Erinnerungen an Rotarier
Fritz Schumacher
Zu seinem 90. Geburtstag
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Vortrag von Altpräsident Oskar Martini
Am 4. November 1959 im Rotary Club Hamburg
Geb. 4. Nov. 1869, begr. 10. Nov. 1947
Heute vor 90 Jahren ist Fritz Schumacher geboren, einer der bedeutendsten Menschen, die zu unserem rotarischen Kreise gehört haben. Seiner an diesem Tage zu gedenken, ist wohl Ehrenpflicht unseres Clubs.
Wenn ich die Ehre habe, als Sprecher unserer Verehrung für diesen grossen Baumeister und Künstler vor Ihnen zu stehen, so möchte ich gleich zwei Vorbehalte machen. Erstens: ob nicht Berufenere als ich, etwa Architekten oder Künstler, in ihrem eigenen Schaffen ihm verwandt und von tieferem Verstehen für seine grossen Leistungen, das Wort nehmen sollten.
Meine Legitimation ist lediglich die, dass ich in meinem amtlichen und ein wenig auch persönlichen Leben zu ihm mannigfaltige Verbindung gekommen, auch manche Beweise seiner freundlichen Gesinnung mir gegenüber erfahren durfte, und dass ich deshalb gern hier vor Ihnen Zeugnis ablege; denn ich habe ihn immer als die überragendste Persönlichkeit verehrt, die ich in den 35 Jahren meiner Zugehörigkeit zur Hamburger Verwaltung unmittelbar erleben durfte.
Und weiter: die Grösse der Aufgabe, ein in seinem Wirken so ausserordentlich reiches und vielseitiges Leben, in einem wenn auch etwas verlängerten Mittagsvortrag darzustellen, zwingt mich, Ihnen vieles schuldig zu bleiben. Erst die gewaltige Fülle der Einzelheiten aus seinem beruflichen, künstlerischem, wissenschaftlichen, dichterischen und rein menschlichen Leben könnte Ihnen die Grösse dieser Erscheinung ganz deutlich machen.
Schumacher ist vor 90 Jahren in Bremen als zweiter Sohn des damaligen Handelskammersyndikus, später im diplomatischem Dienst des Deutschen Reiches in Bogota, dann als Generalkonsul in New York, schliesslich als Ministerrresident in Lima stehenden Dr. Hermann Albert Schumacher geboren.
Er entstammte einer Familie, die, seit 1380 in Bremen nachweisbar, ihrer Vaterstadt sehr viele als Pastoren, Schulmänner, Senatsmitglieder und Bürgermeister bewährte Männer geschenkt hat. Sein älterer Bruder, Hermann Schumacher, übrigens gleichfalls verdienter Rotarier in Berlin, war von gleicher geistiger Bedeutung und stand als Professor der Staatswissenschaften in Bonn, später in Berlin, in hohem Ansehen.
Die beiden Brüder waren miteinander ihr ganzes Leben eng verbunden und schon in jungen Jahren von grösster geistiger Regsamkeit und Unternehmungslust. So hatten sie u.a. munter auf eigene Faust schon als 11- oder 12jährige Jungen in New York zunächst spielerisch, dann ganz ernsthaft eine kleine Druckerei - die Firma der Jungen nannte sich Schumacher Brothers, Book and Job Printers - gegründet, die tatsächlich allerlei ansehnliche Drucksachen, z.B. die Drucklegung der Denkwurdigkeiten ihrer Urgrossmütter, zustande brachte. Mit der Versetzung des Vaters nach Lima kommen 1883 die Söhne in die Vaterstadt zurück. Schon die Gymnasialzeit in Bremen bringt den aufgeweckten Jungen, der sich eigentlich für alles interessiert, mit dem Maler Fitger, dem Dichter Bulthaupt, dem Bürgermeister Gildemeister, der gleichzeitig ein bedeutender Dante-übersetzer war, in nahe Beziehung; ja, er wagt sich schon an Vorträge über Böcklin, Menzel und den Naturalismus heran und spricht als Unterprimaner in lateinischer Sprache über Dürers Kunst der Malerei (De arte pingendi Alberti Düreri).
Nach wohlbestandenem Abitur geht Schumacher zunächst mit der Absicht, Naturwissenschaft und Kunst zu studieren, mit seinem Bruder nach München, nachdem sie vorerst tausend schöne Eindrücke auf einer gemeinsamen Fahrt über Dreden, Linz, Prag, Wien bis Budapest in sich eingesogen haben.
In Budapest führt sie die Presse in der liste der eingetroffenen Hotelgäste schon als Professoren aus Bremen auf! Welche prophetische Gabe ist den Zeitungen doch oft zu eigen!
München, von künstlerischem und geistigem Leben sprühend, überwältigt ihn.
Freilich, der Universitäts- und Hochschulbetrieb enttäuscht zunächst seine hohen idealistischen Erwartungen, erst in der Akademie der Künste, wo er hospitiert, findet er die Atmosphäre, die ihn begeistert, in der er wahrhaft atmen kann. Erstaunlich rasch öffnen sich dem blutjungen Studenten die Häuser bedeutender Persönlichkeiten; bei Paul Heyse, dem grossen Romanschriftsteller, dessen Namen die Jüngeren heute kaum kennen, der aber damals noch König im Reiche der Literatur war, ehe der Durchbruch der stürmischen Neuerer - Hauptmann, Halbe, Wedekind, Dehmel, Conrad u.s.w. - kam.
