Steglitz, den 1. Juli 1923

 

                                Mein geliebtes Lieselkind!

                Zu Deinem Geburtstag, den Du nun das erstemal fern von Deinen Eltern verlebst, sende ich Dir meine allerbesten Wünsche und drücke Dich in Gedanken in aller Zärtlichkeit an mein Herz! Hoffentlich bleibst Du in Deinem neuen Lebensjahr gesund, kommst dick und mit roten Backen von der See zurück und machst uns im neuen Lebensjahr ebenso viel Freude, wie im alten! Da Du die schöne Seereise, den blauen Sweater und die schöne Sportjacke schon im voraus bekommen hast, können wir Dir jetzt nicht viel schicken; Du bekommst nur eine Tafel Schokolade und dann schicken wir Dir ein Buch vom Fritzele, in dem Du gewiss gerne lesen wirst. Im übrigen wirst Du im Heim gewiss nach allen Regeln der Kunst verzogen werden und sehr vergnügt sein. Den lieben Fritz grüsse sehr vielmals von mir. Wir denken so oft zu Euch hin und wüssten  gerne wie es Euch geht und was Ihr macht! Und nun habe ich eine grosse Neuigkeit für Euch. Edith + Hermann sind heute früh nach Kiel abgefahren; da werden sie bei Onkel August und Tante Gisela 5 Tage bleiben und am Freitag zu Tante Emmy nach Flensburg fahren; am Montag, den 9. Juli, geht es dann auch nach Amrum; aber leider nicht zu Euch ins Heim, sondern in ein Kinderpensionat von Herrn Martin Paulsen in Norddorf auf Amrum. Mit dem Schiff werden sie aber bei Euch vorbeikommen und hoffen sehr, Euch dann ein paar Minuten zu sehen. So ist es bei uns im Hause auf einmal ganz still geworden und sehr leer. Seit ein paar Tagen ist der Bruder von Herrn Chaudhurie hier; er wird morgen mit dem Luftschiff nach London  zurückfahren und braucht dazu nur 5 Stunden mit allen Aufenthalten in Bremen, Hamburg und Amsterdam. Am 12. Juli wollen Onkel August und Tante Gisela uns auf ein paar Tage besuchen. Dass sie im Oltober ganz von Kiel fort und nach Heidelberg ziehen, habt Ihr wohl noch gehört.

                Wie ist denn bei Euch das Wetter? Hier ist’s immer noch kalt und unfreundlich, wenn man auch ab + zu einmal wieder im Freien sitzen kann. Den Ziegen – soweit sie noch leben, denn das Böckchen haben wir geschlachtet - , und den Hühnern geht es gut. Ella ist heute fortgegangen; morgen bekommen wir eine neue Köchin.

                Bitte grüsse Fräulein Kopfermann und Fräulein Auler herzlich von uns und danke ihnen für die gute Pflege die sie Euch zuteil werden lassen. Auf Eure nächste Nachricht, die hoffentlich nicht mehr zu lange ausbleibt, freuen wir uns sehr. In Gedanken küsst Dich und den Fritz in aller Zärtlichkeit

                Eure Mutter.

Einliegender Brief ist für Frl. Auler oder Frl. Kopfermann.

 



Steglitz, den 12. Juli 25

                Meine liebe kleine Liesel!

                Nun bist Du schon vier Tage in Ottenberg und hast Dich hoffentlich dort recht gut eingelebt! Grüsse Tante Dit vielmals von mir! Ich kann mir recht denken, wie schön und gut und erholsam Du es dort hast. Und wie bist Du in Heidelberg verwöhnt worden! Dass Onkel Hampe Dir einen so schönen Füllfederhalter geschenkt hat, kann ich mir garnicht vorstellen! Und ein Poesiealbum hast Du auch bekommen!

                Denke Dir, Donnerstag früh fahren Edith, Hermann + Fritz nach Sylt, wo T. Emmy mit Asmus und Heinz ist. Der erste plan, dass die Jungen nach Hamburg sollten, liess sich jetzt nicht machen. Sie freuen sich natürlich riesig. Die Fahrkarten (auch 2 Fensterplätze) haben sie sich heute früh geholt.

                Ernstel redet jeden Tag mehr. Heute früh gab ich ihm in der Küche sein 2. Frühstück; auf einmal dreht er sich um, sieht die 5 Min, vor 11 stehende Uhr an und sagt: elf Uhr! Es war natürlich Zufall, war aber sehr verblüffend. Dann sagt er zu mir, als ich ihn zur Eile antrieb: Mütti, abwarten! Denke Dir, gestern war er mit den Grossen zu Rad bei Tante Dorothee. Ich dachte, dort würde man sich über ihn freuen, es scheint aber, dass sie sich nur um ihn geängstigt haben, weil er so waghalsig treppauf, treppab lief und die sauren Kirschen mit dem Kern in den Mund steckte. Er ar über seinen Ausflug jedenfalls sehr befriedigt.

                Hilde und Günther habe ich seit sie ihr Brüderchen haben, noch nicht wieder gesehen; aber Edith war gestern da und hat das Kleine gesehen. Es muss unendlich klein sein, trotzdem es 8 ½ Pfund wog, nur grosse Fingerchen hätte es, sagt Edith.

                Nun geniesse die schönen kurzen Ferienwochen recht aus Herzensgrund, mein Lieselchen, und schreib uns bald mal wieder! Die Geschwister lassen herzlich grüssen. In Liebe küsst Dich Deine Mutti.

 



Steglitz, den 21. Juli 25.

                Mein liebes Liesel!

                Heute kam Dein langer Brief, der uns viel Freude gemacht hat! Du hast es ja, wie es scheint, sehr schön in Haus Ottenberg und wirst mächtig verzogen! Am Strand muss es ja wundervoll sein und ich kann mir denken, wie glücklich Du im Wasser herumpaddelst! Hoffentlich bleibst Du gesund und erholst Dich weiter so gut!

                Hier ist es recht still geworden, seit die Grossen auch fort sind. Das merkt der kleine Ernst ganz besonders. Er fühlt sich oft recht einsam! Mit seinem Ausschlag geht es ihm zum Glück recht gut; er ist stets ohne Verbände und juckt fast garnicht mehr. In der grossen Hitze jetzt läuft er nur mit seinem Kittelchen im Garten herum, oft nimmt er auch ein Sonnenbad, dann ist er ganz nackt und läuft mit Seligkeit in den Wassersprenger hinein. Allerdings ist seit heute das Vergnügen wieder aus, denn wir haben schon wieder keinen Tropfen Wasser mehr und werden wohl wieder nachts sprengen und Wasser holen müssen. Das ist bei der grossen Hitze jetzt recht unangenehm.

                Vor einigen Tagen war Herr Chaudhuri einmal wieder bei uns. Er lässt Dich sehr grüssen. Denke mal, er spielt garnicht mehr Tennis, dafür reitet er tüchtig und schwimmt und rudert. Jetzt geht er wieder auf 3 Monate in ein Bergwerk, das wird ihm sehr schwer.

                Der Papa hat jetzt noch sehr zu tun bis zum Semesterschluss, deshalb schreibt er auch nicht selbst. Er lässt sein Lieselchen aber sehr herzlich grüssen.

                Vor einigen Tagen war ich bei Frau Schmitt. Es gehr ihr sehr gut und das kleine Männlein ist sehr niedlich. Du wirst Dich freuen, wenn Du es erst siehst. Hilde und Günther waren mit ihrem Vater auf einige Tage an die Ostsee gefahren, werden jetzt aber wohl schon wieder da sein.

                Grüsse Tante Dit und Tante Emily herzlich von mir. Dir schenkt einen innigen Kuss

Deine Mutti

Schönen Dank für Tante Dits Karte

 



Eisenach, den 19.8.29

 

                Mein geliebtes Lieselchen!

                Vielen Dank für Deine liebe Karte, die mich sehr erfreut hat. Man merkt, dass Du ein wenig Sehnsucht hast; aber das ist ja natürlich und jetzt wirst Du Dich gewiss schon eingelebt haben und auch mit dem Französisch wird es schon besser gehen! Grüsse Schmitts bestens von mir! Es ist mir sehr lieb, Dich in so guter Obhut zu wissen!

                Morgen steigt nun Dein Vortrag. Ich werde sehr an Dich denken und wünsche Dir recht guten Erfolg! Und Mittwoch geht die Reise los! Hoffentlich klappt es mit Dresden und der weiteren Reise, wenn Ihr jetzt noch kein Quartier habt! Und hoffentlich habt Ihr gutes Wetter! Hier hat es gestern den ganzen Tag geregnet. Heute ist es kühl und bewölkt, aber doch besser. In Cromdorf war es sehr nett. Die Ponies sind nicht mehr da, dafür haben sie ein grosses Pferd, mit dem Onkel Erich mich abholte und auch wieder hinbrachte. Von Cromsdorf selbst bin ich jedesmal wieder entzückt; es ist schon ein reizender Besitz.

                Bei Schaeffers war ich gestern vormittag, traf aber nur Frau Schaeffer und Irmgard; Gisela war nicht da. Sie wird sehr gerne kommen am 25. Sept. Ich denke, dass sie heute noch mit ihrer Mutter bei uns vorspricht. Gestern nachmittag waren T. Annemarie + ich mit dem Autobus in Wilhelmstal; leider regnete es so, dass wir nicht zu Fuss zurückgehen konnten. Wir mussten auch zurück fahren. Heute wollen wir auf die Wartburg und dann etwas gehen! Von Cabars aus schreibe ich Dir nach Berlin. Unterwegs erhältst Du keine Nachricht; trotzdem wüsste ich gerne, wo man Dich im Notfall erreichen kann.

                Nun leb wohl, mein lieber kleiner Kamerad! Es war doch sehr nett, dass wir zwei  mal so ganz allein zusammen waren!

                Und nun sei  immer recht vergnügt! Freue Dich der guten Gelegenheit mit netten Menschen eng zusammen zu leben und andere Verhältnisse kennen zu lernen und nutze die Möglichkeit, ordentlich französisch zu sprechen! Wenn Du erst mal die Scheu überwunden hast, geht es sicher ganz gut!

                In aller Liebe küsst Dich Deine Mutter.

T. Annemarie lässt herzlich grüssen!

 



Kein Datum

 

                                Mein liebes Lieselchen!

