Singapore und von dort nach Pontianak.
Er erwartet heute noch ein entscheidendes Telegramm aus London. Fährt er nicht
nach Singapore, so fahre ich wahrscheinlich sorglich mit ihm nach Bjandermasin
und werde dann acht Tage lang als sein Gast wie so ein kleiner Fürst von Borneo
leben. Dann würde die Reiselust wirklich bei mir wieder erwachen; aber leider,
leider sind die Aussichten recht schlecht. Hier sitze ich als richtiger
Globetrotter. Hier heraufzukommen, war nicht einfach. Zunächst mit Wagen zur
Eisenbahn, die in nicht ganz drei Stunden mich durch eine unglaublich bebaute
Gegend – meist Reis und Zuckerrohr – nach Pasuruan brachte. Auch hier bin ich
nicht allein gereist; im Zug traf ich die 5 Häupter der Familie Huxley, mit
denen ich dann weiter gereist bin und auch morgen die Besteigung des Bromo zusammen
machen werde. Von Pasuruan geht es in 3 Stunden – die kleinen unscheinbaren
javanischen Ponies laufen fabelhaft – nach Poespo. Wo das Bergland anfängt,
müssen Wagen und Pferde gewechselt werden. In Poespo, das schon fast 2500 Fuss
hoch liegt, gab es trefflichen Lunch und dann ging es zu Pferde – Mrs. Huxley
wurde in einen Tragstuhl von 8 Kulis getragen – weiter. Durch Natur und Menschen
war schon die bisherige Reise interessant gewesen, aber dem eigenartigen
Charakter erhielt sie doch erst jetzt. Am meisten tragen dazu bei die
Tropenwagen, die in dieser Gegend jetzt Nachmittags mit unheimlicher
Regelmässigkeit wiederholen. Mit ihnen sollte mein prachtvoller Kronprinzliche
Regenmantel eingeweiht werden. Als aber das erste Schauer niederzuprasseln
begann, da war mein Kuli, der ihn trug, verschwunden. Er hatte auf abgekürzten
Wegen, als er das Unwetter kommen sah, ein schützendes Obdach aufgesucht und
dadurch zu seiner grossen Befriedigung erreicht, dass ich zwar bis auf die
Knochen auf meinem fremdenfeindlichen Ponie durchweicht war, er selbst aber
trocken! Echt malayisch! Der Sinn für die Unannehmlichkeiten des Lebens ist bei
diesen Völkern unvergleichlich viel stärker entwickelt, als der Sinn für
Pflichten. Die Durchnässung hat sich noch wiederholt und ist dann auch unseren
dunklen Brüdern zuteil geworden, obwohl sie sich gewaltige Bananenblätter
besorgten und diese als Schirme ebenso trefflich wie possierlich zu verwenden
wussten. Leider war das Regenschauer gerade auf seinem Höhepunkt, als wir an
einer ganzen Herde grosser schwarzer Affen vorüberkamen; statt mit einander
lustig zu spielen, sassen sie still und verärgert auf den Bäumen. Sonst ist
diese unendlich üppige Natur an Tieren erstaunlich arm. Die Reise herauf war jedenfalls
eigenartig + anders als Europa. Ihr Ziel ist nun die Besteigung des Bromo, die
diese Nacht um 4 Uhr beginnen soll. Darüber morgen. Jetzt muss ich ins Bett und
der Brief in den Kasten! Mit den innigsten Grüssen und Küssen Dein
Hermann. |
Tosari, den 3. März 1911 Mein liebes, liebes
Frauchen! Den heutigen Tag werde ich nicht
vergessen! Der erste der nun schon fünfwöchigen Reise, den ich nicht missen
möchte! Um 3 ½ Uhr wurden wir geweckt und kurz
nach 4 Uhr brach unsere Karawane bei wundervoll klarem Nachthimmel auf: Mrs
Huxley in einer Sänfte mit 8 Kulis, die übrige Familie und ich stolz zu Ross,
d.h. auf stämmigen kleinen javanischen Ponies. Hinaus ging es in die dunkle
Nacht auf unerkennbaren, steil ansteigenden Pfaden, vorbei zunächst an
zahllosen, still daliegenden Behausungen, eines javanischen Stammes, der durch
Zweierlei sich auszeichnet; er ist nicht zum Islam übergetreten, sondern hat
sich in die Berge zurückgezogen und seine Religion, in der Brahma eine Rolle
spielt, die aber im Grunde ein reines Heidentum mit göttlicher Verehrung des
rauchenden Vulkans Bromo ist, sich bewahrt; da aber zugleich in den Bergen die
Hitze nicht so gross ist, hat man sich des Wassers, dessen erfrischende Wirkung
hier entbehrt werden kann, entwöhnt; durch Schmutz und Heidentum zeichnen sich
daher diese harmlos-dummen Turgeresen, die auch im Klima weniger Entschuldigung
für ihre Faulheit finden, vor ihren Landsleuten in Java aus. Schon dieser nächtliche Ritt hinaus in
die halb Tropen- und halb Gebirgsnatur war sehr stimmungsvoll und im
wolkenlosen Himmel war das beste Vorzeichen für den weiteren Verlauf. Bald kündigte der Morgen sich an und mit
einem Male war es glänzender Tag. Wohl hatten wir einen schönen Durchblick in die
Ebene bis hinaus ins Meer, aber vom Sonnenaufgang selbst haben wir nichts
bemerkt. Wir langten etwas zu spät auf dem Moengol-Pass (9000 Fuss hoch) an.
Aber solche besonderen Reize waren hier wirklich nicht nötig. Selten habe ich
etwas so Überraschendes gesehen, wie hier der Blick sich darbot. Die Postkarte,
die ich Dir soeben geschickt habe, zeigt das nur sehr wenig, so gut sie auch im
Grunde ist. Denn tief unter uns ragte ein gewaltiges Meer in wundervoller
schneeweissenr Farbe. Es sah aus wie ein gewaltiges künstliches Reservoir, das
ganz gleichmässig fast bis zum Rande mit den saubersten Wolken, über die der
Himmel verfügt, gefüllt ist und aus diesem merkwürdigen Wolkensee ragen kahle,
mächtig gefurchte Berge auf, die eine so typische Vulkangestaltung zeigen, dass
man fast annehmen möchte, sie seien zu pädagogischen Demonstrationszwecken in
allzu grossen Masstab geschaffen worden; einer von ihnen und zwar unser Bromo
rauchte auch sehr gemütlich sein Pfeifchen; der Rauch, der ihm ganz kräftig
entstieg, sah aus, als ob er in der tropischen Sonne aufs Sorgfältigste
gebleicht wäre; der fernste und grösste der Vulkane, zugleich der höchste Berg
der Insel hat aber leider vor wenigen tagen seine Tätigkeit eingestellt; er
pflegt sonst etwa alle 20 Minuten noch einen besonderen, auch an der
Bodenerschütterung bemerkbaren Beweis seiner Vulkan-Eigenschaft zu erbringen. Dieser Kessel, in der die Wolken so
wunderbar sich zu fangen scheinen, war einst ein grosser gewaltiger Vulkan, wie
noch deutlich zu erkennen ist.(Der Federhalter setzt der Füllung so grosse
Schwierigkeiten entgegen, dass ich mit Bleistift fortfahre) Vor
Menschengedenken hat er seine Tätigkeit eingestellt und ist zusammengefallen.
Doch war noch nicht alles Leben verschwunden und so bildeten sich innerhalb des
deutlich erhaltenen, an vielen Stellen wie im gewaltigen künstlicher Damm
aussehenden Kraterrandes nach einander vier neue Vulkane, alle nach Begriffen
der heutigen kleineren Menschheit von stattlicher Grösse; von ihnen ist der
Bromo, das Ziel unseres Rittes, der bewundernswerteste in mancher Hinsicht.
Diese ganze merkwürdige Welt, die einen Einblick in die Zeiten der Erdbildung
gestattet, wie ich nur am Grand Canyon of the Colorado vergleichbar gefunden
habe, stieg nun in ergreifender Starrheit vor dem erstaunten, noch an
Tropenfülle gewohnten Augen unter dem glänzenden Blau des südlichen Himmels aus
dem weisswogenden Wolkenmeer auf. An merkwürdig wirksamen Gegensätzen ein
ungewöhnlich reiches Bild! Das war wirklich eine „Sensation“ zu nennen. Als unter den heissen Strahlen der höher
steigenden Sonne die Wolken verschwunden war, stiegen wir auf steilem Pfad, der
ein Reiten unmöglich machte, herunter zu den sog. Sandmeer, dem mit Sand
ausgefüllten Riesenkrater, in dem noch soeben die Wolken gelagert hatten. Quer
durch dieses Sandmeer, in deren südlichen Teil noch Herden wilder Ponies
vorhanden sein sollen, ging unser Ritt
dann, um den Batog in seiner typischen Vulkangestalt herum, zum Fuss des Bromo,
ja sogar halbwegs ihn hinauf bis zum Anfang einer grossen, etwa 250 Stufen
langen Treppe, an der in stattlicher Inschrift zu lesen ist, dass sie in diesem
Jahr zur Feier der ersten Anwesenheit des Herzogs von Mecklenburg gebaut worden
ist. Nach Ersteigung dieser Treppe bot ein neues ungewöhnliches Schauspiel sich
dar. Wir standen unmittelbar am Rande des Bromokraters. Schon vom Mengalpass
aus hatten wir hier Wolken emporsteigen sehen. Jetzt sahen wir sie unter uns
auf dem etwa 200 m tiefen Boden des gewaltigen Kratertrichters, prachtvoll
geballt, aus der Erde emporsteigen, ein leise kochendes Geräusch und seinem
gelinden Schwefelgeruch hervorbringend. Am Kraterrand führt ein schmaler Pfad
entlang, der für Schwindelfreie ganz ohne Gefahren ist. Aber er bietet nichts
Neues; wir haben uns deshalb darauf beschränkt, eine kurze Strecke auf ihm
zurückzulegen und umso eifriger habe ich mich bemüht, die Eigenartigkeit des
Bildes in mich aufzunehmen und festzuhalten. Nach etwas heissem, ermüdentem Rückritt
kamen wir in Tosar wieder an. Sitzen und Gehen war eine Zeit lang recht schwer;
aber man hatte den ganzen Nachmittag Zeit, in der erfrischenden Sommerluft
dieser Berge sich zu erholen. Inzwischen ist es ein anderer Tag
geworden. In der Frühe sind wir nach Poespo heruntergewandert, 8 km weit, +
dann hierher nach Sarabaya mit Wagen + Eisenbahn in die Tropenhitze
zurückgefahren. Heute Abend bin ich bei Konsul Rademacher eingeladen; morgen früh um 5 Uhr
geht es weiter nach Djakjakarta. In inniger Liebe Dein Hermann. |
Borobudur, den 6. III. 1911. Geliebte Edith! Es ist mir heute schon sehr schwer ums
Herz und wäre ich entsetzlich gern bei Dir! Ich gehöre an Deine Seite und
wünsche mir persönlich vor Allem, dass ich keinen Geburtstag mehr ohne Dich und
unsere Kinder zu verbringen brauche. Gerade heute empfinde ich es wieder als
einen sehr schwer zu vertragenden Zustand, so gar nicht zu wissen, wie es Dir
und unseren Kleinen und unseren vielen sonstigen Lieben geht, und würde ich
sicher telegrafisch heute anfragen, wenn ich hier nicht ganz ausserhalb des
Weltverkehrs in Mittel-Java sässe. Allerdings wenn man nun einmal seinen
Geburtstag fern in der Fremde feiern muss, so lassen sich nicht leicht
stimmungsvollere Orte finden. Mitten in der schönsten Tropenlandschaft, die ich
bisher gesehen habe! Sorgfältig bestellte Reisfelder in allen Stadien ihrer
Entwicklung, vom Pflügen der berieselten Felder bis zum Schneiden der Ernte,
wechseln ab mit besonders prächtigen kleinen Kokoshainen und dieses Bild
tropischer Fruchtbarkeit wird eingefasst von einem Rahmen besonders schöner
Berge. Auf der innen Seite eine zusammenhängende Kette, die Konturen aufreist,
die in ihren Keckheit an die Dolomiten erinnern, und auf der anderen Seite
ragen aus der Ebene drei, angeblich sogar vier Vulkane gewltig eindrucksvoll
empor, die freilich meist in Wolken gehüllt sind, aber bisweilen doch ihre
Häupter in erstaunlicher Höhe erscheinen lassen; dem einen von ihnen entsteigt
beständig eine äusserst wirkungsvolle Rauchwolke; bei dem anderen soll es auch
der Fall sein, doch habe ich es selbst nicht gesehen. In dieser Landschaft nun liegt ein
Tempel, der als der grösste Budda-Tempel der Welt gilt: ein merkwürdiger grauer
Haufen von Steinen, der eine Fläche fast so gross wie eine Pyramide von Gizeh,
bedeckt und eine Unsumme von Arbeit darstell, wie die grössten Dome der
Christenheit. Während dies aber himmelwärts streben und dadurch ihren wunderbar
erhebenden Eindruck erzielen, überwiegen hier die horizontalen Linien
vollständig. Das erklärt sich zum Teil wohl aus der Erdbebenhäufigkeit der
Gegend, die auch an diesem Bau in deutlichen Spuren erkenntlich ist; zum Teil
ist wohl auch das Steinmaterial daran schuld; dem der ganze gewaltige Bau
besteht aus Steinen, die selten über die Grösse von Pflastersteinen
hinausgehen, und nur die Budda-Statuen sind aus grösseren Blöcken gemacht. Aber
vor Allem ist das Volk, das diese Bauten errichtet hat, in der Archtiektur noch
nicht weit vorgeschritten; einen Bogen herzustellen, hat es noch nicht gelernt.