In Heyses gastlichem Hause ging er bald aus und ein. Auch in die brühmten Familien der fünf Brüder v. Miller - Ferdinand: Erzgiesser, Oskar: Schöpfer des Deutschen Museums - fand er Eingang und wurde ständiger Gast.
In seinem zweiten Semester verlor er seinen über alles geliebten Vater an den Folgen einer in den Tropen erworbenen Krankheit. Damit verschlechterten sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse erheblich. Um Einkünfte zu haben, versuchte er sich mit der Presse, und zwar gleich mit der grossen Presse - New Yorker Staatszeitung, Weserzeitung, Pester Lloyd, in denen literarische Essays, z.B. über Keller und Anzengruber, oder fortlaufend Studien, betitelet “Charakterköpfe der neueren deutschen Malerei” zum Abdruck kamen.
Das Jahr 1902 sieht Schumacher in Berlin als Studenten der Technischen Hochschule in Charlottenburg, aber es versteht sich von selbst, dass dieser suchende Geist, dem ein unwiderstehlicher Zug zu den Grossen im Reiche des Geistes innewohnte, auch der Universität nicht fernblieb, an der Historiker wie Treischke und Delbrück, die grossen Nationalökonomen Schmoller und Wagner, u.s.w., für ihn zum Erlebnis wurden. In Volksversammlungen hörte er die grossen Politiker, besonders August Bebel und Friedrich Naumann, dessen weitschauendes soziales Programm, dem Arbeiter das Seine zu geben und ihn an den Staat heranzuführen, auch Schumacher für sein soziales Denken und Planen in seiner Lebensarbeit klare Richtung gegeben hat.
Interessant seine Eindrücke von drei grössten Rednern jener Zeit: Naumann der vollendeste, Bebel der geschickteste, Treitschke der mächtigste.
Er scheidet aus Berlion mit der Erkenntnis, dass nicht die Luxusaufgaben unserer Zeit, mögen sie künstlerisch noch so sehr locken und glänzen, sondern die Mitarbeit am grossen sozialen Problem für die Architektur das Ausschlaggebende sein muss.
Sein Weg führt ihn für drei Jahre, bis 1895, wieder in das geliebte München zurück, wo er sich nunmehr ganz auf die Technische Hochschule konzentriert, ohne freilich an der Art des in unendlichen Spezialfragen sich verlierenden Lehrbetriebes Gefallen zu finden.
Aber sonst umfängt ihn München wieder mit dem ganzen Zauber seiner geistigen und künstlerischen Atmosphäre, seiner Gastlichkeit, seiner Heiterkeit, wie sie in vielen ausgelassenen Festen sich zeigte, deren künstlerische Gestaltung damals von einem Höchstmass von Esprit, Witz und Einfallsreichtum inspiriert gewesen zu sein scheint.
An lustigen Streichen fehlt es nicht. Da findet z.B. einmal wieder einer der damals berühmten Künstlerinnenbälle statt, die beileibe kein Männerauge entweihen durfte. Stellen Sie sich vor, so etwas gab es einmal! Er aber wettet mit einem Maedel, er würde als Mann unangefochten dort doch erscheinen, und er gewinnt. Spindeldürr wie er war, maskiert er sich als uralten herrschaftlichen Diener, der zu früh erscheint, eine der Teilnehmerinnen nach Hause zu bringen, und seine armselige, zitternde Schlottrigkeit erweicht die mitleidigen Herzen der Teilnehmerinnen, und sie nehmen ihn ausgelassen in ihre Mitte, als er fast vor Verlegenheit zu vergehen scheint.
In Liebhaberaufführungen glänzt er so sehr in seinen Rollen, dass ihn zu seinem Schrecken der Hoftheaterintendant für sein Theater ausbilden will. Dessen ungeachtet besteht er sein Examen mit dem bestmöglichen Prädikat.
Nun geht es an die Berufsarbeit. Bei Gabriel Seidl, damals wohl dem ersten Architekten der Stadt, dem München eine Reihe bedeutender Bauten verdankt, z.B. das Nationalmuseum, Künstlerhaus usw., wird er zunächst nur befristet als Aushilfe beschäftigt. Eine weitere Anstellung findet sich nicht, er meint, von München scheiden zu müssen, fährt aber zuvor nach Tirol, um sich bei der gerade auf ihrer Burg Karneid weilenden Familie v. Miller zu verabschieden, kommt dabei durch einen Zufall in das benachbarte Schloss Prösels, der grössten Burganlage Tirols, von besonderer Schönheit, aber halb verschüttet und zerfallen, die sich ein reicher Kunstliebhaber aus Frankfurt namens Günther kürzlich erworben hatte. Bei Tisch phantasiert ihm Schumacher aus dem Stegreif einige Gedanken, wie die Anlage zu neuer Schönheit zu erwecken sei, durchwandert dann mit ihm die ganzen Räume, und plötzlich sagt ihm der Frakfurter: “Sie sage immer, das könnte man machen, nein, das mache mir!” und gibt ihm den Auftrag, den Ausbau durzuführen.
Schumacher ist sprachlos, verlebt eine schlaflose Nacht und gibt am nächsten Morgen den Auftrag, dem er, eben erst der Hochschule entwachsen, ohne jede praktische Erfahrung nicht gewachsen sei, kommt aber bei Günther schlecht an; das Zeichenzeug sei schon bestellt, bis es käme, hätte er Zeit wieder vernünftig zu werden. Im übrigen solle er sich nicht in etwas mischen, was ihn garnichts anginge. So kam der blutjunge Schumacher mit 24 Jahren zu seiner ersten, grossen, weiss Gott nicht einfachen, aber erfolgreich erfüllten Bauaufgabe.