                Nun sei mal zunächst nicht so schrecklich traurig, sondern bewahre Dir kühles Blut! Es ist noch manch einer, der eine 5 in einer Arbeit geschrieben hat, ein brauchbarer Mensch gewesen! Und wozu ist denn eine Nummer da? Sie soll Dir und uns sagen, dass die Leistungen nicht genügen; dem werden wir abhelfen. Entweder wirst Du Stunden in Französisch und Latein bekommen, wenn Lücken da sind, oder Du wirst versuchen, Dich bei den Arbeiten weniger aufzuregen und stärjer zu konzentrieren, wenn es wirklich nur an Zerfahrenheit liegt! Jedenfalls ist das gute Resultat Deines Vortrags viel wichtiger gewesen, als diese dumme 5! Mit den Klavierstunden, das werden wir uns auch erst noch sehr überlegen. Ich würde es für richtig halten. Du hast die Stunden ruhig weiter und setzt nur das Ueben an letzte Stelle, dann erhältst Du Dir jedenfalls, was Du kannst bis wieder mehr Raum zum üben ist. Papa lässt Dich sehr schön grüssen. Er hätte sich sehr über Deinen Vortrag gefreut und über Deine Dresdner Reise. Die Sache mit der Schule wird er schon arrangieren, wenn er heim kommt. Das Wichtigste ist: kühles Blut, Vertrauen und keine Aufregung! „Dulde, gedulde Dich fein, über ein Stündlein ist Deine Kammer voll Sonne!“ Und nicht unsinnig arbeiten + ochsen, davon wird es nicht besser. Geh ordentlich ins Freie und treibe Sport!

                Hier ist’s sehr schön aber tüchtig kalt geworden. Papa wird wohl am 15. Heimkommen, ich gegen den 20., da ich noch nach Heidelberg will. Grüsse Schmitts schön! Dir alles Liebe, mein Kind, und wieder Sonne ins Herz!  Papa grüsst vielmals!                              Deine Mutter

Die Marken natürlich nicht zurückfordern!!

 



Steglitz, den 8.Juli 1930

                                Mein liebes Lieselchen!

                                Meine Gedanken weilen oft bei Dir in Mittelberg und ich denke mir Euch drei behaglich im Walde liegen und lesen und plaudern! Gewiss ist das Zusammensein mit Tante Emmy reizend! Grüsse sie und Asmus sehr herzlich von mit! Hoffentlich habt Ihr nicht auch einen solchen Temperatursturz wie wir hier. Das Wetter ist immer noch sehr trocken, aber windig und kalt. Wenn ich Dir noch etwas Warmes schicken soll, schreibe bald, möglichst ehe Du eine Erkältung weg hast.

                Papas Rede in der Universität am Sonntag war sehr interessant. Jetzt ist eine grosse Hetze los, weil er nicht nur über Verfassung geredet hätte, von Seiten sozialistischer Studenten; es tut ihm aber nichts, da sie sich mit ihren Angriffen nur selbst ins Unrecht setzen.

                Dass Theti ihren Doktor so glänzend bestanden hat, weisst Du natürlich. Wir haben uns alle riesig darüber gefreut und sind sehr stolz auf das neugebackene Fräulein Doktor. Sehr gespannt bin ich zu hören, ob Onkel Heinz noch zu Euch kommt oder nicht! Das wäre gewiss besonders nett. Hast Du Grossmama und Tante Site und wer Dir sonst noch gratuliert hat, wohl schon gedankt? Schiebe es nur nicht zu lange hinaus. Von Hermann hotten wir heute eine Karte aus Freiburg, wohin er von Tübingen in einer Nacht (130 km) mit dem Rad gefahren ist. Er macht da ein Verbandsfest mit. Es scheint ihm ausgezeichnet zu gehen.

                Denke Dir, Ernstel verliert jetzt seine beiden Vorderzähnchen. Der eine neue Zahn ist dahinter schon durch. Er ist natürlich sehr stolz und wackelt mächtig an ihnen herum. Es ist ja schade, wenn das Kindergesichtchen zuerst durch die Lücken und dann die grossen Hauer verunstaltet wird! Die amerikanische Professorin, die am Donnerstag zu uns kam, ist jetzt nach Russland abgereist. Es war etwas schwierig mit ihr, da sie kaum ein Wort in den ganzen Tagen gesagt hat. Von Alven haben wir noch garkeine Nachricht. Die zurückgelassenen Sachen kann ich daher auch leider nicht nachschicken. Am Sonnabend hatten wir hier einen tollen Gewittersturm, während dessen Edith sich in einem Segelboot auf dem Wannsee befand. Sie kam begeistert wieder und gerade, dass es so aufregend gewesen war, hat ihr viel Freude gemacht! Nächsten Sonntag steigt nun der geplante Ausflug, wozu Fritz allerhand Gedichte geliefert hat. Hoffentlich wird es so lustig und nett, wie sie es sich vorstellen. Wolfgang rückt seinem Molekül immer mehr auf die Spur. Er kam heute ganz strahlend von seiner Arbeit zurück. Papa hat sehr viel zu tun und ist, da er wenig schläft, recht angegriffen. Es ist gut, dass in drei ein halb Wochen die Ferien beginnen.

                Nun leb wohl, mein liebes Kind! Geniesse die schöne Zeit in den Bergen recht sehr! Auf Deinen angekündigten Brief freuen wir uns sehr. Jetzt wollen wir noch etwas in den Bo gehen. Euch dreien viele herzliche Grüsse von uns allen!

                                Es küsst Dich Deine Mutter

 

 



Steglitz, den 1. Juli 1931

 

Meine liebe Liesel! Nun naht Dein Geburtstag und wir wissen garnicht, was nun eigentlich aus dem ganzen Kuddelmuddel geworden ist. Ich hoffe sehr, Du bist jetzt auf dem Weg nach Sussex und verlebst in der Zwischenzeit ein paar schöne Tage in London mit den netten Nordmann-Mädchen zusammen. In Sussex wirst Du es gewiss sehr nett haben und wenn es auch schwer ist, sich von liebgewonnenen Menschen wieder zu lösen, so scheint es uns nach allem was Du so geschrieben hast, doch richtig, dass Du Deinen Aufenthaltsort änderst. Für die Rückreise plante Frau Hagemann die Fahrt mit der Bremen am 12. August und wir würden uns freuen, wenn daraus etwas würde! Dass Du solche Freude am Orgelspiel hast, freut uns sehr; aber das kannst Du ja auch hier fortsetzen.

                Für Dein neues Lebensjahr wünsche ich Dir alles Gute! Die schöne und reiche Zeit, die Du in England verlebst, macht hoffentlich nur den Anfang zu einem ebenso glücklichen weiteren Verlauf im Elternhaus und ich hoffe sehr, dass Du Dir auch dann Deinem Frohsinn erhältst, wenn Verhältnisse schwieriger sind oder die Pflichten in Schule und Haus drücken! So gut wie Du haben es jetzt wenige im Deutschen Reich!

                Der Kreis bei uns ist stark zusammengeschmolzen. Edit und Fritz sind gestern in Hamburg eingetroffen, Edith von Bonn kommend, wo, wie es scheint, nichts an ihr gefunden worden ist, Fritz von hier kommend. Heute sitzt er nun schon seine acht Stunden im Büro. Das wird ihm zuerst auch hart ankommen! Von Ernstel hatten wir eine selbsgeschriebene Karte. Ich bin überzeugt, dass er sich sehr wohl fühlt in seinem Kinderheim.

                Uebrigens denke bitte daran, Frau Bergbohm für ihr Geschenk zu Deinem Geburtstag zu danken; sie frug schon danach, ob Du es auch bekommen hättest und so etwas ist dann immer sehr peinlich. Ihre Adresse ist: Niebuhrstr. 23, Bonn.

                Heute haben wir Logierbesuch von der Eva v. Conta aus Erfurt. Ihre Mutter, Tante Cläre, ist gestern nach Erfurt zurück gefahren und hat die Tochter noch hier gelassen, da sie mit Hermann heute auf den Igelball will. Eva will hier im Winter auf der Hochschule für Musik Gesang lernen. Ihr Fachexamen hat sie schon hinter sich. Heute vomittag waren Hermann + sie in Wannsee zum Schwimmen.

                Hast Du Deinen Freundinnen hier wohl mal Karten geschrieben? Vreni telefonierte neulich nach Deiner Adresse. Nun leb wohl, mein liebes Kind! Ich hoffe, Du bist froh in Deinem Herzen, obwohl Du in Lampeter Deine Zelte abbrechen musstest! Geniesse den 4. Juli recht! Deinen Baedeker hast Du Dir hoffentlich schon gekauft. Füge noch etwas Schokolade und schöne Postkarten hinzu!

                In aller Liebe umarmt und küsst Dich                       Deine Mutter.

 



Berlin-Steglitz, den 4. Juli 31

 

                                Liebes Liesel!

                Heute an Deinem Geburtstag viele herzliche Grüsse und Glückwünsche! Und einen besonders herzlichen Gruss zur Ankunft in Cuckfield! Hoffentlich verlebst Do dort eine recht schöne Zeit und findest auch dort viele Bekannte und nette Menschen! Wir sind sehr gespannt auf Deine nächsten Nachrichten!

                Hier ist’s unheimlich still. Nur Papa, Hermann Anni und ich sind zu Hause. Wolfgang in Leipzig, Magda im Harz, Pimpanello bei andern Herrschaften. Nächste Woche erwarten wir nun die beiden ersten Engländer; hoffentlich wird’s nett werden. Von Ernstel sind gute Nachrichten da, Fritz und Edith haben bisher nur ihre Ankunft in Hamburg gemeldet.

                Viel Liebes und einen herzliche Geburtstagskuss

                                                Von Deiner Mutter.

 



Berlin-Steglitz, Schillerstr. 8
21.Juli 31

                                Mein liebes Liesel!

                                Bitte schicke, wenn es noch nicht geschehen ist, den fälschlich an Dich geschickten Brief an Dr. Noltenius gerichteten Brief gleich nach Norddorf – Amrum Haus „Rüm Hart“. Meinen an Dich gerichteten, fälschlich an Dr. N. Gesandten Brief lasse ich Dir nicht nachschicken, da er überholt ist.

                Leider müssen wir Dir eine arge Enttäuschung bereiten. Du musst, früher als vorgesehen nach Hause kommen. Papa schreibt gleichzeitig an Mr. Gordon. Wir möchten, dass Du am 25., 26. Oder 27. (je nach dem, wie es Dir wegen der Sonntagsruhe richtig zu sein scheint) nach London fährst und dort etwa 4 Tage bleibst, also spätestens am Freitag, den 31. Juli nach Bonn fährst via Ostende – Köln. Dort Anmeldung bei Grossmama und Aufenthalt ein bis 2 Tage, dann Rückkehr hierher.