Überhaupt ist ein architektonischer Geist in der Massigkeit dieses Bauwerks
nicht zu spüren. Der Tempel erhebt sich von einem mächtigen Fundament aus
4 Gallerien und 3Terrassen, die durch ungefüge, rohe Treppen mit Stufen von
unbequemster Höhe mit einander verbunden sind. Das Ganze krönt eine riesige
zwiebelförmige Dagoba, die eine der 80000 Teilen der Leiche Buddas birgt und
dadurch zum Wallfahrtsort aller Buddisten geworden ist. Aber dem Klima und der
Bevölkerung entsprechend hat diese
Hauptdagoba geprangt kaninchenartige; auf den 3 Terrassen stehen nicht weniger
als 72 bei einander, grosser durchbrochenen Glocken gleich, von denen eine jede
eine Budda-Figur umschliesst; und auf den darunter liegenden vier Gallerien
wiederholt sich dieses Motif hundert-, ja ich möchte fasst meinen tausendfach.
Echt orientalische Wiederholungsucht charakterisiert das Ganze. Nicht weniger
als 432 Buddafiguren ausser den 72 Dagobas sind an diesem Bau vereinigt und der
einzige Unterschied besteht eigentlich im Gesichtsausdruck und in der
Fingerhaltung, die bald dem lehrenden, bald den meditierenden, bald den der
Welt entsagenden Budda darstellen sollen. Alle Gallerien sind nur nach Vollendung
des Baus mit Reliefs ausgeschmückt worden. Über 2000 solche oft sehr
figurenreiche Darstellungen sind vorhanden, deren Inhalt meist dem Leben Buddas
in seinen vielen Erscheinungsformen entnommen, zun Teil bisher unbekannt
geblieben ist. Aber, wie bei allen solchen Sachen, ist der Inhalt ja ziemlich
gleichgiltig; jeder Inhalt kann künstlerisch gestaltet werden; und auf der
untersten Gallerie ist das auch in oft überraschender Weise gelungen. Hier hat
ein wirklicher Künstler unmittelbar aus dem Leben geschöpft und eine grosse
Kraft der charakterischtisch mit einem wirklichen Reliefstil verbunden. Wie
hier verschiedene Volkstypen, Bogenschützen, Musikanten, Tänzer, auch Tiere des
Wassers wie des Landes, sowie Häuser und Schiffe wiedergegeben sind, ist umso
überraschender, wenn man bedenkt, dass nach der
verbreiteten Ansicht diese ganze
gewaltige Anlage aus dem 8. Oder 9. Jahrhundert, als unsere Vorfahren noch
Barbaren waren, stammen soll. Freilich weiss man, da Inschriften fehlen,
augenscheinlich sehr wenig über diesen Bau und seine Erbauer und selbst dieses
Wenige seinen Besuchern zugänglich zu machen, ist so gut wie nichts geschehen;
dass eine grössere deutsche Monographie darüber exitiert, ist sogar hier
gänzlich unbekannt und mir nur durch einen Zufall in Surabaja bekannt geworden. Ist das Ganze auch architektonisch ohne
künstlerische Wirkung (in dieser Beziehung ist der kleine Mendat. Tempel, den
ich auf dem Hinweg besucht habe, durch seine Einheitlichkeit und grosszügige
Profilierung viel wirksamer), so bietet es in Einzelheiten Vieles, das nicht
nur interessant, sondern auch künstlerisch ist. Für mich ist jedoch das
Bemerkenswerte, dass von der grossen Energie und Schaffenskraft, die in diesem
ungeheuren, weit hergeholten Steinhaufen verkörpert ist, nichts in der heutigen
Bewohnerschaft dieser Insel sich erhalten hat. Es ist mir sehr zweifelhaft, ob
das unter englischer, statt holländischer, Regierung im selben Masse geschehen
wäre. Ich habe bisher den Eindruck, dass die englische Kolonialverwaltung
unvergleichlich viel höher steht, als die hiesige, - Von Surabaja bin ich sofort nach
Borobudur heraufgefahren, da ich in Dohja, trotz telegrafischer Bestellung,
kein Unterkommen mehr gefunden habe. Eine Stunde vor Sonnenuntergang kam ich an
und es war ein schöner Sonnenuntergang für diesen letzten Abend eines
inhaltreichen Jahres. Auf einem Steintrümmer vor dem Tempel sitzend, im
Vordergrund besonders schlanke, hohe Kokospalmen, die ihre Kronen wirkungsvoll
vom Himmel abhoben, habe ich ihn mir angesehen und mit der Sonne sind die
Gedanken westwärts und immer weiter westwärts gewandert und ein grosses, tiefes
Heimweh hat mich beschlichen, je mehr ich mir den Dir zu dankenden Reichtum
dieses scheidenden Lebensjahres vergegenwärtigte. Mit Pfeifen habe ich mühsam
das wogende Herz ein wenig beschwichtigt. Im Rasthaus waren ausser mir nur zwei recht schwatzhafte Amerikanerinnen, die Alles,
was in ihren Kräften stand, dazu taten, die Stimmung des Ortes und des Tages zu
verderben. Auch der Leiter dieser kleinen Wirtschaft, ein früherer deutscher
Unteroffizier, der im französischen Krieg das eiserne Kreuz bekommen hat, war
zufällig verreist. Nur mit Einheimischen waren wir Drei deshalb hier zusammen.
Trotzdem liessen wir ruhig unsere Türen der Hitze wegen offen, so dass man fast
im freien inmitten der Tropennatur schlief; und wenn ich auch, mehr zur
Beruhigung als zum Schutz, zum ersten Mal meine Pistole neben mir hingelegt
habe, in vollster Ruhe konnte man in dieser Europäer-Einsamkeit schlafen. Dass
diese trägen, sanften Javaner früher schlimme, ungewöhnliche Gesellen gewesen
sind, kann man sich heute nicht vorstellen. Heute sind die unzuverlässigen
Mischlinge jedenfalls schlimmer (die Europeaner, wie sie höflich hier genannt
werden, die Sinjos, wie sie eigentlich heissen), als die „Inlanders“. Am anderen Morgen wachte ich schon
länger, als der „Jong“ um 5 Uhr zum Sonnenaufgang weckte und das Frühaufstehen,
das mir hier ganz natürlich erscheint, lohnt sich; denn wenn es auch nicht klar
war und gerade die Vulkane etwas weniger zurückhaltend hätten sein können, so
gaben doch tiefliegende Wolken und Morgennebel der Landschaft einen
eigentümlichen Reiz. Ein merkwürdiger Anfang eines neuen Lebensjahres, diesen
Sonnenaufgang von der Dagodbanischen Höhe des Borobudur-Tempels! Aber schon war
es mir ums Herz! Ich bin zum Vergnügungsreisenden nicht geschaffen und am
wenigsten zum einsamen. Es macht mir fast Gewissensbisse, wenn ich Schönes mir
ansehe. Ich muss auch beim Reisen arbeiten, zumal jetzt. Denn sonst kommt es mir als unerhört
vor, dass ich hier, fern von meinen Lieben, mich umhertreibe, unerhört und
unbegreiflich! Und nur Überlegung hält mich hier fest. Am liebsten reiste ich
sogleich zurück! Um 8 Uhr kam die Familie Huxley mit
einem grossen Automobil und mit ihr bin ich dann um 10 Uhr in genussreicher,
kühler Fahrt nach Djokja zurückgefahren. Du siehst, dass ich mich während des
briefschreibens stark verändert habe, und ich beendige diesen Brief sogar am 7.
März. Morgen fahre ich mit Herrn Professor Prinzkorn (früherer Leiter der
grossen Continental Kautschuck Gesellschaft in Hannover) und Herrn Konsul
Holdt, der früher ein grosses Importgeschäft in Westindien gehabt hat, weiter
nach Garut und in wenigen Tagen hoffe ich in Batavia endlich wieder Nachrichten
– und hoffentlich recht, recht gute ! – zu erhalten. Mir geht es weiter sehr
gut und ich stehe nach wie vor unter bester Obhut. Es grüsst die lieben Eltern und
Geschwister und gedenke Deiner in unaussprechlicher Liebe und unseres süssen
Pärchens, nach dem ich mich jetzt auch sehne, Dein Hermann. |
Weltefreden, den 11. März 1911. Mein lieber, guter
Schatz! Mein innigst geliebtes
Frauchen! Sehnsucht nach Narichten hat mich aus
den Bergen in die heisse Ebene hinuntergetrieben. Ich wollte nicht wieder einen
Sonntag ohne Nachrichten von Dir sein und glücklich befinde ich mich denn auch
jetzt im langentbehrten Besitz zweier Briefe von Dir. Aber sie datieren vom 5.
Und 8. Februar, sind also über einen Monat alt. So froh mich auch der Anblick
Deiner lieben Schrift gemacht hat, so sehr ich mich freue über die guten
Nachrichten von Euch lieben Dreien und Dir danke für die ausfühlichen
Mitteilungen, so hat doch Heimweh mich wieder so stark gepackt, dass ich Mühe habe mich zu beherrschen.
Es will mir wieder einmal ganz unsinnig erscheinen, dass ich hier so fern von
Allem, was mein Glück ausmacht sitze; ich glaube auch aus Deinen Zeilen die
Erwartung meiner alsbaldigen Rückkehr herauslesen zu können; hoffentlich hat
mein Entschluss, weiter zu reisen, Dich nicht zu sehr enttäuscht und
hoffentlich trägt er noch recht nützliche Früchte, von denen bisher nur wenige
sehr langsam gereift sind. Gestern war ich schon in froher
Wiedersehensstimmung. Gerade noch ein Monat bis zur Rückkehr. Wieviel Du
nochmit Briefen mich in Singapore, Colombo, Aden erreichen kannst, wirst Du
wohl am besten mit der Bonner Agentur besprechen. Heute ist das Heimweh auch
dadurch gestärkt worden, dass ich so schwer von Java wieder fort kam. Alle
Dampfer auch von hier sind bereits besetzt, ebenso wie alle Europa- + Amerika-
Dampfer. Der Menschheit ist hier zu viel
geworden! So muss ich bis heute in 8 Tagen hier noch aushalten und so viel
länger auf weitere, in Singapore wartenden Briefe mich gedulden. Ich gebe mich
immer der Hoffnung hin, dort auch von Papa einen Brief und Ratschlag
vorzufinden. Ich überlege immer von neum, ob ich sogleich nach meiner Rückkehr
in den ersten Maitagen noch meine Sommer-Vorlesungen beginne oder den einmal
bewilligten Urlaub zu ostasistischen Studien, die ich ja doch einmal von neuem
aufgenommen habe, benutzen soll. Noch in Bonn könnte ja die endgültige
Entscheidung erfolgen; aber sehr lieb wäre es mir, noch unterwegs kurz von Dir
zu erfahren, wie Du über diesen Punkt denkst. Ich bin im Schreiben schon wieder
ruhiger geworden und Fühle, dass Du – jetzt werden etwa die Kinder gebadet – an
mich denkst! Ich bin unendlich glücklich in unserer Liebe und Alles, was ein
Menschenherz an Schönem, Lieben und Guten wünschen kann, das sende ich Dir und
unserem süssen Pärchen hinüber über den Ozean! – Inzwischen ist es Sonntag früh geworden
und ich komme gerade von einer mehr als zweistündigen Unterredung mit unserem
Generalkonsul Anton, mit dem ich gestern Abend schon lange gesprochen habe,
zurück. Das ist eigentlich das kurioseste Opfer der Kronpinzenreise! Er will
nämlich den Abschied nehmen, was mir auch nicht nur in seinem, sondern auch im
deutschen Interesse zu liegen scheint. Nur des Kronprinzen wegen hat er diese
Absicht noch hinausgeschoben und ist vor wenigen Wochen noch einmal hierherausgekommen.