Burg Prösel im Pustatal
Ich erzähle diesen Vorgang deshalb eingehender, weil er schlagend beweist, welche Faszination schon in jungen Jahren von Schumachers Persönlichkeit und seiner Ideenfülle ausgegangen sein muss.
Während er den Burgausbau in Händen hat, beruft ihn Seidl wieder, diesmal in eine Dauerstellung, und diesem wahren Künstler und Baumeister ist Schumacher in Verehrung seiner grossen Persönlichkeit immer angehange. Er rühmt Seidls absolute Hingabe und Liebe zu seinen Aufgaben und hat dort, wie er sagt, erfahren, dass in der Kunst der Versuch, die eigene Liebe dem anderen mitzuteilen, der einzige Weg sei, um dauernd Einfluss zu üben. Das hat er dann auch selbst in seinem eigenen Leben und Schaffen wunderbar bewiesen.
Aus den Münchner Jahren liesse sich noch viel Interessantes berichten. Seidls Bauten bringen Schumacher mit anderen Grossen der Zeit in Verbindung, mit Hildebrand, dem grossen Bildhauer, und mit dem damals so berühmten Bismarckmaler Franz v. Lenbach, seinerzeit in München der bestaunte Malerfürst, heute ganz abgemeldet - - Wie vergänglich ist doch auch der Ruhm!
Ein neuer Auftrag von Günther, ihm am Gardasee ein grosses Wohnhaus zu bauen, führt ihn erstmalig nach Italiens Norden, und Eindrücke seiner Rundreise dort lassen ihn erste kunsthistorische Arbeiten in Form sogenannter Monographien über italienische Architekten beginnen (Vignola, Alberti). Aber gerade als Günther ihn ein Jahr auf Reisen schicken will, erscheint bei ihm der Stadtbaurat von Leipzig, Licht mit Namen, um ihn zum Mitarbeiter in seinem Amte zu gewinnen.
Im Zweifel, welcher Weg zu wählen sei, siegte in Schumacher die überzeugung, dass, nachdem er in München eine Unzahl von Keimen im künstlerischem Spiel in sich hatte aufnehmen können, es einer Zeit ernsthafter Sammlung und stille Reife bedurfte. Für die dafür notwendige Verpflanzung erschien Leipzig als der richtige Ort.
Damit begann der erste Abschnitt seiner amtlichen Tätigkeit im öffentlichen Bauwesen einer grossen Stadt, und zwar für die Jahre 1895-1899. Ich möchte Ausführungen über sein berufliches Wirken nicht machen, wenn auch seine wesentliche Mitarbeit bei dem grossen Rathausneubau und der Herstellung eines neuen Musiksaales in dem berühmten Leipziger Gewandhaus, wo der unvergleichliche Arthur Nikisch das Szepter bzw. Den Taktstock fuehrte, durchaus der Erwähnung bedarf.
Seine Arbeit lag im Rahmen der üblichen Tätigkeit eines städtischen Baubeamten, den noch kein besonderer Rang auszeichnet. Aber das Besondere seiner Persönlichkei zeigt sich wieder darin, wie auffallend rasch die geistigen und künstlerischen Kreise Leipzigs ihn in ihre Mitte ziehen und er, ein nachgeordneter, einfacher technischer Angestellter, dort eine Rolle zu spielen beginnt.
Aus dem Leipziger Kapitel seines grossartigen Lebensberichts “Stufen des Lebens”, durch den ich Sie heute flüchtig führe, möchte ich von einer besonderen, in ihrer Art einzigartigen Veranstaltung der Künstlerschaft von Leipzig erzählen. In dieser alten Universitäts- und Handelsstadt war es damals in mancher Beziehung muffig und spiessig.
Der künstlerische Geschmack war meist kümmerlich, etwa noch im Stil der bösen Gründerzeit, Makart usw. Die Gesellschaft der Stadt bot etwa das Bild echter Kleinstaaterei, jeder Kreis, jede Berufsklasse peinlich für sich und fern den anderen, sei es Universität, Kaufmannschaft, Verwaltung, Gericht, Militär usw. Kulturelle Probleme kamen nicht voran.
Da kam diese Schar junger Künstler daher, um neuen Wind wehen zu lassen, die einzelnen Kreise einander näher zubringen und in besseren künstlerischen und geschmacklichen Empfindungen zu vereinen. Das Mittel: ein grosses Fest, in dessen Mittelpunkt ein abendfüllendes Spiel in Versen mit viel Tanz, Couplets, Satire, von Schumacher gedichtet.
Man gewann die schönsten Frauen und Mädchen der verschiedenen Kreise, zog sie mit wunderbaren, von Künstlerhand beschafften neumodischen Stoffen an und liess sie nun in dem Gaukelspiel, genannt “Phantasien in Auerbachs Keller”, wo zwischen den ehrsamen Bürgern Faust und Mephisto wieder mit ihren Zaubertricks erscheinen, tanzen und mimen. In dem Ganzen war Schumacher der rechte Mann an der Spritze, der spiritus rector.
Das Fest war einfach Sensation, es musste wiederholt werden, zum dritten Mal vor König im Opernhaus. Ganz Leipzig war aus dem Häuschen; 22 Verlobungen bewiesen, dass die Trennmauern zu fallen begannen, und das Interesse der Leipziger Gesellschaft an den künstlerischen Problemen der Zeit war geweckt oder vertieft.