                Es wäre gut, wenn Du mit Deinen Travellerschecks auskämst, denn hier wird es voraussichtlich auf lange Zeit nicht möglich sein an Barbeträge heranzukommen. Das Geld, das wir von Mr. Creswell bekommen, möchten wir daher gerne zu einer Erholungsreise für Papa verwenden, da er Erholung sehr nötig hat. Trotzdem lassen wir Dir durch seine Mutter 5 Pfund schicken, damit Du auf jeden Fall versorgt bist. Stecke sie nur gut weg, damit Dir nichts gestohlen wird. Was Du noch auf den Travellershecks hast, musst Du abheben. Nicht mehr, als Du brauchst, in deutsches Geld umwechseln, das andere in Pfund-noten herüberbringen!

                In London darfst Du nur bleiben, wenn Du mit H.Kauffmann oder sonst einer Bekannten zusammen bist, d.h. am besten mit ihr zusammen wohnst, oder doch in engster Fühlung mit ihr bist, damit sich jemand um Dich kümmert und man sofort erfährt, wenn Dir irgend eine Unannehmlichkeit zustösst.

                Wir erbitten möglichst oft kurze Kartennachrichten, damit nicht wieder ein Angstzustand entsteht!

                Sollte das Geld von Mrs. Creswell wider Erwarten nicht zur rechten Zeit, bis zu Deiner Abreise, in Cuckfield eintreffen, so musst zdu es Dir von Mr. Gordon am besten wohl an die Adresse der Hagemannschen Verwandten in London nachsenden lassen, wo Du es dann ja wohl sicher erhältst.

                Für Deinen Lieben Brief vielen Dank! Es tut mir leid, dass Du den ursprünglichen Plan nicht durchführen kannst; aber die katastrophalen Zustände zwingen jeden zu Opfern.

                Noch eins, wenn Hagemann auch in den Tagen Deiner Rückreise heimkehrt, ist es natürlich am besten, Ihr fahrt zusammen. Das Bild von Hilde K. Ist reizend; erst dachte ich Du wärst’s! Es ist gut aufgehoben!

Alles Liebe, mein Kind, auf frohes Wiedersehen! In zärtlicher Liebe         Deine Mutter

 



Berlin Steglitz, d. 28.7.31

 

Mein liebes Liesel! Heute kam Deine Karte, durch die wir erfuhren, dass Du bei einem Onkel von Gerda Hagemann zu Gast bist. Die Einladung ist reizend und sehr freundlich! Zugleich kam auch eine Karte von Frau Hagemann, dass sie Gerda nun doch mit dem Schiff heimfahren lassen wolle und um Urlaub bei Frau Dir. einkommen wolle. Da sich inzwischen hier die Lage etwas beruhigt hat und ausserdem Mr. Jarman gekommen ist und zwei andere Engländer sich angemeldet haben, man ausserdem hofft, dass der Bankverkehr mit nächster Woche wieder freigegeben wird, wollen wir nun doch – entgegen meinem letzten Brief an Dich – an dem ersten Plan festhalten und Dich mit Gerda K., Magdi und Frl. Pilger zusammen auf der Bremen heimkommen zu lassen. Das hat noch Schwierigkeit des Urlaubs. Dr. Dogs hat ihn Dir schon so ziemlich erteilt, vorausgesetzt, dass Gerda ihn von der Direktorin erhält, zu die ihre Mutter geschrieben hat. Es ist daher am besten, Du bleibst zunächst in London, bis Ihr wisst, ob Ihr zum 6. Aug. Zurück sein müsst oder nicht. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass Du zu Besuch bist. Es ist reizend von den Menschen und für drei, vier Tage kann man es auch annehmen, für länger ist es uns peinlich. Du müsstest dringend versuchen für die Zeit Deines Dortseins mindestens 5 sh. Pro Tag zu bezahlen, jedenfalls wenn Du bis zum 9. Aug. In London bleibst.

                Nun hör mal zu, mein Liesel! Dieser Brief soll keine Bindung für Dich sein. Du musst Dein Lebensschifflein jetzt selbst lenken. Wenn Du gerne mit den Freundinnen auf der Bremen zurückfährst, freuen wir uns sehr, wenn es geschehen kann. Solltest Du aber nicht gerne länger in London bleiben, so fahre über Köln heim. Mache es ganz, wie es Dir lieb ist und richtig erscheint. Das Geld von Frau Creswell steht Dir ganz zur Verfügung. Sollte es für die Bremenfahrt nicht ausreichen, so kannst Du vielleicht von G.Hagemann noch etwas geliehen bekommen. Nach dem was Du schriebst, würdest Du ja aber wohl auskommen. Der Gedanke, dass Du mit den Freundinnen zurückfährst ist uns sehr lieb, auch, dass Du diese schöne Reise- und Ferienzeit bis zum letzten auskosten kannst! Wir hoffen sehr, dass Frau Direktor Gerda ihre Einwilligung erteilt. Schreibe uns, was Du tust und wie es klappt!

                Ernstel soll am Donnerstag kommen. Wir freuen uns schrecklich! Von Edith sind gute Nachrichten da; sie ist fidel und lernt gut. Fritz hat leider wieder Asthma gehabt, scheint aber ganz gerne auf der bank zu sein. Am 31. Juli hat T. Conny ihren 50. Geburtstag. Bitte eine Karte (An der Alster 39) Grossmutti, der ich geschrieben hatte, Du würdest bei ihr übernachten, schrieb sehr erfreut darüber. Das wird ja aber nun nichts werden. Hier geht’s gut. Hermann geht von morgen bis Sonnabend auf eine Excursion nach Mitteldeutschland, auf die er sich sehr freut. Leb wohl, mein Herzens Kind!

In aller Liebe küsst Dich Deine Mutter

Auch Empfelungen an Deine Wirte, Grüsse an Gerda!

 



Bonn, d. 25. August 31

 

                Meine lieben Kinder!

                                                Mein erster Gruss von Bonn kommt zu Euch! Ich hoffer Ihr lebt Euch gut ein ohne mich, und Magda und Gertrud sorgen gut für Euch! Die Zeit wird Euch mit Arbeit, Segeln, Schwimmen und hoffentlich Tennis spielen rasch vergehen! Hoffentlich ist das Wetter bei Euch besser als hier, wo es wieder unentwegt giesst! Hier bin ich nach guter Fahrt gestern angekommen und fand die liebe Grossmama in einem recht traurigen Zustand. Sie kann nur wenig und schleppend gehen; wenn man mit ihr spricht, ist sie ganz klar nur von einer grossen Unruhe und Sorge um den Grosspapa ergriffen; sie sucht ihn überall, wartet dauernd auf ihn, fragt, ob ihm etwas passiert sei, hält Kaffee und Essen für ihn warm und wenn man ihr sagt, er sei ja schon lange tot, so sagt sie, „das weiss ich ja“ und schon im nächsten Augenblick fragt sie wieder nach ihm. Sie liest und liest in Büchern; aber ich glaube nicht, dass sie noch etwas von dem Gelesenen behält. Es ergeben sich aus dem Zustand natürlich allerhand Schwierigkeiten für die Haushaltführung und Verwaltung des Hauses und ich freue mich, wenn T. Margot erst wieder zurück ist. Dass ich hier bin, ist gut. Es wurde T. Gisela eben zu viel!

                Grüss mir mein Ernstelein! Hat er in der Schule auch ordentlich vom Meereskundmuseum erzählt? Und spielt er tüchtig mit der Gretel? Könnt Ihr nicht zum Sonntag Vreni und Christel Curtius einladen? Das wäre doch nett!

                Wie geht’s mit den Wilden? Grüsst auch sie! Ich hoffe, die Stunde bei Dr. Wolf ist für Ashton gut verlaufen!

                Grüsst auch Gertrud und Magda von mit. Die liebe Grossmama lässt Euch herzlichst grüssen. Sie weiss über jeden von Euch Bescheid und hat Euch sehr lieb!

                Meine Gedanken sind viel bei Euch! Bei Orgel, Aufsatz, Vortrag u.s.w. Geht zeitig ins Bett und arbeitet nicht zu viel!

                                                                In aller Liebe Eure Mutter.

Bei Pütters geht’s allen gut!

 



Oberbärenburg, d. 30.9.32

 

                Mein liebes Lieselchen!

                                Zwar weiss ich nicht, ob Du in Berlin, Bremen oder Hamburg steckst, aber da ich annehme, es wird Hamburg sein, schreibe ich Dir dahin; die Post schickt ja sonst auch nach. Du sollst doch recht schnell einen herzlichen Glückwunsch zu der wohlgelungenen Portie-aufführung haben und Dank für Deinen lieben ausfühlichen Brief. Nun können wir uns sie Sache doch recht lebhaft vorstellen! Trotzdem tut es mir sehr leid, dass ich nicht dabei sein konnte! Jedenfalls ist es für Euch alle doch ein sehr hübscher Abschluss der Kundt-Periode in Eurer Schule gewesen, den Ihr immer im Gedächtnis behalten werdet!

                Inzwischen haben sich bei Dir die Ereignisse ja weiter gehäuft. Letztes Zeugnis vor dem Abitur! Hoffentlich ist es Deinen Hoffnungen und Erwartungen entsprechen ausgefallen! Und dann die Reise! Onkel Fritz schrieb uns, dass Du am 1.Okt. ein privates Orgelkonzert ürdest hören können, da dann am 2. Ramin folgen würde, nehme ich an, dass Du Bremen für diemal aufgegeben hast, wenn ich es auch schade finde, dass Du die liebe Tante Emmy dann nicht siehst! Wenn Du etwas länger in Hamburg bleibst, wirst Du doch sicher einmal die Bauten von Onkel Fritz zu sehen bekommen. Lass Dir doch vorher noch sein Buch „Werdegang einer Grossstadt“, das ich jetzt eben mit grösstem Interesse gelesen habe, geben. Du hast sehr viel mehr davon, wenn Du es kennst und wirst ein ganz anderes Bild von der Tätigkeit von Onkel Fritz Dir machen können.

                Hier ist’s schön; aber ich freue mich doch, wenn ich erst wieder in Steglitz bin!

                Grüsse Onkel Fritz, Tante Site und Conny herzlichst von uns und ev. In Bremen die Verwandten natürlich auch. Und geniesse Deine schöne Zeit recht sehr und benutze sie ausser zur Freude und Belehrung auch zur Auffrischung vor dem Schulendspurt! Papa grüsst herzlichst!

                                Alles Liebe          Deine Mutter

 



Steglitz, den 30.IV.33

                                Mein geliebtes Kind!