Sein Amt interessiert ihn nicht mehr im mindesten. Er wohnt hier auch ganz
provisorisch, im selben Hotel, in das mich die allgemeine Überfüllung dieser
Insel verschlagen hat. Er wartet nur auf ein erlösendes Wort aus Berlin, das es
ihm gestattet, die Rückreise wieder anzutreten. Er ist ganz aufgebracht über
die Kronprinzenreise, da er selbst fast gar keine Nachrichten über sie erhalten
hat; die deutsche Regierung hat vielmehr unmittelbar die holländische von der
Aufgabe der Reise verständigt. Auch er ist gekränkt. Für mich ist das nicht
ohne Wert! Ich hatte selbst vom Kronprinzen eine persönliche Mitteilung
erwartet. Sie scheint mir eigentlich „natürlich“ zu sein. Aber schon Herr
Generalkonsul Kiliani in Singapore meinte, dass hier Alles, was „natürlich“
erscheine, am unwahrscheinlichsten sei; und wenn man so sieht, dass es überall
das Gleiche ist, dass es im System liegt und Unterschiede in der Person
überhaupt nicht gemacht werden, dann verliert Alles jeden persönlichen Stachel.
Auch war und bin ich ja nicht leicht zu erreichen. Ich ärgere mich deshalb in
dieser ganzen Sache wirklich nicht. Deine deswegen durchblickende Besorgnis ist
unbegründet. Ich nehme das Ganze als eine merkwürdige Tatsache hin, weiter
nichts; ich bin eben doch ein erfreulicher Dickhäuter schon geworden! Unser Generalkonsul
hier ist nicht ein Mann nach meinem Herzen. Er ist ein durch und durch
gelangweilter und gleichgültiger Mann, ohne Streben und ohne Ideale. Dabei
nicht dumm. Manches scheint er mir richtiger zu beurteilen, als Generalkonsul
Kiliani, der sich leicht etwas vergallopiert und stark unter dem Einfluss
unserer Marine steht. Aber dieses erfolgreiche Streben nach einem Minimum von
Arbeit und Betätigung ist meiner Natur von Grund aus zuwider; und wenn wir viele
Vertreter dieser Art hätten, stände es schlimm um uns. Hier im Zentrum des
holländischen Kolonialreiches ist es vielleicht politisch gar nicht so übel:
dieser unser Vertreter wird nie den Eindruck ehrgeiziger Ambitionen
hervorgerufen haben und von diesem Gesichtspunkt aus erscheint es mir sehr
zweifelhaft, ob es richtig sein würde, einen sympathischen Feuerkopf, wie
Kiliani, seinem lebhaften Wunsch entsprechend zum Nachfolger hier in Batavia zu
machen. Untätige Gleichgültigkeit darf
man hier aber kaum als Individuelles betrachten. Überall zeigt sie sich and
zwar ganz anders, als in englischen Kolonien, wie Singapore + Ceylon. Mir
scheint das ja mit der Mischlingswirtschaft in Verbindung zu stehen. Die lange
Ignorierung alles Rassegefühls und enge Verbindung mit als gleichberechtigt geltenden Mischlingen wirkt
deprimierend auf das Leben der Europäer. Es verliert auch äusserlich Halt und
Würde! Während der Engländer Sport treibt und eine angenehme Geselligkeit in
seiner freien Zeit pflegt, verwendet hier Jeder seine Mussestunden,
halbschlafend sich im äussersten Neglige herumzutreiben. Deshalb ist es auch so unendlich schwer, an
einen Anderen heranzukommen. Die Besuchszeit ist abends 7 ½ - 8 ½; damit man
aber angezogen ist, muss man sich schriftlich vorher anmelden; und dann würde
es unhöflich sein, den Besuch so karg zu bemessen, dass noch ein zweiter am
selben Tage möglich wäre. Man will eben für sich allein herumsumpfen! So
verliert ein Fremder nutzlos unglaublch viel Zeit und mein heutiger Sonntag ist
in seiner Faulheit und Inhaltslosigkeit arg javanisch. Ich hatte auf Herrn
Zimmermann, Chef der hiesigen grossen Firma Maintz + Co (Frankfurter Juden, die
Pariser geworden sind) gerechnet, doch ist er für einen Tag verreist. Ich sitze
daher ziemlich auf dem „Proppen“. Doch siehst Du, dass ich nicht
ausschliesslich dem Vergnügen nachgehe. Das war in Gesellschaft der Familie
Huxley zu sehr der Fall und darum habe ich mich getrennt. Allein falle ich
allen möglichen Leuten mit meinen Fragen ins Haus; und insbesondere vom
„Secretarius“ der Verwaltung in Djokjakarta habe ich viel Interessantes über
das dort bestehende Sultanat erfahren. Nur bei solcher Art der Reiserei, die
nicht ganz frei von Philiströsem ist, empfinde ich ein Gefühl der Befriedigung
und ich habe aus meinen langen Unterredung mit Herrn Generalkonsul Anton doch
soeben gesehen, dass ich mit den javanischen Verhältnissen ganz leidlich
vertraut geworden bin. Zum tagebuchartigen Berichten
bin ich heute nicht gekommen; doch will ich es in abgekürzter Form bald
nachzuholen suchen. Heute begnüge Dich mit diesem Gruss, mein süsses Lieb!
Meine Gedanken sind mit Wünschen und Sorgen besonders viel bei Dir. Ich
ängstige mich ein wenig wegen der fieberhaften Halsentzündung der lieben
Eltern. Möchte sie Dich und die süssen Kleinen doch verschont und auch die
Eltern nicht sehr mitgenommen haben! Bis morgen in acht Tagen muss ich wieder
auf Nachrichten mich gedulden. Hoffentlich finde ich dann in Singapore recht
gute! Es umarmt und küsst Dich in
zärtlichster Liebe Dein Hermann. |
Welsfreden, den 13. März 1911. Geliebtes
Frauchen! Ich habe hier heute, ordentlich
aufatmend, zwei wirklich tüchtige Männer
kennen gelernt. Das eine ist der Hauptvertreter der grossen Kgl.
Niederländischen Dampfschiffahrts-gesellschaft, die mit ihren mehr als 60
Dampfern den Verkehr in dieser Inselwelt – nicht nur den 5 grossen Sundainseln,
sondern auch die kleinen! – beherrscht, und einen Herrn Zimmermann aus
Königsberg, der hiesige Chef der gestern schon erwähnten Firma Maintz + Co, der
zugleich Vertreter der A.E.G sowie der Deutsch-Australischen
Dampfschiffahrsgesellschaft ist. Auf Herrn Z., der mich abholen will, warte
ich, während ich im Schweisse meines Angesichts – Du kannst Dir schwer
vorstellen, wie wörtlich das zu nehmen ist! – diesen Brief schreibe. Durch
beide Herren bin ich auch etwas weiter gekommen. Gott sei Dank! Denn diese
verlotterte und verschlafene holländisch-javanischen Mischlingwirtschaft ist in
ihrer phlegmatischen Umständlichkeit und Langsamkeit geradezu unerträglich!
Möchte unser Volk vor solchen Kolonialen Einflüssen bewahrt bleiben! Ich freue
mich heute, dass wir in der Zeit vor dem Suezkanal, wo der Verkehr mit dem
Heimatland noch so schwer war und europäische Frauen hier nicht existierten,
noch keine grossen Kolonien besessen haben und bewundere immer mehr das
kraftvolle, stolze Herrenvolk der Engländer! Wenn doch nationaler Chauvinismus
uns nicht hinderte, diesen gewaltigen Gegensatz in seiner ganzen riesigen
Tragweite zu erkennen. Ich war geradezu erschrocken, als unser Generalkonsul heute morgen in rührender Naivität sagte:
merkwürdig, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Dass die Holländer es
vermeiden, darüber nachzudenken und zu reden, verstehe ich. Verschiedene
Zeichen sprechen aber deutlich dafür, dass im Mutterland die ganze Schwere der
Lage erkannt sind; der Secretarius des Roads von Niederländisch-Indien hat mir
in einem vertraulichen Gespräch auch sehr interessante Mitteilungen in dieser
Hinsicht gemacht. Aber dass unsere lieben Landskeute das Vorhandensein dieses
Problems nicht einmal bemerken, ist mir geradezu unbegreiflich. Vielleicht kann
ein grosses Volk die Nachgiebigkeit sich leisten, alle Mischlinge jeglichen
Grades als Europäer anzunehmen; für Holland bringt das die Gefahr mit sich,
dass die 5 Millionen Weissen von 30 Millionen Braunen langsam untergebuttert
werden. Vieles, das mir im europäischen Holland immer unverständlich war, ist
mir hier verständlich geworden. Die zwei Jahrhunderte Kolonialwirtschaft sind nicht
spurlos an diesem Germanenvölkchen vorübergegangen! Wie hat das
Rassenselbstgefühl dagegen den Engländer in kräftigen Mannhaftigkeit aufrecht
erhalten! Die beiden letzten
Tage waren nicht angenehm, aber sie haben mir doch Erkenntnisse vermittelt, die
mir für unser deutsches Volk sehr wichtig zu sein scheinen und die ich bisher
noch nirgends ausgesprochen gefunden habe. Hier kann ich natürlich im Einzelnen
nicht ausführen, um was es sich handelt. Liebes Edithlein,
Dieser Erguss wird Dich wohl etwas erstaunen und kaum interessieren. Ich will
daher versuchen, den unterbrochenen Reisebericht weiter zu führen. Mit dem
Borobudur und der Automobilrückfahrt von dort nach Djakja hatte ich aufgehört. Dort befand ich mich
in dem „Fürstenladen“. In Djohja und Solo sitzen nämlich noch zwei Sultane, die
formell einer gewissen Souveränität sich erfreuen. Früher sind das sehr
kriegerische Herrscher gewesen. Sie haben die Bevölkerung fürchterlich
bedrückt, ihr aber auch wohl diese Folgsamkeit und doch Botmässigkeit
beigebracht. Allerdings ernten heute die Europäer die Saat, die sie gestreut
haben. Es ist sehr merkwürdig, mit welcher unterwürfigen Ehrfurcht man oft
aufgenommen wird. Nicht nur werden die grossen Hüte auf mehr als 20 Schritt
Entfernung schon abgenommen; vielfach – zumal die Frauen – kniet man auch
nieder; und wer es ganz fein macht, der wendet Einem möglichst wirkungvoll die
Rückseite zu. Es gilt als unschicklich, den weissen Herrn anzusehen. Solche Auffassungen
und Sitten bringen nur orientalische Herrscher einem Volke bei. Von dieser
Herrschaft gewinnt man auch noch einen kleinen Eindruck in Djohja durch Besuch
des „alten Water-Kastells“. Es ist das einer alten Schlossanlage mit
zahlreichen Teichen, die ein begabter holländischer Architekt im 18.
Jahrhundert angelegt hat. Sie ist jetzt unbewohnt, verfallen und überwuchert.
Mancher malerische Winkel ist in ihr vorhanden, der in seiner Märchenhaftigkeit
auf viel entfernte Zeiten zurückzudeuten
scheint. Das Ganze, das europäischen Wohnbegriffen zwar spottet, entspricht
aber doch noch ein wenig den Vorstellungen von einem javanischem Sultan. Ganz
anders heute die Wirklichkeit! Hohe weisse Mauern, vielfach durch Palmzäune
festgesetzt, umschiessen heute das Reich des Sultan, das „Kraton“ genannt wird
und annährend 15.000 Seelen umschliesst. Nur mit Erlaubnis des höchsten
holändischen Beamten, des Residenten in Djohja, darf man dieses Reich betreten.