Es folgten wohl noch andere Feste, heiter, glänzend in der Form, zielsicher, aber in der Tendenz zu einer verfeinerten Kultur. Im ganzen jedoch suchte Schumacher in Leipzig mehr die engere persönliche Beziehung zu den bedeutenden Persönlichkeiten der Stadt.
Grosse Namen tauchen da auf. Ein besonderer Gewinn für ihn wurde die dauernde Freundschaft mit dem genialen Architekten Wilhelm Kreis, einem aufsteigenden hellen Stern, dessen grossartige Bauten auf der Gesolei in Düsseldorf uns 30 Jahre später entzückten.
Max Klinger, Bildhauer, Malerpöt, Graphiker, einst ein Titan, bewundert viel und viel gescholten, trat ihm näher und beeindruckte ihn tief. Auch dieser ist heute wohl weitgehend verblasst. Lovis Corith taucht auf, Greiner, Graul und andere mehr.
Siegfried Wagner, damals mit seiner Oper “Die Bärenhäuter” versuchend, in die Spuren seines grossen Vaters zu treten, wird ihm bekannt, eine tragische Epigonengestalt, die aber damals überschwenglich angehimmelt wurde. “Siegfried unser Glaube, unsere Liebe, unsere Hoffnung” war z.B. der Leitgedanke eines Trinkspruchs von dem Kunsthistoriker Thode auf ihn. Dabei hatte Siegfried viel mehr Spass daran, wenn ihn der Maler Greiner mit Worten anulkte: “Na, Du in Milch gemästete Salatschnecke!”
Neben Wohnhausbauten für wohlhabende Leute beschäftigte sich Schumacher damals auch mit verschiedenen Denkmalsentwürfen, unter denen der eines Denkmals für den seinem Ende entgegensiechenden Friedrich Nietzsche besonders bemerkenswert war. Das brachte ihm eine Einladung in das Haus Nietzsches nach Weimar, und dessen Schwester führte Schumacher an da Krankenlager. Zu einer Unterhaltung kam es nicht. Nietzsche sah ihn zunächst beunruhigt und forschend an, dann wurde sein Ausdruck ganz still und ruhig. “So abgeklärt und friedlich,” sagte Schumacher hierzu, “wie ich es wohl nur bei einem ganz frommen Menschen gesehen habe.” Ein Jahr später stand Schumacher an Nietzsches Sarg.
Ich muss vorwärts eilen, die monatelangen Studienreisen, die Schumacher in diesen Jahren nach Brüssel - Meunier - Paris - Rom - London machte, kann ich nur am Rande erwähnen.
Ein neuer Lebensabschnitt rückt heran. Trotz seiner tausen Aufgaben fühlte er sich nicht glücklich. Er war schon zu viel auf eigenem Wege vorgedrungen, um noch in der Abhängigkeit gedeihen zu können, die ihn hinderte, die Dinge so anzupacken, wie er es im tiefsten Herzen wünschte.
So erschien ihm der Ruf als a.o. Professor an die Technische Hochschule Dresden wie die Erfüllung eines Märchentraumes. Lehren in voller Freiheit, mit jungen Fachgenossen nach neuer Erkenntnis streben, das lockte übermächtig. Er wusste damals weder, welch aufreibende Anstrengung es ist, sich lehrend ohne Unterlass auszugeben, noch ahnte er, wie er selbst sagte, wieviel mächtiger in ihm der bittere Trieb zum Schaffen war als der süsse Trib zum Lehren, und dass dieser bittere Trieb ihn eines Tages dahin bringen würde, ein freies Lebensideal bewusst zu zertrümmern und wieder in Abhängigkeit und Plagen zu gehen.
Im Alter von 30 Jahren tritt Schumacher sein Lehramt an, das ihn 10 Jahre in Dresden festhält. Aus diesem Dezennium ein halbwegs vollständiges Bild seines Wirkens zu zeichnen, verbietet sich heute. Nur Streiflichter kann ich geben. - Als Dozent gewann er durch seinen Gedankenreichtum, sein Wissen, seine faszinierende Rednergabe und die Lebendigkeit seines Wesens im Nu die Herzen der Hörer. Oft fassten die Säle nicht die Zakl der andrängenden Studenten. Auf gut studentische Art haben seine Studenten ihm ihre Verehrung wiederholt durch Fackelzüge bekundet.
Im Lehrkörper selbst wurde er bald zum mutigen Vorkämpfer der Richtung, die für eine aus dem Wesen ihrer fachlichen Aufgaben eigengesetzliche Gestaltung der damals noch um ihre rechte Form ringenden technischen Hochschulen eintrat im Gegensatz zu der von älteren Professoren verfochtenen Anpassung an Formen und Methoden der Universitäten.
Das akademische Wirken Schumachers ergänzt nach der praktischen Seite hin glücklich eine grosse Anzahl von Bauaufträgen, vornehmlich für grosse Eigenheime reicher Leute in allen Teilen Deutschlands. So baute er u.a. für den Onkel unseres Freundes Ivo, Carl Hauptmann, im Risengebirge. Denkmalsfragen beschäftigten ihn wieder, und der Intendant des Königlichen Theaters, Graf Seebach, überliess ihm moderne Neugestaltung der Bühnendekoration, z.B. für eine neue Inszenierung des Hamlets und der Nibelungen.
Besonders aber ragt als grosse Tat aus den Dresdner Jahren seine führende Mitarbeit bei der Vorbereitung der 3. Grossen deutschen Kunstgewerbeausstellung in Dresden, die 1906 eröffnet wurde. Es war viel Idealismus und Kunstwollen rings in Deutschland erwacht, aber es fehlte meist der Mut, sich zum Werdenden zu bekennen. Den Mühen der vorwärtsstrebenden Künstler galt es, durch einen von aussen kommenden Druck zum Erfolg zu verhelfen.