                                Deine Blumen sind ganz entzückend. In ihrem intensiven Blau leuchten sie auf unserem Esstisch und erzählen von der lieben, grossen kleinen Senderin! Ich bin ja so glücklich, dass Du Dich in den neuen Verhältnissen, in die Du hineingestellt bist, wohlzufühlen scheinst und Dich über die unerfreulichen Seiten hinwegzusetzen verstehst. Wenn Du nun tüchtig lernst und schöne Touren machst und vielleicht auch unter den Mädeln oder Gästen Dir die eine oder andere als Freundin erwählst, so wird Dir das halbe Jahr im Ausland sicher gut tun! Du kommst auch dann noch früh genug in die Kämpfe und Zerrissenheiten hier zurück und hoffentlich haben sich bis dahin schon viele Dinge geklärt und beruhigt, die einen jetzt mit Sorge erfüllen!

                Ich hätte Dir gleich geschrieben, war aber so in der Arbeit drin, dass ich es nicht fertig brachte. Heute ist nun Sonntag und die verhängte Stölle eines Sonntagsfrühlingsmorgens dringt ins Zimmer! Da sollst Du und nachher die Brüder doch ein paar Zeichen bekommen. Papa ist vorzeitig schon am Freitag von Baden-Baden zurückgekehrt. Er scheint sich aber doch etwas erholt zu haben. Edith hat viel bei Ebbinghaus gearbeitet, vor allem das Portrait von dem kleinen Ott. Der ist jetzt abgereist und sie sitzt nun an den Haaren. Sie ist aber glücklich und zufrieden, Gestern Abend war sie mit Tienhaus im Titaniapalast in „Spione durchbrechen die Front“. Sehr begeistert. Im übrigen ist sie hingerissen von Luise Sommermeiers Baby, das wir ja jetzt betreuen, sie badet und füttert es und bewundert die göttliche Offenbarung, die sich uns in jedem kleinen Menschenkind darstellt! Enstel ist voller Pläne. Er will in Sexta und Quinta einen Sportverein gründen. Seine Schule fängt Dienstag mit einer Feier und Mittwoch richtig an. Bei jedem Schritt, den er tut, merkt man den Stolz, die Würde und Seligkeit des Gymnasiasten! Hoffentlich bleibt ihm das erhalten! Damit ist der Bericht über unsere Familie, so weit sie hier ist, ja schon erschöpft! Von Fritz hatten wir einen kurzen Brief vom 12ten April, noch ehe er Diels gesprochen hatte und heute nur einen kurzen Gruss von Diels ind ihm zusammen. Jedenfalls wird er jetzt wieder beruhigter sein und wieder mehr innere Ruhe für seine Arbeit finden.

                Hermann schreibt ganz zufrieden. Freude macht ihm dies Examenpauken ja nicht; aber er scheint sich nebenher manche Freude durch seine Reiterei und sein Motorrad zu verschaffen. Pflege etwas die Correspondenz mit ihm. Es ist sicher richtig, dass es im Leben keinen besseren Halt gibt, zumal in der heutigen Zeit, als den Zusammenhalt in der Familie und unter Geschwistern. Und nichts ist wohl geeigneter, um sich kennen zu lernen, als eine Zeit des Briefwechsels, wenn es mehr ist, als eine Pflichterfüllung!

                Wir leben sehr still und zurückgezogen. Es hat jetzt nicht viel Sinn, mit anderen Menschen zusammen zu kommen! Traurig ist der Tod von Akemann! Er ist noch in Pyrmont gestorben! Ein Trost für die Frau mag sein, dass auch Helga achon verlobt ist, auch schon seit einer Reihe von Jahren.

                Nun leb wohl, mein liebes Kind! Meine Gedanken sind sehr viel bei Dir und ich freue mich auf Deinen nächsten Brief! Papa und sie Geschwister sowie Käte + Luise grüssen herzlichst!

                                In herzlichster Liebe umarmt Dich                                            Deine Mutter

Die Wolljacke + meinen Brief hast Du wohl bekommen?

Das Geld an Pastor Burckhardt geht heute ab. Wenn Du Taschengeld brauchst, musst Du das schreiben!

 



Steglitz, den 6.6.33

                Mein liebes Lisel!

                Dein ganz delikater Geburtstagskuchen sowie Dein lieber frischer Brief haben  uns sehr erfreut! Ich danke Dir herzlich dafür! Es ist mir ein sehr lieber Gedanke, dass es Dir jetzt gut geht, Du den Nutzen von Deinem Aufenthalt empfindest und er Dir nicht Qual und Verzicht ist, sondern Freude. Du wirst es ja bei dem köstlichen Wetter in den Bergen jetzt herrlich haben und besonders, wenn Du nun die Fahrt mitmachst, die die anderen unternehmen. Dass Geld dafür habe ich erst heute abschicken können. Hoffentlich kommt es nicht zu spät. Edith wusste aber garnicht, wann es eigentlich losgehen sollte.

                Die drei Geburtstage haben wir hier sehr harmonisch gefeiert, obwohl Ihr beiden Mittelglieder uns sehr fehltet. Seit Sonnabend sind nun Papa und Onkel Fritz auf Rügen und müssen es ja dort wunderbar haben. Morgen fährt leider auch Hermann schon wieder ab. Sein Besuch war uns eine sehr grosse Freude. Er trägt ja jetzt wohl etwas schwer – Examensvorbereitung, Wehrdienst und Einsamkeit, das kommt zusammen, um ihm den Sommer nicht besonders angenehm zu machen. Aber wo ist’s anders! Wir sehen hier zu Hause unsere arme Käte ihr Leid um den ungetreuen Bräutigam, der nun schon seit vier Wochen nichts von sich hören lässt, tapfer tragen. Schreib ihr mal eine Karte und schicke ihr vielleicht auch ein wenig Selbstgebackenes oder ein paar sebstgepflückte Blumen!

                Edith hat uns den Kopf von Dir gebracht, und ich muss sagen, es ist ein grosser Fortschritt gegen Weihnachten! Ebbinghaus will ja dass sie noch immer weiter daran arbeitet, aber sie will nicht und tut daher im Augenblick garnichts. Das ist für uns natürlich sehr nett, dass man sie mal nicht nur zu den Mahlzeiten sieht. Aber bald wird es – hoffentlich mit verdoppelten Kräften – wieder los gehen. Frau E. scheint es sehr wenig gut zu gehen, was ihn ja immer stark bedrückt. Und zu helfen ist da so garnicht!

                Was macht denn der Sommernachtstraum? Und wann soll er steigen? Im September heiratet Hans Finkelburg und ich hoffe sehr, dass ich dann hinfahre; dann würde ich sehen über Göttingen, Eisenach und Ilfeld zu fahren, in Göttingen Hermann zum Referendar zu graturlieren, Dich in Ilfeld zu besuchen und in Eisenach nach den Tanten zu sehen, bei denen es auch garnicht gut geht. Aber bis dahin ist noch lange! Im Juli werde ich wohl mit Ernstl zusammen fort gehen, vielleicht auch nach Rügen, damit wir beide zusammen uns etwas erholen. Hermann lässt Dir sagen, wenn Du Wert auf seinen Besuch (ab Freitag bis Sonntag) legst, möchtest Du umgehend eine Karte an T.Annemarie, Stoltzer, Eisenach, Karlkaisersrt. 33 schicken) wo er von Donnerstag abens bis Freitag früh sich aufhalten wird. Die Geschwister grüssen herzlichst! Ich sende Dir alles, alles Liebe und nochmals Dank! Deine Mutter

 



Berlin-Steglitz, den 1. Juli 1933

 

                Mein liebes Lieselkind!

                                Schon heute kommen meine Glückwünsche zu Deinem Geburtstag, da ich fürchte, das Paket kommt nicht rechtzeitig an, wenn es erst am Montag fort geht.

                Sehr viele gute Wünsche habe ich für Dich auf dem Herzen! Es wird ein entscheidungsreiches Jahr für Dich werden, das Dein Lebensschiff in der einen oder andern Richtung in eine feste Bahn steuern wird und das ist in der bewegten Zeit, die wir durchleben, wahrlich nicht leicht. Besonders schwierig scheint mir zu sein, die Forderungen, die man an sich selbst stellt mit denen, die der Alltag und die bittere Notwendigkeit an einen stellen in Einklang zu bringen und sich dabei seinen Idealismus und seinen Frohsinn dem Leben gegenüber zu erhalten. Möchte Dir das recht gut gelingen!

                Ich hoffe, Du lebst in Osterode eine reiche Zeit, menschlich und sachlich! Dass sie auch reich an Freude und Abwechslung sein kann, hat sich in den letzten Reisewochen schon erwiesen. Was macht denn der Sommernachtstraum? Kommst Du mit der Einstudierung weiter?

                Dass ich jetzt hier fortgehe ist ganz unmöglich. Käte geht heute auf Urlaub, da sind wir ganz ohne Mädchen. Nächste Woche kommt Onkel Fritz nochmals auf einen Tag.

                Von Ernstl haben wir gute Nachricht von ihm selbst und von Dr. Voltenius. Der Aufenthalt dort wird ihm sicher gut tun! Leider aber haben wir seit 14 Tagen nichts von Fritz gehört, wobei nur beruhigend ist, dass auch Solmssens seit der gleichen Zeit nichts von ihrem Sohn hörten.

                Ich habe ausser den 90 Pfund für Juli an Frau Dorpalen, an Dich per Postscheck noch 35 Mark geschickt, fünf für die Wäsche im Juli, 10 zur Abdeckung Deiner Schulden und 20 als Taschengeld. Hoffentlich ist’s so recht und genügt für den Juli.

                Dass Vater Schmitt Minister geworden ist, hast Du wohl gelesen! Ein schneller Aufstieg, besonders für Frau und Kinder nicht ungefährlich, die ihn nicht so als schwere Aufgabe fühlen können, wie der Mann selbst. Schreibe Hilde doch ein Wort des Glückwunschs!

                Ich hoffe, Du wirst recht froh mit den Kameradinnen feiern und unserer dabei in Liebe gedenken, wie auch unsere Gedanken Dir ganz Nah und in viel Liebe zugetan sind.

                Deine Mutter

 



Steglitz, den 17. Juni 1933

 

                                Mein liebes Liselkind!

                                Ich liege auf unserer Veranda auf dem Liegestuhl, Du musst daher entschuldigen, wenn die Schrift ein wenig schaukelt, als ob ich ein wenig zu viel getrunken hätte! Draussen rauschen die heute schon durch starke Regengüsse mehrfach reingewaschenen Baumkronen vor einem tiefblauen Himmel und die sinkende Sonne beginnt, sie golden zu färben! Ich muss immer denken, wie gut Du es hast, dass Du Deine Arbeit in einer schönen und der Natur noch so nahen Gegend tun kannst. Dass viel Leben um Dich ist in Pflanzen, Tieren und Menschen und Du an ihnen Deine Kräfte üben und stärken kannst! Für Deinen lieben Geburtstagsbrief vielen Dank! Aus ihm klingt ja eine Zufriedenheit, die uns sehr gefreut hat. Sehr gespannt bin ich, wie es mit dem Sommernachtstraum werden wird. Geht’s denn gut voran?