Schönes umschliesst es nicht. Aber es bietet das Bild einer Lotterwirtschaft,
wie sie wohl nicht lange auf diesem Erdball mehr anzutreffen ist. Der 70
jährige Sultan, der auf Bildern in seiner Generalsuniform gar nicht schlecht
aussieht, hat etwa 80 Kinder. Die Hälfte von ihnen sind Prinzen, zu denen Onkel
und Vettern in unübersehbarer Menge hinzukommen. Der „Secretarius“ des Residenten
hat mir versichert, dass weit über die Hälfte der 15.000 Insassen des Kraton
zur Verwandschaft gehört, hat nur eine schwere Pflicht: man darf unter
keinen Umständen arbeiten und diese Pflicht wird unendlich ernst genommen. Die
Meisten schlafen dauernd; die höchsten Prinzen aber ergötzen sich mit
Hahnenkämpfen; überall sieht man diese Kampfhähne und ein jeder von ihnen hat
seinen besonderen „Groom“. Eine verrückte Wirtschaft und kein gutes Zeichen für
die holländische Verwaltung! Was hat England nicht aus den Radjas gemacht! Wie
hat es verstanden, sie in den Dienst seiner Kulturaufgaben zu stellen. Hier
nicht der geringste Versuch, die Bildung zu heben und einen selbständigen
nützlichen Pflichtenkreis anzuweisen, - Am Nachmittag war
ich mit Herrn Professor Pringhorn + Konsul Kohlt im Trümmerfeld der acht Tempel
von Brambonun. Nicht so schön, wie der Borobudur, aber immerhin recht
interessant. Ich freue mich, dass ich das noch mitgenommen habe. Am anderen Morgen
fuhren wir zu Dritt nach Garot, dem hoch und schön gelegenen Erholungsort der
Westhälfte Javas, der auch von anderen Teilen Südost-Asiens viel aufgesucht
wird. Nach heisser Fahrt kamen wir mit zwei Stunden Verspätung an. Am Nächsten
Morgen ein genussreicher Rundgang durch blumenreichen Ort und am Nachmittag
eine sehr schöne Ausfahrt. Ihr erstes Ziel war ein merkwüdig wild und urwüchsig
aussehender See Leles; auf ihm trieben sich, irgendwelche noch so kleine
Lebewesen fischend, Eingeborene umher, zum Teil in primitivsten Einbäumen, zum
Teil bis zum Hals im Wasser watend. In der Mitte eine kleine Urwaldsinsel, der
man jegliches Tropengetier gern zumutete. Auf eigenartigem Gefährt haben wir
dieses Sumpfgewässer befahren; es bestand daraus, dass ein aus Palmen und
Bambus hergestelltes Floss auf 3 Einbäume gelegt wurde; mit Staken und Rudern
bewegten wir uns leider so langsam fort, dass ein aufziehendes Regenwetter es
leider unmöglich machte, programmgemäss auch noch die heissen Quellen von Tjipanes
uns anzusehen. Diese nachmittägliche Regnerei erschwert das Reisen doch
vielfach. Am anderen Morgen
brach ich mit den beiden Hannoveraner Herren noch im Dunkel um 5 Uhr auf. Alle
Drei hoch zu Ross. Ich an der Spitze, da ich als bester Reiter als bald wieder
erkannt war. Ein Weg, der selten gemacht ist. Der deutsche Wirt des Hotels meiner Reitgenossen hatte ihn gerade gemacht
und sehr empfohlen. Und mit Recht! Der Ritt ging durch ein an schönen
Ausblicken reiches Waldgebiet mit herrlichen Blumen. Das Ziel bildete ein
Kratergebiet mit zahllosen Schwefelquellen, das ganz interessant ist, aber mir
doch eigentlich nicht besuchenswert erscheint. Trotzdem war der Ausflug sehr
gelungen; auch habe ich ihn nicht mit solchen Reitschmerzen zu bezahlen gehabt,
wie wie meine beiden Gefährten. Am Nachmittag
verliess ich sie und fuhr nach Bandoeng, wo der Expresszug abends halt macht,
da die Eisenbahn hier nachts wunderlicher Weise nicht fährt. Am anderen Morgen um 6 Uhr weiter nach
Batavia, wo ich Deine beiden Briefe erhielt, mir Geld holte und als dann nach
Weltefreden fuhr. So hätte ich in
meiner Beschreibung wieder Anschluss gewonnen! Eine heisse Arbeit. Gute Nacht,
süsses Lieb! Ich freue mich, wenn ich erst wieder von Mund zu Mund mit Dir
verkehren kann! In grosser Liebe Dein
Hermann.
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Buitenzorg, den 16. März 1911. Mein süsses Lieb! Heute ist der
glückselige Tag, an dem ich Dich vor zwei Jahren zum ersten Mal ans Herz
drücken und mein nennen durfte! Wie gedenke ich seiner mit Dankbarkeit und wie umfliegen
Dich und unsere Kindlein meine Gedanken mit den Herzlichsten Wünschen und
Grüssen! Ich bin hier in
Buitenzorg, aber leider nicht so ganz sorgenfreien Sinnes, wie der Ortsname
andeutet; ich sehne mich mit wachsender Ungeduld nach Nachrichten und freue
mich ununterbrochen auf Montag, wo ich sie hoffentlich, recht, recht
befriedigend in Singapore finde. Aber ich bin
aufge...(?) hier in Buitenzorg. In Batavia-Weltefreden habe ich mich nicht wohl
gefühlt. Die Stadt ist heiss, staubig + reizlos; auch nachts kühlt es nicht ab
und die Moskitos sind eine unverschämte Plage. Ärger aber ist die
Langstieligkeit der Bevölkerung. Sie hat mich halb wild gemacht und zeigt zum
mindesten, dass man für Reisende nicht anerkennt, dass Zeit Geld ist. Trotzden
habe ich schliesslich doch erreicht, was ich wollte. Der Abend mit Herrn
Zimmermann war sehr nett. Es war noch ein alter schweigsamer Pflanzer, namens
Krieger (aus Hamburg) dabei und anfangs der Direktor nebst Gemahlin. Ich habe
viel Interessantes erfahren. Herr Z., der zugleich grosser Musikfreund und
eifriger Sammler chinesischen Porzelans ist, ist ganz mit Java verwachsen und
sieht auf das Land mit Dankbarkeit und Anhänglichkeit, denn als schwer
lungenkranker, schmächtiger Mann ist er einst hierher gekommen und hier
erstarkt zu einem kräftigen Mann von ungewöhnlicher Leistungsfähigkeit; schade,
dass ein solcher Mann, der durchaus als Deutscher fühlt und geradezu als
vorbildlicher Deutscher bezeichnet werden kann, für eine in Paris domizierte
Firma schafft und wirkt. Gerade jetzt organisiert er wieder, wie er mir
vertraulich mitteilte, mit belgischem Kapital ein grosses
Plantagen-Unternehmen. Leider steht unser deutsches Kapital – mit einer
Ausnahme – verständnis- und teilnahlos den hiesigen Verhältnissen gegenüber. In
anderen Teilen der Welt steht es besser mit uns, als hier in Java. Viel Kraft
und Arbeit ist hier nutzlos von uns vergeudet worden! Wir scheinen auch niemals
einen Generalkonsul gehabt zu haben, der seiner hiesigen Aufgabe gewachsen war. Am anderen Vormittag
habe ich auch zwei tüchtige holländische Beamte kennen gelernt. Sie sind gerade
in leitende Stellungen gekommen und zeigen, dass mit der jüngeren Generation
doch auch moderner Geist und grössere Tatkraft in diese Kolonialverwaltung kommen.
Der Eine ist Herr Homan v.d. Heyde, der gerade Directeur des Departments der öffentlichen
Arbeiten oder, wie man hier sagt, des B(urgerlyke) O(enbase) W(erkin) geworden
ist, und der Andere ein Herr Koo de la Fuille, der Inspecteur der agrarischen
zaken genannt wird. Beide waren nicht nur sehr Liebenswürdig, sondern haben mir
durch ausführliche Auskünfte mannigfach genützt. Einigermassen
gesättigt fuhr ich in der heissen Mittagsstunde um 2 Uhr hierher, wo die Luft
doch merken lässt, dass man c 260m über dem Meere sich befindet. Die fast zwei
Stunden lange Faht wurde dadurch verkürzt, dass ich mit einem Herrn Dr. Schoepfer
reiste, der einst vom Oesterr. Handelsministerium hierhergeschickt worden ist
und enige recht gute Berichte über Java verfasst hat. Er ist ein hochgebildeter
und begabter Mensch und es ist eigentlich traurig, was aus ihm geworden ist,
wenn er auch selbst augenscheinlich ganz zufrieden ist. Ein typischer Fall! Er
ist einer Halfcast zum Opfer gefallen, die vielleicht einst ganz hübsch war und
auch nicht ohne Bildung ist. Aber sie ist nicht nur in kürzester Frist nach allen
Seiten aus Rand und Band gegangen, sondern auch von so grosser
Unliebenswürdigkeit, dass ich am Abend, als ich bei ihnen war, am liebsten sie
verprügelt hätte. Die drei kleinen Kinder sind jetzt ganz niedlich und
possierlich in ihrer Eigenart, aber sie eröffnen doch nur traurige Blicke in
die Zukunft. So ist dieser sicher sehr entwicklungsfähige Mann hier hängen
geblieben und ist auch jeder Wunsch in ihm erstorben, nach Europa
zurückzukommen. Was er jetzt eigentlich treibt, ist mir dunkel geblieben; er scheint mir das Hotelwesen und
den Fremdenverkehr hier entwickeln und verbessern zu wollen und hat sich damit
allerdings ein Feld gewählt, auf dem sehr viel noch getan werden kann. Seine
Bekanntschaft war mir recht wertvoll. Der nächste Tag war
so recht nach meinem Herzen! Gleich nach dem Frühstück kam ein stolzes
Siemens-Schuckertsches Automobil vorgefahren. In ihm sass der grösste russische
Theekäufer. Nicht weniger als 27.000.000 Pfund Thee werden von seiner Firma
alljährlich angesetzt. Das war für mich darum besonders interessant, weil die
grossen Veränderungen, die gerade auf dem Welttheemarkt vor sich gehen, in
Russland einen Hauptausgangspunkt haben. Russland ist nämlich im vorigen Jahr
plötzlich in Indien erschienen und hat dort 10.000.000 lbs aufgekauft, weil die
Aufnahmefähigkeit der russischen Bevölkerung so gewachsen ist, dass die
chinesische Theeernte nicht ausreichten. Auch eine Geschmacksänderung in Bezug
auf die Farbe des Thees hat mitgewirkt. Durch diesen unerwarteten russischen
Vorstoss entstand ein Ausfall auf dem Londoner Markt, der umso fühlbarar wurde,
als der grosse „Rubber Boom“ viele Pflanzer in Ceylon veranlasst hatte, auf
bisherigen Theepflanzungen Kautschuck zu ziehen. Diese russische Theenachfrage
erscheint nun gerade jetzt in Java zum
ersten Mal. Ihrem Vertreter, Herrn
Pracke, und mir hatte das Straits + Sunder Syndicate ihr vortreffliches
Automobil zur Verfügung gestellt. Es war ein köstlicher Morgen und die schnelle
Fahrt durch die wundervolle Natur dieser fruchtbaren Insel ganz ungewöhnlich
genussreich! So zu reisen ist in diesem heissen Klima unzweifelhaft das einzig
Wahre! Der reichlich 1 ½
Stündigen Automobilfahrt schloss sich dann noch auf schmalen bergigen Wegen
eine fast einstündige Wagenfahrt an. Dann waren wir in schöner freier Lage auf
halber Berghöhe in Passir Datar. Und es macht den Eindruck, als wären wir bei
Bekannten! An der Spitze der grossen Thee-Plantage steht nämlich ein ganz
famoser Deutscher, Bartels mit Namen, ein Mann, den man sogleich lieb gewinnt,
und von dem man sogleich den Eindruck bekommt: der rechte Mann am rechten
Platz. Er ist unzweifelhaft ein besonders erfolgreicher Pflanzer, was auch
darin sich zeigt, dass er als „Administrateur“ oder „Adviseur“ auch auf einer
ganzen Reihe anderer Plantagen tätig ist. Sein ganzes Leben hat ihn aber auch
bestimmt für diese Stellung. Mit Schule und Vater ist er dadurch in Konflikt
gekommen, dass er von früher Kindheit an auf Vögel Jagd machte. Seine Vogelliebhaberei hat ihn
auf merkwürdigen Umwegen hierher gebracht. Sie hat ihn, wie Wenige, mit dem
Lande vertraut gemacht. Und heute besitzt er eine Sammlung von 8.000
javanischen Vögeln, die grösste und beste Sammlung dieser Art, die ihm mit
allen Ornithologen der Welt bekannt gemacht hat. Auch mit unserem Königs steht
er in Verbindung und einer seiner drei fixen
Söhne heisst Ernst aus Verehrung für Hankel. Tieftraurig ist er, dass Hankel,
als er Java bereiste, nicht bei ihm gewesen ist, und er gehört zu den Vielen,
die gewaltig schimpfen auf den Herzog von Mecklenburg; er hatte in wochenlanger
Arbeit seine Sammlung für ihn hergerichtet und da sagt er im letzten Augenblick
ab. Am vögelreichsten Ort der holländischen Küste hat sich Herr Bartels
eingekauft; dort will er, wenn er sich zur Ruhe setzt, die Vogelkunde Javas
verfassen, illustriert von seinem Bruder, der als Maler im Schwarzwald sitzt
und die Vogelliebe teilt. Die Liebe zur Natur
beseelt auch Herrn Bartels als Pflanzer. Seine Pflanzungen und Theefabrik haben
wir eingehend besichtigt. Herr Kracke hat sich als virtuoser „Tea taster“
gezeigt und mit Interesse habe ich den Verhandlungen zwischen dem Produzenten
und dem Konsumenten beigewohnt. Das war die richtige Verbindung des Angenehmen
mit dem Nützlichen. Am gemütlichen
Mittagessen nahm auch die nette, doch etwas abgemühte und abgemagerte holländische Frau teil und die Bilder meiner
Zwillinge nebst Zubehör wurden eifrig und verständnisvoll bewundert. Leider wurde unsere
Rückfahrt durch ein furchtbares Tropenwetter so verzögert, dass wir tief in die
Nacht hineinkamen. Auf die schöne Aussicht mussten wir verzichten. Trotzdem ein
prachtvoller Tag. Den ich nicht vergessen werde. Ganz anders hat sich
der heutige Jubiläumstag gestaltet! Er ist sehr ruhig, zu ruhig verlaufen! Am
Morgen war ich mit dem Haupt-Kautschuck Mann Javas, einem Herrn Dr. Tromp de
Haas, zusammen und dann habe ich mehrere Stunden in der guten hiesigen
Bibliothek erfolgreich gearbeitet. Meine Versuche aber, die Grüsse Koerniches
hier anzubringen, sind erfolglos geblieben. Keiner der verschiedenen Herren
habe ich habhaft werden können. Da ausserdem am Nachmittag alsbald ein
furchtbares Unwetter wieder einsetzte, so blieb nichts Anderes übrig, als der
Landessitte entsprechend zu faulenzen. Man hat dafür hier einen wundervollen
Ausdruck: Klimaat schieten! Ich kann’s auch schon! Wegen des schlechten
Wetters habe ich vom berühmten Botanischen Garten bisher weniger gesehen, als
ich wünschte. Nur gleich nach Ankunft in Buitenzorg bin ich in ihm 1 ½ Stunden
herumgestrolcht, im Schweisse meines Angesichts. Gewiss habe ich auch viel
Schönes in ihm gefunden, aber einen überwältigenden Eindruck, wie seinerzeit
der Botanische Garten von Peraderia in Ceylon, hat er nicht bei mir
hervorgerufen. Künstlerisch so wirksame Gruppen hat er nicht aufzuweisen.