So entstand unter den gemeinsam strebenden Freunden der Plan einer grossen Ausstellung, die alle in Deutschland verfügbaren künstlerischen Kräfte und ihr Können in planmässig ineinander greifenden Aufgaben zeigen liess. Neben Fragen der Technik und Wirtschaftlichkeit ging es wieder um die Hebung des künstlerischen Geschmacks, um die Bedeutung der damals neben dem Kunsthandwerk erstmalig stärker hervortretenden Kunstindustrie und - besonders wichtig - um das Verhältnis des schaffenden Künstlers zu der ausführenden Industrie, die daran zu gewöhnen war, in dem für sie wirkenden freien Künstler nicht einen ihrem Willen untergebenen Arbeitssklave zu sehen, sondern seiner Leistung mit Respekt Raum und Freiheit zu gewähren.
Ich kann im einzelnen nicht schildern, was die Ausstellung in ihren über 60 Sälen an Mustern von Wohnungen aller Art, Kaufläden, Treppenhäusern, Gerichts- und Wartesälen, Schule, Standesämtern, Eisenbahnwagen, Schiffsräumen und dergleichen mehr mit ihren ganzen Einrichtungen barg. Selbst eine protestantische und katholische Musterkirche, erstere von Schumacher entworfen, wurden errichtet und gaben den Raum zu Gottesdiensten. Der grosse Sittard aus Hamburg sass an der Orgel. - Diese Ausstellung wurde ein lange nachwirkender Markstein in der Geschichte des deutschen Kunsthandwerks. Auch Mitglieder der regierenden Häuser in Deutschland, besonders Hessen und Sachsen-Weimar, waren Besucher der Ausstellung. Das sächsische Königshaus fand sich in all den Neuerungen freilich nicht sehr zurecht.
Köstlich ist die Anekdote - wie zahlreich und erheiternd sind sie in Schumachers Aufzeichnungen, aber ich muss sie mir verkneifen - von königlicher Kunstkritik. Der bekannte Bildhauer Wrba hatte für den verstorbenen König Georg einen preisgekrönten Entwurf mit ihm als fast nackter Heldenfigur gemacht. Als die alte Königin Carola diesen Entwurf besichtigte, brach sie jammernd in die Worte aus: “Mein armer Schwagerhat im Leben so viel Pech gehabt, nun muss er auch noch im Tode dieses Pech haben!”
Schumachers letzter Bau in der Dresdner Zeit war der des dortigen Krematoriums, das damals in seiner wuchtigen Art in ganz Deutschland Aufsehen erregte und Bewunderer und Kritiker fand. Seltsame Fügung: auch in Hamburg war der freilich von ihm selbst nicht bis ans Ende durchgeführte Neubau des Krematoriums seine letzte bauliche Tat.
Damit komme ich zu den Hamburger Jahren. 1909 berief ihn der Senat auf Vorschlag von Bausenator Holthusen als Oberbaudirektor an die Spitze des Hochbauwesens. Der Abschied von Dresden war nicht leicht; Ministerium und Hochschule taten mit hohen Angeboten ideeller Art alles, um ihn zu halten. Aber in ihm siegte die Erkenntnis, dass man nicht jahrzehntelang über Architektur dozieren könne, fernab von dem lebendigen baulichen Geschehen der Zeit; gerade die Architektur erfordert unmittelbares Miterleben.
Seine Berufung nach Hamburg war eine grosse Tat des Senats. Mit ihr begann hier eine völlig neue Ära des öffentlichen Bauwesens, das bis dahin vollständig und einseitig von Ingenieuren, bedeutenden willensstarken Männern - ich nenne den unvergessenen Oberingenieur Fr. A. Meyer und Schumachers unerbittlich harten Gegespieler Baudirektor Sperber - geführt war.
Der Ingenieur dachte vorwiegend in der Linie, der Ebene, in seinen städte-baulichen Planungen, der Architekt im Raum. Die Konflikte waren schwer, ich habe darüber in einer früheren Plauderei über eigene Erinnerungen Ihnen einiges berichtet; ich möchte das nicht wiederholen, weil die Einzelheiten des Kampfes, die mit dem vollen Sieg Schumachers endeten, ja auch nicht mehr interessieren. Aber sie haben Schumacher in den ersten Hamburger Jahren das Leben oft sehr schwer femacht.
Wohl kam es im Kampf der Meinungen seine einmalige Rednergabe zustatten; ihm zuzuhören war uneingeschränkter ästetischer Genuss. Er selbst suchte sie oft zu reiner Sachlichkeit zu zügeln, weil, wie er meinte, manches Gremium von der Triftigkeit seiner Argumente a conto seiner Beredsamkeit erst einmal 25% abzuziehen geneigt war. Sie hätte ihm daher eigentlich mehr geschadet.
Eine überfülle von Aufgaben harrte sein. Seit Jahren war das Hochbauwesen der Stadt in Rückstand geraten. Es war viel nachzuholen, und dazu kamen die in der blühen-den, kraftstrotzenden Hansestadt alljährlich neu auftauchenden baulichen Anforderungen.