                Ich glaube, Du hast nach den Geburtstagsbriefen noch garnichts von uns wieder gehört; das liegt aber daran, dass Käte auf Urlaub ist (bis nächsten Montag!) seit 14 Tagen und wir nun mit Hilfe einer Dtudentenfrau alles allein machen; wenn’s auch nur für den jämmerlich kleinen Familienrest von 3 Personen ist, so gibt es in dem grossen Haus und mit dem vielen Geklingele doch immer allerhand zu tun. Onkel Fritz war auchwieder eine Woche bei uns, wir haben sehr viel Freude an seinem Besuch gehabt. Leider ist keine Aussicht, dass er bald wieder herkommt!

                Hast Du etwas von Fritz gehört? Wir bekommen jetzt, nach langer Pause öfters Karten; die letzten waren aus dem Yellowstone Park, wo es ja phantastisch schön sein muss. Wir haben aber auch zwei lange Berichte von dem jungen Solmssen zu lesen bekommen. Sie scheinen zuerst, nachdem sie Chicago verlassen hatten, durch eine sehr öde, heisse und trockene Landstrecke gekommen zu sein, wo in grossen Zwischenräumen Farmen und Dörfer liegen. Sie sind den ganzen Tag in glühender Hitze gefahren, haben dann abends mit Zeltaufschlagen, Abkochen, Spielen viel zu tun gehabt. Nachts haben sie entweder im Zelt oder ganz im Freien geschlafen, aber Wind, frühe Sonne und die Geräusche der Nacht, die uns Städtern ja so ungewohnt sind, haben ihnen wohl keinen genügenden Schlaf gegönnt. So mag es zuerst recht anstrengend gewesen sein und dadurch auch zu erklären, dass Fritz garnicht schrieb und jetzt sich mit Postkarten begnügt. Nun aber sind sie wieder in schönerer Gegend mit gepflegten Wegen und besserer Ernährungsmöglichkeiten. Fritz schickte dem Ernstl einen kleinen Bären, der ihn sicher sehr gefreut hat. Sie sind wohl in der ersten Juliwoche auf einer grossen Ranch (Pferde Farm) gewesen, wo Fritz Bekannte hat. Dort wollten sie tüchtig reiten. Nun sind wir wieder sehr gespannt auf den nächsten Bericht.

                Ernstl scheint es gut zu gehen. Wir erwarten morgen Nachricht von ihm, da gestern sein Schreibetag war. Heute in 14 Tagen kommt er heim. Im August fahren Papa. Edith und ich nach Bonn zur Hochzeit von Hans F. Und im September will Creswell, der vor 2 Jahren bei  uns war, wieder auf 14 Tage zu uns kommen. Er hat einen sehr guten deutschen Brief geschrieben.

                Dass Hildes Vater Wirtschaftsminister geworden ist, hast Du wohl gelesen! Ich freue mich darüber. Papa und Edith grüssen herzlichst! In aller Liebe küsst Dich Deine Mutter

Hast Du Gerta wohl zum Geburtstag gratuliert? 31.7. ist Geburtstag v. T.Conny.

 



Berlin-Steglitz, den 19.Juli 1933

                                Mein liebes Liselkind!

                                                Edith war so gut und so verständig, uns Deinen Brief zu zeigen. Es tut mir sehr, sehr leid, dass Du wieder einen Gallenanfall hast – denn nur um in Verbindung damit wieder unter einer so starken Depression leidest. Was das bedeutet, kann ich Dir aus eigener Erfahrung voll nachfühlen und hoffe daher, Dir auch ein wenig helfen zu können. Ich habe zunächst heute mit Dr.Kalk zu telefonieren versucht. Da er verreist ist, wird es erst Sonnabend oder Montag möglich sein, ihn zu sprechen. Er wird uns sagen können, was Du am besten tust. Bis dahin musst Du sofort strengstens Diät und Liegekur mit Heizkissen, wie er es verschrieben hatte, einhalten. Ueber weiteres bekommst Du noch Bescheid.

                Ausgelöst scheint mir der Gallenanfall zu sein durch Ueberanstrengung und mangende Diät während Eurer – ich muss schon sagen: reichlich unvernünftig vollgepfropften – Reise, die an sich anstrengende Tätigkeit in der Du stehst, und die zusätzliche Arbeit der Einstudierung des Sommernachtstraums und der abendlichen Ueberstunde. Es ist nun einmal eine Tatsache, dass Du eine Gallenerkrankung hast und infolgedessen gegenwärtig nicht im vollen Besitz Deiner Körper- und Nervenkräfte bist. Es ist ferner Tatsache, dass Du mit halber Kraft oder in der Erfüllung kultureller Aufgaben nichts Ganzes wirst leisten können. Deshalb musst Du schnellstens ganz gesund werden. Alles andere muss diesem Ziel untergeordnet werden! Das Leben ist hart und besonders hart in einer Zeit, in der der Staat ganze Menschen ganz beansprucht und unbarnherzig alle nicht voll Leistungsfähigen ausscheidet. Deshalb muss das Primäre in allem und jedem, die Erreichung voler Gesundheit für Dich sein!

                Und Du kannst das Ziel erreichen, wenn Du wirklich eisern willst. Der Arzt kann Dir sicherlich raten und sein Rat ist nötig – helfen kannst nur Du Dir allein. Du musst gewissenhaft die Vorschriften ausführen – monatelang – auch wenn Du zwischendurch nichts fühlst. Gallensachen sind erfahrungsgemäss sehr hartnäckig und kommen immer wieder, wenn sie nicht ganz ausgeheilt werden. Du musst haushalten mit deinen Kräften; nach ihnen musst Du Deine Tätigkeit nach Art und Menge einrichten und der Reihenfolge der Wichtigkeit: Gesundheit, Berufspflichten, Nebenbeschäftigung. Dir immer bewusst bleiben. Ich weiss, dass das schwer ist und viel Verzicht mit sich bringt. Ich schreibe es Dir, und bitte Dich es genau zu lesen und zu überdenken, nur um Dir zu helfen, Dein Leben bewusster auf dies eine Ziel, die Hauptaufgabe, die Du hast, einzustellen und danach zu leben.

                Das wird ein Zurückdrängen von manchem, was Du als starkes seelisches Bedürfnis empfindest, nötig machen. Aber mir will scheinen, dass der „heroische Mensch“, den die Gegenwart mit Recht fordert, sich in erster Linie in einer herben Askese den eigenen Impulsen und seelischen Bedürfnissen gegenüber zeigt. So ist es immer gewesen. Wie der Soldat nicht gefragt wurde, als er in den Krieg zog, was er dahinter liess an Glück und Liebe und eigener Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten, so kann auch heute nicht nach eigenen Wünschen gefragt werden. Die Gegenwart fordert mit unerbittlicher Härte, dass man körperlich gesund und fähig ist, die Forderungen des Tages zu erfüllen. Deshalb der grosse Wert, der mit Recht auf die körperliche Ertüchtigung und Wehrhaftmachung unserer Jugend gelegt wird!

Noch hast Du Zeit; aber es ist nötig, dass Du diese Aufgabe immer bewusster vor Dir siehst und ihr alles andere unterordnest. Dass das Ueberwindung nötig macht, weiss ich. Ich weiss aber auch, dass Du Dich nicht vor Schwererem fürchtest und Verantwortung auf Dir, Deiner Familie, in der Du stehst und der, die Du selbst einmal haben wirst, sowie dem Staat gegenüber, der Deine Kraft beansprucht, Dich gesund und kraftvoll zu machen. Ich bin auch überzeugt, sobald Du das einmal als Aufgabe und Pflicht erkannt und Deinem ganzen Willen dafür eingesetzt hast, wird es mit Riesenschritten vorwärts gehen.

                Tante Margot hat Dir zur Konfirmation in die Matthäus-Passion –auch eine Geschichte nicht des Leidens sondern der Ueberwindung! – schöne Verse von Tagore geschrieben:

                                Ich träumte und dachte:

                                Das Leben sei Freude!

                                Ich erwachte und sah:

                                Das Leben war Pflicht.

                                Ich handelte, und siehe:

                                Die Pflicht war Freude!

                Und dann, mein Töchterchen, Du bist ja garnicht so einsam, wie Du meinst! Es mögen viele in Deinem jetzigen Lebenskreis sein, die ebenso wie Du nichts zeigen von den Kämpfen, die sie durchmachen, von den Verzichten, die sie üben, von Siegen, die sie erringen. Einsamkeit fühlt mancher, obwohl er genau dasselbe empfinden mag, wie sein Nächster, und nur das Wort fehlt, das beide zueinander führt; und wer litte nicht am Leben, an unerfüllter Sehnsucht und zerbrochenen Entwicklungsmöglichkeiten. Nicht das ist es, was den einen vom anderen unterscheidet sondern das „trotzdem“, das er dem gegenüberstellen vermag, das „Ja“, das man zu den Aufgaben sagt, die einem gestellt sind. Wie man seine Dunkelheiten und seine Angst überwindet und mit Mut und Kraft und Trotz dem Schicksal sein Leben abringt, das scheint mir den Wert der Persönlichkeit auszumachen!

                Ich bin ganz bei Dir!                         Deine Mutter

 



Erfurt, den 9.8.33

 

                                Mein geliebtes Liselkind!

                                Es war mir eine grosse Freude und Beruhigung Dich und die Umgebung, in der Du lebst, gesehen zu haben, und schönwar auch, dass wir noch ein paar Tage hatten, in denen man sich mal so recgt geruhsam unterhalten konnte! Ich bin überzeugt, sobald die Rekonvaleszentenzeit vorüber sein wird, wirst Du Dich dehr gut in „Hundert Eichen“ einleben und die paar Monate, die Du dort noch hast, werden Dir wie im Fluge vergehen. Auch wirst Du, glaube ich, mehr dort lernen, als Du jetzt so annimmst, es aber später merken, wenn Du in der eigenen Wirtschaft oder bei uns zu Hause einmal mittätig sein musst. Ich freue mich, dass Edith zu Dir kommt, so wird Dir die Schonungszeit schneller vergehen und Ihr könnt Euch so recht mal wieder aussprechen.

                Die Tage bis dahin musst Du Dich gegen Heimweh wehren, es ist natürlich und wird bald vergehen!

                Leb wohl, mein Liebes! Der Zug nach Eisenach muss bald kommen!

                In aller Liebe gibt einen Guten-Morgen-Kuss                      Deine Mutter

 



Steglitz, den 30.8.33

 

                                Mein liebes Liselkind!