Vielleicht dass Gelehrtengeist ihn umso meht beherrscht! Heute Abend hoffe
ich noch Mancherlei über ihn zu erfahren. Dann auf meinen etwas erfolglosen
Irrfahrten heute bin ich durch Zufall mit dem Sohn des berühmten de Vries
bekannt geworden, der als Chemiker hier
irgendwie tätig ist. Wir wollen den Abend zusammen sein. Morgen wird noch
eine Plantage Dramaga, wo besonders auch Kautschuck gewonnen wird, besucht
werden; Leiter: ein Holländer, namens van Motmann. Am späten Nachmittag zurück
zum ungemütlichen Westefreden und tags darauf Abschied von Java und Antritt der
Rückfahrt nach Singapore, der erste Schritt der Heimkehr! Schnell werden die
anderen jetzt folgen und dann haben wir uns wieder. Hoffentlich Alle gesund,
frisch und froh! Wie himmlisch erscheint mir dieser Augenblick des
Wiedersehens! Ich hoffe von meiner Reise, ausser manchem für meinen Beruf
Nützlichem, auch noch den grossen Vorteil mit zu bringen, dass ich für mein
häusliches Glück noch grösseres Verständnis habe, als bisher. Grössere,
wahrere, heissere Liebe, als sie mich Dir gegenüber dankbar erfüllt, lässt
sich, glaube ich, nicht empfinden. Ihrer wollen wir uns recht erfreuen nach der
Heimkehr. Küsse meine Kinder,
grüsse die Eltern und Geschwister und lass Dich im Geiste innigst ans Herz
drücken! Dein
Hermann. |
An Bord des „van Noord“ Am 20. März 1911. Herzliebes
Frauchen! Ich bin in ganz glückseliger
Stimmung! Soeben habe ich in Singapore eine ganze Reihe sehr lieber Briefe
bekommen mit guten Nachrichten und den reizenden Bildern unserer beiden
Kleinen! Sie habe aus mir einen ganz anderen Menschen gemacht und die - -
Reiselust wieder ordentlich belebt! Es sind Deine beiden Briefe vom 18. Und 22.
Februar, ganz besonders liebe Briefe! Es ist reizend, wie Du über mein
Fortbleiben schreibst und mir Mut und Lust machst zum Weiterreisen! Das hat
eine sehr grosse Wirkung auf mich ausgeübt, da ich selbst die Richtigkeit
meines Entschlusses manchmal anzweifle und mein Reisen überflüssig und verschwenderisch
finde. Das sind Stimmungen, die ich jetzt wirksam zu bekämpfen vermag mit
Deinen Briefen; alle bisherigen Nachrichten waren voll von der Erwartung meiner
alsbaldigen Rückkehr. Auch die Eltern haben mir zu meinem Geburtstag ganz
reizend geschrieben. Sie haben mir eine ausserordentlich grosse Freude
bereitet! Danke ihnen einstweilen in meinem Namen! Die Hauptfreude aber
sind die Bilder! Ja, ich scheine ein ganz besonderes Gesicht gemacht zu haben,
als ich sie entdeckte; ich bin wenigstens schon zwei Mal daraufhin angeredet
worden! Ich finde es ganz erstaunlich, wie sich in dem einen Monat unser
Pärchen verändert hat! Wie sitzen die unternehmungsdurstig in ihren Stühlen!
Und man sieht ihnen an, dass sie es verstehen werden, etwaige trübe Gedanken
bei ihrem Mütterchen zu verscheuchen! Möchte ihnen das niemals schwer fallen!
Möchten sie so fidel bleiben, wie sie auf den Bildern erscheinen! Auch was die
Eltern, insbesondere die liebe Mama über sie schreiben, hat mich sehr glücklich
gemacht! Auch in der Ferne giebt es doch grosse Freuden, Freuden, die gerade in
ihrer Vereinzelung besonders eindrucksvoll sind! Hab Du, herzliebe Edith, habt
Ihr Alle in der Coblenzerstrasse hezlichsten Dank! Und so bin ich in
dieser dankbaren und glückseligen Stimmung? Auf der Fahrt nach Sumatra! Das ist
mir selbst fast unerwartet gekommen! Heute Morgen um 8 ½ kam ich von Java in
Singapore nach sehr angenehmer Reise an. Mein erster Gang war nach Briefen
vergeblich! Noch Alles verschlossen! Ebenso erging’s mir im Generalkonsulat. Doch
gelang es mir wider Erwarten doch, bis 9 ½ Uhr Alles zu besorgen; nur konnte
ich Billet und Geld für Sumatra mir nicht mehr besorgen. Trotzdem lief ich zum
Hotel, bestellte mein Zimmer wieder auf, packte meinen Koffer wieder zusammen
und fuhr zurück zum Dampfer „von Noord“, mit dem ich soeben angekommen war.
Kurz vor seiner Abfahrt um 10 Uhr traf ich bei ihm ein. Jetzt schreib ich auf
seinem menschenleeren Deck. Dieser schnelle
Entschluss bedeutet für mich eine grosse Zeitersparnis. Denn der nächste Sumatra-Dampfer
fährt erst am Sonnabend und heute ist Montag. Auch bin ich auf diesem Dampfer besonders nett
aufgenommen. Der Generalvertreter dieser grössten holländischen
Dampfergesellschaft, Herr Lambach in Batavia, hat mich dem Kapitän besonders
empfohlen und mir durch ihn sogar ein grosses wertvolles Werk, dessen
Anschaffungswert 50-100 M ist, als Geschenk überreichen lassen. Diese
ungewöhnliche Gunst wurzelt in zwei langen Gesprächen über die Entwicklung von
Java als Reisland und vor Allem wohl darin, dass er mir sehr gute Unterkunft
versprochen, mich aber doch schliesslich wegen Überfüllung in der II.Kabine
unterbringen musste. Dafür bin ich aber bei jeder Gelegenheit auf der Brücke –
soeben habe ich noch unseren Dampfer aus dem Singapore Hafen herausgesteuert,
unter Assistenz von zwei Lootsen – und von der Kabine mache ich nur zum An- und Ausziehen Gebrauch. Ich habe nämlich
beide Nächte auf Deck geschlafen, allerdings die erste mit einigen
Hindernissen. Denn um 2 Uhr nachts gab es eine „Sumatranche“, d.i. ein
Tropenwetter, wie es besonders an der Küste Sumatras vorkommt; und ich muss
sagen: es hat mir imponiert. Manches Tropenschauer habe ich in den letzten
Wochen staunend erlebt, aber dieses übertrief weit doch alle! Obwohl ich einen
sehr geschützten Platz hatte, wurde ich doch in einer Minute völlig durchnässt
und den unglaublichen Wassermassen, die plötzlich über das Schiff in allen
seinen Teilen losbrachen, stand ich so komisch hilflos gegenüber, dass ich in
lautes Lachen ausbrach. Das verging mir aber doch, als die Maschine des
Schiffes plötzlich anhielt. Einen Augenblick dachte ich, unser Kasten könne dem
Ansturm nicht standhalten; einem schwächeren Schiff wäre es auch wohl schlecht
bekommen. Ich möchte diese Erfahrung nicht missen, bin auch von Deck nicht
gewichen und werde auch wohl die nächste Nacht auf ihm bleiben, obwohl mir
jetzt zwei Kabinen erster Klasse zur Verfügung gestellt sind. Morgen Nachmittag
kommen wir in Deli-Medan an. Ich bin begierig, was dann wird. Erst an Ort und
Stelle kann man ein Programm aufstellen. Der letzte Tag in
Java war noch sehr befriedigend. Es galt dem Besuch der Plantage Dramaja, die
zu den mit Souveränitätsrechten ausgestatteten „partikulieren Landesijen“ gehört,
3700 Baus (a 71 ar) gross ist und mehrere Tausen Menschen umfasst. Sie ist
schon fast 100 Jahre in der selben Familie und ein deutliches aristokratisches
Gepräge zeichnet sie aus. Die ganze Entwicklung Javas spiegelt sich in der
Geschichte dieser Pflanzung und Vieles habe ich in einer mehrstündigen
Unterredung mit dem sehr liebenswürdigen Besitzer, Herrn van Hofmann, gelernt.