Ein Katalog all seiner Bauten in Hamburg kann nicht gegeben werden; es sind über hundert. Allein 31 Schulen, jede mit besonderem Programm, niemals Schema. Noch einige weitere Beispiele: Kunstgewerbeschule Lerchenfeld, Tropeninstitut - das erste seiner Art in der Welt -, das Gwerbehaus Holstenwall, das Museum für Hamburgische Geschichte, das Finanzgebäude Gänsemarkt, das Lotsenhaus, der Erweiterungsbau des Zivijustizgebäudes, Krankenhausbauten aller Art, für meine frühere Behörde das vorbildliche Altersheim Gr.Borstel, usw., usw. Viele seiner Bauten zerstörte der Bombenkrieg, aber viele überdauerten ihn und bleiben Denkmälter seines Schaffens in unserer Stadt.
Fast noch höher möchte ich seine bahnbrechenden städtebauliche Arbeiten, die er in neuen Bebauungsplänen für die einzelnen Satdtteile zu Gesetzlicher Gültigkeit brachte, veranschlagen. Er konnte mit vollem Recht aussprechen, dass, als Lebewesen gesehen, baulich die Stadt im tiefsten Kern krank war.
Die Genesung einzuleiten, betrieb er den Erlass des Baupflegegesetzes, - den schrecklichen Schlitzbauten, die jahrzehntelang eine ungesunde Ausnutzung des Baulandes darstellten, machte er für die Zukunft den Garaus. Es war eine soziale und wirtschaftliche Aufgabe grössten Massstabes, den gewaltigen neuen Kräften der Mechanisierung und Technisierung, die das Leben in ihren Bann schlugen, den Weg zo organischer Ordnung zu weisen und den rechten Rahmen für die sich drändenden Menschenmassen zu schaffen.
Dazu gehörte auch weitschauende Grünplatzpolitik, in der der Hamburger Stadtpark, sein Werk, an erster Stelle steht. - Ich hatte in jenen Jahren das Glück, in einer von ihm geleiteten Bebauungsplankommission mitzuarbeiten. Es war staunenswert, wie er mit hohem Gedankenflug auch eine Treue der Arbeit und Kenntnis bis in kleinste Einzelheiten verband.
Aus dieser seiner städtebaulichen Arbeit erwuchs folgerichtig, über die Grenzen unserer Stadt weit hinausreichend, die Landesplanung auf weite Sicht, die er in den 20er Jahren mit benachbarten preussischen Behörden in dem sog. Landesplanungsausschuss vorantrieb.
über all diesen Arbeiten wuchs Schumacher mehr und mehr zum Fackelträger einer gnaz neuen Baugesinnung in unserer Stadt heran. Sein Kampf für den bodenständigen Backstein statt des Putzbaues legt dafür Zeugnis ab. Aber auch in vielen anderen kulturellen uns ästhetischen Fragen wurde er uns der grosse Wegweiser. Ein Beispiel: seine Mitarbeit bei der Schaffung moderner Bühnenbilder im Deutschen Schaspielhaus.
Um die Jahrhundertwende spielte, wie jeder weiss, Lichtwark, der 1914 starb, die Rolle des kulturellen Führers. Schumacher stand in vielfacher Verbindung mit ihm, wenn beide auch inTemperament und Arbeitsmethode sich wesentlich unterschieden und keineswegs immer einer Meinung waren.
Ein weitere: die Gewinnung des zunächst heftig ablehnenden Albert Ballin für eine zeitgemässe Gestaltung der Innenräume der damals im Bau befindlichen Hapag-Riesendampfer.
Die kulturell bedeutsamen oder interessierten Kreise Hamburgs zogen Schumacher bald in ihre Mitte; Erich Marcks, der Historiker, Graf Kalckreuth, der Maler, Richard Dehmel, der Dichter, Max und Fritz Warburg, Dr. Melchior und viele andere wurden seine Freunde, und doch sagte er später rückblickend: “Das Gefühl einer grossen Einsamkeit wird wohl jeder bekommen, der in Hamburg künstlerisch schafft.”
Was Schumacher selbst an künstlerischer Leistung der Hamburger damals bewunderte, waren die in vollendetem Geschmack gedeckten Tische, ihre vollendete Kultur bei den grossen Diners, die niemals abzusagen Lichtwark ihm als allerersten wichtigen Rat gegeben hatte; es sei die einzige Gelegenheit, wo die Hamburger einem zuzuhören Zeit und Neigung hätten.
Der erste Weltkrieg brachte Schumacher verschiedene Aufträge der Heeresverwaltung auf Planung für den Wiederaufbau zerstörter Städte und führte ihn so auf mehrere Kriegsschauplätze in West und Ost. Nach dem Kriege - 1920 - kam dann das dreijährige Zwischenspiel in Köln. Oberbürgermeister Adenauer hätte am liebsten ihn dauernd Hamburg ausgespannt; aber Schumacher hielt unserer Stadt die Treue,die ihm freilich in den Inflationsjahren nicht annähernd so viele Aufgaben bot wie Köln, dessen Festungsgelände, der 40 km lange äussere Rayon, zwangsweise freigemacht wurde und für das ein umfassender Bebauungsplan aufzustellen war.
Man kam zu einem Kompromiss einer dreijährigen Beurlaubung nach Köln, wo er für diese Zeit Bürgermeister wurde. Die städtebauliche Arbeit, die er hier planend leistete, war ein grandioser Entwurf, sozial und künstlerisch gleichermassen zukunftsweisend, ein Werk, das, als er es uns in der Universität eines Abends in einem Vortrag mit vielen grossen Schaubildern erläuterte, uns den Atem stocken liess. Nur ein Vortrag aus berufenem Munde könnte Ihnen eine Vorstellung von der Einmaligkeit dieses Entwurfes geben.