                                Nun bin ich von der Hochzeit wieder zurück. Es waren ganz reizende, wenn natürlich auch anstrengende Tage! Am Polterabend hat Edith bei dem Mozart Terzett und bei einer kleinen Scene, die von Gerta, einer Cousinse der Braut und einer Freundin und Edith gemacht wurde, mitgespielt. Auf der Hochzeit selbst sah die Braut reizend aus, besonders zum Schluss, als ihr der Brautkranz und Schleier abgenommen waren und sie das Frauenhäubchen auf hatte. Das Brautpaar ist erst gegen ½ 8 Uhr fortgegangen; die Eltern hatten schon aus Unkel, Salzig und Baden-Baden Nachricht. O.Rudolf hat ihnen sein Auto für die vierzehn Tage zur Verfügung gestellt. Papa hat wieder eine sehr schöne Rede gehalten, die auch ganz allgemein grossen Beifall fand. Montag haben wir dann noch eine wundervolle Schiffahrt mit Papa bis Boppard gemacht, von wo er dann weiter nach „Bad Oberdorf (Allgäu) Luitpoldbad“ gefahren ist. Ich hoffe er findet dort die ihm so nötige Erholung und zugleich die von O.Rudolf dringend geforderte Verminderung seines Gewichts. Edith bleibt noch einige Tage in Bonn, um T. Margot über die ersten einsamen Tage hinwegzuhelfen; denn als letzter reist ja nun am Freitag Wolfgang nach Amerika. T.Gisela ging es leidlich; sie liess Dich sehr herzlich grüssen. Edith und Gerta haben sich prachtvoll entwickelt und mir sehr gut gefallen. Edith bekam zwei Tage vor der Hochzeit einen schweren Fieberanfall und Halsentzündung, so dass keiner glaubte, dass sie die Hochzeit würde mitmachen können; zum Glück ging das Fieber dann am Morgen des Polterabends herunter, sodass sie beide Tage dabei sein und sich herzlich amüsieren konnte. Auch Grossmama ging es leidlich; sie war am Polterabend von 7-9 Uhr und bei der Hochzeit von 2-7 dabei. Freilich hatte sie die Tage nachher doch etwas zu büssen; aber die Freude, dabei gewesen zu sein, war doch sehr gross.

                Hier fand ich alles in guter Ordnung, Ernstl sehr lieb und vergnügt. Bei dem herrlichen Wetter war er heute noch einmal im Grunewaldsee zum Baden.

                Hoffentlich geht es Dir, mein Mädel, gut! Für Deinen lieben Brief nach Bonn vielen Dank. Es scheint ja Dein Wunsch zu sein und ist ja auch vielleicht das Beste, wenn Du zum 1. Oktober heimkommst. Du jkannst Dir hier dann ja gleich Deine Wintergarderobe machen. Was im Winter wird, müssen wir dann einmal sehen. Da Papas Kolleggeld wieder um ¼ gekürzt ist und er auf O. Rudolfs dringenden Wunsch die Handelshochschule nicht wieder nehmen soll, wirst Du wohl hier bleiben müssen. Wir werden sicher schon etwas finden, was Dich ausfüllt und doch nicht zu sehr anstrengt. Aber das hat ja noch Zeit. Jetzt nur einen herzlichen Gute Nacht Kuss von Deiner        Mutter

 



Berlin-Steglitz, den 17.XI.34

 

Liebes Lisel! Ich freue mich, dass Du gut untergekommen bist und hoffe, Du nutzt nun diesen Winter zu innerer Klärung und Reifung! Je mehr ich über die letzten Wochen und Monate nachdenke, um so mehr erfüllt Sorge um Dich mein Herz und ich glaube, es ist notwendig einmal ganz offen und vorbehaltlos den letzten Beweggründen Deines Handelns nachzugehen!

                Es darf in Freiburg unter keinen Umständen wieder zu einer solchen Kette von Liebesaffären kommen, wie sie hier das ganze letzte Jahr ausgefüllt haben! Du kommst dabei seelisch, sittlich und körperlich herunter! Wie konnte es denn immer so weit kommen? Es wird Dir viel Liebe entgegengebracht. Du freust Dich daran und duldest es, dass die Menschen sich für Dich entflammen. Du nimmst von ihnen alles an, was sie Dir bieten können: Vergnügen, Autofahrten, Hofmache, Einladungen, künstlerisch + geistige Förderung; Du schürst das Feuer bis es hoch schlägt und ziehst Dich dann, wenn eine Entscheidung gefordert wird, mit einem kleinen Schmerz kühl und unversehrt zurück. Den anderen aber über lässt Du es, wie sie mit ihrem Kummer, ihrer Verzweiflung, ihrer Verkettung in Schuld fertig werden! Lisel, spiele nicht weiter so mit den Menschen! Du trägst Verantwortung für jeden, mit dem Du in Berührung kommst! Du musst es ernst nehmen, nicht das eigene Bedürfnis nach Vergnügen, Geltung, Förderung befriedigen wollen! Wird Dir Liebe ernsthaft angetragen, so musst Du sie ernsthaft, gross und hingebend erwidern, oder, wenn Du das nicht kannst oder darfst, Dich zurückziehen, ehe Du Schaden angerichtet hast!

                Das ist es ja auch, was in Deinem Verhältnis zur Familie G. Unecht und unrecht war. Du hättest diese anregende Geselligkeit dieses Verwöhntwerden, dies erregende angenehme Gefühl, im Mittelpunkt zu stehen, aufgeben müssen in dem Augenblick als Du Dir seiner oder Deiner Neigung bewusst wurdest! Eheliche Untreue und Schlimmeres fängt nicht erst bei körperlichen Dingen an!! Damals wäre das ein Opfer gewesen, das einen Anspruch auf Sittlichkeit gehabt hätte! Dass Du Dich jetzt zurückgezogen und die Beziehung nicht eiter ausgedehnt hast, ist kein Opfer mehr, sondern entspricht Deinen innersten vielleicht noch nicht eingestandenen Wünschen! Im Grunde bist Du froh, die ganze Sache los zu sein!

                Und der letzte Grund zu der religiösen Extase, in die Du Dich hineingeredet hast und die hoffentlich jetzt schon wieder abflaut, lag doch auch nicht in echten religiösen Bedürfnissen! Sie sind Dir, intellektuell als dogmatische Streitfragen suggeriert worden und Du hast sie als willkommenes Mittel benutzt, das Interesse für Dich bei anderen zu steigern und als einwandfreien Grund zu Besuchen und Unterredungen. Ich nehme an, dass das unbewusst geschehen ist und Du selbst an die Echtheit Deiner Erregungen geglaubt hast, umso wichtiger ist es, dass Du Dich endlich selbst erkennst!

                Diese religiösen Erregungen, verbunden mit dem Streben, aus gefährlich werdenden Beziehungen herauszukommen, hat dann zu den nervösen Erregungszuständen geführt, weswegen Dich der Arzt fortgeschickt hat. Lisel, ich bitte Dich: spiele nicht mit den heiligsten Dingen, zu denen Lieb, Ehe, Familie, Religion gehören! Habe Ehrfurcht vor ihnen!!

                Lisel, ich schreibe Dir das alles nicht um Dir Vorwürfe zu machen, sondern weil ich Dich sehr lieb habe und mich um Dich sorge! Was geschehen ist, ist nicht mehr zu ändern, aber es soll nicht wieder geschehen! Glaube nicht, dass ich Dich unterschätze oder verkenne! Ich kenne genau Deine guten Eigenschaften und Dein sittliches Streben; aber ich sehe auch, dass Du Dir blauen Dunst vormachst, dass Du Dich durch unzählige Ausflüchte selbst täuschst! Du musst die Energie aufbringen, Dich zu beherrschen, Deinen Begierden und Wünschen und Geltungsbedürfnissen Zügel anzulegen! Du musst keine Rolle spielen wollen, sondern ganz wahrhaftig und ernsthaft nur das sein wollen, was Du wirklich bist! Mit schönen Worten und gestreichen Debatten lässt sich schwarz nicht weiss machen, durch sie lässt sich Ernsthaftigkeit, Verantwortungsgefühl und strenge Selbstzucht nicht ersetzen! Hüte Dich davor, vor allen und jedem Deine Gefühle,  Deinen Kummer, Deinen Aerger auszubreiten, besonders, wenn sie andere Menschen belasten! Damit verletzt Du die Scham und gibst Dich und andere hinweg! Klarheit gewinnst Du durch ernsthafte Selbstprüfung, Stille, Vertiefung. Systematische Arbeit und Lebensgestaltung bis ins kleinste hinein werden Dir dazu verhelfen. Und nimm Dich selbst nicht so wichtig! Du bist ein Glied in der Kette der Geschlechter. Du musst Leid und Freude nehmen, wie sie Dir beschieden sind und gefordert wird von Dir nur Treue, Pflichterfüllung und unbedingte Wahrhaftigkeit Dir selbst vor allem gegenüber!

                Wenn Du Dich selbst in Zucht bekommst, wirst Du ein gesunder und froher Mensch werden! Mache uns glücklich, indem Du es wirst! Eine Antwort auf diesen Brief will ich nicht. Wenn Du ihn richtig auffasst und beherzigst, wird er uns stärker verbinden und Dich vertrauender machen!

                                In Liebe                                Deine Mutter

 

 

 

 



Berlin-Steglitz, den 31.XII.34

                                Meine liebe Liesel!

                                Wenn Dich dieser Gruss auch erst am 2. Januar, oder bei guter Schneelage vielleicht und hoffentlich auch erst später, erreichen wird, so will ich ihn doch heute am Altjahrsabend schreiben. Er soll Dir zunächst meinen Dank für Euer schönes Paket und Deinen lieben Weihnachtsbrief bringen und Dir sagen, wie sehr wir alle uns über beides gefreut haben! Deine Decke kann ich sehr gut gebrauchen und habe es bereits mehrfach getan. So habe ich immer etwas Liebes und etwas Lebendiges von Dir um mich. Dass ich einen grossen Haufen guter Wünsche für’s meue Jahr für Dich hege, wirst Du auch wissen; sie im Einzelnen zu nennen vermag ich nicht; es liegt wohl auch zumeist in ihrer Natur still und verborgen sein zu müssen, sie haben aber deshalb nicht weniger Stärke! Nennen kann ich Dir in erster Linie natürlich Festigung Deiner Gesundheit, Freude und Fortschritt bei Deiner Arbeit und Freude am Leben und an den Menschen. Mögen es die politischen Verhältnisse gestatten, dass Dir das alles zuteil wird, denn vin ihrer Entwicklung hängt ja doch alles ab.