Er ist jetzt über die neueste Phase der Entwicklung noch etwas in Aufregung,
denn er hat sich ganz dem Kautschuck in die Arme geworfen. Hunderttausend Bäume
besitzt er, die jetzt 4 Jahre alt und damit reif zum Zapfen sind. Dazu die
Eingeborenen heranzubilden, ist allerdings eine schwierige Sache und die Frucht
von viel Arbeit und Mühe kann dabei verloren
gehen. Zum ersten Mal habe ich hier Kautschuckgewinnung kennen gelernt,
allerdings noch ziemlich primitiv, da die meisten bestellten Maschinen noch
nicht geliefert waren. Am Nachmittag trat
ich mit der Fahrt von Buitenzorg nach Welteverden gewissermassen die Rückreise
an und zum Abschied war ich am Abend noch von dem Herrn Prinzhorn und Hofelt
eingeladen. Auch war ich noch mit Herrn Zimmermann zusammen und traf verschiedene
Herren im Klub. Am anderen Morgen überraschte mich Herr Generalkonsul Anton
liebenswürdigerweise mit einem Abschiedsbesuch und dann ging es fort nach dem
wegen seiner Sümpfe verrufenen Hafen Batavia, Tandjong Priok, und zwar direkt
auf den Dampfer, der alsbald in See ging. Damit glaube ich in
meiner Berichterstattung wieder den Anschluss erreicht zu haben. Etwas habe ich
bereits das Gefühl, hier im Südosten meinen Anker zu lichten. Wahrscheinlich
werde ich heute in 3 Wochen den Europa- Dampfer besteigen. Die Hauptzeit der
Trennung ist jedenfalls vorüber und ich glaube doch, dass die Reise nicht ohne
Gewinn ist. Eine grosse Welt, die ich doch bisher nur in sehr nebeligen
Unwissen kannte, habe ich mir dauernd erschlossen, das Bild der Menschheit und
der Erde weiter abgerundet. Wieweit das allerdings in direkte Einnahmen sich
umsetzen lässt, kann ich heute noch nicht sagen. Ich hoffe aber, dass auch das
der Fall und tröste mich heute damit dass Ihr Lieben alle mit meiner Vagabundage
durchaus einverstanden seid. Das ist mir eine sehr angenehme Gewissheit! Ich habe das Gefühl,
als hätte ich heute daheim einen kleinen Einblick tun können und die Freude ist
so gross, dass sie durch Überlegung, dass die Nachrichten schon fast einen
Monat alt sind, kaum gemindert werden kann. Hoffentlich entsprechen Gegenwart
und Zukunft der Vergangenheit, von der die Briefe mir so viel Erfreuliches
berichten. Hoffentlich geht es insbesondere Dir, mein Liebes, gutes Frauchen,
recht gut! Übrigens wird
wahrscheinlich, gegen meine Weisung, ein Brief von Dir sich nach Batavia
verirrt haben. Denn die Frist vom 8 – 18 Februar erscheint mir zu lang und
einen Geburtstagsglückwunsch habe ich von Dir bisher nicht erhalten. Doch
empfinde ich diese Lücke sehr wenig, da
die neueren Nachrichten so sehr erfreulich lauten. An Sering und von
Raben habe ich geschrieben. Wyzorzinski habe ich bisher ohne Nachricht
gelassen, da ich selbst noch immer unentschieden bin wegen meiner
Sommer-Vorlesungen. Es kommt mir aber mehr und mehr vor, als sei es richtig den
„Mut der Sünde“ zu haben und den einmal bewilligten Urlaub zu ostasiatischen
Studien zu verwenden. Wenn wir zusammen in einen stillen Schlupfwinkel uns
verkriechen könnten, täte ich das sicher. Lebwohl für heute, liebe Edith! Du hast mich mit Deinen
Briefen und Bildern heute sehr beglückt! Hab vielen, vielen Dank und sei aufs
Innigste geküsst und umarmt von Deinem Hermann. |
Medan, den 24. März 1911. Geliebte Frau! Ich erfahre soeben,
dass heute die Post geht, und da sollst Du doch nicht ohne Gruss bleiben. Es
lohnt sich ja kaum noch, denn dem Brief wird der Schreiber ja bald folgen. Ich
bin wenigstens schon ganz in Rückkehrstimmung und zähle jeden Tag bis zur
Abfahrt, die nur noch etwas mehr als zwei Wochen fern ist. Diese Stimmung wird
dadurch gefördert, dass ich mit dem Aufenthalt hier in Sumatra nicht ganz
zufrieden bin. Gewiss ist der Besuch nicht uninteressant, zumal da Sumatra und Java so grundverschieden von
einander sind. Während die grossen Schönheiten Java’s durch die landwirschaftlichen
Kulturen, insbesondere den Reisbau noch gesteigert worden sind, kann man sich
keine Kultur denken und giebt es auf der ganzen Welt nirgends eine, die das
Land so verödet und verwüstet, wie der Tabakbau Sumatras; denn acht bis zehn
Jahre bleibt jedes Feld nach der Tabakernte brach liegen und da der Tabak nur
etwa 100 Tage auf dem Felde steht, so gewinnt man beim Reisen durchs Land den
Eindruck einer unendlichen eintönigen Wüstenei; mit Dank begrüsst man jeden
Sumpf, der dem Anbau unmöglich macht und noch etwas vom einstigem Urwald
erhält. In Java ausserdem alle Tropenkulturen, die es überhaupt giebt, und hier
bisher nur Tabak, dem in allermeister Zeit der Kautschuck auch hier zur Seite
tritt. Noch grösser der Unterschied in der Bevölkerung! Java viel dichter
bevölkert als Deutschland, und Sumatra furchtbar menschenarm, fast ganz
angewiesen auf die Einfuhr aller Arbeitskräfte. Damit hängt es auch zusammen,
dass Medan sehr vieleuropäischer ist, als irgeneine Stadt Javas. Das empfinde
ich als grosse Wohltat. Die ganze Mischlingswirtschaft ist hier so gut wie
nicht vorhanden; jedenfalls tritt sie nicht so anspruchsvoll in den
Vordergrund. Ein stolzes, freilich auch eigenmächtiges Herrenvolk herrscht hier
und diese Pflanzer Kuli’s sind die Hauptsehenswürdigkeit Ost-Sumatras, ja hier
in der weiten Ebene, die eigentlich nur zugänglich ist, die einzige
Seheswürdigkeit. Sie haben eigentlich nirgends in der Welt Ihresgleichen und
sie ordentlich kennen zu lernen, ist deshalb mein Hauptbestreben und ich kann
schon heute sagen, dass es mir gelungen ist. Der erste Tag ist
mit allgemeiner Orientierung dahingegangen, wobei manche Zeitvergeudung
unvermeidlich ist. Er hat mich mit mancherlei
Leuten zusammengebracht, aber wenn man ihn nicht als Vortakt betrachtet,
würde sein Inhalt zu dürftig erscheinen. Reisen in dieser Gegend erfordert viel
Zeit und ist oft eine strenge Schulung in Geduld. Am nächsten Morgen
bin ich in aller Frühe aufgebrochen nach Lida Tanah. Dort befindet sich eine
Plantage, namens Deli Moeda. Sie war früher eine Tabak-Pflanzung im Besitz
eines Deutschen Runge (Braunschweig); er hat sie an ein Belgisches Syndikat
verkauft, das sie unter dem Einfluss des „Rubber Boom“ in eine Kautschuck
Plantage verwandelt hat oder vielmehr zu verwandel n begonnen hat. Über 100
solche Kautschuck Plantagen sind hier in wenigen Jahren entstanden,
weitüberwiegend englisch; aber auch hier haben Belgier sich einmal wieder sehr
rührig betätigt; 50 – 70 Millionen Francs haben sie in Kautschuck Plantagen
hier im Südosten Asiens angelegt, während wir Deutsche hier in Sumatra noch
nicht zwei Millionen aufzuweisen haben und auch die Holländer hinter Engländern
und Belgiern weit zurückgeblieben sind. Den Geschäftsführer
der belgischen Kautschuck Pflanzer, einen Herrn von Lidth de Imde, habe ich auf
der Fahrt von Singapore hierher kennen gelernt und ich entsprach seiner
Einladung. Ich wurde dort sehr nett aufgenommen, fast ununterbrochen bewirtet
und habe zugleich einen Einblick in eine hiesige Kautschuck Pantage in allen Einzelheiten,
sowie in das Leben und Treiben eines Pflanzers gewonnen. Am anderen Morgen
stand ich wieder um 5 Uhr auf und fuhr mit Sonnenaufgang nach Pankalau Brandun,
nach der entgegengesetzten Richtung der Insel. Dort hat die Konigklike
Petroleum Matschappij ihre grossen Anlagen: Raffinerie, Paraffin- und
Kerzenfabrik. Sie ist auch noch im Westen von Sumatra, in Palmbong, und
neuerdings vor Allem in Borneo (BaBalitpapan) vertreten und stellt neuerdings
einen sehr starken Konturssuten der Standard Oil Co. Das Ganze ist eine grosse
Sache, insbesondere seit der komplizierten Neuorganisation von Mot. Auch giebt
es in den ganzen Tropen wohl keinen Fabrikationsbetrieb von solchem Umfang.
Wenn man die Beschaffenheit der Arbeitskräfte sich vergegenwärtigt. So ist es
eine bedeutende Leistung. Aber die Anlage ist doch in vieler Hinsicht technisch
nicht ganz auf der Höhe und das ist wohl ein Hauptgrund, weshalb mein
Wissensdurst hier nicht überall befriedigt wurde. Der Besichtigung der
ausgedehnten Anlagen – übrigens in dieser Tropenhitze nicht gerade ein
Vergnügen! – schloss im Besuch des Hospitals sich an, das unter der Leitung
eines sehr netten deutschen Arztes steht. Zum Mittagessen war ich beim Direktor
oder vielmehr „Administrateur“, Herrn Jonkheer von Reigersberg – Verslugs in
seiner grossen schönen Villa eingeladen. Er gehört zu den mächtigsten Männern
dieses Landes und ist eine eindrucksvolle Persönlichkeit, mehr Staatsbeamter,
als Kaufmann oder Fabrikdirektor. Hier ist einer der Punkte, wo die politische
und wirtschaftliche Organisation dieser holländischen Kolonien sich berühren,
im Hauptzentrum der sehr erfolgreichen Bestrebungen, durch eine eigenartige
Verteurung, die Produktions- Handels- und Schiffahrtsunternehmungen
organisiert, eine Monopolisierung zu Gunsten des holländischen Mutterlandes
herbeizuführen. Die Bewegung ist hier schon so weit vorgeschritten, dass die
Aussichten für uns Deutsche hier sehr schlecht geworden sind. Wir mit den
Schweizern haben Ost-Sumatra geschaffen! Heute ist es für uns eine verlorene
Position! Gerade Hollands Kleinheit hat dies „Vernestung“ erleichtert. Ihre
Hauptfaktoren sind die Königl. Petroleum Mg, die Königl. Paketfahrt Mg, die
Deli Matschappen und die Nederlandsche Handels Mg. Immer dieselben Personen
oder nahe Verwandte und Freunde! Die
Leitung des Ganzen liegt dabei nicht hier, sondern im Mutterland, im grossen
Gegensatz zu den englischen Kolonien. Soeben komme ich von
meinem dritten Besuch zurück. Er galt der Tabakplantage Bindjeiy im Sultanat
Lankot. Auch sie war meist deutsch, aber ihr Begründer, Herr Engelbrecht, lebt
wenigstens als Millionär in Hamburg. An die deutsche Herkunft erinnert heute noch,
dass der Leiter ein echter Berliner ist, namens Krause; aber er darf keine
Deutsche mehr anstellen und wird langsam von der holländischen Gesellschaft,
die heute Besitzerin ist, herausgeärgert; in zwei Jahren wird auch seine
Tätigkeit voraussichtlich beendet sein. Ich hatte ihn am
ersten Tag hier kennen gelernt und fuhr gestern Nachmittag zu ihm heraus und
habe in seinem gemütlichen deutschen Heim – seine Frau stammt aus Schöneberg –
einen netten Tag verlebt. Ich habe Herrn Krause auf seiner Inspektionstour
durch einen Teil seiner eine deutsche Meile langen Plantage begleitet, Alles
mit sachverständigem Blick angesehen und vor Allem am Abend in langer
gemütlichen Unterhaltung viel gehört und erfahren. Ich halte Herrn Krause für
einen ungewöhnlich tüchtigen Mann und gebe mich der Hoffnung hin, dass sein
Wunsch, seine Erfahrungen noch einmal in unseren Kolonien und zwar ins besondere
in Kamerun im deutschen Interesse nutzen zu können, in Erfüllung geht. Es ist
geradezu ein Jammer, dass wir bisher nichts getan haben, das was Deutsche hier
auf fremden Boden so erfolgreich geleistet haben, für unsere eigenen Kolonien
nutzbar zu machen. Es erscheint mir natürlich, dass ich es gar nicht nicht
begreife So habe ich hier
doch Mancherlei gesehen + gelernt. Es
Alles zu Papier zu bringen, ist natürlich unmöglich. Aber das Reisen hier ist
doch eine mühsame und ermüdende Sache. Ich habe kaum Einen getroffen, der es
nicht satt hat. Und so beherrscht auch mich ganz die Fama, dass es bald zu Ende
ist! Mit dem folgenden Lloyd Dampfer
fahre ich! In 14 Tagen bin ich bei Dir
fällig! O, wenn ich Dich erst wieder ans Herz drücken kann! In grosser Liebe Dein
Hermann |
Kuala Kubu, den 6. April 1911. Liebes Frauchen! Lange habe ich Dir
nicht schreiben können. Aber in Gedanken bin ich viel bei Dir gewesen,
besonders am 2. April und als ich in Singapore liebe Briefe von Dir vorfand.
Der letzte datiert von meinem Geburtstag. Es sind wieder reizende Briefe, die
mich recht erfreut haben und für die ich Dir herzlichst danke. Doch Eines
erfüllt mich etwas mit Sorge, dass Du jetzt ganz allein in der Coblenzerstrasse
haust. Ich fürchte, Du wirst die Einsamkeit doch empfinden und nachts Dich
ängstigen. Wie wünschte ich, dass Jemand zu Dir zöge! Du darfst Dich nicht
aufregen und Deinen Schlaf nicht beeinträchtigen! Ich habe ja eine stille
Hoffnung, dass es Mama in Oberhof nicht gefällt und dass sie bald zu Dir
zurückkehrt. Jetzt erst habe ich
auch die ersten Nachrichten von Conny’s Erkrankung erhalten und ich freue mich,
dass sie anscheinend mit dem Scharlach so gut fertig geworden ist. Ich schreibe Dir
heute aus einem Städchen, das wohl sehr wenigen in Deutschland auch nur dem
Namen nach bekannt ist. Es heisst Kuala Kubu und soeben bin ich in ihm
angelangt. Ich komme nämlich aus den Bergen, wie eine Postkarte Dir schon
vermeldet haben wird. Diese Berge bilden die Grenze zwischen Selangor und
Pahang. Aus ihnen stammt etwa die Hälfte alles Zinns, das auf der Erde in
Gebrauch ist. Zeitweise wurden 5/6 der Weltproduktion hier gewonnen, heute noch
etwa 55%. Auch Gold wird hier gefunden; ja Pahang galt zeitweise als grosses
Goldland, allerdings sind die darauf gesagten Hoffnungen übertrieben gewesen.