Mit Adenauer, von dem er übrigens erzählt, dass er keinerlei Vorstellung von dem physischen und geistigen Leistungsvermögen seiner Mitarbeiter hatte, war er ständig in enger Verbindung, auch gern bei edlem Wein. Als in der Inflation in fast allen Städten wegen des Geldschwundes die Arbeiten stockten, tat Adenauer den ihn kennzeichnenden Ausspruch: “Man darf nie aufhören zu handeln! Tätigkeit ist alles, das übrige findet sich schon. Wer heute über Geld nachdenkt, denkt über etwas nach, was es gar nicht mehr gibt!”
Nach 3 Jahren kehrte Schumacher gegen Adenauers Wunsch nach Hamburg zurück; viele grosse Arbeiten in der oben geschilderten Art harrten hier wieder sein. Der Kampf mit dem Ingenieurwesen lebte nicht wieder auf. An seine Spitze war der vortreffliche, sachliche und liebenswürdige Baudirektor Gustav Leo, auch ein mir unvergessener lieber Rotarier, getreten. Es gab einen guten Zusammenklang.
Leider erkrankte Schumacher sehr bald an schwerer Thrombose, die ihn noch jahrelang sehr gequält hat.
Ich mache nun einen grossen Sprung bis zum Jahre 1933. Im Mai d.J. wurde Schumacher abrupt seines Amtes von den neuen Machthabern enthoben. Es war ein grosses Unrecht, dass es geschah und in welcher Form es geschah. Ich glaube zu erinnern, dass er zürst in der Zeitung von seiner Verabschiedung las.
Aber man hat später versucht, dieses Unrecht wiedergutzumachen. Im Frühjahr 1944 verlieh man ihm den Lessingpreis, und im Kaisersaal des Rathauses kam er dankend mit einem Vortrag über Hamburg noch einmal zu Worte. Die Jahre der erzwungenen Musse füllte er dann mit intensiver schriftstellerischer Arbeit aus, auf die ich noch kurz zurückkomme.
Der zweite Weltkrieg führte für Schumacher ein besonders düsteres Verhängnis herauf. Als er nach Hamburg kam, hatte er An der Alster Nr. 39 ein etwas zurückliegendes Haus mit einem von ihm selbst errichteten Säulenvorbau erworben, es im Laufe der Jahre mit Kunstwerken und Sammlungen aller Art gefüllt und ein Juwel daraus gemacht.
Als dann im zweiten Weltkrieg St. Georg begann, zu den besonders gefährdeten Stadtteilen zu gehören, entschloss sich der im Gehen behinderte Mann, an eine vermeintlich sicherere Stelle, in ein Haus an der Maria-Louisen-Stasse umzuziehen. Und hier traf ihn im Juli 1943, in jenen grausigen Tagen, der Schlag, dass gerade dieses Haus völlig zerstört wurde, und damit auch sein gesamtes Eigentum, seine Kunstschätze, Manuskripte werdender Bücher, wertvollster Schriftwechsel mit Grossen der Zeit, usw. Sein Haus An der Alster steht noch heute.
Als völlig armer Flüchtling kam er mit seinen Schwestern nach Lüneburg und fand gastliche, aber räumlich sehr enge Aufnahme bei Freunden, denen er vor Jahrzehnten das Haus gebaut hatte. Hier hat er 4 Jahre gelebt, bis er 1947 in einem Hamburger Krankenhaus seinem langjährigen Leiden erlag. - Ergreifend, dass in solcher Enge und Einsamkeit ein Leben enden musste, das auf die grossen geistigen und künstlerischen Höhen des Jahrhunderts geführt und dort hellen Glanz gespendet hatte.
In dem Lüneburger Haus habe ich heute vor 15 Jahren Schumacher zum letzten Male gsehen. Nur ein kleiner Kreis von Männern, 5 oder 6, Vertreter des Senats, des Ministers Speer, der Architektenschaft, der Baubehörde, war hinüber gefahren, ihm zum 75. Geburtstag zu gratulieren und zu danken. Aus persönlicher Verehrung ohne Auftrag hatte ich mich angeschlossen. Eine Anzahl längerer Ansprechen wurde gehalten.
Als dann Schumacher erwiderte, gab es Fliegeralarm, Bomberströme überflogen die Stadt, Tiefflieger knatterten in den Strassen. Wir aber lauschten tief angerührt seinen schönen Ausführungen, in denen der alte Herr auf die Gedankengänge jedes einzelnen der Gratulanten besonders einging. Draussen Lärm des wilden Krieges, wir aber drinnen fernab in einer stillen Welt des Geistes.
Lassen Sie mich noch ein Wort von seinem grossen literarischen Schaffen sagen. Auch hier kann man sich nur staunend fragen, wann und wie ein so überbeschäftigter Mann auch noch dafür die Zeit gefunden hat. Wohl floss ihm das Wort leicht und vollendet aus der Feder, aber dennoch ist die Fülle überwältigend.
In einem Verzeichnis finde ich über 50 Titel seiner Bücher und Schriften, dazu kommt die unübersehbare Zahl seiner Abhandlungen in Fachzeitschriften. Vor allem sind es brennende Probleme der sich wndelnden Künstlerischen Kultur. In grosser Schau bringt er Sinn, Ziel und Methoden des baulichen Wirkens, etwa in dem grossartigen Buch “Geist der Baukunst”. Daneben steht ein so einmaliges Werk wie sein Buch “Die Sprache der Kunst”, in dem er für alle wesentlichen Gebiete der Kunst: Dichtung, Bühne, Tanz, Musik, Malerei und Graphik, Plastik, Baukunst, Denkmalskunst, Städtebau, aus tiefer Einfuehlung die den einzelnen Kunstgattungen gegeben verschiedenen Ausdrucksmittel, d.h. ihre Sprache, darstellt.