                Ich sitze in dem neu hergerichteten Zimmer, das früher die Jungen hatten und das ich jetzt mit Ernstl teile. Es ist meiner Meinung nach sehr hübsch geworden und wird es sicher noch mehr, wenn erst die Bilder hängen. Wiederzuerkennen ist es jedoch kaum. Ich fühle mich jedenfalls schon ganz wohl darin, wenn‘s auch wohl  nur kurz sein wird, dass ich es habe. Euer Zimmer bewohnt jetzt Papa als Schlafzimmer; es ist ganz gelb gestrichen, hell und freundlich, aber nicht so hübsch wie meins.

                Heute abend werden wir mit Ernstl + Hermann feiern, Fritz ist aus. Wir werden spielen Pocci lesen, Unsinn machen, den Baum ausbrennen lassen, aber vor allem Eurer und des vergangenen Jahres denken und mit Wunsch und Phantasie in das kommende hineinleuchten, so gut das geht. Vielleicht begegnen sich irgendwo unsere Gedanken!

                In herzlicher Liebe umarmt Dich                                Deine Mutter

 



Berlin-Steglitz, den 30.IV. 1935.

                Mein liebes Liesel!

                Ich habe Dir lange nicht geschrieben, aber es war halt viel zu tun in den Tagen, wo Edith hier war und sie hat Dir ja auch von uns berichtet. Es geht hier alles ganz gut. Ernst ist wieder in der Schule, von Hermann und Edith sind sehr gute Nachrichten da. Ediths Besuch war uns eine sehr grosse Freude und ich kann mir denken, wie Du sie vermisst! Ihre Warmherzigkeit und Freudigkeit sind bezaubernd! Heute kam schon ein dehr froher Brief aus München. Jetzt steckt sie ja im Examen und ich bin gespannt, wie es gehen wird.

                Auch Deine Nachrichten klingen ja sehr froh. Dein Arbeitspensum ist ja sehr verlockend und es ist schon eine Leistung, wenn Du das alles durchführst! Ausserdem hast Du viel schöne Musik und vor allem selbstgemachte, was ja die Freude noch beträchtlich erhöht. Und liebe Menschen hast Du auch! Was will man mehr! Ueber den Besuch von Frl. Wetphal haben wir uns sehr gefreut. Sie ist ein liebes munteres Menschenkind, wenn es ja natürlich auch nicht möglich ist, sie so an einem Abend kennen zu lernen.

                Deien neuen Monatswechsel schickte ich Dir gestern auf Dein Sparkassenbuch. Ich vermisse aber noch die Angaben, was Du für Studiengebühr usw. Zu zahlen hast. Bitte schreibe das, denn Du musst es doch sicher jetzt zahlen.

                Heute ist die Hochzeit von Käthe. Papa und ich werden zur Trauung gehen, aber nicht zum Hochzeitsessen. Das neue Mädchen macht sich ganz gut. Wenn man etwas Glück hat, ist so ein Wechsel auch mal ganz gut, wenn auch zuerst natürlich recht unbequem. Zum Glück sind die Handwerker aus dem Hause. Wir warten jetzt sehr auf Mieter, vor allem auch auf einen Mieter für Dein Zimmer. Aber es scheint doch sehr schwierig zu sein!

                Hoffentlich hast Du es in Freiburg jetzt schön. Hier ist es immer noch sehr kalt und feucht, wohl gut für die Saat, aber schlecht für frühlingshungrige Menschen. Blühen tuts ja wohl, aber man hat nicht viel davon.

                Vor einigen Tagen besuchte uns Fritz Korsch mir seiner jungen Frau, die einen ganz reizenden Eindruck macht. Er scheint grosses Glück gehabt zu haben. Bei Hermann Korsch, Anneliese Lassen und bei Beckers kommt nun wieder Nachwuchs! Ganz gute Aussichten für Ediths Berufstätigkeit! Beckers sind ganz selig!

                Nun leb wohl, mein liebes Töchterchen! Arbeite mit Massen, damit Du gut durchhältst und gesund bleibst!

                Papa und die Geschwister grüssen herzlichst!

                In aller Liebe, Deine Mutter

 



Berlin-steglitz, den 15. Mai 1935

                                Mein liebes Töchterchen!

                                                Nur weil ich gerade doch an der Schreibmaschine sitze und vor dem Mittagessen gerade noch ein wenig Zeit ist, will ich Dir auf Deinen lieben Brief, der eben kam, mit der unpersönlichen Mschine antworten. Aber Du bist ja ein modernes Mädel, und so wird Dich das hoffentlich nicht stören. Ich hoffe sehr, dass Du die Depression die Dich im Augenblick in ihren Krallen hat und die sicherlich eine Folge Deiner anstrengenden Arbeit und der Aufregungen, die unvermeidlich mit einem solchen Konzert verbunden sind, bald wieder ganz überwunden hast und der glückliche Ton, der sonst Deine Briefe aus Freiburg beherrschte, wieder zum Vorschein kommt! Dass Dir Edithlein mit ihrer Sonnigkeit und trotz allem Unbeschwertheit sehr fehlt, verstehe ich vollkommen, und es wäre sehr schön gewesen, wenn Ihr hättet zusamen in München weiterstudieren können. Nun musst Du die Zähne aufeinanderbeissen und Dich an Freunschaft freuen, wenn Sie Dir auch vielleicht nicht mit der Intensität geboten wird, wie Du sie erwartest und sie Deiner augenblicklichen Bedürfnissen entspricht. Tante Nanna hat mal gesagt, sie sei nicht zur Ehe gekommen, weil immer eine Zeit gewesen wären, hätte sie keine Lust zur Liebe gehabt, und wenn sie in Stimmung gewesen wäre, wären die Männer nicht dazu aufgelegt gewesen. Vielleicht ist es – auch bei Freundschaften – die Kunst, diese Zeitspannen zu überbrücken! Frau Westphal lernte ich gerne einmal kennen; aber ob es in diesem Sommer dazu kommen wird, weiss ich noch nicht. Im Juli – August wollte ja Gallingham mit dem bekannten Zweck und seinem Freunde nach Berlin kommen und bei uns wohnen. Das werden wir wohl mitnehmen wollen. Vielleicht, dass wir im September noch etwas reisen. Aber es ist doch alles unbesprochen und unter den heutigen Verhältnissen sind auch kaum Pläne zu machen. Wenn ich es einrichten kann, gehe ich Anfang Juni auf 14 Tage nach Bonn. Es hängt allerdingsd noch von Mädchenfragen und vor allem von Gesundheitsfragen bei Ernst ab. Der arme Kerl ist doch am Freitag wieder mit 40Grad Fieber heimgekommen und hat mit einer schweren Angina gelegen. Morgen soll er nun wieder zur Schule und ich hoffe sehr, er bleibt nun gesund!

                Dass Du die Johannispassion hast mitsingen können, ist ein grosses Glück für Dich! Wie habe ich mir immer gewünscht mal mit Orchester oder in der Kirche singen zu können! Und wie genau hast Du nun das Werk kennen gelernt. Das bleibt Dir fürs ganze Leben!

                Ich habe nun noch zwei Fragen. Kannst Du mir nicht ein paar Zeilen für Frau v. Gumpenberg schicken, dass ich die Bücher fortschicken kann, und ebenso für Gerda Hagemann, dass ich ihr den Schlafsack schicken kann? Sie arbeitet jetzt hier im Edenhotel.

                Der arme Fritz wartet wieder und leidet recht unter diesem Zustand. Wie wünschte ich, dass er bald beendet wäre. Morgen ist Hochzeit von Carmen Zitelmann abends um 9 ½ Uhr! Annemarie Nordmann ist bei der Geburt eines Kindes gestorben, ich glaube es war schon das dritte! In Hamburg geht es leidlich. T. Conny ist jetzt in einem Sanatorium; ; T. Site will dann auch ein paar Tage fort. Das Wetter hier ist noch immer kalt + greulich; wir haben tüchtig geheizt! Liebes, gelt, und nun recht froh sein! Das Leben ist zu kurz, um traurig zu sein: Ihr glücklichen Augen, was je ich gesehen, es sei wie es wolle, es war doch so schön! Die Erinnerungen von Onkel Fritz sind jetzt als Buch da. Es ist ganz fabelhaft!

                In herzlicher Liebe, Deine Mutter

Ich traf vor einigen tagen hier Frau Becker sen. Und jun. Sehr nett! Die junge Frau B. erwartet ja jetzt wirklich!

 



Berlin-Steglitz, den 3. Juli 1935

                                Mein liebes Lieselchen!

                Es ist nicht mehr lange bis zu Deinem Geburtstag, kaum 1 Stunde, dann bricht der 4. Juli an, und es will mir nur schwer in den Sinn, dass das kleine zarte blonde Geschöpfchen, das nun vor einundzwanzig Jahren in Bonn geboren wurde, nun schon ein ganz grosses, voll erwachsenes und sogar „mündiges“ Mädel geworden ist! Wie rasch ist die Zeit verflogen und doch, wie war sie voll Unruhe, voll Spannungen und Umwälzungen! All das, was in diesen Jahren durchlebt worden ist, hat auch Dein Leben erfüllt vom ersten Tage an bis jetzt und wer weiss, wie es mitgewirkt hat an der Bildung Deines Wesens! Wie in einer Zeit, wie der unsrigen, mehr als in anderen, eine Fülle von Möglichkeiten verborgen liegt, so scheinen mir auch im Leben des Einzelnen, der leidenschaftlich und fordernd und sehnend dem Leben gegenübertritt, mehr Keime und Möglichkeiten zu liegen, Wesenszüge, die ihn zu grösserer Höhe, aber auch tieferen Tiefen führen können, als andere, die mehr auf der Mittellinie geboren sind. Möge es Dir zur eigenen Befriedigung und zum Glück von andern gelingen, die Gaben Deines Wesens voll zur Reife zu bringen und ein günstiges Geschick es Dir gestatten, Dein Leben aus der Tiefe und innere Fülle zu leben. Dieser Wunsch schliesst den für Gesundheit und Leistungsfähigkeit in sich, den das ist die Basis für alles andere! Du wirst einen arbeitsreichen Geburtstag haben, aber ich denke mir, Du wirst doch etwas gefeiert werden und wohl jedenfalls viel Schönes sehen und hören. Unser Paket erwartet Dich in Freiburg und wird Dir hoffentlich Freude machen.