Im Hauptpass dieser Bergreihe hat die Regierung ein kleines „Resthouse“ gebaut,
das von freundlichen Singhalesen bewirtschaftet wird. Das war gestern das Ziel
der Wanderung. Es wird Gap genannt und ist bisher erstaunlich wenig von
Deutschen besucht worden. Drei grössere
deutsche Gesellschaften sind dort gewesen: Herzog von Mecklenburg, Excellenz
Stuebel und Generaldirektor Heincken. Ausserdem war im Buch, in das alle
Fremden sich eintragen müssen und das als vollständig betrachtet werden darf,
nur noch ein Deutscher verzeichnet, namens Gustav von Plessen. Ein Reisen in
dieser Gegend ist doch noch etwas sehr Ungewöhnliches. Ich war mit einem
anderen Deutschen dort. Es ist ein Herr Straus,
ein Kautschuckpflanzer aus Kamerun, seit Jahren Leiter der grossen
deutschen Molina-Pflanzung, die ihn hierhergesandt hat, um die
Kautschuck-Kultur hier zu studieren. Ich lernte ihn in Sumatra kennen, bin dann
mit ihm nach Singapore gefahren und wir machen die Reise durch die Malayischen
Staaten gemeinsam. Ein netter Mann und ein gründlicher Sachverständiger, von
dem ich Mancherlei gelernt habe. Ja, ich glaube, ich könnte jetzt auch einen
Kautschuck-Pflanzer sehr gut abgeben, einen sogar weit über dem Durchschnitt.
Doch ehe ich hier vom Asiatischen Festland weiter berichte, will ich den Faden
meiner Erzählung von Sumatra wenigstens kurz noch aufnehmen. Ich hatte, glaube
ich, schon vom Besuch auf der Plantage des Herrn Krause geschrieben. Ihm
schlossen sich noch zwei Besuche an. Der eine auf der Tabakpflanzung von Saint
Cyr, die schon am Abhang des Gebirges liegt und schon früher pflanzt und früher
erntet. Hier sah ich die Trockenscheunen voll Tabak und auch ein wenig von der
Behandlung der Blätter. Es war der Vollständigkeit wegen wichtig. Am interessantesten
war wohl in Anachluss daran der Besuch eines Batokerdorfes, das in Bauart der
Häuser, Lebensweise und Schmuck seiner
Bewohner viel Eigenartiges aufweist. Wertvoller war für
mich ein Tag bei Dr. Schüffner. Er ist der Arzt der zweitgrössten
Tabakgesellschaft, der Surunbok Matschappij und gilt als der beste Arzt hier
draussen. Viele Kranke aus Singaore reisen nach Deli, um von ihm sich
behandeln, insbesondere operieren zu lassen. Vor allem aber ist er Kenner der
Tropenkrankheiten, wohl der beste, den wir Deutschen haben. Ihn kennen zu
lernen, war mein lebhafter Wunsch. Er ist mir schliesslich auch noch erfüllt
worden. Aber gerade mit Herrn Dr.Schüffner habe ich Pech gehabt. Er hatte eine
ganze Familie bei sich zu Besuch und wurde durch sie – ein Direktor seiner
Gesellschaft, der nach Europa zurückreiste – vollständig in Beschlag genommen.
Nur ein Stündchen hatte ich ihn sprechen können. Sogleich nach Expedierung
seines Besuchs holte er mich mit seienm Automobil in sein hübsches, reizend gelegenes Heim ab.
Er hatte sogar alle Vorbereitungen getroffen, mit mir noch eine mehrtägige
Automobiltour ins Hochland zum gewaltigen Toba-Meer zu machen, dessen
Ausdehnung daran etwas ermessen werden kann, dass in ihm eine Insel mit nicht
weniger als 25.000 Einwohnern liegt. Aber meine Zeit reichte nicht mehr. Ich
wollte weder meine Tour durch die Malayischen Staaten aufgeben noch meine
Abreise verschieben. So schlug ich schweren Herzens aus. Immerhin hat Herr Dr.
Schüffner mir Alles gezeigt, was er ins Leben gerufen hat, zu grossen Teil
vorbildlich geworden ist und viel dazu beigetragen hat, die frühen furchtbar
hohe Sterblichkeit unter den Kulis in Ost-Sumatra erheblich zu mindern; heute
ist sie niedriger, als in den Malayischen Staaten. Viel habe ich auch von ihm gelernt, wenn er auch
selbst unwohl war und seine Frau sogar nur eine kurze Zeit sichtbar wurde; auf
dem Abschiedsessen ihrer Freunde war fast die ganze Gesellschaft durch eine
anscheinend verdorbene Speise, zum Teil nicht unerheblich, vergifted worden.
Trotzdem war der Tag bei Schüffner der Höhepunkt meines Sumatra-Aufenthaltes.
Ich hoffe, dass wir die Erfahrungen dieses trefflichen Mannes, der den
Deutschen hier unendlich viel genützt hat, noch einmal für Deutschland nutzbar
machen. Er gehörte an das Hamburger Tropeninstitut! Sonst habe ich in Medan
noch Mancherlei gearbeitet. Ich war im „Immigranten-Bureau“, durch das heute
alle chinesischen Kulis nach Ost-Sumatra gelangen, mehr als 20 ganze
Schiffsladungen jedes Jahr und habe dort sehr interessantes Material mir
zusammengeschaut. Ich hab lange konferiert mit Herrn Stibbe, dem
vielgeschmähten Arbeitsinspektor von Niederländisch-Indien, der gerade in
Sumatra war und den ich durch einen glücklichen Zufall kenen lernte; ebenso mit
Herrn Dr. Koenen, einen holländischen Arzt, der mit Dr. Schüffner aufs Engste
stets zusammengearbeitet hat und der auf die Regelungen der Kuli-Einwanderung
einen grossen Einfluss ausgeübt hat. Ich glaube, für meine Arbeit Alles
erhalten zu haben, was überhaupt zu erhalten ist. So könnte ich eigentlich
zufrieden sein. Trotzdem war ich unendlich froh, als ich vom Rumppius wieder
von Sumatras Küste fortgebracht wurde. Vor Allem der Alkoholkonsum in Medan, dem
man sich gar nicht entziehen kann, wenn man nicht in wunderlicher Isolierung
bleiben will, hat mir wenig gefallen und ist mir auch nicht gut bekommen.
Ausserdem ist Sumatra ausserordentrlich teuer. Die Pflanzer geben viel aus und
sie beherrschen das Leben; die Ausgaben nehmen deshalb für jeden Reisenden eine
ganz andere Höhe an, als in Java. In Singapore war ich drei Nächte und
etwas über zwei Tage. Ich habe dort noch ziemlich viel gearbeitet und eine
ganze Menge Menschen gesprochen. Am ersten Abend war ich zu einer grossen
Gesellschaft beim vortrefflichen Herrn Dicken, dem zweiten Chef von Behn Meyer
+ Co, eingeladen; dort begrüsste mich als alter Bekannter in überaus
liebenswürdiger Weise unser heutiger Gesandter in Siam, Freiherr v.d.Goltz; ich
habe ihn seinerzeit in Peking kennen gelernt und erfuhr bei meinem Besuch am
nächsten Tag, dass er ganz fürchterlich verbittert ist; er schimpfte wie ein
Rohrspatz und hatte wohl seinerseits auf den gerade unbesetzten
Botschafterposten in Peking gerechnet.
Am zweiten Abend war ich bei Herrn Salomon eingeladen, dem Senior der deutschen
Kolonie in Singapore, einem grossen Wichtigtuer, aber sehr freundlichem Mann,
bei dem ich meine Java-Reisegefährten Prinzhorn + Hohlt wiedertraf. Am dritten
Abend hatte mich der Vertreter des Generalkonsuls, Herr Vicekonsul Sannier
eingeladen, ein netter intelligenter Mann, bei dem ich einen merkwürdigen
Deutschen, den ich auf der Fahrt von Deli nach Singapore kennen gelernt hatte,
wieder traf, einen Herrn v.Bockum-Dolffs, von dem ich glaube, dass er es
entweder ganz ungewöhnlich weit bringen oder völlig unter die Füsse kommen
wird: in vieler Hinsicht ein psychologesches Rätsel. Dannier hat mit Dir
getanzt. Wie nun die Fahrt
durch die Malaiischen Staaten sich gestaltet hat, die am nächsten Morgen
begann, das will ich auf der „Lützow“ erzählen. In wenigen Tagen werde ich ja
die Rückreise antreten, Da schlägt mein Herz! Ich freue mich unbeschreiblich
aufs Wiedersehen! Hoffentlich geht’s Dir und den Kleinen recht gut! Mit
herzlichen Küssen Dein
Hermann. |
An Bord der „Lützow“, den 12. April 1911. Meine liebe,
liebe Frau! So sitze ich
wirklich glücklich auf dem Dampfer und fahre Dir und den Kleinen wieder
entgegen! Wie macht mich dieser Gedanke glücklich und wie oft habe ich diesen
Augenblick herbeigesehnt, Ja, herbeigesehnt sogar nicht nur aus Heimweh. Denn
das Umherreisen in diesen Gegenden unter tropischer Sonne ist doch keine eitel
Freude! Wer hier wohnt, unter günstigen Einkommens-verfhältnissen, kann sich
das Leben hier recht nett einrichten; das Schöne wird mit allen Mitteln
ausgenutzt und in den Vordergrund gerückt und die Schattenseiten, die ja
allerdings meist in allzu viel Sonne bestehen, werden wirksam gemildert; der
Engländer ist in dieser Kunst unübertroffener Meister; er versteht es
bewundernswert, sich den Verhältnissen anzupassen und doch überall die
Gemütlichkeit seines Heims mitzubringen. Aber das sind doch im Grunde Oasen in
der Wüste. Sie sind auch keineswegs das Interessante. Im Gegenteil, diese
hochentwickelten Europäerquartiere sind überall ausserordentlich ähnlich. Wer
etwas vom Lande sehen will, muss sie vielfach meiden, und ausserdem entsprechen
die Hotels, die hier zum grossen Teil in den Händen von Armeniern – Sarkies
sind hier eine ganze Hotel-Dynastie - + Chinesen sind, nur ganz ausnahmsweise in
den Lebensverhältnissen, die die aussässigen Europäer sich geschaffen haben. So
muss man immer von neuem sich mit Absonderlichkeiten und Unannehmlichkeiten
abfinden; man kommt aus dem Akklimatisiern niemals heraus. Oft habe ich doch
gedacht, wie gut, dass Du Dein Frauchen, nach dem ich so viel mich gesehnt
habe, nicht bei Dir hast; es hätte leicht gehen können, wie einem Herrn
Niemann, mit dem ich vorgestern zusammen war; er hat sich entschliessen müssen,
seine Frau zurückzuschicken. Die Tropen, abgesehen von einigen hochgelegenen
Teilen Javas, sind kein Reiseland und werden es meiner Ansicht nach auch
niemals werden. Wohl ist es reizvoll,
durch sie hindurchzureisen flüchtig, wobei der mit allem Komfort und aller
Reinlichkeit ausgestattete Lloyd-Dampfer dauernd der feste Rückhalt bleibt.
Auch giebt es einzelne Kategorien von Menschen, die sich hier auf Reisen wohl
fühlen. Das sind zu einem ziemlich grossen Teil Leute, die früher viele Jahre
im heissen Klima sich aufgehalten haben und sich jetzt ungemütlich fühlen im
europäischen, insbesondere norddeutschen Winter. Ihnen gesellt sich hinzu eine
merkwürdige Gruppe von Einsiedlern, von Männern + auch Frauen, die den
Anschluss verfehlt haben, ein inhaltsloses Leben daheim führen und dauernd
kämpfen mit der Langeweile. Solche Menschen scheinen merkwürdigerweise in
Deutschland jetzt besonders zahlreich zu sein, wenigstens was Männer anlangt.
Der Lloyddampfer erfüllt für sie gewissermassen dieselbe Aufgabe, wie die vielen
Boarding-Houses für so Viele in England. Je mehr wir wohlhabend und Rentnerland
werden, umso mehr wächst die Zahl dieser internationalen Bummler. Ob ich ohne Dich
nicht auch ein solcher geworden wäre? Ob ich es nicht fast schon gewesen bin?
Wenn ich solcher Reiseenthusiast früher gewesen bin, es will mir heute fast
vorkommen, als hätte diese Flucht vor sich selbst auch eine Rolle dabei
gespielt. Heute ist mein Lebensschifflein, das ich von allen Strömungen früher
gern trüben liess, fest verankert und es muss schon etwas ganz Besonderes sein,
das mich jetzt veranlassen kann, den Anker zu lichten. Das heisst Alles
wohl eigentlich nichts Anderes als dass Du mich in der kurzen Zeit meiner Ehe
gewaltig verwöhnt hast. Den neuen Vergleichsmasssteb, den ich jetzt gewonnen
habe, hält aber sehr wenig aus. Der Zug nach Hause überwiegt deshalb gewaltig.