Und darüber hinaus wird er selbst zum Dichter. Seine Selbstbiographie “Stufen des Lebens”, heute vor 25 Jahren abgeschlossen, ist nicht nur ein wertvoller Beitrag zur Kulturgeschichte Deutschlands in den Jahrzehnetn um die Jahrhundertwende, sondern schlechthin ein vollendetes Kunstwerk.
Im Bum “Vom Baum der Erkenntnis” findet sich eine Fülle reizender Phantasien und Märchen, ernst, heiter, auch satirisch. Und schliesslich lässt sein Gedichteband “Begleitmusik des Lebens” uns in seine Seele, in sein Allerpersönlichstes schauen. Tiefer Ernst paart sich hier mit Frohsinn. Gedichte kann man nicht beschreiben, man muss sie lesen oder hören, wie sie Schumacher selbst an einem mir unvergesslichen Rotary-Abend vorgetragen hat. Der Bogen seiner Dichtung spannt sich von Gesprächen mit Gott bis zu den Gefilden der heiteren Muse.
Entzückend z.B. seine Abwandlung des bekannten Chansons von Otto Julius Bierbaum vom Lustigen Ehemann, der mit seiner Frau tanzt und sich dabei wie ein Pfau dreht, in die dichterische Sprache von zehn anderen Dichtern, u.a. Hans Sachs, Kloppstock, Schiller, sogar Stefan George und Wilhelm Busch.
Und ebenso bestechend ein Schock von Vierzeilern, in denen er in prägnanter Kürze das Wesen von Dichtern, Musikern u.a. treffend umreisst. Bis in seine letzten Lebenswochen hat er die Feder nicht ruhen lassen, nicht einmal auf seinem Hamburger Krankenlager im Jahre 1947, und nur mit tiefster Bewegung kann man in den erst nach seinem Tode erschienenen Büchern “Selbtgespräche” und “Nachlese” seine Klagelieder um Deutschlands Not lesen, in denen doch immer wieder ein Glaube an das wiederkehrende Licht auch nach dunkelster Zeit mitschwingt. Und er baut auf die Macht der Liebe! Hören sie eines seiner letzten Gedichte:
Oh, wie lang schon schienst du mir verloren, Vaterland! Denn ich sah dich einer Macht verschworen, Die ich nicht verstand. Und ich sah dich tief und tiefer sinken, Vaterland, Sah die Besten dir im Blut ertrinken, Ach, wie mancher schwand. Und nun habe ich dich doch gefunden, Vaterland! Liebe hält in schwersten Leidensstunden Gegen alles stand.
So rundet sich uns, nachdem wir ihn als Baumeister und Künstler gesehen haben, auch sein Bild nach der menschlichen Seite ab.
Dazu noch ein Wort über den Leib, in dem dieser grosse Geist und eine zarte, tiefe Seele wohnten. Er war mittelgross, im ganzen eher zierlich wirkend; bemerkenswert die feinen kleinen Hände, die Zeichenstift und Feder so sicher zu führen wussten. Der weisshaarige Kopf und das Gesicht fein geschnitten, hinter dem geränderten Kneifer gütige, kluge Augen, - und über dem immer sehr sorgfältig gehaltenen weissen Spitzbart ein schmal geschittener Mund, der auch wohl von Resignation und Enttäuschung kündet, - so steht sein Bild vor mir.
Er war nicht verheiratet; von seinen Hamburger Jahren an lebte er in herzlicher Hausgemeinschaft mit seinen beiden verehrungswürdigen Schwestern. Seinen Freunden, auch unserem rotarischen Kreis, dem er bis 1937 als allzeit getreues Mitglied angehörte, war er ein verlässlicher Freund, der gerade im stillen Kreise, nicht in lauter Geselligkeit, die er nicht schätzte, viel zu geben wusste.
Bei geselligen Abenden in seinem Heim An der Alster waren die durchaus beachtlichen leiblichen Genüsse immer umrahmt und überstrahlt von edlen geistigen Darbietungen, etwa einem Vortrag oder einem Vorlesen.
Dass er tief religiöser Natur war, habe ich wohl schon angedeutet. Seine Weltanschauung wurzelte in der Gottes- und Naturvorstellung Göthes, über dessen Weltbild er zwei wertvolle Schriften bzw. Vorträge hinterliess.
Im Wesen immer verbindlich, ausgespreochen bescheiden und gütig und von tiefem sizialen Gefühl durchglüht, für das alle seine Werke Zeugnis ablegen. “Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem!” Ein grosser Mann! Es muss unser Stolz sein, dass er zu uns gehörte.
In Erinnerung an die studentische Fahrt zu Bismarcks Geburtstag 1892 nach Friedrichsruh schreibt er in den “Stufen des Lebens” von dem grossen deutschen Heros als Künstler das einprägsame Wort”
“Kein Kunstwerk vermag ähnliche Erregungen auszulösen, wie der Genuss des Anblicks eines wirklich grossen Menschen.”
Glücklich wäre ich, wenn es mir heute gelungen wäre, eiinen schwachen Hauch einer solchen Empfindung über unser Zusammensein hinwehen zu lassen.
Die Brüder Fritz und Hermann am Meer