                Ernstl ist heute sehr froh mit seinem Freund und dessen ganzer Familie nach Wustrau bei Nauen abgefahren, wo er etwa 14 Tage bleiben wird. Ich hoffe er wird eine nette Freundschaft schliessen und sich an dem Landleben und an all den Getier recht freuen. Gestern hat er sich noch im Wannseebad mit 20 Minuten freigeschwommen und es hat mich besonders gefreut, dass er Dies Ziel, das er sich selbst gesteckt hatte, mit so viel Energie und Ausdauer erreicht hat. Im Ziethenschloss in Wustrau wird man auch viel auf’s Wasser gehen, wie mir Frau Selmann-Eggebert sagte. Sie ist übrigens ein Typ der an Frau Becker erinnert, nur verfeinert, mehr nach der Seite der Landedelfrau hin. Uebermorgen reist nun auch Papa nach Hamburg ab. Er will dann in c. 14 Tagen mit Ernstel noch nach Helgoland fahren. Da in der nächsten Woche auch unser Mädchen fort ist und Fritz den ganzen Tag auf der Bank zu tun hat, auch wahrscheinlich die de Mujaes verreisen werden, wird es recht still werden in dem grossen Haus.

                In Freiburg, nehme ich an, wirst Du nur ganz kurz bleiben und dann gleich nach Adelboden fahren. Kannst Du uns nicht einen der Handkoffer (ev. Mit überflüssigen Sachen!) schicken; wir entbehren ihn hier sehr. Auf Dein Sparkassenbuch schicke ich nochmals 75 M. (75 bekommst Du schon Ende vorigen Monats!) Da Du in der Schweiz ja frei lebst, schicke ich Dir Ende Juli nichts; wenn Du im August Geld brauchst, musst Du mir dann erst schreiben. Gib uns bald Deine genaue Adresse an! Nun leb wohl, mein liebes Kind! Ich wünsche Dir alles, alles Gute!

                                In herzlicher Liebe Deine Mutter.

 



Berlin-Steglitz, den 21.Juli 35

 

                                Mein liebes Liesel!

                Vielen Dank für Deinen sehr lieben Brief aus Freiburg, der sich mit meinem Brief gekreuzt hat. Nun bist Du schon längst in der Schweiz! Hoffentlich ohne Zahnweh und Heimweh und kannst Dich recht freuen an der schönen Natur und fühlst Dich wohl in Deiner neuen Umgebung! Ich bin sehr gespannt, von Dir zu hören! Eben bin ich ganz allein zu Hause. Papa ist mit Ernst in Hamburg; sie werden wohl morgen nach Helgoland fahren. Zunächst ist die Adresse noch über Hamburg. Fritz ist mit Gillinham, der Freitag hier eintraf, gestern nach Bausin gefahren, wo er seine letzten freien Tage verbringen will. Am 1. August tritt er im Syndikat ein und freut sich schon mächtig. Er lebt und webt schon ganz in den Problemen, mit denen er es von da an zu tun haben wird. Gillingham ist sehr traurig, Dich nicht zu treffen. Er hätte vor 4 Jahren mit Dir in die Oper gehen wollen, das hätte nicht geklappt, nun hätte er das nachholen wollen. Er wollte ja wohl noch mehr! Mujaes sind heute Abend, braun gebrannt wie Neger von der See zurück gekommen, so ist doch wenigstens irgendwer im Hause noch ausser mir. Es ist aber ganz schön, jetzt, wo ich daran schon etwas gewöhnt bin. Man hat Zeit für manches, wozu man sonst nicht kommt. Anfang voriger Woche hatte ich ein sehr nettes Erlebnis. Du weisst wohl, dass die Eltern eines Freundes von Ernst, diesen mit nach Wustrau genommen hatten, wo sie im alten Zieten-Schloss einige Zimmer gemietet haben. Fritz + ich fuhren Sonntag hin, Ernst dort zu besuchen. Da bekamen Sielmanns eine Todesnachricht, mussten nach Berlin und baten mich, gleich dazubleiben für die Zeit ihrer Abwesenheit, um nach den 4 Buben zu sehen. Sie wollten sie nicht gerne allein bei Mädchen und Fräulein lassen. Ich blieb also bis Mittwoch da und hatte es reizend. So ein grosser Gutsbetrieb ist schon wundervoll, dazu das Wasser, auf dem wir viel gepaddelt sind, Pferde mit denen wir kutschiert sind und auf denen Ernst viel geritten ist – kurz es war fabelhaft nett Ernst wurde es auch sehr schwer, wieder fort zu gehen. Freitag ist er dann nach Hamburg gefahren! Gestern war ich bei Solmssenss draussen zum Abendessen. Da war es sehr nett! Ich habe mich sehr gut unterhalten mit Exc. V. Haefften, mit Demmler, mit Dr. Matthias (früherer Doktorand vom Vater, mit vielen Erinnerungen an unser Elternhaus!). Morgen kommt Frl. Betty Reutsch zu mir zum Essen. Sie ist hier bei ihrem Bruder zu Besuch. Hast Du wohl eine Wohnadresse für Ursel Fischer? Am 31. Juli ist T. Connys Geburtstag. Bitte nicht vergessen! Karte genügt! Ihre Adresse ist: Bockwiese (Harz) Haus Maria.

                Herzliche Grüsse Dir, mein Liebes                             von Deiner Mutter



Steglitz, den 2. Aug. 1935

 

                                Mein liebes Liesel!

                Hab‘ Dank, dass Du mir Deine Nöte und Konflikte innerer und äusserer Art geschrieben hast. Nun weiss ich doch, wie es mal wieder in Dir brodelt und kocht! Von Herzen hoffe ich, dass Dein Verhältnis zu Finkensteins nicht ernstlich getrübt ist. Ich denke mir, mit dem festen Willen zur Verträglichkeit und Liebenswürdigkeit ganz ohne Rücksicht auf Stimmung der andern müsste es glücken, Vorurteile zu besiegen und Misstimmungen zu beseitigen. Dazu ist Geduld und Gleichmässigkeit wichtiger als betonte Freundlichkeiten, auch wenn sie noch so gut gemeint sind. Sie erzeugen leicht beim Beschenkten, der irgend einen kleinen Groll hegt, eine Unsicherheit, die dann wieder auf den Schenkenden die seltsamsten Rückwirkungen hat. Die Fäden, die sich von Mensch zu Mensch spinnen, sind ja so sonderbar verknotet! Aber ich hoffe, das ist nun alles vorüber, Du geniesst wieder die schöne Bergwelt, die Dich umgibt, Du freust Dich an der Gelegenheit französisch zu sprechen und stehst in unbefangenem und frohen Verkehr mit Deiner „Chef“-familie. Die Anwesenheit von M.W. ist Dir dabei hoffentlich sehr nützlich! Ist sie allein da? Was macht sie da? Ueber die andern Dinge, die in Deinem Brief stehen, sprechen wir hier einmal? Du wirst Dir ja darüber klar sein müssen, dass ein abermaliger Berufswechsel erhebliche Schwierigkeiten macht; dass es in Deiner Natur liegt, jedes neue Ziel als „das einzig mögliche“ zu empfinden, dass es sich bisher in keiner Beziehung gezeigt hat, dass Sprachenstudium das ist, was Dir „liegt“. Dazu kommen natürlich viele andere Ueberlegungen, Unmöglichkeit der Reisen ins Ausland wegen Devisenschwierigkeiten und vieles mehr. Aber wie gesagt, über das alles sprechen wir hier einmal und ich bitte Dich nur dringend, es Deiner Phantasie nicht zu gestatten, nun dauernd mit diesen beuen Plänen und Zielen zu spielen, vielmehr Dich Deinem einmal erwählten – und mit hoher und ausschliesslicher Begeisterung erwählten Kunstgeschichtsstudium auch weiterhin voll verpflichtet zu fühlen! Schwirigkeiten kommen in jedem Beruf; in jedem gilt es lange Strecken einfach zu lernen, jedes Geltungsstreben zurückzustellen und langsam in die Scheuer zu sammeln! Vor jedem Beruf gilt es , Hochachtung zu haben und vor allem die Mängel, die man bei ihm empfindet, durch die Grenzen der eigenen Natur bedingt zu sehen, aber nicht in dem Beruf selbst zu suchen. Dass Du Dir darüber ganz klar bist, ist wichtig besonders für den Verkehr mit den kunstgeschichtlich orientierten und wahrscheinlich ihrem Beruf sehr liebenden und hoch wertenden Finkensteins. Ich möchte wetten, dass der Konflikt, in den Du ihnen gegenüber geraten bist, auf einer von Dir geäusserten abfälligen Kritik der Kunstwissenschaft, wenn nicht ganz direkt, so doch indirekt beruht hat? Oder täusche ich mich da?

                Dass für eine Frau jede Berufstätigkeit zwiespältig ist, weiss ich sehr gut. Dass die Berufsaussichten in allen Zweigen sehr schlecht sind, ist für die Jugend schwer und erfordert umso mehr zähes Festhalten und Ausharren, auch wenn es mal hart, der eigenen Natur zuwider ist. Die Frau ist eben zur Ehe geboren und gerade die vielseitig interessierte Frau kann da ein grosses und segensreiches Glück um sich verbreiten. Beruf ist für  die Frau immer Nebensache, später vielleicht Notbehelf; für sehr viele Frauen ist er in der Jugend sicher auch eine Art Zuflucht und gefährliches Betäubungsmittel.

                Und noch eins, mein Kind! Bist Du Dir über die seelischen Hintergünde klar, über die Einflüsse, die Dir Dein neues Interesse für Russisch vermitteln? Vorläufig sehe ich noch nicht, dass es aus Dir selbst kommt!

                Zu beantworten brauchst Du den Brief nicht; ich möchte das alles iM September mit Dir besprechen. Du darfst Dich nur nicht innerlich festlegen! Du bist Kunstgeschichtsstudentin und wenn Du vielleicht nicht zum Doktor kommst, so muss doch das, was Du begonnen hast, jedenfalls so weit gefördert werden, dass es nicht ganz nutzlose Zeitvergeudung war.

                Ich hoffe, Du verstehst mich, und liest auch in diesem Brief, was ich meine und wie ich es meine, ebenso wie ich Dich ganz verstehe und Deine – nun hoffentlich schon wieder ruhigere – Stimmung!

                Ediths Hiersein ist reizend. Fritz ist in seiner neuen Tätigkeit bis abends beschäftigt und dann sehr müde. Auch da ist die erste Zeit schwer und opferreich. Papa und Ernst kommen wohl morgen heim, da Montag ja die Schule wieder beginnt. Mit Gillinham treibe ich viel Deutsch. Er ist sehr belesen und interessiert für Deutschland.

                Grüsse M.W. und empfiehl mich Finkensteins

                In herzlicher Liebe                           Deine Mutter

Alste Oncken hat übrigens, so viel ich höre, den Auftrag an einem grossen Werk über Schlösser in der Mark mitzuarbeiten – sie scheint ganz zufreiden und gut beschäftigt. Sie und ihre Mutter lernen jetzt Autofahren. Das nur nebenbei, ohne Beziehung!