Seit dieser Nacht kann ich ganz mich ihm hingeben. Aus diesen
Ausführungen ersiehst Du schon, dass ich nicht mit schwärmerischem Enthusiasmus
auf meine Reise zurückblicke. Ein Vergnügen war sie doch nur sehr zeitweise.
Das erklärt sich schon daraus, dass das Befinden in dieser Gegend doch auch
recht wechselnd ist. Bin ich auch nie krank gewesen, wie fast alle Herrn, mit
denen ich gereist bin, so habe ich doch manchen Tag, insbesondere seit Java,
mich nicht gut gefühlt und wenn ich nicht so viel Chinin geschluckt hätte,
würde auch die Malaria mich nicht ganz unverschont gelassen haben. Gerade vor
ihr kann man als Reisender oft schon sich schützen und für den, der bei Mücken
aller Art so beliebt ist, wie ich, ist es oft sehr ungemütlich, wenn man von
Malaria-Kranken umgeben ist und an den emporgesreckten Hinterbeinen deutlich
erkennt, dass unter den Plagegeistern Anophales in grosser Anzahl vertreten
sind. Es ist mir ein sehr angenehmer Gedanke, dass das jetzt vorüber ist und
dass man hinfort wieder ohne Moskito-Netz schlafen kann. Meine Reise sollte
und durfte ja aber auch keine Vergnügungsreise sein, sondern war eine
Studienreise; und da kommt es mehr darauf an, dass sie nützlich, als angenehm
ist. Und nützlich, glaube ich, ist sie gewesen. Ich habe mir eine ganze Menge
Kentnisse und Erfenntnisse verschafft, die ich daheim niemals hätte gewinnen
können. Das Ziel, das ich mir gesteckt habe, glaube ich einigermassen erreicht zu
haben und insofern sehe ich mit Befriedigung auf meine Reise zurück. Wenn mein
Urlaub noch dauert, hoffe ich recht interessante und wertvolle Arbeiten liefern
zu können. Ob es allerdings möglich sein wird, den Ertrag mit den grossen
Aufwendungen völlig in Einklang zu bringen, ist mir zweifelhaft. Aber ein
etwaiges Misverhältnis ist ja nicht meine Schuld. Wenn ich mir das auch sage,
so bin ich doch manchmal, in Gedanken an Frau und Kinder, als Verschwender mir
vorgekommen. Mehr aber als der
Vergangenheit wendet sich der Zukunft der Blick zu. Diese Rückfahrt ist doch
weitaus das Schönste dieser ganzen Reise. Doch ehe ich diesen Genuss voll mich
hingebe, will ich mich zwingen, noch meinen Reisebericht zu Ende zu führen. Am Sonntag, den 2.
April, dem zehnmonatlichen Geburtstag unserer Zwillinge, traf ich früh morgens
mit Herrn Straus, dem Kautschuck-Pflanzer aus Kamerun, auf dem Bahnhof in
Singapore zusammen. Wir nahmen uns Billet nach Perkentian Tinggi. Eine fast
zehnstündige Fahrt war nötig, um dorthin zu gelangen. Sie geht, nachdem man den
Sund, der die Insel Singapore vom Festland trennt, gekreuzt hat, durch das
Sultanat Jahore, das formell noch selbständig ist, tatsächlich aber ganz unter
englischem Einfluss steht. Die beginnende Entwicklung macht sich dadurch
kenntlich, dass Meilen weit an beiden Seiten der Bahn der Urwald
niedergeschlagen und die mannshohen Baumstümpfe nicht abgebrannt, aber doch
angekohlt sind; zwischen diese Stümpfe und die habverbrannten abgehauenen Bäume
pflanzt man den Kautschuck und überlässt dem Klima die weitere Urbarmachung; in
drei Jahren ist bereits fast Alles verwittert. Jetzt bot sich ein Bild
barbarischer Verwüstung, zugleich ausserodentlich einförmi g und öde; der
Berliner würde sagen, „nichts als Gegend“, die nur vereinzelt durch in der
Ferne auftauchende Berge etwas von dem Charakter seiner Landschaft erhält.
Europäer fahren daher auch meist mit einem Küstendampfer nach Malatka und gehen
erst dort auf die Eisenbahn über. Für Volkswirtschaftler ist auch eine
langweilige Landschaft nicht
uninteressant. Die Fahrt zeigte mir nicht nur, wie wild und roh hier die Kultur
beginnt, sondern auch wie gewaltig die Kautschuck-Kultur sich noch in den
nächsten Jahren ausdehnen wird. Ich bin überzeugt, dass nicht nur so hohe
Preise, wie im vorigen Jahr, sich wiederholen werden, sondern dass der
Kautschuckpreis noch erheblich sinken wird, wahrscheinlich auf weniger als die
Hälfte seines heutigen Standes von fast 7 s pro Pfund. In Perkentian Tinggi ist eine grosse
Kautschuck-Plantage von einem Herrn Rowland. Von ihm war ich eingeladen und
auch Herr Straus war bei ihm nachträglich noch angemeldet worden. Wir trafen
das Haus jedoch leer. Herr Rowland und Frau waren in einem Sanatorium in den
Bergen. Sie luden uns ein, dorthin zu ihen heraufzukommen. Da das aber einen
mehr als zweistündigen Marsch erforderte und ein schweres Tropenwetter aufzog,
verzichteten wir darauf und zogen als Herren in das seit Tagen abgeschlossene
Wohnhaus ein, als ob wir seine neuen Herren wären. Ich habe das nachträglich
sehr bedauert, denn oben im Sanatorium war ein Mr. Parr, der vielleicht als
bester Sachverständiger der hiesigen Arbeiterfrage, für die ich mich ganz besonders interessiere,
bezeichnet werden kann, und eine spätere Verabredung, mit ihm auf der Eisenbahn
zu reisen, scheiterte leider daran, dass er die Zeit verschlief. Auch wäre es
sonst in den Bergen angenehmer gewesen, als hier auf der Plantage, wo, wie sich
bald herausstellte, fast Alle an Malaria erkrankt waren und die Moskitos als
greuliche Plage sich erwiesen; wir begriffen bald, weswegen unsere Gastgeber
nicht anwesend waren. Die kurze Zeit bis Sonnenuntergang und
den anderen Vormittag benutzten wir, um unter Leitung eines Assistenten, die
Pflanzug genau zu besichtigen, was sehr interessant war. Gegen Mittag kam Herr
Rowland, ein ungewöhnlich energischer und kluger, wenn auch nicht in jeder
Hinsicht sympatischer Mann. Mit ihm machten wir alsbald eine Automobilfahrt in
die Umgebung, die mit einem Besuch des Britischen Residenten in Serumban, Mr.
Wilkinson, endete, der wohl als der beste Kenner der Malagen heute bezeichnet
werden kann und mit dem ich eine sehr interessante, lange Unterredung hatte.
Auch als Representant des englischen Kolonialverwaltungs-systems hat er mich
lebhaft interessiert. Am anderen Morgen ging es per Eisenbahn
nach Kuala Lumpur, der schönklingenden Hauptstadt der Vereinigten Malayischen
Staaten, deren klangvoller Name allerdings „Mündung des Schlammes“ bedeutet. Es
ist eine stolze Stadt von vielleicht 30.000 Einwohnern, aus nichts in wenigen
Jahren erwachsen. Sie rühmt sich, die schönsten öffentlichen Gebäude im ganzen
Osten Asiens zu besitzen, und kaum mit Unrecht. Jedenfalls ist sie ein
wuderbares Beispiel englischer Kolonialtätigkeit. Ohne Chinesen wäre ja die
wirtschaftliche Entwicklung unmöglich gewesen; aber diese erstaunliche
selbverständige Ordnung ist doch eine Schöpfung der Engländer und zwar eine
Schöpfung, die ihnen Niemand nachmacht. Ich habe hier vor Allem versucht, mir
Informationsmaterialien zu verschaffen. Darum bin ich in den verschiedensten
Bureaux, in verschiedenen Vereinen, bei der Haupttageszeitung (deren ganzen
letzten Jahrgang ich sogar im Schweisse meines Antlitzes durchgesehen habe) etc
gewesen. Leider war der Resident
verreist; ich hatte daher einige Schwierigkeiten, bis zu den eigentlichen
Quellen vorzudringen. Aber schliesslich ist es mir doch gelungen; ich glaube,
alles Erreichbare erhalten zu haben: einen Haufen von Drucksachen, der Dich,
wie ich fürchte, weniger erfreuen wird. Durch eine zufällige Bekanntschaft, die
ich im Hotel machte, kam ich am Abend in den grossen Klub, der sich auch rühmt
– und vielleicht mit Recht – der schönste Ostasiens zu sein. Ganz so anziehend,
wie der eigentliche Lokalpatriotismus es malt, ist nun diese Hauptstadt der zukünftigen
grossen englischen Kolonie „British Malaga“ in Wirklichkeit zwar nicht. Wir
fuhren daher auch bereits am nächsten Morgen weiter nach Kuala Kubu, vonwo ein
guter Motor-Omnibus nach Pahang hineinführt, den grössten und bisher am
wenigsten entwickelten der vier „Fereatur Malay States“. Wir fuhren bis zur
Höhe des Grenzgebirges, wo in Gap in schöner kühler Luft ein nettes kleines
„Resthouse“: sich findet, das die Regierung ursprünglich für ihre Beamten
errichtet hat. Die Fahrt durch unberührten Urwald war sehr genussreich und der
Aufenthalt in diesem gesunden Höhe eine wahre Erholung. Ausserdem ist dieses
Gebiet insofern interessant, als in ihm die Haupthoffnungen wurzeln die
sinkende Zinnproduktion der Welt zu haben. (Fortsetzung folgt) |
Dampfer „Lützow“ Den 28. April 1911. Mein liebstes Frauchen! Jetzt nähern wir uns in
Geschwindsschritt Europa und ich kann mir noch gar nicht vorstellen, dass ich
in wenigen Tagen Dich endlich wieder in meine Arme werde schliessen können. Wie
habe ich mich unablässig auf diesen Augenblick gefreut und jetzt kann ich mir
gar nicht denken, dass es wahr ist. Es ist zu schön als dass ich es ganz
erfassen könnte! Wenn ich Dich doch recht wohl anträfe!
Deine lieben Briefe – in Aden und Port Said habe ich ein volles halbes Dutzend
erhalten! – zeigen mir doch, dass Du Dich manchmal recht schlecht gefühlt hast,
schlechter augenscheinlich als vor Jahresfrist. Vor Allem tut es mir von Herzen
leid, dass Kopfweh Dich wieder so arg geplagt hat. Möchte es doch gelingen, das
zu verscheuchen. Hoffentlich erlaubst Du mir, Dich recht zu pflegen! Ich möchte
so gern vom Versäumten ein wenig nachholen! Auch mir ist es auf dieser Rückreise
nicht besonders gut gegangen und bedaure ich sehr, dass ich mich Dir nicht ganz
so frisch und kräftig praesentieren kann, wie ich sonst während der ganzen
Reise gewesen bin. Aber Viele an Bord sind nicht wohl gewesen; zeitweise war es
fast wie ein Hospitalschiff. Ich fühlte mich ganz ähnlich, wie auf
unserer Hochzeitsreise und musste mich mit Fieber zu Bett legen. Es soll
Malaria gewesen sein. Jetzt aber ist Alles glücklich vorüber und ich erhole
mich in der prachtvoll erfrischenden Seeluft vortrefflich. Zu Sorgen ist
deshalb nicht der geringste Anlass vorhanden. Wir wollen uns vielmehr umso mehr
freuen, wenn wir erst gesund wieder bei einander sind. Und so leicht werde ich
Frau und Kinder nicht wieder verlassen! Was entbehrt man nicht alles, für das
es irgendeinen Ersatz überhaupt nicht giebt! Aber einen bleibenden Gewinn wird
die Reise mir bringen: viel bewusster werde ich das einzige Glück daheim
geniessen! Ach, möchte es dauernd mir erhalten bleiben! Möchten die nächsten
Wochen recht glücklich verlaufen! Möchten die Anstrengungen für Dich nicht zu
viel werden, sondern eine rechte Kräftigung bei Dir sich einstellen! Dein Glück
ist mein Glück! Was Liebe tun kann, Dich glücklich zu machen, ich will es tun.
Denn ich liebe Dich unbeschreiblich, mein süsser, einziger Schatz! Wenn es
möglich war, hat die Reise meine Liebe noch gesteigert. Auf recht frohes
Wiedersehen! Ich telegrafiere die Ankunft von Basel aus. Küsse die Kinder und sei selbst aufs
Innigste umarmt von Deinem Gatten. |